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2

Ein Nebelschleier, der gegen Mittag in der glühenden Sonne seltsam durchsichtig wurde, hing über dem Kloster; am Morgen schwammen gleichsam die weißen Mauern in diesen feuchten, von Moderduft durchwebten Nebelballen und verschmolzen mit ihnen. Der Nebel fraß sich zersetzend in den Wald ein, die goldene Rinde der Kiefern splitterte in Fetzen von den Stämmen ab, das Moos schwoll an und wurde rostgelb, nur in dem dichten Bocksbeerdickicht zwitscherten noch munter die Vögel.

Der flachsblonde Novize Kostja, der weißliche Brauen und Augen hatte, schloß lautlos die Tür hinter dem Abt und legte sich auf seine Truhe – alles an ihm, jede seiner Bewegungen war Schweigen und Lautlosigkeit.

Nikolka stahl sich vorsichtig davon, um von niemandem gesehen zu werden, und schritt einen Pfad entlang, der das Kloster in weitem Bogen umkreiste. Im Walde traf er – zum ersten Male seit jenem denkwürdigen Tage – die Nonne Arischa, die auf dem Wege nach dem Viehhof im Kloster war. Ihre rotgoldenen Haare guckten unter dem weißen Kopftüchlein hervor; sie verbarg sie eilig und blieb stehen, scheu und verwirrt. Der Abt fühlte plötzlich ganz klar, daß es für ihn nichts auf der Welt gab und nichts geben konnte als das Leben im Kloster – das mußte er hüten und bewahren. Er trat auf Arischa zu und sagte ruhig:

»Waßja ist an allem schuld, Waßja und jener Herr beim Gouverneur.«

»Warum hast du mir das angetan? Warum hast du die Gäste zu mir aufs Vorwerk gebracht?!«

Sie mußte sehr gelitten, Tag und Nacht keine Ruhe gefunden haben, so schwach und hilflos klang ihre Stimme. Wenn man einen unschuldigen Menschen tief verletzt, das Heiligste in seiner Seele zertritt und ihn dann stolz und überlegen ansieht, so sterben dem Wunden die Worte und schuldlos fühlt er sich schuldig; mit der Stimme eines solchen wunden Menschen hatte die junge Nonne zu Gerwaßij gesprochen. Da erst spürte der Abt, was sie durchgemacht haben mußte, gleich aber tröstete er sich wieder mit dem Gedanken, daß alle Schwierigkeiten durch seine Hoffnung auf die Heiligsprechung des Klostergründers, auf die Archimandritenmütze und durch den Verdienst aus dem Waldverkauf wieder gutgemacht seien – und eben brachte er ihr ja mehrere Tausende. Hastig hob er Soutane und Kutte, zog aus der Hosentasche das Päckchen hervor und sagte, bemüht, ruhig zu erscheinen:

»Es ist gut, daß wir uns im Walde getroffen haben, sonst hätte uns noch jemand überraschen können … Ich bringe dir Geld, hebe es auf – es soll dir gehören. Lange Jahre habe ich gespart …«

Die Nonne schauerte zusammen, wich wie betäubt vor ihm zurück, schlug die Augen hastig zu ihm auf und sagte mit derselben klanglosen Stimme:

»Geld? … Was für Geld?! … Ich will kein Geld … Geld kann nichts gutmachen – du hast mein Leben zerstört, oder vielleicht nicht du – ich selbst bin in mein Verderben getaumelt … Durch Geld erkauft man keine Sühne.«

Nikolka hatte erwartet, daß Arischa über die knisternden Scheine froh und beglückt sein würde – er wollte ihr eine Freude machen und sie wieder an sich fesseln – und war im ersten Augenblick ganz verwirrt vor Überraschung. Dann sagte er sich, daß sie eine Närrin sei, brauste innerlich auf, ließ sich aber nichts anmerken und bemühte sich, in demselben Tone zu sprechen.

»Ich habe dabei an ihn gedacht, an den Kleinen … Du sollst es nur aufbewahren, bei dir ist es sicher. Ich bin Mönch, wenn ich sterbe, fällt alles dem Kloster zu, er aber wird es brauchen im Leben. Kinder wachsen heran … Das Geld habe ich mir allmählich zusammengespart. Hier, nimm es, nimm es nur!«

Er drückte ihr das Päckchen, das fest in Einschlagpapier gehüllt war, in die Hand und neigte sich zu ihr hinab. Sie wich wieder vor ihm zurück, ja machte ein paar Schritte rückwärts und klammerte die Finger krampfhaft um das Päckchen, als fürchtete sie, es fallen zu lassen.

»Hebe es sorgsam auf für ihn, daß niemand es merkt. Geh jetzt nicht ins Kloster, du kannst das morgen tun, kehr' gleich auf das Vorwerk zurück und verbirg das Geld gut – es sind mehrere tausend. Morgen komme ich vorüber …«

Die Nonne schlug wieder die Augen zu ihm auf, dann senkte sie den Kopf und sagte mit der gleichen leblosen Stimme:

»Du denkst, du kannst ihn mit Geld retten? Wir sind beide verloren – durch dich.«

Der Abt fuhr auf, mit Mühe bezwang er sich, flüsterte heiser:

»Was heißt das, verloren? Niemand hat dir was angetan. Morgen reden wir weiter … Das Geld aber hebe sorgsam auf – es sind mehrere tausend!«

Ohne sich zu verabschieden, wandte er sich um und schritt zum Kloster zurück.

 

Das Päckchen mit dem Geld, das die Nonne den ganzen Weg über fest umklammert hielt, brannte ihr in der Hand, richtiger auf der Seele. Sie eilte, lief fast, stolperte in der Dunkelheit über Wurzeln, irrte in ihrer Hast mehrmals vom Pfade ab, als verfolge sie jemand oder als empfinde sie diese Geldgabe als eine neue Schmach, vor der sie gehetzt fliehen wollte.

Inzwischen ging der Abt mit weiten Schritten durch den Wald und machte sich Vorwürfe darüber, daß er ihr das Geld gegeben hatte – sie hatte ja gar kein Gefühl, kein Verständnis für den Wert seiner Gabe und dafür, was er durch dieses Opfer hatte ausdrücken wollen! Er konnte sie doch schließlich wegen des Vorfalls damals, an dem er ja ganz unschuldig war, nicht noch um Verzeihung bitten! Das klingende Glück, das er in ihre Hände gelegt hatte, begriff sie gar nicht!

Er bog zum Wehr an der Mühle ab. An der Schleuse rauschte dumpf das Wasser, ein Windstoß fuhr in das welke Laub am Boden und wirbelte es über den Damm in den See, ein Kranich schrie in der Nähe. Stimmen ertönten, Räderrollen erklang.

Der Abt duckte sich und verschwand eilig im Walde.

Als er an den Waldrand kam, schürzte er Soutane und Kutte und schritt über die Wiese auf das Kloster zu.

Die hohen Gäste waren abgereist, nun zogen allmählich auch die Pilger und Bauern ab – die ersten Herbsttage hatten unerwartet mit Nebel eingesetzt, ein milchiger Dunst hing im Zwielicht über den Sümpfen. Der Abt begegnete niemand vor den Klostermauern, in der alten Herberge brach hier und da noch Kerzenschimmer durch die Fenster, die heilige Pforte war geschlossen, nur das niedrige Nebenpförtchen gähnte schwarz aus der Dunkelheit.

Der Pförtner, Vater Awraamij, erkannte den Abt nicht gleich und brummte unwirsch:

»Die ganze Nacht muß man auf euch warten! Immer dies Gerenne in die Herberge, habt nie genug, ihr Schlecker!«

Vor Überraschung zuckte der Abt zusammen und antwortete erschrocken wie ein ertappter Novize:

»Ich bin es, Gerwaßij …«

»Verzeiht, Vater Abt, in der Dunkelheit habe ich Sie nicht erkannt …«

»Gehen denn die Mönche noch in die Herberge? Als die hohen Gäste eintrafen, habe ich es ihnen doch untersagt! Wer geht trotzdem hin? Sprich, Vater Awraamij.«

»Bisher habe ich auch niemand bemerkt … Aber seit die Gäste fort sind …«

»Da laufen sie wieder hin? Merk dir mal, wer. Nachher meldest du es mir dann.«

Er ging nicht zur Abtei, Waßja war ihm in den Sinn gekommen – er mußte mal bei dem alten Doßifej nachschauen.

