Gottfried Keller
Das Tagebuch und das Traumbuch
Gottfried Keller

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Den 15. Juli

Das »Pfingstfest« gedichtet. Ideen: Eine Blumendichtung; die Blumen der verschiedenen Jahreszeiten haben schon lange von einander singen und sprechen gehört. Sie sehnen sich, einmal alle einander zu sehen, und beschließen durch eine noch zu erfindende Korrespondenz, alle zusammen in einem Herbste aufzublühen. Dieser Herbst kommt, und in feenhafter Menge und Mannigfaltigkeit sprießen die Blüten des ganzen Jahres auf einmal hervor. Große Pracht. Aber bald entbehrt diese Blume das, jene etwas anderes, und alle, bis auf die Herbstblumen, fühlen sich mitten in dem üppigen, zaubrischen Leben unglücklich.

2. Gedicht nach einem alten Holzschnitte in der Froschauerbibel, die Erschaffung der Eva darstellend. Naivetät des Bildes; Gott Vater, ein gutmütiger Alter in päpstlichem Ornate, zieht die Eva mit freundlichster Geschäftigkeit aus des schlafenden Adams Lenden hervor. Beschreibung der verschiedenen Tiere und Tierlein im Paradiese, worunter humoristische Gestalten. Zuletzt Sonne und Mond, welche, umgeben von den Sternen, mit fröhlichen Menschengesichtern hinter den fernen Bergen heraufschauen.

3. Ein Laubhüttenfest, welches eine bedrängte Judenfamilie in einer bigotten Christenstadt auf ihrem Hausdache im Verborgnen feiert.


Das Regenwetter dauert fort. Ein Sonett entworfen darüber, worin die beängstigte Stimmung und Sehnsucht nach Sonnenschein und Wärme ausgesprochen wird.

Das gestern über Anastasius Grün Geschriebene überlesen und gefunden, daß ich die Balladen unabsichtlich mit den niedlichen Tändeleien zusammengestellt habe; denn obgleich das Balladendichten in strenger Form aus der Mode gekommen zu sein scheint, so möchte es doch schwerer sein, eine Ballade, wie Schiller und Goethe sie gemacht haben, hervorzubringen, als das schönste Gedicht, wo der Dichter nur innere Zustände und Gefühle ausspricht. Denn hier braucht er nicht aus sich herauszugehen und darf nur den Schnabel auftun, um die Melodieen herausströmen und überschwellen zu lassen, wie sie wollen, während er dort sich mit dem Stoff, Kostüm und Sitten abarbeiten muß. Eine Hauptursache aber ist der alte Zwang, Neues zu leisten; und in Balladen ist es bekanntlich schwer, noch etwas Neues zu bringen. Auch sind uns die schönsten Balladen, die wir haben, gleichgültig geworden durch das ekelhafte Drehorgeln und Deklamieren von sentimentalen Buchbindergesellen und empfindsamen Kammermädchen, welche vielleicht gerne die »Glocken dumpf zusammenhallen« hören würden, wenn sie sagen könnten: »Seine Küsse, wie sie hoch auflodern!« oder: »Schönheit war die Falle meiner Tugend!«

Idee: Zwei Freunde werden durch unüberlegte Worte bei einem Freudenmahle entzweit. Zwischenträger erweitern die Kluft. Sie meiden sich lange Zeit, und jeder sucht anderswo Ersatz für den verlornen Freund, jeder fühlt sich aber höchst unglücklich. Der eine verreist in ein fernes Land, um Ruhe zu finden, kömmt aber ruhelos wieder zurück. Endlich werden sie durch glücklichen Zufall einander wieder nahe gebracht, versöhnen sich, und die Versöhnung, die auf einem Spaziergange stattfindet, mit dem darauffolgenden Glücke, soll die Glanzstelle des Gedichtes bilden.


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