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3

Die ersten Geiseln, welche die den Bürgern auferlegte Kontribution nicht bezahlt hatten, füllten das Gefängnis.

Im Hause der ehemaligen Akziseverwaltung hat die außerordentliche Kommission, die »Tscheka« ihren Sitz; man sieht Rotgardisten, Patronengürtel quer über die Schulter; am Gurt hängt die Naganpistole im Lederfutteral, dazu Handgranaten. Zitternd bekreuzigen sich die Bürger beim Vorübergehen – nur nicht da hinein kommen! – es gibt keine Rückkehr! Auf der hohen Freitreppe vor der Tür stehen, die bissigen Schnauzen auf den Platz gerichtet, Maschinengewehre, stählerne Hunde, und ein Posten in lederner Joppe.

Des Abends sind die Fenster der Bürgerhäuser verhängt, Tür und Tor geschlossen, zum Abendessen gibt es nichts als Pastetchen aus Kartoffeln und roten Rüben, mit Hanföl gebacken, dazu Mohrrübentee. Im Flüsterton, voll zitternder Freude, versichert man einander, »sie« würden sich bestimmt nicht länger als höchstens vierzehn Tage halten …

An den Ausläufen der Stadt werden des Morgens alle eintreffenden Wagen mit Lebensmitteln requiriert. Die Märkte stehen leer, alte Überreste von Pferdemist und Stroh sind die einzige Erinnerung an frühere Herrlichkeit. Auf weiten Umwegen, durch verlorene Gäßchen stehlen sich – nur zu Bekannten und aus alter Anhänglichkeit – Bauernwagen heimlich in den Hof; heimlich, unter Stroh oder Mantel verborgen, werden Grütze, Mehl, Kartoffeln herangeschafft. Wichtig kommt der Bauer ins Zimmer, den Soldatenmantel über den Bauernkittel geworfen, wird zum Tee aufgefordert, erhält den Ehrenplatz, man reicht ihm die Hand, redet ihn mit Sie an, summt ihm die Ohren voll über den bevorstehenden Sturz der Sowjetmacht.

Der Bauer trinkt Tee, spricht, hört zu und sieht sich geschäftig im Zimmer um.

»Die Kommode da würde ich schließlich nehmen, meine Tochter heiratet bald – einen Städtischen.«

Hausherr und Hausfrau denken: Wohl einen Kommissär …

»Wieviel Mehl würden Sie wohl für die Kommode geben?«

»Was könnte man schon dafür geben? Drei Pud Mehl bringe ich Ihnen vielleicht …«

»Aber sehen Sie sich doch die Kommode ordentlich an – Nußholz und fast ganz neu …«

»Mehr gebe ich nicht, hier in der Nachbarschaft habe ich schon mit anderen Herrschaften gesprochen, deren Kommode ist vielleicht nicht ganz so schön, ich bekomme sie dafür aber für anderthalb Pud … Tut Ihnen das Stück leid, so behalten Sie's nur.«

Ein Familienrat wird im Nebenraum im Flüsterton abgehalten, erregt erscheinen die Herrschaften wieder vor ihrem Gast.

»Also, Iwan, Sie können die drei Pud Mehl bringen, geben Sie aber einen Sack Kartoffeln dazu.«

So holten sich des Abends, wenn es dunkel geworden war, die Bauern Ruhebetten, Lehnsessel, Kommoden, alles, was sie gerade mochten, aus der Stadt heraus. Eisenbeschlagene Truhen wurden geöffnet, Seidenschals, Kleider ausgeklopft und gegen Mehl, gegen Kartoffeln ausgetauscht. Für eine Flasche Holzspiritus erhielt man ein ganzes Pud Mehl oder gar Salz – das war Goldes wert.

An Pfosten und Zäunen in der Stadt lasen die Beamten auf ihrem Wege in die Kommissariate: Wer Lebensmittel hamstert … Da wurden die Vorräte – Grütze, Mehl – im Garten vergraben, auf dem Dachboden in Ecken und Winkeln verborgen und Erde darüber geschüttet.

Adlige Offiziere ohne Achselstücke schlichen sich als Boten nach Süden – zu Kornilow, zu Alexejew –, kehrten als Werber der weißen Gegenbewegung zurück, wirkten durch Überredung und Geld.

Drakins enteignete Fabrik stand schläfrig da, die müßigen Schlote schienen dem Ingenieur nach ihrem täglichen Brot zu schreien. Düster war die Stimmung hier in der Vorstadt Penji. Die Schwinger liehen jeglichem Gerede ein offenes Ohr.

»Hä-hä-hä, Genossen, Ihr solltet doch euren Ingenieur, den Herrn Drakin, mal fragen, weshalb wohl er sein Geld im Auslande hält? Tja-tja …«

»Unsinn, Iwan Matwejewitsch – das sind grundlose Verleumdungen.«

»Nicht so hastig, Genosse, nicht so hastig: fragen Sie ihn mal, sicher ist sicher.«

Die Hetzreden des privaten Rechtsanwalts Iwan Matwejewitsch Lossew weckten bohrende Zweifel. Drakin wurde in den Ausschuß des Arbeiterrats geholt, Ignat fragte ihn aus. Drakin antwortete, er habe kein Geld mehr, es sei alles auf die Kontribution draufgegangen und auf die Löhne, die er bis zur Enteignung der Fabrik seinen Arbeitern ausgezahlt habe. Aus den hinteren Reihen schleuderte man Worte wie Steine gegen ihn:

»Und wieviel hast du in England in Sicherheit gebracht?!«

»Verfluchter Bourgeois!«

Drakins steinernes Gesicht wurde noch ruhiger, seine Augen blickten starr, stahlhart durchschnitt seine Stimme den Raum:

»Die Regierung hat unsere Auslandsanleihen annulliert, die Westmächte haben die Beziehungen zu Rußland abgebrochen; ich kann mein Geld nicht aus dem Auslande erhalten; ihr mögt mich festnehmen.«

Tschapygin wurde als Geisel verhaftet, aber nach einer Woche wieder freigelassen. In seiner leeren, zur Hälfte demolierten Wohnung pfiff der Wind. Tschapygin bewohnte nur sein Arbeitszimmer; sein Diener Akim, den er hatte entlassen müssen, war zu Lossew gezogen. Tschapygin borgte sich Geld von guten Freunden, verjubelte es sorglos mit der kleinen Manja Lossewa, nahm sie mit sich nach Hause in sein einziges Zimmer. Dann wurde sie in einem geheimen Nachtlokal verhaftet – sie tanzte gerade, ein bißchen angeheitert, in rotem Röckchen und Trikot auf dem Tisch –, Tschapygin und seine Freunde küßten ihre Schuhchen. Jemand hatte im letzten Augenblick Wind von der bevorstehenden Razzia der Tschekisten bekommen, warnte flüsternd, und als die Tschekisten erschienen, fanden sie nur einen betrunkenen verarmten Fürsten vor – den früheren Direktor des Kameralhofs – und die weinende Manja, die die Eintretenden verwirrt und hilflos anschaute.

Der Fürst erhob sich mit Mühe, sagte aber voll Würde:

»Fürst Sokolninskij.«

Auf einem Lastauto brachte man sie in die Tscheka. Im roten Seidenröckchen, vor Kälte zitternd, wurde Manja in Kaljabins Arbeitszimmer geführt.

