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[6]

Im Kloster hatte wieder Werktag eingesetzt. Die Mönche begaben sich jetzt an bestimmten Tagen zum Schatzmeister, um ihr Gehalt zu empfangen, besuchten nach festgelegter Ordnung die Andachten in der neuen Kathedrale; Vater Akindin handelte im Klosterladen mit Heiligenbildchen, Rosenkränzen, Löffeln, erzählte den Wallfahrern von den Wundertaten des Heiligen und drückte nach Möglichkeit jedem das Büchlein mit der Lebensbeschreibung des Starez in die Hand. Kaufmannsfrauen stellten sich wieder ein, doch hatten die Mönche gelernt, ihre Liebesabenteuer zu verbergen, führten die Besucherinnen in ihre Zellen zu erbauungsvoller Belehrung, verschmähten auch nicht die frischen Gurken, die Weintrauben, die Melonen, die man ihnen brachte, und stolzierten in seidenen Kutten und Soutanen einher. Der Abt hatte gestattet, daß Frauen, die ihren frommen Eifer dem Kloster beweisen wollten, in den Zellen die Fußböden aufwischen dürften, doch sollten die Mönche darauf achten, daß nichts von heimlichen Sünden nach außen dringe. Vater Polykarp und sein Freund Xenophont, der auch im Kloster geblieben war, sorgten für die Befolgung der nach außen hin strengen Klosterregel. Nikolkas Augen glänzten selig, wenn er in der Archimandritenmitra zusammen mit den gelehrten Hieromonachen vor den Reliquien des Heiligen stand. Einmal ging er auch auf das Vorwerk hinaus, um Arischa zu besuchen, segnete sie und sprach mit so unbeteiligter Stimme, als wäre niemals etwas zwischen ihnen gewesen, über Wirtschaftsangelegenheiten, und erst, als er schon im Begriff war zu gehen, fragte er nebenbei:

»Ist das Geld auch gut aufgehoben? … Gib acht!«

Nach dem Ergehen seines Kindes erkundigte er sich nicht, streifte es nur kurz mit einem flüchtigen Blick. Die junge Nonne fühlte sich verletzt, Schmerz und Bitterkeit überkam sie; ganz fremd war sie ihm geworden, um sein Kind kümmerte er sich nicht, bloß seines Geldes wegen machte er sich Sorgen! Sie gab dem Abt nicht das Geleit, erzählte dem Knaben den ganzen Abend über Märchen und dachte bei sich, es wäre besser, wenn der Abt sein Geld wieder an sich nähme.

Nikolka schritt würdig und gemessen durch den Wald; er zeigte sich jetzt nicht mehr in Kutte und Käppchen, sondern trug immer die Soutane und die hohe Mütze. Er kehrte in der Mühle ein, besichtigte geschäftig die Siebe, bemerkte, daß sie nicht ausgebessert waren, und machte dem alten Müller eine Bemerkung.

»Vater Mawrikij, es herrscht Unordnung bei dir. Sage mal deinen Novizen, sie möchten die Siebe nachsehen und sie zum Lüften an die Sonne hängen – sie verfaulen dir noch.«

Vater Mawrikij, in weißer Arbeitskutte, die langen Haare unter das Käppchen zurückgebogen, bärtig, kräftig und gewandt, lebte in Eintracht mit den Bauern von Polpenki und trank oft freundschaftlich ein Gläschen mit ihnen. Auf Vater Gerwaßijs Bemerkung hin warf er ihm einen Seitenblick zu und antwortete geharnischt, wobei er in einem Tone sprach, als entschuldige er sich wegen seiner Nachlässigkeit:

»Wie es hier zugeht, ist ja bekannt, Vater Abt; ein Mann kann nicht alles im Auge haben! Da haben wir eben eine ganze Woche lang gearbeitet, um das Wehr instand zu setzen; das Wasser sickerte durch. Einer allein kann die Augen nicht überall haben – früher schauten Sie ja auch selbst öfters nach dem rechten, wenn Sie vom Vorwerk kamen …«

Die Klosterglocken riefen zur Abendmesse, der Abt machte sich auf den Weg.