Die erleuchteten Zellen blinzelten verschlafen mit den Fensteraugen, unter seinen Füßen raschelten die welken Blätter der Ahornallee, die von der Kathedrale zu dem Krankenhaus führte; kalt rieselte ein feiner Sprühregen herab.

Lange klapperte Nikolka mit der Klinke des Vorgartenpförtchens – Vater Doßifej steckte den Kopf zur Tür hinaus, schnarrte:

»Bischt du esch, Vater Mischail?«

Der Abt antwortete in singendem Tonfall:

»Ich bin es, Vater; ich will dich besuchen – schlaft ihr noch nicht?«

Der Bucklige erkannte die Stimme nicht gleich, fragte zurück:

»Aber wer ischt denn da?«

»Der Abt, mach' doch auf.«

Der Greis kam in geschäftige Bewegung, seine Stiefel schlürften die Stufen herab, er bohrte seine stechenden Augen in Gerwaßijs Gesicht, ließ ihn eintreten. Waßja hockte an der Tür auf der Liegebank, am Tisch saß Vater Pamwla, mit eingesunkener Nase, und redete heiser auf den Blöden ein. Als der Abt in die Zelle trat, erhob sich Pamwla verlegen, und seine rot umränderten kurzsichtigen Augen huschten bedrückt hin und her. Er mied den Blick des Abtes, küßte ihm die Hand, empfing den Segen und krähte heiser:

»Ich bin hergekommen, um ein Kräutlein von Vater Doßifej zu holen … Das Kreuz plagt mich so … Wollte zum Gebet niederknien, es ging aber nicht. Da dachte ich bei mir: Vater Doßifej hat Kräutlein gegen alle Gebrechen … Inzwischen habe ich mit Waßenka geplaudert … Aus dem Munde der Einfältigen und der Kinder spricht ja der Herr zu uns …«

Der Abt warf einen Blick auf Waßja und fragte, im Sprechen ein Lachen unterdrückend:

»Was hat euch denn Waßja erzählt?«

Statt Vater Pamwla antwortete der Bucklige:

»Er ertschählt unsch von den Wundern desch Schtaretsch Schimeon … Heilige Gotteschwunder fürwahr! …«

»Macht er dir nicht gar zu viel zu schaffen, Vater Doßifej?«

»Gott verhüte! … Gantsch still und demütig ischt er jetscht, gantsch demütig …«

»Nun, der Herr sei mit euch! Ich wollte nur einmal nachschauen.«

 

Vater Pamwla schickte dem Abt ein leises Kichern nach und blinzelte Waßja zu.

»Sieh mal an, kommt schnüffeln! … Es zieht ihn nur so hierher … Du aber schweig, Waßenka … Wir werden es ihm schon alles ankreiden, die kleinen Sünden und die großen … Und all die kleinen Fenjas wollen wir ihm auch nicht vergessen!«

Wie ein zottiger Köter drehte und wandte sich Waßja auf seiner Bank, während er sein Bett herrichtete, lachte und feixte, wobei er seinen spärlichen Bart schüttelte; wohl infolge dieses Gezappels ging ein scharfer säuerlicher Geruch von ihm aus, der Übelkeit erregende Geruch eines lange nicht gewaschenen menschlichen Körpers.

Das Baden liebte Waßja nicht – weniger aus Furcht vor dem Wasser als aus Scheu, daß man ihn nackt sehen könnte. Langhaarig, zottig, ganz mit Haaren bewachsen, besonders auf Brust und Armen, flüchtete er vor jedem Späherblick in das Walddickicht und suchte hier eine verlorene, sanft absteigende Stelle am Fluß aus, um zu baden. Das geschah aber nur selten einmal, dazu wählte er der größeren Sicherheit wegen einen trüben Tag aus. Beim Baden wusch er den Körper nicht gründlich ab, sondern tauchte mit über dem Kopf emporgestreckten Armen bis über den Scheitel ins Wasser, immer in großer Angst, er könnte ertrinken. Besonders seit jenem Tage, da er auf der Flucht vor dem nackten Weibe in den See gesprungen war, setzte ihm diese Angst vor dem Ertrinken zu. Wenn das Wasser ihm plötzlich in Mund und Ohren dringen sollte, so hoffte er, würden die emporgestreckten Arme ihn retten; jemand würde ja schließlich seine aus dem Wasser herausragenden Hände bemerken und ihn daran herausziehen; steckte er aber die Hände auch ins Wasser, so könnte ihn der Wasserkobold sogleich an den Händen in die Tiefe zu den Wassernixen ziehen, die ihn dann totkitzeln würden. Darum tauchte er auch mit emporgehobenen Händen immer nur blitzschnell unter und schnellte wieder empor, sonst könnte ihn der Wasserkobold an den Knien packen und kitzeln, so daß er in »Wasserkrämpfe« verfiel. Nach solch einem Untertauchen hüpfte und sprang er prustend umher, schüttelte den Kopf; die Tropfen stoben nach allen Seiten, netzten sein langes Hemd aus grober Leinewand, das durch die Nässe noch speckiger wurde und die Haare an seinem Leib zusammenklebte. Beim Ankleiden warf er die ganze Zeit spähende Blicke um sich, die mageren Beine kreuzweise untergeschlagen – auch aus Angst vor den Nixen, die könnten aus dem Wasser nach seinen Füßen langen oder von einem Ast ihm auf den Rücken springen. Die Stiefel zog er auf die bloßen Füße, die rostbraun gewordene Kutte über das Hemd und lief hastig auf eine Waldwiese, wo er sich ausstreckte, um trocken zu werden.

Im Winter, wenn er bei Vater Awraamij, dem Pförtner, wohnte, ging er zusammen mit diesem in die Badestube des Klosters, und zwar nicht an den gewöhnlichen Tagen, sondern an dem für den Abt und die Starezen reservierten Tag; sonst scheute er sich vor den jungen Mönchen, die ihn neckten und sich über ihn lustig machten. Hierin waren einst Nikolka und Afonka die schlimmsten gewesen, die es am ärgsten trieben; als aber der Blöde zu einer Sehenswürdigkeit des Klosters geworden war, hatte Nikolka, bereits Abt, selbst angeordnet, daß der Blöde nur an den Sondertagen in die Badestube gebracht werden sollte, um die Bruderschaft durch den Anblick seiner Nacktheit nicht zu leichtfertigen und sinnlichen Gedanken anzuregen. Trotzdem war es schwer, den Blöden in die Badestube zu bekommen, sein nackter Körper flößte ihm selbst einen heillosen Schrecken ein. Darum also ging von Waßenka immer ein salzig-säuerlicher Geruch aus.

Vater Doßifej geleitete den Abt hinaus, legte den Haken am Gartenpförtchen und schob den Riegel an der Flurtür vor, kehrte in die Zelle zurück und zwinkerte Vater Pamwla mit den Augen zu.

»Hat 'ne feine Witterung, wie scho'n Hund! Wollte blosch mal nachschaun! …«

Vater Pamwla lachte und sagte heiser:

»Ich hab' auch schon zu Waßja gemeint, er solle mal seine Zunge im Zaum halten.«

Der Bucklige sah den Blöden erschrocken an, trat auf Vater Pamwla zu und flüsterte ihm ins Ohr:

»Vielleicht hat er den Blöden blosch hergebracht, um ihn nachher auschtschufragen … Dämlich ischt er ja, dabei aber scho lischtig und verschlagen – steckt unsch alle in die Tasche. In scheiner Gegenwart schweigen wir lieber.«

Darauf wandte er sich an Waßja, um ihn wirr zu machen:

»Ja, ja, Waschenka, schweige lieber! Schweigen ischt bescher alsch reden. Und er ischt immerhin unscher Abt, und über den Abt übel tschu reden, ischt Schünde, Waschenka, grosche Schünde …«

Waßja schüttelte den Kopf, sah Vater Pamwla an und lachte fröhlich.