Während des Verhörs erweckte sie sein Wohlgefallen.

»Was haben Sie früher getan?«

»Ich war Maschinenschreiberin, zuerst in der Gouvernementssemstwo, nachher im Sicherheitsausschuß.«

»Jetzt sind Sie stellungslos? Und da gehen Sie auf leichten Verdienst aus? …«

Manja war wieder warm geworden, ihre Augen blitzten auf, sie streifte alle Scheu ab.

»Verschaffen Sie mir doch eine Stelle, Genosse – ich will gern arbeiten. Sie können mich ja als Ihre Maschinenschreiberin anstellen.«

Sie wollte scherzen, ihn zum Lachen bringen, Kaljabin aber musterte sie prüfend, klingelte und befahl:

»Die Lossewa bleibt über Nacht hier in Haft und wird morgen früh freigelassen. Stellen Sie sie als Maschinistin ein.«

Seitdem fuhr Manja des Abends im Auto spazieren und empfing Geschenke – Ringe mit Edelsteinen.

Ihr Vater wollte sie aus dem Hause jagen, als er erfuhr, wo und in welcher Gesellschaft sie verhaftet worden war, doch als sich herausstellte, daß man sie als Maschinenschreiberin in der Tscheka angestellt hatte, war er hoch erfreut.

»Und wer ist dein Vorgesetzter?«

»Der Genosse Kaljabin – so ein schauerlicher, rothaariger Geselle …«

»Der Name klingt mir bekannt, ich kann mich aber eben nicht recht entsinnen, Manja … Halt – am Ende ist's jener Kaljabin, der bei dem Kaufmann Klimow Vertrauensmann war?! Sollte er das wirklich sein? Den kenne ich, den kenne ich gut … Bring ihn doch mal her, das ist besser als sich in Nachtlokalen herumtreiben – bloß aus Gutmütigkeit verzeih ich dir, du bist kein kleines Kind mehr, wählst dir selber deinen Weg – aber bring ihn nur her, wir trinken zusammen Tee, und ich sehe mir den Mann an, vielleicht kann er mir nützlich sein.«

 

Afonka wütete – sein Name wurde im Flüsterton genannt. Die Haussuchungen leitete er persönlich, ließ ganze Keller umgraben, durchsuchte alle Kammern von oben bis unten, sah seinen Tschekisten auf die Finger, daß sie nicht stahlen, und wenn Waffen gefunden wurden, kehrten die Verhafteten nicht mehr zurück.

»Er knallt sie selbst nieder … Den Lauf an die Schläfe, und Schluß.«

Pflichtgemäß begab sich Afonka, nachdem Drakin die ihm auferlegte Kontribution entrichtet hatte, auch zu ihm nach Penji. Fenjas Mutter, Antonina Kirillowna, stöhnte, als die Tschekisten in Truhen und Schränken herumwühlten; Afonka folgte ihnen auf den Fersen, und als ein Tschekist einen Gegenstand in seiner Tasche verschwinden ließ, packte er ihn an der Hand.

»Genosse Kaljabin, nur eine Kleinigkeit … Es gehört doch bloß diesen Bourgeois …«

»Zurückgelegt!«

Afonkas rechte Hand sank auf seine Naganpistole.

Die kleine Fenja hatte sich im Speisezimmer hingesetzt und rührte sich nicht vom Fleck, bis Afonka mit seinen Helfern an ihr Zimmer kam; er hatte nicht durchblicken lassen, daß er sie kenne und seelisch litt.

»Ich muß dieses Zimmer durchsuchen.«

Fenja lief hin und stellte sich vor die Tür ihres Zimmers.

»Ich habe nichts Unerlaubtes …«

»Das ändert die Sache nicht!«

»Mein Kind schläft, ich lasse niemand hinein …«

»Dann will ich allein nachschauen!«

Er schickte seine Rotgardisten ins Vorzimmer und befahl ihnen zu warten, dann kehrte er zurück. Der Ingenieur saß während der ganzen Haussuchung unbeweglich im Speisezimmer in einer Ecke des Diwans und beobachtete Afonka stumm. Kaljabin ging wieder auf Fenja zu – ruhig sah sie ihn an –, faßte sie mit seiner riesigen Hand am Oberarm, schob sie langsam beiseite und trat leise in ihr Zimmer; ihr Blick, haßerfüllt, traf ihn; sie folgte ihm nicht. Afonka sah sich im Zimmer um, wußte nicht, was beginnen; er hatte gemeint, sie würde ihm folgen. Er setzte sich auf den Rand des Sofas, lauschte, überlegte; ihm kam in den Sinn, daß sie das Kind von Petrowskij habe … Immerhin, die Haussuchung hatte er ja vornehmen müssen, es waren ja Bourgeois, der Ingenieur war ein richtiger Bourgeois … die kleine Fenja innerlich ja auch … das war so störend … Er ärgerte sich über sich selbst, daß er nicht jemand anderes mit der Haussuchung hier betraut hatte; um möglichen Zufälligkeiten schützend vorzubeugen, hatte er es selbst übernommen.

Stumm beobachtete Drakin seine Nichte, die aufgeregt vor der Tür ihres Zimmers stand. Hartnäckig sagte sie sich immer wieder: Ich gehe nicht hinein! Nie und nimmer gehe ich hinein! und bangte doch um ihren Jungen. Da hörte sie ihren Onkel flüstern: »Wenn Boris erwacht, erschrickt er …« Das war stärker als sie.

Afonka saß finster da, betrachtete, vornübergeneigt, seine Hände; er fuhr zusammen, als Fenja eintrat, furchte wieder die Brauen und begann leise, mit dumpfer Stimme:

»Fjokla Timofejewna …«

»Verlassen Sie dies Zimmer!«

»Sie wissen doch selbst, es ist meine Pflicht … Absichtlich bin ich selbst gekommen … Zu Ihnen konnte ich niemand anders lassen.«

»Ich verachte Tschekisten!«

»Ja, meinen Sie denn, wir sollten es ruhig zulassen, daß die Bourgeois sich uns wieder auf den Hals setzen?«

Die kleine Fenja stellte sich vor das Bett ihres Kindes und sah Kaljabin haßerfüllt an. Sie wußte, daß er es nicht wagen würde, in ihrem Zimmer etwas zu berühren, auch nur die Stimme zu heben; er kam ihr lächerlich vor.

Kaljabin saß hartnäckig da, reglos.

»Fjokla Timofejewna, Sie wissen ja … seinem Schicksal … es hat uns zusammengebracht … Sie haben mich vom Tode errettet …«

Sie gedachte des rothaarigen Mönches mit dem Zottelschopf, ihres Angstgefühls – jetzt rief diese Erinnerung nichts dergleichen hervor, sie war ihrer Macht über diesen riesigen, grausamen Menschen sicher, über diesen Mann, der blindlings und gleichgültig Menschen niederschoß, dabei aber von dem Recht und der Gerechtigkeit der Rache tief überzeugt war. Seine Worte im Lazarett kamen ihr in den Sinn: »Zertreten sollte man dieses Gewürm!« und seine unbeholfene Erklärung über den »Stern von Bethlehem«.

