Gottfried Keller
Das Tagebuch und das Traumbuch
Gottfried Keller

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Den 17. Juli

Nach der Natur gezeichnet. Ich habe eine große, alte Föhre angefangen mit Bleistift. Ich werde trachten, mir eine hübsche, genaue Zeichnung anzugewöhnen; denn, abgesehen davon, daß die Studienblätter an sich selbst einen innern Wert dadurch bekommen und mir noch lange nachher zur Freude gereichen, so nützen sie mir auch bei der Anwendung mehr, als die rohen Farbenkleckse, die ich früher machte. Auch will es mich bedünken, daß es auch einem Landschaftsmaler gar nichts schadet, wenn er mit Bleistift oder Feder in einem gewissen Stile gewandt umzugehen weiß; wennschon viele es verachten und höchstens plumpe Schmieralien mir rußiger Kreide und Weiß zu machen wissen. Überdies kommt das gute Zeichnen mit der Feder einem sehr zustatten in dem Falle, wo man etwa auf den Gedanken kommt, etwas zu radieren.

Stoff zu einem Gedichte, nach einer wahren Begebenheit, die sich vergangene Woche hier ereignete: Ein Mann und eine Frau, beide im verwitweten Zustande, heiraten einander. Die Ehe wird aber unglücklich, weil sie sich nicht verstehen können, und jedes denkt mit Reue und Schmerzen an die frühere, verstorbene Ehehälfte, sprechen immer davon und besuchen beiderseitig täglich die Gräber derselben, schmücken diese und trauern und weinen darauf. Dadurch entsteht das unglückseligste Verhältnis; besonders ist es die Frau, welche durch einen melancholischen und zugleich etwas bösartigen Charakter das Ihrige beiträgt. Der Mann bekommt die Schwindsucht, kommt auf das Sterbelager und beschuldigt laut die Frau als die Ursache. Er stirbt, und am gleichen Tage stürzt sich die unglückliche Frau vom Hausdache auf die Straße hinab!


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