»Harte Nüsse, harte Nüsse gibt's jetzt im Walde – reif und so groß wie deine … Hi-hi-hi! Am Vorwerk da wachsen dichte Nußbäume voll harter Nüsse, ganz voll harter Nüsse … Knackt mal die harten Nüsse, sind süß und saftig …«

Doßifej und Pamwla wechselten erschrocken einen hastigen Blick, blinzelten einander zu, worauf sie gleichzeitig laut auflachten, das Lachen brach ebenso plötzlich wieder ab, und Vater Pamwla machte sich auf den Heimweg.

Der bucklige Alte sah sich im Flur um, ob Waßja nicht lausche, und flüsterte Vater Pamwla zu:

»Ich komme tschu dir, Vater Pamwla, ich komme tschu dir. Dem Waschka traue ich nicht, er ischt mir tschu gerieben, und der Gerwaschij, der ischt noch geriebener alsch Waschka, der wickelt nicht nur ihn, der wickelt dir jeden um den kleinen Finger … Schelbscht beim Bischof hat er schich Liebkind gemacht … Alscho ich komm lieber tschu dir, unter vier Augen spricht schich'sch bescher …«

Schon jenseits der Gartentür antwortete Vater Pamwla:

»Die harten Nüsse, die er uns zu knacken gibt, die wollen wir ihm alle aufzählen … Sich im Kloster eine Frau zu halten! …«

Lange drehte sich Waßja auf seiner dünnen Unterlage hin und her, und als Vater Doßifej die Lampe auslöschte, streckte und wand er immer noch seinen langen Körper, stöhnte und atmete schwer, so daß der Alte ihn aus dem Dunkel anschnarrte:

»Ich steh gleich auf und hau dich mit dem Strick auf die Hände, will schie gar nicht erscht binden, schondern haue gleich tschu – auf die Hände, auf die Hände …«

 

In den im Dunkel weißlich wogenden Nebel trat Vater Doßifej hinaus und humpelte zu Pamwla. Die beiden schlossen sich ein, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten – scheue Blicke um sich werfend, als hätten die Wände Ohren – bis Mitternacht darüber, daß der Wald verkauft, von dem Gelde nichts mehr übrig und der Bruderschaft keinerlei Abrechnung vorgelegt worden sei …

Sie riefen andere Mönche in die Zelle, und brachten sie durch Fragen und Anspielungen auf den Gedanken, daß das Geld verschwunden und der Wald der Vernichtung preisgegeben sei – der herrliche Wald, den die Bruderschaft gehegt und behütet hatte wie den eigenen Augapfel, dessen Schönheit immer der Stolz des Klosters gewesen – und diesen Wald hatte man zum Abholzen verkauft! Das Versprechen, die Heiligkeit der Reliquien des Klostergründers anzuerkennen, sei gewiß sehr erhebend, doch eigentlich bedürfe es eines solchen Versprechens gar nicht, das ja zudem auch niemand zu geben vermochte, denn wenn der Klostergründer an seinem Grabe Wunder wirkte, so waren er und seine Reliquien eben heilig, da wäre es ganz unangebracht, jemand noch Geld für ein so überflüssiges Versprechen zu bezahlen. Es wären zwar hochgestellte Gäste gewesen, die das Kloster besucht hatten, und die Bruderschaft hatte sich über ihren Besuch gefreut, aber die Verpflegung der Gäste hätte ebenso gut aus den laufenden Einkünften des Klosters bestritten werden können. Vater Paißij, der Haushälter, wurde geholt. Er verbarg nach Bauernart ein Lächeln in seinem Bart und erklärte vorsichtig, der Wald hätte ja wohl verkauft werden müssen, das stimme schon, es hätten große Ausgaben gemacht werden müssen, was das aber für Ausgaben gewesen seien, sei ihm unbekannt, denn es lägen keine Quittungen vor und könnten unter den Umständen auch nicht beschafft werden. Vater Paißij war ein pfiffiger Bauer, der sich nicht festlegen wollte; er durfte es einerseits mit der Bruderschaft nicht verderben, ihr mußte er Abrechnung über seine Wirtschaftsausgaben vorlegen, andererseits aber durfte er auch von den geheimen Machenschaften des Abtes nichts verlauten lassen, dafür hätte er nach dem einsamen Kloster auf der Insel Solowki im Weißen Meer verbannt werden können. Nicht um des Abts Rechtfertigung handelte es sich bei ihm, sondern seine eigene Haut wollte er retten, indem er den Abt nicht anschwärzte. Es konnten keine Unterlagen über den Verbleib des Geldes verlangt werden – wie sollte man feststellen, an wen und wieviel Schmiergelder der Abt verteilt hatte? In den Büchern waren die Posten als Ausgaben für die Instandsetzung des Vorwerks, für den Ankauf von Pferden, Vieh, für Wirtschaftsverbesserungen, Aufnahme der Ehrengäste, ein neues Bischofsornat angeführt worden. Zusammen mit dem Abt hatte Vater Paißij rechtsgültige Auslageposten ersonnen. Er wußte zwar, daß einiges zwischen den Fingern des Abts steckengeblieben war, aber in solch einer Sache war auch eine kleine Schiebung entschuldbar – fragte ihn doch auch der Abt nicht, wo hier und da einmal ein paar hundert Rubel geblieben waren – und aus Hunderten wurden bald Tausende – wieviel er für Fische und Kaviar, für den Tisch des Bischofs täglich ausgegeben hatte … Man hätte ihm ja auch nichts nachweisen können, es stimmte alles, über alle seine Ausgaben lagen Rechnungen vor; dazu gab es ja verständige Kaufleute. Vater Paißij pflegte auch in den Verkaufsläden mit salbungsvollem Gebete einzutreten, am Ladentisch mit dem Kaufmann gemütlich Tee zu trinken, während die angeforderten Waren nach seiner Zusammenstellung verpackt wurden; auf die Rechnungen warf er dann nur flüchtig einen prüfenden Blick. Der Kaufmann stellte verständig angemessene Preise und zahlte ihm seinen Anteil an dem netten Überschuß aus; so war alles glatt und sauber und dabei doch auch ganz ehrlich. Darum lächelte sich Vater Paißij auch bei des Abts durchsichtigen Machenschaften bloß eins in den Bart …

Als Doßifej und Pamwla sahen, daß sie aus Vater Paißij nicht viel herausbekamen, beschlossen sie, sich ohne ihn zu behelfen. Sie huschten von Zelle zu Zelle und tuschelten …

Ein Geflüster hob an unter der Bruderschaft, die Mönche warfen Vater Gerwaßij verstohlene Seitenblicke zu und beschlossen, eine Beschwerde über ihren Abt einzureichen. Den Blöden schloß Vater Doßifej in der Kammer ein, wenn er seine Rundgänge unternahm, damit Waßja nicht spähe und lausche, und ließ ihn erst am späten Abend wieder frei. Waßja sah den Buckligen verstört mit Wolfsblicken an, der Alte aber hatte sich angewöhnt, sich zur Nacht ein Holzscheit unter das Kopfkissen zu legen, und wenn Waßja auf seiner Bank an der Tür mit seinem Gemurmel anfing, griff Doßifej nach dem Holzscheit.

»Schweig still, Hörscht du, wasch ich schage? Schweigen scholscht du. Ich erlaube esch nicht, dasch du über den Abt schlecht sprichscht!«

 

Zu den geheimen Versammlungen der Bruderschaft erschien auch der spitznasige Vater Akindin, der Vorsteher des Klosterladens, der die Wundertaten des Klostergründers niederzuschreiben hatte. Vater Akindin brachte einen Bogen Papier mit, um die Beschwerde an den Bischof abzufassen, listig kicherte er, und es war nicht recht ersichtlich, ob über die Kläger oder über den Abt.