»Was wollen Sie von mir, Kaljabin?«

»Sagen Sie mir, was ich tun soll – ich tue alles, was Sie wollen!«

Er erhob sich, trat bärengleich, mit hinkenden Schritten, ganz nah an sie heran, die Augen verzehrend auf sie gerichtet – er forderte, verlangte sie, und wagte doch nicht, sie zu berühren.

»Sie müssen sich zuerst meine Achtung verdienen.«

Afonka schoß das Blut zu Kopf, sein Gesicht wurde dunkelrot, finster.

»Bin ich denn ehrlos?«

Sie trat beiseite und sagte mit gleichgültiger Stimme:

»Wenn es nötig ist, durchsuchen Sie das Zimmer.«

Afonka wehrte mit einer ärgerlichen Handbewegung ab.

»Nicht dazu bin ich in Ihr Zimmer gekommen! …«

Er wollte gehen, kehrte aber wieder zurück und ergriff ihre Hand.

»Ich erreiche mein Ziel, merken Sie sich das!«

Er streckte die andere Hand nach ihr aus, Fenja riß sich los, lief an den Tisch, ein Revolver blitzte in ihrer Hand.

»Mit Gewalt nehmen Sie mich nur als Tote! Solange ich aber am Leben bin, fürchte ich Sie nicht.«

Sie lächelte und trat beim Sprechen an ihn heran.

»Durchsuchen Sie mein Zimmer oder gehen Sie; ich habe nichts mehr zu sagen.«

Afonkas Wallung hatte sich gelegt, er wollte dem Gespräch eine scherzhafte Wendung geben.

»Sieh da! Eine Waffe! Das ist aber nicht erlaubt, Fjokla Timofejewna – die werde ich Ihnen fortnehmen müssen.«

Im gleichen Ton erwiderte sie:

»Wenn ich tot bin, können Sie sie nehmen, solange ich aber lebe, soll sie mich beschützen – vor wem es auch sei. Versuchen Sie nur, mir den Revolver zu nehmen …«

»Das ist mir ein Mädel!«

»Mißfällt sie Ihnen?!«

»Sie sollten mit uns arbeiten – wären ein richtiger Kommissär und Genosse.«

»Ich habe Ihnen bereits erklärt: das muß erst verdient werden.«

Afonka verließ das Haus, ohne den Ingenieur eines Blickes gewürdigt zu haben; Drakins Arbeitszimmer hatte er nicht durchsuchen lassen, war nicht einmal hineingegangen. Als von der Einfahrt her das Rattern des abfahrenden Autos erklang, fragte Kirill Kirillowitsch seine Nichte:

»Hat er dein Zimmer durchsucht? …«

Sie spürte, daß in seiner Frage etwas anderes lag. Drakin hatte gleich am Tage von Fenjas Ankunft einen auf sie gerichteten Blick Afonkas aufgefangen.

»Dazu reichte seine Willenskraft nicht aus.«

»Ein edler Ritter?!«

»Solange ich meinen Revolver bei mir habe, wird er wohl Ritter sein.«

Afonka war über sich selbst ärgerlich, wütend. Er bemerkte die höhnischen Blicke der Rotgardisten seiner Abteilung, wütete bei den weiteren Haussuchungen und gab nicht darauf acht, was seine Helfer taten. Die kleine Manja Lossewa ließ er eine Stunde über ihre Zeit arbeiten, dann in sein Arbeitszimmer rufen und befahl ihr, die Geisellisten abzuschreiben. Als ihre Finger schließlich vor Müdigkeit übereinander zu stolpern begannen, lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück, schloß die Augen, verschränkte die Arme hinter dem Nacken, wobei ihre Ringe aufblitzten, und sagte:

»Ich kann nicht mehr, Genosse Kaljabin.«

In dem gemeinsamen Zimmer, in dem die diensthabenden Tschekisten schliefen und sich aufhielten, trank er zusammen mit ihnen einige Gläschen Kognak aus, ohne etwas danach zu essen, befahl, den Motor eines Lastautos im Hofe anzulassen, um den Lärm der Schüsse zu übertönen, und kehrte nach Vollstreckung der Hinrichtungen angeregt in sein Arbeitszimmer zurück. Die ganze Zeit über hatte er die kleine Fenja vor sich gesehen – ihr Lächeln, ihr Lachen –, sich gierig ihre Gestalt vorgestellt, und als er nun die kleine Manja erblickte, die, die Hände im Nacken verschränkt, auf ihrem Stuhle eingenickt war, taumelte er wie trunken. Er warf seine Naganpistole und die Ledermütze auf den Schreibtisch – die kleine Manja wehrte sich nicht, hatte schon lange auf einen schwachen Augenblick des Vorsitzenden der Tscheka gewartet, dann würde es noch mehr Geschenke des allmächtigen Tschekistenhauptes, Geld und Wertgegenstände geben. Afonka wurde noch trostloser zumute, Ekel überkam ihn und zugleich das Verlangen, sich zu betrinken, auszutoben – vor lauter Verzweiflung.

Die kleine Manja auf den Knien, jagte er mit einigen Freunden im Auto in das einzige, noch nicht geschlossene Café, deckte statt des Tischtuches unzerschnittene Bogen von Vierzigrubelscheinen, Kerenskijgeld, über den Tisch, darüber bald verschüttete Spirituosen rannen, und ging schließlich allein mit der kleinen Manja fort, um im Auto durch die Stadt zu rasen.

Gleich am zweiten Tage nach ihrem Dienstantritt bei Kaljabin war Manja in Tschapygins Wohnung geeilt, hatte mit dem ihr zur Verfügung gestellten Hausschlüssel die Tür geöffnet und war durch die leeren Räume in Tschapygins Arbeitszimmer gegangen. Hier waren alle Schubläden herausgezogen, die Papiere durcheinander gewühlt, der Kleiderschrank gähnte ihr leer entgegen, und an der Tür hing ein mit Reißstiften befestigter Zettel mit der Aufschrift: »Mein Herzlieb Mußja, vergib mir!«

Sie wußte, daß er an jenem Abend, als sie in rotem Röckchen auf seine Bitten hin auf dem Tisch getanzt und er gerufen hatte: »Meine Salome, meine Schöne!« – schmählich durch die Toilette geflüchtet war, um einer Verhaftung zu entgehen. Ihre erste Liebe – das hatte Tränen gekostet, hatte er doch auch versprochen, mit ihr fortzureisen, sie aus diesem Sumpf zu reißen, vor ihrem Vater zu retten, vor den Bolschewisten, sie von dem Hungerleben zu erlösen, ja, sie vielleicht später einmal, wenn sich die Verhältnisse gebessert hätten, sogar zu heiraten. Die Tränen waren längst versiegt, dann kam die Tipparbeit in der Tscheka, kamen Verhaftungen, Haussuchungen, Requirierungen, Hinrichtungen. In ihrem Kopf war ein wüstes Durcheinander, des Nachts aber schrieb sie heimlich, die Augen oft fasziniert auf ihre Ringe gerichtet, sehnsüchtige, trunkene Gedichte, bis ihre Seele in jähem Weh aufschluchzte und das bittere Wogen des Mitleids mit ihrem verlorenen Leben und seiner Leere langsam verebbte. Am Morgen schleuderte sie dann das Heft zornig in die Schublade und ging in die Tscheka, um zuckende, hüpfende Buchstaben hinzutippen.