»Du weißt ja selbst, wieviel Sorgen jetzt auf mir lasten, Vater Mawrikij; ich kann nicht überall hinterher sein. Dazu bist du ja Herr hier und mußt das Eigentum des Klosters hüten. Wird dir das zu schwer, so kannst du dich ja ins Kloster versetzen lassen. Sieh den Novizen auf die Finger und treibe sie an.«

Vater Mawrikij krümmte sich ein bißchen und blieb die Antwort schuldig. Seit mehr als zwanzig Jahren befand sich die Mühle in seiner Obhut, noch als Vater Sawwa Abt war, war er, ein Bauer aus Polpenki, nach dem Tode seiner Frau Mönch geworden und hierher gekommen. Die Bäuerin war bei der Geburt des letzten Kindes gestorben – er hatte die Schwangere arg verprügelt. Die Frau hatte Haus und Hof vernachlässigt, war immer auf die Beerensuche gegangen, sie hatte sich mit den Mönchen eingelassen, im Sommer im Walde, im Winter in den Zellen – vor lauter Glaubenseifer wischte sie ihnen die Fußböden auf – und der Bauer wußte nicht, ob seine beiden Jungen ihn oder Mönche zum Vater hatten. Darum wollte er sie zwingen, das letzte Kind abzutreiben, die Bäuerin aber war störrisch; da schlug er auf sie ein in einem heißen Augenblick, kurz vor der Geburt, und sie starb in den Wehen. Der Bauer gab die Kinder seiner Schwägerin in Obhut und ging ins Kloster zum Abt Sawwa; seine Frau war durch die Mönche zugrunde gegangen, nun mochten die für ihn sorgen. Um seinem Dorfe näher zu sein, bat er um die Erlaubnis, dem Herrn durch Arbeit auf der Mühle dienen zu dürfen. Er sagte sich einfach, wenn in früheren Zeiten die drei Dörfer, Groß- und Klein-Polpenki und Mylinka, dem Kloster gehört und die Mönche den Bauern Land und Wald genommen hatten, so müsse er sehen, den Gevattern zu helfen, einmal würde das alles den Bauern vielleicht doch wieder zufallen. Die Bauern waren ihm gewogen und brachten aus Polpenki und Mylinka ihr Korn auf die Klostermühle, wo Vater Mawrikij acht darauf gab, daß es sorgfältig gemahlen wurde. Und als seine Söhne herangewachsen waren, griff er ihnen bei der Wirtschaft unter die Arme, durch Geld – er erhielt einen kleinen Prozentsatz vom Mahlgelde – und Mehl und Gemüse aus seinem Gemüsegarten auf Klosterland. Auch mit den Bauern schloß er bei einer Flasche Schnaps Geschäfte ab – sie zahlten ihm über das Mahlgeld hinaus eine Kopeke für jedes gemahlene Pud Korn. Er hatte es verstanden, im Laufe der Jahre die Leitung der Mühle ganz an sich zu bringen. Zum ersten Male hatte sich der Abt eine Bemerkung erlaubt, und Vater Mawrikij hätte ihm schärfer geantwortet, wenn ihm nicht eingefallen wäre, daß der Abt jetzt an der Macht stand und bei der Kirchenobrigkeit gut angeschrieben war. So gab er ihm stumm das Geleit, spuckte ärgerlich hinter ihm aus, rief aber dann den Novizen zu, sie möchten die Siebe ausbessern und in die Sonne hängen.

 

Als der Ingenieur Drakin die Leiche der Verunglückten aus dem Kloster abgeholt hatte, war Vater Polykarp in seiner Zelle geblieben, die er zwei Tage lang nicht verließ. Er schickte Boris auch nicht nach den Mahlzeiten und nahm in dieser Zeit nichts zu sich. Schließlich erschien Vater Xenophont, den Boris nicht abzuweisen wagte.

Vater Xenophont trat ein, blickte erstaunt auf seinen Kollegen, der mit starren, schwarzumränderten Augen, die durch das Fasten und die schlaflosen Nächte noch tiefer in die Höhlen gesunken waren, auf dem Diwan lag, schlug die Hände zusammen und suchte ihn aufzurichten.