»Ich will euch behilflich sein, soweit ich kann, Väter – ob wir die Sache aber dadurch am Ende nicht noch schlimmer machen?«

»Aber denke doch nur an unseren Wald – im ganzen Lande gibt es nicht seinesgleichen! Und den Wald hat der Abt verkauft! …«

»Schreibe nur, Vater Akindin, du bischt der eintschige, der esch kann. Esch geschieht tschum gröscheren Ruhme unscheresch Kloschtersch!«

Vater Pamwla zog mit der Nase, spreizte die Finger mit den abgekauten Nägeln und krächzte heiser:

»Da haben wir selber ihn zum Abt gewählt – zu unserem Verderben – und jetzt sitzen wir drin! Kein Wort darf man sagen, gleich spielt er sich als großer Herr auf! Wir haben noch nicht vergessen, wie er den Weibern in den Landhäuschen nachstellte und sich noch heute auf dem Vorwerk diese hereingeschneite Nonne als Liebste hält …«

Iona der Herbergsvater sagte abgerissen, in tiefem Baß:

»Ich habe selbst gesehen – habe ja zwei Augen im Kopf – wie er unser Klostergeld an die Leute des Bischofs verspielte; man brauchte gar nicht durchs Schlüsselloch zu gucken – ganz offen warf er mit Hundertrubelscheinen nur so um sich. Haben ihn ja auch nichts gekostet! Na also schreib, Vater Akindin …«

Vater Akindin zupfte an seinem graugesprenkelten Ziegenbärtchen, blinzelte fröhlich mit den Augen, sagte:

»Also, Väter, soll ich denn Seiner Eminenz glatt heraussagen, daß der Abt an den Bewahrer der Kirchengeräte Klostergeld verspielt – ihm auf unschuldige Weise Schmiergelder hat zukommen lassen?«

Vater Doßifej geriet in Eifer, stocherte mit dem Finger auf dem Bogen herum, beugte seine Hakennase über das Blatt und zischelte:

»Schreibe nur, Vater Akindin, schreibe allesch, mag Scheine Eminentsch auch über scheinen Bewahrer der Kirchengeräte Bescheid wischen, diesche Blutegel schaugen unscherem Kloschter dasch Blut ausch.«

Vater Pamwla stürzte sich auf den alten Doßifej, fuchtelte mit den Händen vor dessen Nase umher.

»Was soll das, Vater Doßifej, was soll das! Man darf auf niemand einen Verdacht werfen – wir wollen doch bloß dem Abt den Strick drehen.«

Vater Iona konnte sich in dem Wirrwarr nicht mehr zurechtfinden und schrie:

»Aber an wen schreiben wir denn eigentlich? Wo sollen wir die Klage einreichen? Wenn schon einmal geschrieben wird, so meine ich, das Richtige wäre, daß wir uns direkt an den heiligen Synod wenden – das zieht bestimmt besser.«

Vater Akindin sagte, und seine Worte riefen allgemeine Bestürzung hervor:

»Väter, wartet mal … Wir haben ja gemeinsam die große Bitte an den Synod gerichtet, unseren Klostergründer heiligzusprechen, und Seine Eminenz hat zugesagt, unser Gesuch im Synod zu befürworten. Aus unserer Beschwerde aber würde hervorgehen, daß während des Aufenthalts Seiner Eminenz in unserem Kloster hier Diebstahl und Korruption eingesetzt haben! Meint ihr denn, daß danach Seine Eminenz nach Petersburg reisen und sich beim Synod für unser Kloster einsetzen würde? Schmach fällt auf das ganze Kloster, auch auf uns! Ich kann die Klageschrift ja verfassen, wenn ihr durchaus wollt, aber aus der Sache mit den Reliquien wird dann wohl nichts. Im Synod würde man sich bei der Durchsicht unserer Beschwerde daran erinnern, daß wir vor kaum zwei Monaten unseren Abt in den Himmel erhoben haben – denkt mal nach, hieß es damals nicht: ›Dank den nimmerrastenden Mühen unseres hochverehrten Vaters Gerwaßij …‹ Und wer hat das unterzeichnet? Wir alle – dieselben Mönche, die jetzt mit einer Beschwerde über ihren Abt kommen! Nein, Väter, solch ein Papier will ich nicht schreiben, sucht euch jemand anderes dazu …«

Ein lautes Stimmengewirr brach aus, alles schrie durcheinander, wer die Klageschrift verfassen, wer sie unterzeichnen sollte, als Waßja plötzlich hereinstürzte und in gellendem Fistelton schrie:

»Eingeschlossen habt ihr mich, verhungern laßt ihr mich! Ha, eine Versammlung von Gotteslästerern! Einen Veitstanz führt ihr hier auf … Mit dem Besen, mit dem Besen müßte man dazwischen fahren!«

Vater Doßifej warf sich auf ihn und führte ihn mit Hilfe des Herbergsvaters Iona in seine Zelle zurück, unterwegs drohte er dem Blöden:

»Schweige lieber, schweige – mit dem Holtschscheit will ich dich bearbeiten …«

Der gefangene Waßja verstummte, ließ den Kopf hängen, und in der Dunkelheit spürte man, wie er die Schultern zusammenzog und in ein lautloses Weinen ausbrach – vielleicht zum erstenmal während seines langjährigen Lebens im Kloster. Zwar pflegte auch der alte Pförtner ihm des Nachts die Hände zu fesseln, doch weder schlug er ihn, noch drohte er ihm, sondern suchte ihn durch gütigen Zuspruch zu lenken; schrie er ihn aber auch einmal an, so lag doch Mitleid in seinem strengen Blick, aus seiner groben Stimme sprach Menschlichkeit.

Der alte Doßifej zischelte ihm ins Ohr:

»Geflohen bischt du, auschgebrochen, hascht die Tür gesprengt wie ein Dieb, wie ein Dieb! Darum werde ich dich jetscht auch in der Nacht in der Kammer einsperren, und wenn du schreischt, verprügele ich dich mit dem Holtschscheit.«

Waßja wand den Kopf hin und her und weinte, sah sehnsüchtig auf die nachtschwarzen Fichten und gedachte der Einsiedelei, die da hinten lag, des frommen Vaters Akakij, seiner freundlichen Worte, seiner leisen Belehrungen des Abends, und da machte Waßja den Versuch, sich loszureißen, um zu ihm zu fliehen. Aber Vater Ionas Finger umklammerten seine Hände wie ein Schraubstock, und der Bucklige versetzte mit der dürren Faust dem Blöden grimmig einen Schlag in den Rücken. Da ließ Waßja wieder den Kopf hängen und folgte widerstandslos.

Als Doßifej Vater Iona hinausgeleitete, flüsterte er:

»Vater Iona, komme morgen tschu Vater Pamwla, ich werde die Klage schelbscht schreiben, wir schreiben an Scheine Eminentsch … Die Hauptschache ischt, dasch wir die Schrift richtig abfaschen, die Bruderschaft wird schon untertscheichnen … Den Waßja aber will ich mir vornehmen, scholl einen Denktschettel kriegen …«

 

Vater Akindin war nach der Versammlung bei Pamwla in der Dunkelheit verschwunden und hatte sich lautlos hintenherum zur Abtei geschlichen. Er drückte sich an die Gartenpforte, spähte um sich, lauschte und schlüpfte die Treppe hinauf. Lange pochte er mit einem Finger leise an die Tür, sah sich dabei jedesmal vorsichtig um, horchte in die Nacht hinaus und klopfte aufs neue, ebenso leise, bis der flachsblonde Kostja aufmerksam wurde, die Tür spaltbreit öffnete und fragte, wer da sei. Vater Akindin flüsterte:

»Ich muß zum Vater Abt, in dringender Angelegenheit …«

Vater Gerwaßij war zu Hause, Akindin hatte in seinem Schlafzimmer Licht bemerkt und darum auch beschlossen, gleich zu ihm zu gehen – am Tage hätte ihn die Bruderschaft gesehen, was er vermeiden wollte.