In den leeren, nicht mehr von Laternenlicht erhellten Straßen fegte der Schnee, krachten träge Flintenschüsse, heulte die Autosirene, und ihr Rausch verflog allmählich.

»Genosse Kaljabin?«

»Ja, Maria Iwanowna?«

»Mußja sollen Sie mich nennen, Sie abscheulicher Bär.«

»Die Bourgeois mögen dich so nennen, sie machen's nicht ohne Mätzchen, ich aber spreche einfach.«

»Fahren wir zu mir nach Hause! Wir trinken Tee, um uns zu erwärmen.«

Afonka gefiel der Vorschlag, es lockte ihn, sich einmal richtig auszuruhen – Fenjas Zimmer kam ihm in den Sinn, er preßte die Zähne zusammen, so daß sie knirschten, warf den Kopf zurück.

»Abgemacht!«

Erschrocken und verschlafen öffnete Lossew, in seinen verschlissenen Schlafrock gehüllt, die Tür.

»Ich bin es, mit dem Genossen Kaljabin, wir wollen Tee trinken.«

Also hatte sie an die Bitte ihres Vaters gedacht! Er sah sie an, doch Manja wandte sich von ihm ab, wie sie immer tat, um dem Blick seiner Augen auszuweichen und nicht die ewige Litanei zu hören, daß ein junges Mädchen rein und unschuldig sein müsse, daß Eltern solche Leichtfüße wie sie gar nicht über die Schwelle des Vaterhauses lassen sollten, daß bloß seine Gutmütigkeit ihn daran hindere, Strenge zu gebrauchen, was freilich jetzt auch nicht an der Zeit sei, da ja die Menschen wilden Tieren gleich geworden seien, sonst würde er sie selbst auf die Polizei bringen und ihr den gelben Ausweis einer Straßendirne ausstellen lassen – aber unter diesen Umständen vergebe er ihr, und vielleicht werde auch der liebe Herrgott ihr vergeben, ernähre sie doch durch ihre Arbeit ihre alten Eltern, Vater und Mutter, und er wisse ja, daß sie es nicht leicht habe … In diesem Ton ging es stundenlang weiter, bis er endlich schloß:

»Du mußt deinem alten Vater nicht böse sein, mein Mädelchen, er ist nun mal ein Brummbär, ein alter Brummbär ist er, meine kleine Manja, aber er brummt ja nur, Manja, damit dein Gewissen nicht einschlummere, um der Rettung deiner jungfräulichen Seele willen, du weißt ja nichts von ihr und siehst sie nicht, ich aber sehe und spüre sie – wie ein Kind freust du dich an deinen Ringlein und Broschen, mein Mädelchen, und hebe sie nur gut auf, hebe sie sorgsam auf, du kennst ja ihren Preis noch nicht, vielleicht haben deine Vorgesetzten, die Genossen, Finger ausgebrochen, die goldenen Dingelchen zusammen mit der Haut abgestreift, heilig sind diese Ringlein, unschuldig wie du, mein Mädelchen, das sich am Spiel der Steine ergötzt und nicht weiter über ihre Herkunft nachdenkt …«

Dann sprang die Tochter wohl vom Mittagstisch auf, schob den noch vollen Teller weg und rief:

»Warum quälen Sie mich so! Mein Leben lang haben Sie mich gequält, haben mein Leben zerstört, mich veranlaßt, an Türen zu horchen, zu spionieren, Ihnen zu hinterbringen, was meine Schulfreundinnen sprachen, dachten, zum Frühstück aßen, was für Bücher sie lasen! Sie haben mir befohlen, Tschapygin nicht abzuweisen, und jetzt ergehen Sie sich in Freudenausbrüchen über meine Unschuld! Ja, Sie haben recht – solche Mädchen, wie ich eins bin, jagen die Eltern überall zum Hause hinaus, ich aber lasse mich nicht hinauswerfen, ich bleibe absichtlich da, Ihnen zum Trotz!«

Währenddessen war die Mutter aufgestanden und hatte stumm das Zimmer verlassen, auf ihre Weise voll Mitleid für Gatten und Tochter und sich selbst; sie weinte lange, bis ihres Mannes knarrende Stimme nach Tee rief.

So spät in der Nacht hatte Lossew Kaljabins Besuch nicht erwartet.

Seine Pantoffel schlürften über die Bohlen, er zündete die Lampe an und sprach vor sich hin:

»Afanassij Timofejewitsch, wenn ich nicht irre … Afanassij Timofejewitsch! … Da sieht man, was es heißt: Schicksal! Wie man so sagt: das Schicksal spielt mit dem Menschen … Hä-hä-hä! Niemals werde ich Ihre Pasteten vergessen, Ihre Bewirtung damals … Tja … Die Sache damals ist ja nicht ausgekommen … Was soll man machen, so geht's schon zu in der Welt! … Aber ich habe ja immer gesagt – erinnern Sie sich noch? – habe den Aufstieg Ihres Sternes vorausgesehen … habe vorausgesagt, daß Sie einst ein großer Mann sein würden … Tja, Afanassij Timofejewitsch, seinem Schicksal entgeht man nicht … In einem Augenblick der Erleuchtung habe ich Ihr Schicksal vorausgesehen … tja … tja …«

Afonka hatte nicht gleich erfaßt, wohin er gekommen war, hatte den alten Mann an der Tür mit einem Gefühl des Ekels kurz betrachtet und ihn erst erkannt, als Lossew beim Anzünden der Lampe zu sprechen begonnen hatte.

Die Vergangenheit brach jäh auf ihn ein, das Klimowsche Haus erstand vor ihm, seine Vorbereitungen zu der Brandstiftung, Lossew, Dunja und Marja Karpowna. Er dachte daran, wie er der kleinen Fenja den Wechsel ausgeliefert hatte – und da war sie wieder, sie, sein Stern von Bethlehem, und der Stern winkte und lockte – und entschwand – und erschimmerte aufs neue.

Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch und sah Lossew schweigend an.

»Meine kleine Manja, was sorgst du nicht für Tee, meine Liebe, für schönen heißen Tee, damit wir unserem Gast was vorsetzen können? Geh, sag' es Mütterchen, macht dort alles zurecht, inzwischen wollen wir beide, der Genosse und ich – jetzt sind wir ja alle Genossen, Afanassij Timofejewitsch, alle miteinander – wir wollen inzwischen alte Erinnerungen auffrischen, mein Mädelchen, wir haben ja sozusagen zusammen an der Schüssel des Lebens gesessen … Geh mal und sorge für den Samowar, meine kleine Manja …«

»Das ist also Ihre Tochter?!«

»Die kleine Manja? Aber gewiß doch … Afanassij Timofejewitsch, sozusagen unser einziges Kind, die Stütze unserer alten Tage – ohne sie wäre es aus mit uns. Und für mich war es immer eine so große Freude, daß mein Töchterchen bei einem alten Bekannten angestellt ist, habe ich sie doch gefragt, wie er aussieht, ihr Vorgesetzter; beschreibe ihn mir mal, habe ich gesagt, und sie hat geantwortet – ›So ein Schauerlicher, weißt du!‹ – Ach was, habe ich erwidert, er sieht wohl bloß streng aus! Wie oft habe ich ihr gesagt, lade ihn doch mal zu uns ein … Sie muß wohl große Angst vor Ihnen haben, ein strenger Mann sind Sie ja, haben ja auch früher die Kellner in Klimows Wirtshaus nicht gerade verwöhnt, erinnern Sie sich noch? …«

Afonka trank in kleinen Schlucken starken Tee und wurde allmählich nüchtern. Er sah bald den Vater, bald die Tochter an – mit ihren runden Augen und dem schwarzen Haar erschien sie ihm jetzt geradezu schön und erinnerte ihn an Dunja; er wußte nicht recht, wieso.