»Was ist mit dir, lieber Freund?! Siehst du, auch deine Nerven haben dich einmal im Stich gelassen! … Aber das ist gar nicht schön, man soll sich nicht gehen lassen, mein Teurer! Sieh mich an – was auch geschehen mag, nie lasse ich den Kopf hängen! Das Reich Gottes ist in uns, du aber wartest auf das kommende Reich und schaffst an ihm! Sollte es möglich sein, daß der Tod einer Frau dich wankend gemacht hat, mein Teurer? … Ich dachte, du wärest stärker als das Leben …«

Es war nicht ganz klar, ob Vater Xenophont über seinen Freund lachte oder ob das unerschütterliche Lächeln auf seinem Gesicht nur ein Ausdruck seiner überströmenden Gutmütigkeit war. Er erinnerte sich der Verstorbenen als junges Mädchen, das in die Akademie gekommen war und ihn nach dem Studenten Lasarew gefragt hatte. Er hatte sie gleich wiedererkannt, als die Verunglückte fortgetragen wurde, war aber nicht auf Vater Polykarp zugetreten, sondern hatte nur gelächelt. Nun war er gekommen, um festzustellen, wie ihr Tod auf den Mönch gewirkt habe, doch ließ er nicht durchblicken, daß er Frau Kostizina erkannt hatte. In seiner Frage, ob der Tod einer Frau ihn wankend gemacht habe, lag ein Vorwurf – von dem verschlossenen, unnahbaren Mönch mit seiner Theorie von dem kommenden Reich hätte man erwarten können, daß er jedem Schicksalsschlag gewachsen sei, machte er doch den Eindruck, als würde er auf seinem Wege selbst vor christlicher Grausamkeit nicht zurückschrecken. Vater Xenophont entsann sich noch sehr gut, wie sein Kollege bei der Verteidigung seiner Magisterdissertation erklärt hatte – zum großen Befremden der geistlichen Obrigkeit –, daß das kommende Reich Christi nur für den Gläubigen, für seine Jünger und Anhänger bestimmt sei, ihnen bringe es ungetrübte Freude am Guten, am Nichtwiderstreben, vollkommene Liebe zum Nächsten, der Nächste sei aber nur derjenige, der sich zu der Lehre vom kommenden Reich bekannt habe, alle übrigen seien Feinde, Unkraut, das man mit den Wurzeln ausreißen und ins Feuer werfen müsse. Xenophont hielt Vater Polykarp für seinen Freund, weil er sich mit ihm beständig wegen seiner Lehre vom kommenden Reich stritt, die er für eine Jesuitenlehre innerhalb der griechischen Orthodoxie hielt. Vater Polykarp war überzeugt, daß Xenophont unrecht habe, denn das Jesuitentum bringe die Knechtung von Leib und Seele mit sich, das kommende Reich hingegen Freiheit und Gleichheit im Geiste und im Leben. Und als Polykarp nach Erlangung der Magisterwürde Mönch wurde und dazu fanatischer Anhänger der Kirche, fast wie ein Asket lebte, konnte Xenophont ihn nicht mehr verstehen und suchte herauszubekommen, wieso kirchlicher Fanatismus und Polykarps kommendes Reich sich zusammenreime. Vater Polykarp erriet, daß Xenophont hierbei insgeheim seine eigenen, ihm feindlich gesinnten Absichten verfolgte, und hielt ihn seinerseits für einen abgefeimten Jesuiten besonderer Art, rein russischer Herkunft, für einen Jesuiten, der ein treuherziges, gutmütiges Wesen zur Schau trug, immer heiter, sorglos und guter Dinge war, vor jedem sein Inneres restlos auszuschütten schien, während im Grunde seines Wesens Lüge, Verrat und russisches, skrupelloses Strebertum nisteten. Er trat an jeden heran, der ihm über den Weg lief, nahm von anderen, was ihm selbst fehlte, war immer bereit, dem Nächsten, dem Freunde, etwa ihm, Polykarp, den Vortritt zu lassen, um im günstigen Augenblick, lächelnd und sich fröhlich die Hände reibend, dem Freund von gestern den Dolch in den Rücken zu stoßen und sich auf seinen Platz zu schwingen.

Vater Polykarp erhob sich schnell und wehrte Xenophonts Umarmung ab.