Nikolka kam ins Empfangszimmer und musterte den späten Besucher mißtrauisch. Nachdem Vater Akindin den Segen des Abts empfangen hatte, sagte er mit einschmeichelnder Stimme:

»Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit, Vater Abt, trotz der vorgerückten Stunde. Verzeihen Sie, daß ich Sie beim Gebet störe.«

Vater Gerwaßij blickte Kostja an, der sich verneigte und lautlos, wie immer, das Zimmer verließ.

»In was für einer Angelegenheit, Vater Akindin?«

Akindin fuhr im gleichen Tone fort, wobei er dem Abt forschend ins Gesicht blickte und sich den Kopf darüber zerbrach, ob dieser wohl bereits etwas von der Sache wußte.

»Vater Abt, ich möchte gern – wage es aber nicht, ohne vorher Ihren Segen dazu empfangen zu haben – ich schreibe doch die Wundertaten unseres Heiligen auf …«

»Nun, und weiter?«

»Ich möchte die Aufzeichnungen von neuem beginnen, beim ersten Male ist alles so hastig hingeworfen worden, und dabei sind es doch so große Wunder, so große Wunder … Dazu wollte ich mir Ihren Segen erbitten …«

»Und darum also bist du gekommen, Vater Akindin? …«

Der Mönch drehte und wand sich und trat von einem Fuß auf den andern.

»Du traust dich nicht mit der Sprache heraus? … Wir sind allein … Ist die Bruderschaft über irgend etwas unzufrieden?«

»Die Mönche versündigen sich, sie versündigen sich – unsere Zunge ist unser Feind.«

»Sie reden wohl über den Wald?«

Der Abt sprach so unbefangen, daß Vater Akindin sich ganz verwirrt fühlte. Er nickte eifrig mit dem Kopf und sagte mit bekümmerter Stimme, seine Worte mit einem ebenso bekümmerten Blick begleitend:

»Sie reden, sie tuscheln, sie schmieden Pläne …«

»Geh, Vater Akindin – das ist mir bekannt.«

Sich im Schatten der Zellenhäuschen verbergend, lief Vater Akindin nach seiner Zelle, verblüfft über die Allwissenheit des Abts. Er beschloß, seinen Fuß nicht mehr über Vater Pamwlas Schwelle zu setzen, mochten sie da schreiben, was sie wollten, er würde die Beschwerde nicht einmal unterzeichnen, würde sich einige Tage krank stellen … Ächzend und stöhnend kleidete er sich aus, befahl seinem Dienstbruder, niemand von den Mönchen einzulassen, und ging schnell zu Bett.

 

Nikolka hatte schon seit einigen Tagen bemerkt, daß die Mönche ihm scheele Blicke zuwarfen, die Köpfe zusammensteckten und tuschelten, und den wortkargen Kostja nach dem Novizen Mißail in die Herberge geschickt. Mißail hatte er selbst mit der Aufgabe betraut, die Gäste und den Novizen Boris Smoljaninow, den ehemaligen Studenten, zu beobachten. Vater Mißail war sein Auge und Ohr noch von der Zeit her, als sie zusammen im Walde Kaufmannsfrauen den Hof gemacht hatten, und als Nikolkas Glücksstern im Kloster aufstieg, glaubte Mißail an ihn und wurde Gerwaßijs ergebener Freund. Er klatschte wohl über ihn wie die anderen Mönche, doch nicht aus Neid, sondern weil das unter Mönchen nun einmal so üblich ist; redete aber jemand übles über Vater Gerwaßij, besonders vor Fremden, so ging er zu ihm und erzählte ihm im Vertrauen alles; deshalb hatte dieser ihn denn auch an der Herberge angestellt. Und als der Herbergsvater Iona Vater Pamwla des Abends zu besuchen anfing und mit den dort versammelten Mönchen flüsterte, beteiligte sich auch Mißail an den Zusammenkünften, machte mit, horchte überall hin und vergaß nichts. In der Dämmerung lauerte er dann dem Abt im Walde auf seinem heimlichen Wege nach dem Vorwerk auf und berichtete ihm, daß die Mönche eine Beschwerde gegen ihn einreichen wollten, es stehe bloß noch nicht fest, an wen sie gerichtet sein würde.

Der alte Doßifej und Vater Pamwla verfaßten schließlich eine Klageschrift an den Bischof, sammelten zwei Tage lang heimlich Unterschriften in den Zellen, bemüht, die Unschlüssigen durch den Hinweis zu beeinflussen, daß der Schritt zum größeren Ruhme des Klostergründers und des Klosters getan werden müsse und dieses sonst durch die unwürdige Lebensführung des Abts geschädigt werden könnte. Es gelang ihnen nur mit Mühe, gegen zwanzig Unterschriften zu sammeln, da jeder Ausflüchte machte, aus Furcht, er könnte später darunter zu leiden haben. Vater Gerwaßij war immerhin der Abt, und der Bischof war ihm gewogen. Der Brief wurde versiegelt und dem Herbergsvater Iona zur Beförderung anvertraut. Vater Iona nahm das Schreiben mit auf die Station und steckte es selbst in den Briefkasten. Der Umschlag trug die Anschrift: An das Geistliche Konsistorium.

 

Der Oberpriester, Vater Sergij Wosdwishenskij, ein Mitglied des Konsistoriums und des Eparchialrates, der die einlaufende Post durchsah, las die Klageschrift gegen den Abt, in der auch der Name seines Freundes, des Bewahrers der Kirchengeräte, genannt war, und ließ das Schreiben geschwind in seiner Kutte verschwinden, ohne seinen Eingang in dem Empfangsbuche zu vermerken. Vertraulich suchte er am Abend den Bewahrer der Kirchengeräte auf und drückte ihm das Schreiben in die Hand. Dieser begab sich am nächsten Morgen zum Bischof, mit dem die Angelegenheit hinter verschlossenen Türen ebenso vertraulich besprochen wurde. Es wurde beschlossen, eine geheime Untersuchung des Falles und eine Revision der Klosterkasse vorzunehmen, um kein Gerede aufkommen zu lassen und den Mönchen die Möglichkeit zu nehmen, sich an eine andere, höhere Stelle zu wenden.

Vater Sergij Wosdwishenskij, der Oberpriester, und der Archidiakonus Smolenskij, derselbe, der schon einmal in dem Kloster gewesen war, wurden mit der Angelegenheit betraut.

Der Herbergsvater Iona empfing beide mit einer Verbeugung, wies ihnen Zimmer an und schickte ihnen zur Erfrischung nach der Reise einen summenden Samowar hinauf. Der Archidiakonus schob trotz der vorgerückten Stunde die Sache nicht auf die lange Bank, sondern eilte sogleich – der Abt war noch nicht nach dem Vorwerk entschlüpft – in die Abtei.

Nikolka war sich sofort klar darüber, daß das Erscheinen des Archidiakons aus dem Konsistorium tiefere Bedeutung haben müsse, umarmte ihn brüderlich und fragte:

»Sie kommen zu Besuch?«

»Vater Sergij läßt bestens grüßen. Ich und der Oberpriester sind hergesandt worden, um hier eine Revision vorzunehmen, Vater Abt. Im Konsistorium ist eine Verleumdungsschrift gegen Sie eingelaufen, Sie brauchen sich aber keine Sorgen zu machen – Vater Sergij ist eine Seele von Mensch und ein Busenfreund des Bewahrers der Kirchengeräte.«

Wie bei dem ersten Besuch des Archidiakons händigte ihm Vater Gerwaßij – diesmal mußte er aber auf seine eigenen Ersparnisse zurückgreifen – eine angemessene Summe aus – »für laufende Ausgaben und zur Verpflegung des Vaters Sergij«.