»Nun und Sie? … Was haben Sie inzwischen getrieben?«

»Gearbeitet, Afanassij Timofejewitsch, gearbeitet, zum Nutzen unseres Vaterlandes. Übrigens, Sie hätten mich um ein Haar in die Tinte gesetzt … mit jenen Papierchen … wissen Sie …«

»Keine Ahnung! Was für Papierchen?«

»Da waren doch Quittungen, tja … Quittungen … und die sind dem Ingenieur Drakin in die Hände gefallen.«

Als Afonka den wohlbekannten Namen hörte, horchte er interessiert auf, fragte:

»Was hat denn der Ingenieur damit zu tun? …«

»Die kleine Sache damals bezog sich doch gerade auf den Ingenieur …«

»Die kleine Sache lassen Sie mal ruhen, erzählen Sie mir lieber vom Ingenieur!«

»Ah, Sie interessieren sich für den Ingenieur! … Eine beachtenswerte Persönlichkeit das, sehr beachtenswert … Man kann wohl sagen, der erste Bourgeois in unserem Gouvernement … Das stimmt doch, Afanassij Timofejewitsch, nicht?! Und der spaziert in Freiheit herum! … Ich bin nämlich ein Proletarier, was Sie ja selber wissen. Sie erinnern sich ja wohl noch, wie ich – hör' mal ordentlich zu, meine kleine Manja – wie ich im Wirtshaus von Klimow einzukehren pflegte, um mich ein bißchen zu wärmen, für einen Groschen einem Bauern ein Gesuch auszufertigen, und wie ich glücklich war, daß ich mir mit diesen Groschen mein Mittagbrot verdient hatte, wenn Sie geruhten, mir irgendwelche Speisereste dafür zu überlassen! … Ein echter Proletarier war ich schon damals und bin es noch heute … Die Herren Ingenieure dagegen, die fahren in eigenen Autos spazieren, machen Auslandsreisen, bauen riesige Fabriken – und eine Teehalle dazu, tja, und dazu noch eine Konsumgenossenschaft, tja, und des weiteren eine eigene Bank und Sparkasse – damit also das Geld, das sich der Arbeiter im Schweiße seines Angesichts verdient hat, nicht auf die Seite geht, sondern hübsch in dieselbe Tasche wieder zurückfließt … Und das alles geht den Herren Ingenieuren glatt ab, sie spazieren frei in der Welt umher, haben ja ihre Kontribution bezahlt – als ob ihnen das etwas ausmachte! Die könnten noch ganz andere Summen bezahlen, trotz Revolution und Proletariat und allem Drum und Dran … Das Geld des Ingenieurs ist nämlich heil und ganz.«

»Wieso heil und ganz?«

Lossew beugte sich zu Afonka hinab und flüsterte:

»Im Auslande ist's, Afanassij Timofejewitsch, im Auslande – heil und ganz.«

»Im Auslande? Wo?!«

»In England … tja, tja … Bei unseren Herren Verbündeten … Da braucht man sich denn weiter keine Sorgen zu machen …«

Die Worte strömten endlos dahin, er sprach bald in Andeutungen, bald gerade heraus; daß der Ingenieur ihm damals durch den Arzt gedroht und ihn zum Schweigen gezwungen hatte, hatte er ihm nicht vergessen – nun war er über die unverhoffte Gelegenheit, sich rächen zu können, entzückt, um aber seine Absichten nicht gar zu offen durchblicken zu lassen, suchte er durch sein Gerede Afonka mit Hilfe von Seitensprüngen und allerlei Mätzchen wirr zu machen, ihn in ein Spinngewebe einzuspinnen, wobei er aber durch wiederholte Anspielungen immer wieder auf den Ingenieur hinzielte.

»Ich bin doch ein Proletarier, Afanassij Timofejewitsch, ein rechter Proletarier … tja … und die ganzen Geheimnisse unserer Bourgeois, die liegen offen vor mir, wie auf der flachen Hand – jeden einzelnen von ihnen kenne ich ja genau; lange genug habe ich gedienert und den Rücken vor ihnen gekrümmt und ein Hungerleben geführt! Dabei habe ich – das kann man ja wohl sagen – eine ganz anständige Bildung erhalten und gehofft, ich würde es schaffen; aber solche Herren Ingenieure, die haben mir den Weg verlegt, tja … Übrigens, da kommt mir gerade dieser Tschapygin in den Sinn, ein ganz liberaler Herr, nicht wahr? Die Bäuerlein aber haben ihm seinen Gutshof niedergebrannt, trotz Liberalismus und allem, und grundlos werden sie das ja wohl nicht gemacht haben …«

»Das stimmt, ohne Grund geschieht das nicht …«

»Ich meine das nur so über Tschapygin,« er warf seiner Tochter einen Blick zu, »aber nun schauen Sie: wo ist denn dieser Herr Tschapygin jetzt bloß geblieben? Verschwunden ist er, spurlos verschwunden, tja … Vielleicht stellt sich nachher heraus, daß er sich im Auslande befindet, tja … Einen unglücklichen Mann hingegen, den – verhaften Sie sozusagen …«

»Wen meinen Sie? Was für einen unglücklichen Mann?«

»Den Fürsten Sokolninskij meine ich … Tja, tja, gewiß … ein großer Name … Fürst, tja … aber er hatte ja nichts, keinen Heller, arm wie eine Kirchenmaus … Zwar nahm er ja eine hohe Stellung ein, aber was will das sagen … Fragen Sie mal nach, wieviel Gutes der Mann getan hat, tja … Allererste Bourgeois aber spazieren frei umher …«

»Na, über den Fürsten brauchen wir weiter keine Worte zu verlieren, dazu ist's jetzt ein bißchen zu spät …«

»Ganz richtig, hä-hä, ein bißchen zu spät … Ach, Afanassij Timofejewitsch, wie es doch so zugeht im Leben! Da sind wir nun wieder zusammengekommen, und nun erzählen Sie mir doch, wo Sie diese lange Zeit über waren, machen Sie einem alten Manne diese Freude …«

»Ich war Arbeiter in Petersburg, nachher saß ich dann im Schützengraben.«

Lossew goß seinem Gast Tee ein, zog seinen Schlafrock fester zu, und als irgendwo im Hause eine Uhr dumpf drei schlug, fuhr er auf, sah seine Tochter an, sah ihre geschwollenen, von dunklen Ringen umzogenen schwarzen Augen, entschied, daß er Kaljabin wieder beruhigen müsse, ihm nicht gleich beim ersten Male gar zu viel zumuten dürfe, zumal ja Kaljabin über den schlimmsten Gegner jetzt unterrichtet war, über diesen Drakin, dem er es zu verdanken hatte, daß der Vorsteher der Kanzlei des Gouverneurs ihn damals angeschnauzt und auf Drängen desselben Drakins das Erscheinen seiner treu-russischen Zeitung verboten hatte! Er sah seine Tochter wieder an, rutschte, mit den kleinen Augen blinzelnd, auf seinem Stuhle hin und her und suchte durch Anspielungen zu verstehen zu geben, daß er von nichts wüßte und von nichts wissen wollte.