»Der Tod drückt dem Überlebenden immer seinen Stempel auf, der Sterbliche vermag nicht, ruhig an ihm vorüberzugehen. Er lenkt die Gedanken auf das eigene Ende.«

»Ja, ja, gewiß, bloß … Ich habe keine Zeit, um derartigen Gedanken nachzuhängen … Du hast es gut, mein Teurer, du gehörst dir selbst …«

»Was hindert dich daran?«

»Du bist frei und glücklich, lieber Freund, ich aber muß Predigten ausarbeiten, Aufsätze für geistliche Zeitschriften schreiben, bis zur Heiserkeit, bis zur Bewußtlosigkeit mit Sektierern streiten! Du hast es gut, hast deine Tätigkeit, ich muß reden und schreiben, das ist so ungeheuer verantwortlich! Du, lieber Freund, hast nur einmal geschrieben, deine Dissertation, und damit die Kirchenväter arg vor den Kopf gestoßen, und dann bist du zur Tat geschritten, während ich endlos schreiben, reden, streiten muß …«

»Ich verstehe und liebe nicht zu reden. Viele Worte machen, darin liegt nicht die Rettung.«

»Weißt du, weshalb ich zu dir gekommen bin? Ich würde gern in den Wald gehen, allein schickt es sich nicht recht, komm mit, sehen wir uns diese – wie nennen sie es doch gleich? – diese Königstanne an … Jedes Kloster hat seine eigene Schönheit und Heiligkeit … Du warst gewiß noch nicht da?«

»Doch, ich kenne hier alles.«

»Verzeih, lieber Freund, verzeih, daran hatte ich nicht gedacht!«

Sie gingen zusammen nach der Einsiedelei des Starez, wo die Wallfahrer in langer Reihe vor dem Fensterchen anstanden, aus dem ein Mönch Holzspäne herausreichte, hinter ihm hobelten zwei Novizen, schweißbedeckt und rot im Gesicht, die Späne von Tannenbrettern ab und tranken zur Erfrischung Kwas, der in einem Kruge neben ihnen stand.

»Väterchen, ich möchte noch welche haben, sei schon so gut, gib mir noch ein paar Späne …«

»Da mußt du noch einmal anstehen.«

Die Bäuerin stellte sich folgsam an das Ende der Reihe und wartete geduldig, bis die lange Kette vor ihr immer kürzer wurde, sie schließlich wieder vor dem kleinen Fenster stand und ein paar goldgelbe nach Harz duftende Holzringel erhielt.

»Fürwahr ein Wunder Gottes – unversehrt, wie neu!«

Ringsum scharrten fromme Hände zwischen und unter den Wurzeln Sand hervor und schütteten ihn in kleine Säckchen als Heilmittel gegen Kopfschmerzen und sonstige Gebrechen.

Vater Xenophont war gerührt und entzückt über diesen einfachen kindlichen Glauben und sagte zu Polykarp:

»Ich sehe, ich sehe, lieber Freund, was du hier alles vollbracht hast – um des kommenden Reiches willen! Wie trüb ist mein Los dagegen – reden, streiten, überzeugen …«

Vater Polykarp schritt meist schweigend, mit gefurchten Brauen, neben ihm einher, hier und da einen kurzen Satz einwerfend. Er sah noch immer die Sterbende vor sich, hörte ihre letzten, hingehauchten Worte über ihre Liebe, die in sein erstarrtes Herz nicht eingegangen waren, wenn auch seine Seele in die Vergangenheit schwebte, in die Zeit der eigenen Qual. Auch der verächtende Blick des hohen, hageren Mannes mit dem glattrasierten Gesicht, der im Auto gekommen war und ihn um Freigabe der Leiche ersucht hatte, kam ihm in den Sinn: der war auf seine Weise vielleicht ein ebenso streng aufrechter Mann, der mehr von sich als von anderen forderte, wie er, Polykarp, einer zu sein bestrebt war.