»Wie Ihnen ja bekannt ist, Vater Archidiakon, ist unser Klostertisch bescheiden und dürftig – nehmen Sie sich, wo nötig, des Vaters Sergij an; Sie sind ja mit den Verhältnissen hier vertraut. Und für morgen nach dem gemeinsamen Mahle bitte ich Sie beide zu einem kleinen Essen zu mir, wenn Sie vorliebnehmen wollen mit dem, was uns demütigen Mönchen der Herr beschert hat.«

Gleich am selben Abend verbreitete sich, vom Herbergsvater Iona ausgehend, die Nachricht, daß ein Mitglied des Konsistoriums zur Revision eingetroffen sei, und ein erregtes Geflüster strich durch die Zellen. Vater Doßifej zischelte jedem geheimnisvoll zu:

»Ein Mitglied desch Konschischtoriumsch ischt da – nicht irgendwer! Ihr Kleingläubigen aber hegtet Tschweifel, wolltet nicht untertscheichnen, habt euch gedrückt, getschittert und gebangt! Wenn er mich verhört, nenne ich alle, die mit Gerwaschij untschufrieden schind – niemand scholl mir entwischen.«

 

In Erwartung des Gerichtstages hielt im Kloster alles den Atem an, schadenfroh glänzten die Augen – bestimmt würde Abt Gerwaßij nach Solowki verbannt werden! Und als der Oberpriester Wosdwishenskij, Vater Sergij – seine untersetzte, wohlbeleibte Gestalt mit bläulichroter Gurkennase und ehrwürdig vorgestrecktem Schmerbauch, in seidener Soutane mit glockenförmigen Ärmeln – mit dem Archidiakon zur Mittagsmesse erschien, stürzte die ganze Bruderschaft in die Kathedrale, um sich den Mann aus dem Konsistorium anzusehen. Längs der Wände standen die alten Mönche, starrten den Oberpriester an, tauschten ihre Beobachtungen aus.

»Muß fürwahr ein gestrenger Herr sein – zornig funkeln seine Augen! Wahrlich, der Abt wird schwere Stunden haben!«

Der Oberpriester kniete gemeinsam mit der Bruderschaft nieder, verneigte sich, ächzend und nach Luft schnappend, bis an den Boden, und nach jeder Verneigung schüttelte ihn ein Hustenanfall. Wenn er wieder zu Atem gekommen war, sah er sich streng nach allen Seiten um und kniete aufs neue nieder. Alle meinten, er würde den Abt auch nicht eines Blickes würdigen, sondern sich unmittelbar an die Starezen wenden, und zwar bestimmt an Doßifej, Iona und Pamwla, und zusammen mit ihnen, vor aller Angesicht im Speisesaal, die Mönche verhören und über den Abt zu Gericht sitzen. Als dann aber Vater Gerwaßij nach der Messe auf ihn zutrat und die beiden Seite an Seite sich nach der alten Kathedrale begaben, um sich vor der Grabstätte des Starez Simeon zu verneigen, wechselten die Mönche verwunderte Blicke und den Unterzeichnern der Beschwerdeschrift sank das Herz.

Nikolka hatte noch am Abend vorher den Vater Haushalter Paißij zu sich kommen lassen und angeordnet, daß im Speisesaal das übliche Mittagessen zu reichen sei, nach dem gemeinsamen Mahle aber solle er für ein ausgesuchtes Festessen von fünf Gedecken in den Gemächern der Abtei sorgen und aus dem Keller den besten Märzkwas heraufholen.

»Bedienen werden Mißail und Kostja. Zu dem Essen ladest du Vater Akindin ein und erscheinst auch selbst – wir beide kommen zuerst an die Reihe, wenn es heißt, vor dem Oberpriester Rechenschaft ablegen.«

Vater Paißij erkannte in seiner Bauernpfiffigkeit, daß – falls er etwas gegen den Abt unternehmen würde – dieser fähig wäre, auch ihn in seinem Sturz mitzureißen, und beschloß darum, sich und ihn zu retten. Den ganzen Vormittag eilten die Klosterköche hin und her, bald in den Keller, bald auf die Mühle nach frischen Fischen; in der Bäckerei wurde eine besondere Pastete gebacken – man durfte sich vor den Abgesandten aus dem Konsistorium nicht bloßstellen – Obstkompott wurde gekocht, und Vater Paißij holte aus seinem Privatweinkeller mehrere strohumflochtene Flaschen herauf, die er dem Abt schickte.

 

Während des gemeinsamen Mahls verfolgte die Bruderschaft gespannt jeden Löffel Suppe, den der Bevollmächtigte des Bischofs zum Munde führte, als hinge hiervon alles ab, beobachtete, wie Vater Sergij mißmutig aus der Suppenschüssel Fischstückchen herausangelte, der Abt ihm Brei auf den Teller legte und alten, abgelagerten Kwas in den Becher einschenkte – und das tat der Abt ganz unbewegt, ruhig und sicher, ja Vater Doßifej bemerkte sogar, daß Gerwaßijs Hand nicht einmal zitterte, und stieß unter dem Tisch seinen Nachbar Vater Pamwla mit dem Fuß an, warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, der sagte: Sieh mal einer an, wie der sich aufspielt! … Und als dann plötzlich bekannt wurde – niemand wußte, wie und durch wen –, daß Vater Sergij darum so wenig esse, weil nachher in der Abtei ein Festessen stattfände, und daß schon am frühen Morgen Butter, Eier und Sahne vom Vorwerk geschickt worden seien und in Küche und Backstube ein emsiges Getriebe herrsche – ließ Vater Pamwla den Kopf hängen und warf dem buckligen Alten wütende Blicke zu. Sie beide waren ja die Anstifter, und wenn es zu einem Verhör kam, würden alle auf sie hinweisen … Da konnte man sich auf eine Kirchenbuße gefaßt machen, der Abt würde schon zeigen, was er kann, hatte ja auch selbst einmal als Novize unter des seligen Vaters Ipatij Aufsicht in der unterirdischen Kapelle sitzen müssen …

Das Dankgebet wurde gesungen, dann schritt der Oberpriester Wosdwishenskij, schnaufend und sich nach allen Seiten verneigend, durch den ganzen Speisesaal, hinter ihm gingen der Archidiakonus Smolenskij und der Abt, dem Vater Paißij und der plötzlich wieder gesund gewordene Vater Akindin, der Ladenvorsteher, folgten; Vater Akindin zupfte an seinem Ziegenbärtchen und lächelte höhnisch. Die Mönche wichen vor dem Zuge zögernd auseinander, in der Erwartung, der Starez Doßifej werde vortreten, den Bevollmächtigten ansprechen und ihn bitten, einige Starezen zu wählen, um gemeinsam mit ihnen über dem Abt zu Gericht zu sitzen. Doch nach seinen Beobachtungen bei Tisch und dem gemeinsamen Aufbruch der Richter und des Angeklagten nach der Abtei zum Festessen und dem Abfall von Vater Paißij und Akindin wagte sich der alte Doßifej nicht hervor, und die Mönche ließen stumm die Köpfe hängen, während die kleine Gesellschaft durch ihre Mitte zur Tür schritt.

Während des Mahles in der Abtei wurde von beiden Seiten, durch Vater Paißij und den Archidiakonus, das Glas des Oberpriesters andauernd gefüllt, und als Vater Sergij in rollendem Baß immer öfter zu lachen anfing, wurde allen klar, daß die Revision begonnen hatte und die Untersuchung vorläufig günstig verlief. Besonders eifrig war der Archidiakonus hinter dem Einschenken her, wußte er doch, daß Vater Sergij zuweilen die üble Gewohnheit hatte, nach den ersten paar Gläschen aus dem nichtigsten Anlaß in polternde Wut auszubrechen; darum war es am sichersten, sein Glas niemals leer stehen zu lassen und über nichts als das Essen zu sprechen. Geriet der Oberpriester wegen eines Scherzes, der ihm nicht gefallen hatte, oder sonst aus einem undurchsichtigen Grunde einmal in Raserei, so war nicht mehr an ihn heranzukommen, dann spuckte er auch auf seine ganze Freundschaft mit dem Bewahrer der Kirchengeräte und würde nicht nur vor dem Abt keineswegs haltmachen, sondern auch mir nichts dir nichts das Konsistorium mit hereinziehen. Darum war ja auch der Archidiakonus Smolenskij vorsichtshalber mit dem Segen des Bischofs hergesandt worden – sein Busenfreund mußte verständig behandelt werden, das wußte der Bewahrer der Kirchengeräte Obolenskij sehr wohl. War aber Vater Sergij einmal aufgetaut, rollte sein Baß heiser dröhnend durch das Zimmer – dann hatte das Feuerwasser ihm Herz und Seele geschmolzen, dann war er weich wie Wachs – Stricke konnte man dann aus ihm drehen. Der Revisor trank wie ein Faß, ohne betrunken zu werden, nur seine Gurkennase leuchtete in immer dunklerer Bordeauxfarbe.