»Du solltest mal unserem Gast etwas vorsingen, mein Töchterchen! In der guten Stube da haben wir ein kleines Klavier, Afanassij Timofejewitsch, damit mein Mädelchen auch ihr Vergnügen hat … Zeige ihm doch auch dein Zimmerchen, meine Liebe … Ich alter Mummelgreis aber will mich zurückziehen, euch jungen Leuten macht eine schlaflose Nacht ja nichts aus, mir Altem aber geht so was auf die Knochen, da möchte man denn in seine Koje kriechen …«

Afonka streckte ihm seine riesige Hand hin, Lossew verzog das Gesicht, blinzelte heftig mit den Augen, als fürchtete er, die knorrigen Finger könnten am Ende nicht nur seine Hand, sondern ihn selbst zerdrücken, den verschossenen, geflickten Schlafrock mitsamt seinem Inhalt wie eine Zitrone auspressen.

»Vergessen Sie uns nicht, Afanassij Timofejewitsch, besuchen Sie uns öfter …«

»Dazu habe ich keine Zeit …«

»Das weiß ich, Afanassij Timofejewitsch, das weiß ich sehr wohl – bei den Zeiten! Aber hier und da einmal geht's vielleicht doch, und dann kommen Sie und plaudern ein bißchen mit mir altem Manne … auch meiner kleinen Manja wird es eine Freude sein …«

Seine Pantoffel schlürften, knarrend schloß sich die Tür – die Schultern des jungen Mädchens zuckten, sie streckte sich und sah Kaljabin mit ihren großen, noch immer weingetrübten Augen an.

»Ich habe keine Lust zu singen, Genosse! … Wollen Sie sich mein Zimmer ansehen? …«

»Na schön, zeig' mir dein Zimmer, Manja …«

Er blickte finster vor sich hin. Die ganze Zeit über hatte er die kleine Fenja vor sich gesehen und neben ihr wie ein Steinbild den glatt rasierten Ingenieur, der ihn verächtlich musterte. Und ihm war der Gedanke gekommen, daß wenn der Ingenieur Drakin nicht mehr da wäre, er Fenjas Widerstand gewiß eher brechen, sie leichter erobern könnte. Dann würde er nicht mehr auf dem Diwan in seinem Arbeitszimmer in Kleidern die Nächte durch herumliegen müssen, würde einfach ein Zimmer im Drakinschen Hause requirieren, neben ihr wohnen, sie jeden Tag sehen und bestürmen, bis sie ihm nachgäbe. Solange aber der Ingenieur im Hause lebte, der ja noch dazu mit Petrowskij befreundet war, ließ sich gar nichts machen. Er hatte Lossew nur mit halbem Ohre zugehört, in Gedanken unablässig mit Fenjas Erklärung beschäftigt, daß man sie gewinnen, erobern müsse, und das nicht mit Gewalt, sondern so, daß sie ihren Widerstand freiwillig aufgab. Wie das zu erreichen sei, war ihm noch nicht klar, aber es würde sich schon alles finden, wenn sie erst zusammen unter einem Dache wohnten. Er hatte schon damals im Lazarett herausgebracht, daß zwischen ihr und Petrowskij nichts mehr war, sie waren bloß gute Freunde, also nicht Petrowskij, sondern allein der Ingenieur stand ihm im Wege.

Manja führte ihn in ihr Zimmer. Es roch hier scharf und aufreizend nach billiger Eau de Cologne und süßlichem Puder, an der Wand hingen Ansichtskarten, das Bett war noch nicht hergerichtet. Sie hieß ihn sich abwenden …

»Ach was, abwenden! Ich kenne ja schon die Bescherung …«

Sie entkleidete sich vor ihm, schlüpfte in ihren Schlafrock, und wartete, halb schlummernd, halb trunken. Afonka wurde durch sie plötzlich an Shenja erinnert, und es widerte ihn, doch dann gemahnten ihn Manja's entblößte Arme an die kleine Fenja mit zurückgestreiften Ärmeln im Lazarett – er sah es ganz deutlich vor sich, wie sie ihm einen Verband anlegte.

»Genosse, ich langweile mich …«

»Geh' schlafen; ich muß nachdenken!«

Sie legte sich ins Bett, blickte ihn schlaftrunken an, merkte nicht, wie sie einschlummerte. Afonka saß und sann. Schritte knirschten vor dem Fenster, ein Schatten glitt vorüber, Afonka dachte: Sieh mal an, der wagt sich so spät auf die Straße, wohl einer von uns! Sitzend nickte er ein. Zum ersten Male seit dem Ausbruch der Revolution hatte er sich – vor Ärger – fortreißen lassen, war mit der Lossewa ins Bummeln hineingetaumelt, und erst heute hatte es ihn gepackt, das würgende Verlangen, sein Ziel zu erreichen, die kleine Fenja zu gewinnen. Ein Kälteschauer überrieselte ihn, er erwachte – durch die geschlossenen Fensterläden brach erster Dämmerschein –, er weckte die kleine Manja, verließ das Haus, schritt über Schneehaufen durch die ganze Stadt. Mit unbeholfener Feder füllte er Verhaftungsbefehle aus, kritzelte den Namen des Ingenieurs Drakin und einer Reihe anderer Geiseln aufs Papier – wahllos entnahm er die Namen der Liste noch nicht verhafteter Bourgeois – und warf sich auf den Diwan.

In grauer Morgendämmerung schnarrte ein Auto vor dem Drakinschen Hause – der Ingenieur erhielt die Erlaubnis, seine Pfeife und den Gummibeutel mit Bauerntabak mitzunehmen. Die kleine Fenja, in heller Entrüstung, wollte es nicht zulassen, daß man ihren Onkel verhaftete, sie rief Petrowskij im Gouvernements-Vollzugsausschuß an, doch war er nicht da. Da zog sie – um einem Genossen ähnlich zu sehen – ihre Lederjoppe an, stülpte die Lederkappe über den Kopf – Geschenke ihres Onkels –, steckte ihre Smithpistole in die Tasche und eilte aus der Vorstadt durch die ganze Stadt nach der Adelsstraße, jetzt Straße des 25. Oktober genannt, in die Stadtvilla des Rechtsanwalts Korenew.

Die Klingel ertönte irgendwo weit hinter der Doppeltür, ein Sekretär des Vollzugsausschusses, der Jude Karassik, öffnete, steckte den Kopf heraus – ein bleiches, schwindsüchtiges Gesicht, scharfe, heisere Stimme und riesige Augen.

In der Lederjoppe erkannte er das junge Mädchen nicht, dachte, sie komme von auswärts.