 

Bis in den Herbst hinein besuchte Vater Xenophont oft den schwarzen Mönch, war von bezaubernder Freundlichkeit, redete ohne Ende, doch fehlte seinen Worten ehrliche Aufrichtigkeit. Vater Polykarp schritt meist stumm an seiner Seite durch den Wald, er traute ihm nicht, schwieg sich über seinen Traum von dem kommenden Reich aus, antwortete auf alle Fragen des Vaters Xenophont:

»Du bist ja bereits unterrichtet …«

»Sage mir, lieber Freund, könnten wir nicht gemeinsam nach Wegen zu diesem kommenden Reich suchen? Ich sehe, du mißtraust mir, argwöhnst wohl gar, ich sei von höherer Stelle hergesandt, um dir ein bißchen auf die Finger zu sehen? … Sprich dich doch aus mit mir, erkläre mir, wie du es eigentlich meinst, ich bin sicher, daß du mich dann ganz für dich gewinnst! Mir hat der Herr die Gabe des Wortes verliehen, du weißt gar nicht, was wir beide zusammen alles machen könnten – wir würden viele Anhänger finden, viele zu deinem Glauben bekehren …«

Oft gingen sie zur Mühle. Vater Polykarp stand schweigend auf dem Wehr und blickte lange auf das Spiegelbild der Kiefern und Fichten im Wasser, auf die weißen Sandbänke, die Wasserrosen mit ihrem goldenen Herzstück, während Vater Xenophont sich neben ihm in lautem Entzücken erging.

Zur Abendmahlzeit kehrten sie ins Kloster zurück.

 

Sie näherten sich dem Kloster, als die Glocke zum Abendessen rief. Vor den Herbergen liefen Wallfahrer erregt hin und her, Weiber weinten, als hätte sie unerwartet großes Leid betroffen. Vor den Anfahrten der Herbergen standen mehrere Klosterwagen, die Mönche blickten verstört den Abfahrenden und Abziehenden nach, der Abt sprach mit dem Herbergsvater, wobei er mit den Händen fuchtelte und oft auf einen rosafarbenen Anschlag an der Herbergstür wies. Weiber stammelten weinend:

»Ich werde den Lieben gar nicht mehr sehen, während ich hier bin, zieht er von Hause fort! …«

»Wie ist das nur so plötzlich gekommen! …«

Die Bauern redeten auf die Weiber ein:

»Na, mach' fix – beten kannst du nachher, wir kommen nicht mehr in den Zug –, in Haufen ziehen sie zum Bahnhof …«

Vater Xenophont lief eilig auf den Abt zu und durchflog die Bekanntmachung. Erregt eilte er zu Vater Polykarp zurück, und selbst sein Gesicht blickte verstört.

»Was ist geschehen?«

»Mobilmachung, lieber Freund! Und wir sitzen hier und haben keine Ahnung … Ich muß auch fort, als Feldprediger in mein Regiment. Ich muß dich verlassen, mein Teurer, will gleich meine Sachen packen … Aber wir sehen uns wieder, ich spüre dich schon wieder auf, sicher …«

Vater Polykarp begleitete Xenophont zu seiner Zelle und dachte heimkehrend, daß er nun vor dem lieben Freunde nicht zu flüchten brauchte – mit diesem Gedanken hatte er sich getragen, um den Schnüffler los zu werden – und sein Werk im Kloster fortsetzen könnte.

In seine Zelle tretend, sagte er zu Boris – zum ersten Male sprach er zu ihm von seinen geheimsten Gedanken:

»Es wird sich empören ein Volk über das andere, und ein Königreich über das andere, und werden sein Pestilenz und teure Zeit. Das muß zum ersten alles geschehen, ehe denn gepredigt wird das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt … Es wird überantworten ein Bruder den anderen zum Tode, und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich empören wider die Eltern, und werden sie helfen töten. Und ihr werdet gehaßt sein von jedermann um meines Namens willen. Wehe den Schwangeren und Säugerinnen zu der Zeit! Und so der Herr diese Tage nicht verkürzt hätte, würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen, die er auserwählt hat, hat er diese Tage verkürzt. Und dann wird er seine Auserwählten versammeln von den vier Winden, von dem Ende der Erde, von dem Ende der Himmel. Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen. Sehet zu: wachet und betet!«

Der Novize sah den Lehrer verwundert an.

»Weißt du noch von nichts?«

»Nein, mein Lehrer.«

»Die Mobilmachung ist angeordnet, es gibt Krieg – in ganz Europa.«

»Gott! …«

»Klaget nicht, sondern freuet euch, denn solches bringt uns das kommende Reich näher.«

 


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