Das Essen war zu Ende, Bruder Kostja brachte den Kaffee, und Vater Mißail stellte neben die Kaffeekanne eine dickbäuchige Flasche – Mönchslikör.

Der Archidiakonus zwinkerte dem Abt mit den Augen zu und trat mit ihm ins Vorzimmer hinaus.

»Nehmen Sie sich des Vaters Sergij mit nimmermüder Aufmerksamkeit an, Vater Abt, das ist der springende Punkt. Wir aber ziehen uns jetzt lieber zurück, Sie werden wohl geschäftlich mit ihm zu unterhandeln haben, und unter vier Augen ist eine Unterhaltung immer seelenvoller.«

Vater Paißij nahm den Archidiakonus und Akindin zu sich, um das Mahl in aller Gemütlichkeit in seiner Zelle zu beschließen.

In der Abenddämmerung packten Vater Paißij und der wortkarge Kostja den Oberpriester jeder an einen Arm und führten ihn in die Herberge zurück; der Archidiakonus zog es vor, gleich beim Vater Haushalter zu Nacht zu bleiben.

 

Am Morgen erwachte Vater Sergij in Kutte und Stiefeln auf seinem Bette. Sein Schädel brummte, er streckte die Hand nach dem Krug mit Kwas aus und strengte sich krampfhaft an, sich daran zu erinnern, was am Abend vorher denn weiter mit ihm vorgegangen war. Daß er zuerst im Speisesaal und nachher beim Abt gewesen war, stand fest, auch an das Essen, an den Anfang seines Gesprächs mit dem Abt über die Untersuchung erinnerte er sich noch – aber was dann weiter geschehen war, dessen konnte er sich gar nicht entsinnen.

Nachdem er zwei Glas duftigen, starken Kwasses hinuntergestürzt hatte, steckte er die Hand in die Tasche und zog sein Taschentuch heraus – vier Fünfhundertrubelscheine fielen dabei zu Boden. Da erinnerte er sich plötzlich, daß er Vater Gerwaßij geküßt hatte – vor Rührung über die Energie des Abtes: der hielt die ganze Klosterwirtschaft und die Bruderschaft fest in der Hand. Na, und wenn sich auch einmal ein paar Unzufriedene gefunden hatten – Störenfriede gibt es ja überall, Neid lebt auch unter der schwarzen Kutte in Menschenherzen.

Schnaufend hob er die Scheine auf, grübelte, und so groß war seine Gedächtnisanstrengung, daß er laut zu denken begann und in tiefem, brummendem Baß murmelte:

»Daran erinnere ich mich aber gar nicht mehr …«

Zärtlich strich er die neuen Scheine glatt, betrachtete schmunzelnd das Bild Peters des Großen auf ihnen …

»War ein gewaltiger Herrscher! Streng …«

Auch er galt für streng, dachte er zufrieden und drückte auf den Knopf der Klingel. Vater Mißail eilte herbei.

»Ist der Archidiakonus in seinem Zimmer? …«

»Hat geruht, lange zu schlafen, Vater Sergij; ist eben mit dem Waschen fertig geworden; ich hole ihn sofort.«

Auch Smolenskijs Schädel brummte, und auch in seinen Händen knisterten Geldscheine, ein wenig geringer an Wert – Hunderter, mit dem Bild der großen Katharina, fünf an der Zahl.

Gewissenhaft bemerkte Vater Sergij nach einem schnellen Blick auf den Eintretenden:

»Vater, wir müssen uns jetzt an die Arbeit machen – ich möchte mal in die Bücher schauen – gehen wir zum Abt.«

 

Vom Morgen an – sicher ist sicher – kochte der Samowar auf dem Tisch in der Abtei, und als der Oberpriester und Smolenskij eintraten, schenkte Kostja bereits Tee ein; der Abt küßte den Oberpriester auf die fettig glänzenden Wangen, bat zu Tisch und goß Jamaica-Rum, der ergiebig über den Rand des untergehaltenen Teelöffels floß, in die Gläser.

Der Oberpriester mied anfangs den Blick des Abts, als ihm aber nach dem Rum so schön warm im Bauch geworden war, lächelte er wieder gutmütig und sagte in rollendem Baß:

»Nach dem Frühstück geht's an die Arbeit, Vater Abt – ich will mir mal die Bücher ansehen.«

Nikolka warf dem Archidiakonus einen erschrockenen Blick zu, Vater Smolenskij aber lächelte beruhigend, nickte beifällig mit dem Kopf und sagte:

»Vater Sergij, gestatten Sie, daß ich Ihnen die Mühe abnehme – ich will die Ausgabeposten des Klosters gehörig durchsehen.«

»Da haben Sie einen guten Gedanken, Vater Smolenskij; inzwischen trinke ich dann noch ein Gläschen Tee mit dem Vater Abt; dies Aroma! Köstlich duftet Ihr Tee, Vater Abt! …«

Vater Gerwaßij hob wieder die Flasche, goß Rum ein, darauf ein wenig Tee.

Der Archidiakonus klapperte indessen auf dem Rechenbrett, blätterte in den Büchern und träumte davon, wie er seiner Gattin einen der regenbogenfarbenen Hundertrubelscheine schenken würde, wie sie vor Freude quietschen und ihn umarmen würde – die übrigen vier beschloß er beiseitezulegen und sie auch selbst ganz zu vergessen. Der zufrieden murmelnde Baß des Oberpriesters war fortwährend zu hören. Schließlich hatte Vater Smolenskij es satt, sinnlos mit dem Rechenbrett zu klappern und mit den Büchern zu rascheln, und kehrte in das Empfangszimmer zurück.

»Nun, wie steht's, Vater Smolenskij? …«

»Ich habe alle Ausgaben zweimal auf dem Rechenbrett durchgeprüft, es stimmt alles!«

»Na, wenn alles stimmt, will ich mir nicht unnütz die Augen mit Lesen verderben! Sagen Sie mir bloß, welches die Hauptausgabeposten sind.«

»Empfang der Ehrengäste, Wirtschaftsverbesserungen und Bischofsornat.«

 

Vor dem Mittagsmahl erschien Vater Paißij und lud die Anwesenden ein, in seiner Zelle zu speisen, die im Speisehaus selbst, gleich neben der Küche lag. Als er vom Abt erfuhr, daß die Bücherrevision beendet sei, forderte er die Gäste auf, sich die Wirtschaft anzusehen. Wosdwishenskij erinnerte sich, daß in der Klageschrift erwähnt war, der Abt führe ein Leben, das eines Mönches unwürdig sei, und bringe durch seine Liebschaft mit einer Viehmagd Schande über das Kloster – die müßte er sich mal ansehen. Vater Gerwaßij führte ihn lange hin und her, zeigte ihm die Sakristei, die Bäckerei, die Weihbrotstube; der Oberpriester schnaufte, prustete, fuhr sich fortwährend mit dem Taschentuch über die Stirn, und da der Abt ihn noch immer nicht nach dem Viehhof brachte, konnte er nicht länger an sich halten und fragte:

»Wo ist denn bei euch der Viehhof?«

»Jenseits der Mauer, Vater Sergij.«

»Den möchte ich mir auch einmal ansehen.«

Vater Gerwaßij schlug den Weg an den Pferdeställen vorüber ein, ließ dem Oberpriester die Pferde zeigen – jedes Pferd wurde einzeln herausgeführt – ärgerte sich, daß der die Sache noch immer nicht aufgab, und zog die Besichtigung der Pferde so lange hin, bis die mittlere Glocke zum Mittagsmahle rief. Vater Paißij spornte zur Eile an, das Essen bei ihm könnte verderben, die Fischsuppe – er nannte sie Mönchssuppe – die Pastete aus frischem Stör – die er Abtpastete nannte – würden an Duft und Geschmack verlieren. Vater Sergij konnte sich nicht vom Viehhof trennen, sah sich nach allen Seiten um, segnete die Vorsteherin des Viehhofs, betrachtete erstaunt die Viehmägde – pockennarbige, mit Sommersprossen übersäte, plumpe alte Nonnen, und wunderte sich im stillen über den Geschmack des Abts. Plötzlich fiel ihm das Vorwerk ein, er fragte:

»Haben Sie auch auf dem Vorwerk solche …« (er wollte sagen: ›solche alten Viehmägde‹, räusperte sich aber und sagte statt dessen:) »solch eine Milchwirtschaft?«

Der Abt wurde rot, Vater Paißij sprang ein.