»Wen wünschen Sie zu sprechen, Genossin?«

»Nikodim Alexandrowitsch Petrowskij.«

»Treten Sie ein, rechts, die erste Tür. Petrowskij, zu dir.«

Im Jahre 1905 waren hier in Korenews Haus Gymnasiasten und Lyceistinnen zusammengekommen – der Streikausschuß –, Primaner die Leiter; auf Vervielfältigungsapparaten wurden damals Proklamationen und eine »Allgemeine Dekadentenzeitschrift« gedruckt, Verordnungen ausgearbeitet. Korenew hatte an allem lebhaften Anteil genommen, seinen Sohn und die übrigen jungen Leute beraten. Später hatten sich hier die Verfolgten vor den Pogromleuten verborgen, sogar eine Bürgerwehr war hier gebildet worden, Metzger und sonstige Raufbolde von der »Schwarzen Hundertschaft« hatten Steine in die Fenster geworfen. Jetzt waren die Kleiderhalter im Flur halb zerbrochen, unter der Last der übereinander getürmten Soldatenmäntel die Kleiderhaken wackelig geworden. Die ganze Zeit über seit Korenews Flucht hatte man die Fußböden nicht aufgewischt, es gab keine Dienstmädel mit weißer Stirnkrause mehr, die den jungen Herrschaften die Überschuhe reinigten. Namenlose Leute aus Fabriken, Kasernen, von der Straße, die bisher in diesem Hause unbekannt waren, stapften in schweren Stulpenstiefeln mit Schmutzklumpen an den Sohlen durch die Zimmer. Jugendliche Gäste sangen nicht mehr in wohlgeübtem Chor, um den Flügel geschart, auf dem Frau Korenewa – sie hatte das Petersburger Konservatorium nicht ganz absolviert, die Liebe zu Korenew war dazwischen gekommen – sie begleitete, sondern ungeschlachte, schwerfällige Körper setzten sich auf zierliche Stühle und Sofas Louis XIV. Die feingeschweiften Stuhlbeine ächzten, schwellende Lehnsessel flogen als Ausschuß krachend an die Wand, wurden als Brennholz gebraucht, freudig durch wackelige, durchgesessene Flechtstühle, Küchenschemel, im Schuppen aufgestöberte Kisten ersetzt, aus Zeitungspapier gedrehte, mit Bauerntabak gefüllte Zigaretten geraucht, auf die Fußböden gespuckt, mit der Mütze auf dem Kopf Beschlüsse des Parteiausschusses verfaßt und die Internationale gesungen, so daß die Fensterscheiben klirrten: das Innere dieser Menschen brannte loh.

Die Zimmer sahen wüst aus, der schwarze Flügel stand aufgeschlagen da, die staubbedeckten Tasten trugen deutliche Fingerabdrücke; die Stimme hallte in den halb geleerten Räumen – aller Kleinkram, wie Etageren, Ziertischchen, Wand- und Kaminschirme, waren in die Scheune oder in den Ofen gewandert; so war mehr Platz da – mehr Genossen konnten an den Sitzungen teilnehmen.

Genosse Karassik mit dem schwindsüchtigen Gesicht hatte an die Tür geklopft.

»Herein!«

Petrowskij hauste im ersten Zimmer rechts, dem zweifenstrigen ehemaligen Arbeitszimmer des geflüchteten Rechtsanwalts. Auf dem Schreibtisch an der Wand lagen Bücher und Schriftstücke kunterbunt durcheinander, es war aber eine geordnete Unordnung – alles lag gleich zur Hand; daselbst bemerkte man auch ein halb geleertes Teeglas, ein angebrochenes Achtelpfund Brot – die Tagesration des Bürgers –, in ein Stückchen Kattun gehüllt, auf einer Unterschale aneinandergeklebte Fruchtbonbons an Stelle von Zucker – Zucker auf seine Zuckerkarte konnte er sich nicht holen, er hatte keine Zeit dazu, ebensowenig wie irgend jemand hier – und ein Viertelpfund mageren Specks mit umgebogener Schwarte.

Petrowskij, der am Schreibtisch saß, wandte den Kopf; auch er erkannte das junge Mädchen in der Lederjoppe nicht gleich.

»Nikodim, Onkel Kirja ist verhaftet worden, als Geisel fortgeschleppt.«

»Hat er die Kontribution bezahlt?«

»Bis auf die letzte Kopeke.«

»Ich will gleich anrufen.«

Eine knarrende Stimme antwortete, es sei auf Verordnung des Vorsitzenden geschehen; Veranlassung? – Der erste Bourgeois in der Stadt.

»Formell sind sie im Recht, aber da in dieser Zeit ein Menschenleben nichts ist, muß man schnell sein, um ihn zu retten. Warte hier, ich rufe Kaljabin an, oder machen wir es besser so – Karassik, auf einen Augenblick!«

Petrowskij berichtete dem Sekretär über den Fall Drakin und schickte ihn in die Tscheka mit der Weisung, daß der Gouvernements-Vollzugsausschuß und der Parteiausschuß über die Angelegenheit beschließen würden.

»Sage dort, sie sollten eigenmächtig nichts gegen ihn unternehmen.«

Fenja wollte auf Karassiks Rückkehr warten.

»Ich werde für Drakin bürgen.«

»Aber die ganze Sache ist doch eine Niedertracht, Nikodim! Man weiß doch, daß er die Revolution gefördert hat …«

»Das genügt nicht – man muß tätig an ihr mitarbeiten. Selbst vor dem Tode kann einen die Vergangenheit nicht retten, wenn diese Vergangenheit tot und begraben und nicht lebendige Gegenwart geworden ist.«

»Aber Nikodim, solcher Männer wie Onkel Kirja gibt es in ganz Rußland vielleicht zehn oder zwölf!«

»Nur deshalb will ich ja auch für ihn bürgen.«

 

Tag für Tag sprach Fenja bei Petrowskij vor; er suchte ihren Fragen auszuweichen, beteuerte aber, daß ihr Onkel lebe.

»Warum gibt man ihn denn nicht frei?!«

»Das hängt nur von ihm ab; wenn er will, kann er morgen frei sein.«

»Ihr wollt ihn zwingen, sich euch anzuschließen?!«

»Nicht zwingen – überzeugen.«

Petrowskij besuchte den Ingenieur täglich in seiner Zelle. Die ersten Male reichte Drakin ihm nicht die Hand und schwieg auf alle seine Fragen, Rauchwolken vor sich hinblasend; am fünften Tage konnte Drakin nicht mehr an sich halten und fragte Petrowskij verächtlich:

»Was soll das? Ist diese Handlungsweise auch eine eurer Regierungsmethoden?!«

»Der Beschluß des Ausschusses ist Ihnen bekannt. Ihr Leben ist nicht bedroht, es liegt in Ihren eigenen Händen!«

 

Im Drakinschen Hause wurde ein Beschlagnahmeschein des Wohnungsamtes abgeliefert; Fenjas Mutter Antonina Kirillowna empfing ihn – ein Zimmer sei zu räumen; die alte Dame rang die Hände.

»Kirill ist nicht mehr da – jetzt machen sie mit uns, was sie wollen!«

Fenja war an diesem Morgen selbst in die Tscheka gegangen, um sich nach dem Schicksal ihres Onkels zu erkundigen. Die Rotgardisten traten ehrfürchtig vor der Lederjoppe zurück, der Sekretär wollte sie veranlassen, auf den Gehilfen des Vorsitzenden zu warten.

»Zum Vorsitzenden selbst kann ich Sie nicht vorlassen, er ist viel zu stark in Anspruch genommen, um Auskunft zu erteilen.«

Fenja beschloß, zu einer List Zuflucht zu nehmen; sie setzte sich ruhig auf eine Bank an der Wand und wartete. Türen wurden auf und zugeschlagen, Flintenkolben krachend auf den Boden gesetzt, ein ganzer Haufe Verhafteter vorbeigeführt, die ohne Ausweis nach Ablauf der Polizeistunde auf dem Heimwege aus dem Theater aufgegriffen worden waren. Die jungen Damen, die zusammen mit ihren Begleitern in einer kalten Steinscheune auf Stroh hatten übernachten müssen, waren in großer Aufregung, kamen sie doch ohne ausreichenden Grund zu spät in ihre Ämter; ihre Begleiter schmunzelten verstohlen. Man nahm ihre Adressen auf, um Erkundigungen einzuziehen, dann wurde die ganze Gesellschaft freigelassen. Stille trat ein. Der Sekretär rauchte, machte sich Notizen, wühlte in den Papieren herum, rief die Wache an. Der kleinen Fenja riß die Geduld, sie stand auf, begann im Zimmer auf und ab zu gehen; der Sekretär gab nicht acht auf sie. Langsam näherte sie sich immer mehr der Tür zu Kaljabins Arbeitszimmer, machte plötzlich eine halbe Wendung, schlüpfte seitlings an dem Sekretär vorbei, riß geschwind die Tür auf und lief ins Zimmer hinein. Der Sekretär sprang auf, zog seine Pistole und stürzte ihr nach.

Afonka, der auf dem Diwan saß, fuhr in die Höhe, rieb sich die Augen und starrte seinen Sekretär und das junge Mädchen verständnislos an, erkannte aber sogleich die kleine Fenja und schrie dem Sekretär zu:

»Was willst du hier?«

»Sie ist mit Gewalt eingedrungen; ich habe ihr gesagt, sie soll auf Ihren Gehilfen warten.«

»Schafskopf!«

Der Sekretär fuhr auf, machte dann aber eine wegwerfende Handbewegung – um eines Weibes willen finge er halt keinen Streit an – und verließ das Zimmer.

Kaljabin sagte, als wisse er von nichts:

»Fjokla Timofejewna! Welch unerwarteter Besuch! …«

»Wo ist Onkel Kirja?«

»Der Ingenieur Drakin? – Gestern nach Moskau befördert worden.«

»Nach Moskau?! Das hätte Petrowskij mir doch gesagt! Welche Niedertracht! Was soll dies Theater?«

»Es ist kein Theater, es ist die Wahrheit.«

Afonka zog fröstelnd die Schultern hoch, öffnete die Tür halb und rief:

»Selesnjoff!«

Der Sekretär trat ein.

»Warum ist hier nicht geheizt? Wie oft muß ich euch Satansbrut das sagen? Soll ich erfrieren?«

»Sie werden ja doch nicht mehr hier wohnen, Genosse, was soll man denn da unnütz heizen – das Holz reicht so schon nicht für unsere Leute …«

»Ordne an, daß hier unverzüglich geheizt wird!«

Fenja stand vor Afonka und konnte nicht begreifen, warum man ihren Onkel Kirja nach Moskau geschickt hatte. Sie wollte gehen. Afonka vertrat ihr den Weg, schloß die Tür ab und steckte den Schlüssel in die Tasche.

Die kleine Fenja preßte die Lippen zusammen und sah ihm fest in die Augen.

»Was soll das heißen? …«

»Petrowskij braucht den Ingenieur Drakin, Fjokla Timofejewna, und ich brauche Sie! Wenn ich will, lasse ich Sie jetzt verhaften!«

Während er sprach, hielt er sie scharf im Auge, fing eine verstohlene Handbewegung auf, machte sich sprungbereit, und als sie nach ihrem Revolver langte, packte er ihre Hand.

»Lebend soll ich Sie nicht haben?! Seien Sie ruhig, nicht mit dem kleinen Finger rühre ich Sie an, mit diesem Spielzeug aber machen Sie mir nicht bange – wir haben hier selber Haufen von diesen Dingerchen.«

Vor Überraschung verlor Fenja die Fassung; seine eiserne Tatze war wie ein Schraubstock um ihr Handgelenk gepreßt; der glitzernde Smith entfiel ihr, Afonka trat mit dem Stiefel darauf, ließ ihre Hand los, bückte sich ruhig, hob die Waffe auf und steckte sie in seine Tasche – sah Fenja an und weidete sich an ihrem haßerfüllten Blick, der, glühend und unverhüllt, in ihm die Erinnerung an jenen Tag im Kloster weckte, an die Mühle, die Balken, den Sonnenschein und an die kleine Fenja, die jetzt so stark und willensfest in ihrer Lederjoppe vor ihm stand, ein richtiger kleiner Genosse.

»Wenn nötig, gebe ich Ihnen die Waffe zurück. Warten Sie ein bißchen, ich bin gleich fertig! …«

Vor sich hinlächelnd kramte er seine Sachen zusammen, steckte sie in seinen Soldatensack und einen fremden Lederkoffer, verknüpfte beides mit einem Strick und rief dann wieder zur halb geöffneten Tür hinaus:

»Selesnjoff, sage, daß man den Motor anläßt, ich fahre fort. Und nun, Fjokla Timofejewna, gehen wir …«

»Geben Sie mir meinen Revolver zurück …«

»Doch nicht hier – im Auto sollen Sie ihn haben; ich bringe Sie nach Hause.«

Ihre Verwirrung war vorbei, Neugierde war erwacht. Sie setzte sich ins Auto; neben ihr, die Lederkappe in den Nacken geschoben, nahm Afonka Platz.

»Nach Penji!«

Er holte den Smith aus der Tasche hervor und reichte ihn der kleinen Fenja.

»Da haben Sie Ihr Spielzeug, vergnügen Sie sich damit!«

Afonka war während der Fahrt durch die Stadt fröhlich und guter Dinge, streifte grüßend die Kappe vom Kopfe, wenn er Genossen sah, der rote Haarschopf wogte im Winde. Die kleine Fenja empfand ihre Lage zugleich als ärgerlich und belustigend und wollte es selbst nicht glauben, daß es Kaljabin gelungen war, sie ins Auto zu locken und an ihrer Seite durch die Stadt zu fahren.

Offiziere ohne Achselstücke, verängstigte Bürger sahen sich nach dem Auto um, flüsterten:

»Eine neue Kommissarin!«

»Bildschönes Weib! …«

»So'n Luder! Läßt sich mit einem Tschekisten ein!«

Durch die Vorstadt Penji raste das Auto hupend und Schneestaub hinter sich aufwirbelnd blindlings dahin. Der Chauffeur bog in die Einfahrt zum Drakinschen Hause ein, bremste, fragte, sich umwendend:

»Wann soll ich Sie abholen, Genosse Kaljabin?«

»Morgen früh.«

Die kleine Fenja starrte Afonka, der seine Sachen bereits die Freitreppe hinauftrug, verblüfft an, fragte ihn:

»Aber … wo wollen Sie denn hin?«

»In Ihre Wohnung – ich habe mir ein Zimmer requiriert.«

Fenja blieb vor Überraschung stehen und machte große Augen – Verschlagenheit und List hatte sie von Kaljabin nicht erwartet. Afonka lachte fröhlich und gutmütig auf und fügte hinzu:

»Ich will mir Ihre Hochachtung verdienen – und mein Ziel erreichen!«

 


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