»Auf das Vorwerk kommt man jetzt nur schwer, Vater Sergij – die Wege sind ganz aufgeweicht, voller Pfützen …«

»Na, wenn da Pfützen sind, geh' ich nicht hin – könnte mich noch erkälten.«

Nach dem Essen mit der Mönchssuppe und der Abtpastete bei Vater Paißij übergab der Oberpriester dem Abt Doßifejs Klageschrift.

»Das Protokoll setze ich morgen auf und laß es von der Bruderschaft unterzeichnen; dies aber wird Ihnen nützlich sein. Da stehen die Unterschriften der Mönche, die sich so bloßgestellt haben; ermahnen Sie sie und führen Sie die verirrten Lämmer wieder auf den rechten Weg zurück; in ihrer Einfalt sind sie zu Verleumdern geworden.«

Vater Gerwaßij warf dem Oberpriester einen bittenden Blick zu und sagte unsicher:

»Vater Sergij, im Namen der Wahrheit und Gerechtigkeit …«

»Na?«

»... möchte ich Sie bitten, meine Ehre vor der Bruderschaft wieder herzustellen …«

»Wie meinen Sie das?«

»Halten Sie selbst den Verleumdern ihr unwürdiges Benehmen vor …«

»Lassen Sie die Hauptschuldigen in die Abtei kommen und zur Belehrung … zur Belehrung unterziehen Sie sie im Namen Seiner Eminenz einer Kirchenbuße.«

Es wurde nach Doßifej und Pamwla geschickt. Vater Akindin hatte sie während des Mahles als Anstifter bezeichnet, während die übrigen Beteiligten schuldlos seien, sie hätten sich durch die Hetzreden der beiden Anstifter überrumpeln lassen.

Vater Pamwla trat ein, warf sich vor dem Oberpriester auf die Knie, schlug mit der Stirn gegen den Boden, erhob sich, tat das gleiche vor dem Abt und stotterte heiser und weinerlich, er sei unschuldig, der Starez Doßifej habe ihn verführt. Der Bucklige verneigte sich und schwieg hartnäckig, bald dem Abt, bald dem Bevollmächtigten unter den gefurchten Brauen hervor finstere Blicke zuwerfend. Als dritter im Bunde war auch der Herbergsvater Iona geholt worden, der Vater Pamwlas Aussage mit angehört hatte und mit gesenkter Stirn schweigend dastand. Der Oberpriester blinzelte die drei mit schläfrigen Augen an, und um der Sache ein schnelles Ende zu machen, brummte er, an den Abt gewandt:

»Im Namen Seiner Eminenz wird der Vater Abt euch eine Kirchenbuße auferlegen.«

Nikolka erhob sich von seinem Lehnstuhl, blitzte die drei mit den Augen an und hielt, an Doßifej und Pamwla gewandt, eine Ermahnungsrede. Er sprach von Gnade und Barmherzigkeit und erklärte, er werde die Schuldigen keiner Kirchenbuße unterziehen, denn die Wahrheit habe gesiegt, und die Verleumder seien dadurch bereits hart genug gestraft; um ihnen aber Gelegenheit zu aufrichtiger Buße zu geben, ohne daß jemand sie in ihren Gebeten störe, hätten sie sich in die Einsiedelei zurückzuziehen, die Stille und Weltabgeschiedenheit dort würde ihnen von Nutzen sein; zwölf Monate lang dürften sie keinen Schritt hinter die Pforte der Einsiedelei tun. Dann sah er Vater Iona an und schloß:

»Auch du, Herbergsvater, wirst ihre Gebete in der Einsiedelei teilen. An deiner Stelle ernenne ich Vater Mißail, den Novizen – vorerst bis zu seiner Einkleidung, nur einstweilig zum – Herbergsvater.«

Da stürzte – jäh und unerwartet wie immer – Waßja, der Blöde, zerzaust, ohne Käppchen, laut weinend ins Zimmer. Es war, genauer gesagt, kein eigentliches Weinen, sondern ein dumpfes, halb unterdrücktes Geheul, das er ausstieß, etwas was an Hunde- oder Wolfsgeheul erinnerte. Der Blöde stürmte herein, sah die Anwesenden an und stürzte auf die Knie. Nikolka erschrak; er fürchtete, Waßja werde wieder mit seinen Schmähreden über ihn und Fenja beginnen, trat auf ihn zu und suchte ihn am Reden zu hindern, indem er freundlich auf ihn einsprach und dazwischen den Oberpriester kurz über das Wesen und die Krankheit des Blöden unterrichtete.

»Also was hast du denn, Waßenka, Lieber, was ist mit dir?«

Der Blöde wimmerte unter Tränen.

»Hilfe, Gnade, Barmherzigkeit! …«

»Was hast du denn, Waßenka?«

»Er prügelt mich, prügelt mich … Mich peinigt der Teufel, der Satan peinigt mich, er aber schlägt mit dem Holzscheit auf mich ein …«

»Wer? Vater Doßifej?«

»Des Nachts schlägt er mich, des Nachts … Knebelt mich, schlägt mich dann …«

Waßjas Züge zuckten, über seine Wangen liefen dicke Tränen, er bohrte die Fäuste in die Augen und wischte sich die Tränen über das ganze Gesicht.

»Nimm mich weg, nimm mich weg von ihm, Nikoluschka …«

»Zu wem willst du denn, Waßenka?«

»Laß mich zu meinem Starez zurück, zu Vater Akakij … Der Starez liebt mich, liebt mich, tröstet mich … Laß mich wieder zu ihm, Nikoluschka … Ich will mich vor ihm verneigen, damit er mir vergibt, bis zur Erde verneigen. Nikoluschka, laß mich zu ihm!«

»Gehe hin in Frieden, Waßenka!«

Waßja sprang auf und eilte, verstörte Blicke nach Vater Doßifej zurückwerfend, als fürchtete er, der bucklige Alte könnte sich auf ihn stürzen und ihn fesseln, aus den Gemächern des Abts und lief, ohne einmal stehenzubleiben, in die Einsiedelei des Starez Akakij.

Dem Oberpriester war beim Anblick des weinenden Blöden, dieses ausgemergelten, kranken Menschen, der in jenem Augenblick geradezu den Eindruck eines Wahnsinnigen machte, der Rausch vom Mittag her plötzlich vergangen. Mit blutunterlaufenen Augen schrie er Doßifej, Iona und Mißail, vor Erregung nach Luft jappend, in rasender Wut an; es klang fast wie das Brüllen eines zornigen Tieres.

»In der Einsiedelei einschließen! Ihr Leben lang! Daß sie keinen Schritt aus den Zellen hinaus können! Einschließen! Einschließen!«

Der Atem ging ihm aus, schnaufend und erschöpft sank er auf den Sessel zurück.

Vater Paißij winkte den drei Mönchen zu, sie möchten verschwinden, und flüsterte barsch:

»Habt ihr gehört? In die Einsiedelei sollt ihr, geht nun, geht!«

Der Bucklige, der die ganze Zeit über kein Wort geäußert hatte, verließ, ohne sich zu verneigen, das Zimmer; Iona und Pamwla folgten ihm mit gesenkter Stirn.

Die Zähne des Oberpriesters klapperten gegen den Rand des Glases, das man ihm gereicht hatte, doch auch nachdem er Wasser getrunken hatte, konnte er sich noch lange nicht beruhigen und atmete stürmisch.

 


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