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2

Der Sommer flog schnell dahin, die kleine Fenja merkte es gar nicht, wie der Herbst allmählich herankam. Sie beobachtete die täglich in ihr vorgehenden Veränderungen, hatte nur wenig für ihre Bekannten übrig, blickte nicht mehr wie früher in Männeraugen, Ausschau haltend nach einem Wechselstrom jugendlicher Sprühfunken. Sie spürte das Reifen in sich, das Erwachen der Liebe zu dem zukünftigen kleinen Geschöpf, lauschte beim Einschlafen in sich hinein in der Erwartung seiner ersten Regung: etwas Besonderes, Geheimnisvolles, Unaussprechliches schien ihr in diesem Augenblick zu liegen. Zuweilen blickte Kirill Kirillowitsch zu ihr ins Zimmer, leicht erregt nach dem Arbeitstag, und lud sie zu einer Spazierfahrt ein. Statt der englischen Pferde war ein lautloses Auto und statt des hünenhaften Kutschers ein untersetzter, mürrisch blickender Chauffeur in Erscheinung getreten, der Lederkappe und Lederjoppe trug, schweigsam und gesammelt war.

Fenjas Mutter Antonina Kirillowna mischte sich nicht in die geschäftlichen Dinge, sie sah, daß jedes Jahr mehr Leute eingestellt wurden und die Zahl der Gebäude unablässig wuchs – also wuchs auch ihr Kapital, und das genügte ihr. Sie hatte ihrem Bruder unbegrenzte Vollmacht erteilt und widmete sich der Herstellung von Konfitüre, eingemachtem Gemüse, Gebäck, im Winter aber besuchte sie eifrig die Kirchen und empfing des Abends Nonnen in ihrer Hälfte des Hauses, trank mit ihnen Tee und ließ sich die Stadtneuigkeiten erzählen.

Es wurde gemunkelt, Kirill Kirillowitsch habe ein Verhältnis mit Frau Kostizina, der Gattin des Vorstehers der Gouverneurskanzlei, die auf einem Ball im Adelsklub den ganzen Abend mit ihm geflirtet hatte. Sie verkaufte Champagner – es war eine wohltätige Veranstaltung – und drückte ihr Bedauern darüber aus, daß die Nichte des Ingenieurs an dem Abend nicht teilnehme und ihn nicht durch ihre Anwesenheit schmücke. Um dem Ingenieur die Abwesenheit der kleinen Fenja weniger fühlbar zu machen, stellte ihm Frau Kostizina Sina Belopolskaja vor, auch eine angehende Studentin, ein schlankes, schmales junges Mädchen, noch ganz unentwickelt, mit dunklem Haar und den eckigen Gesichtszügen eines Backfisches. Sie lächelte ihm bei der Vorstellung scheu zu und schritt nach dem Tanz an seinem Arm wie eine Erwachsene durch den Saal zu dem Verkaufsstand zurück. Sie tanzte danach nicht mehr, hielt sich vielmehr an der Seite der Frau Kostizina, ebenso wie der Ingenieur, der für jedes Glas Champagner, das er und die traurig blickende Dame leerten, mit einem Hundertrubelschein zahlte. Dann brachten Kirill Kirillowitsch und Frau Kostizina das junge Mädchen nach Hause, wonach er noch lange mit der Dame im Auto in der Stadt und der Umgegend spazieren fuhr; das gab Veranlassung zu dem Gerücht, daß die beiden sich liebten. Im Sommer war Frau Kostizina nicht in der Stadt, und Fenja konnte nichts Genaueres erfahren; ihren Onkel danach zu fragen, scheute sie sich.

Drakin fuhr oft mit seiner Nichte zur Stadt hinaus, setzte sich selbst ans Steuer und schlug ein tolles Tempo ein. Fenja saß neben ihm, und die Hupe in ihrer Hand heulte, von kurzen Hustenanfällen und knarrender Heiserkeit zuweilen unterbrochen, die ganze Zeit. Ihr Onkel blickte angeregt, schrie der kleinen Fenja, ohne den Blick von dem Weg vor sich wegzuwenden, etwas Unverständliches zu, Fenja drückte laut lachend auf die Hupe und schrie ihrerseits ihrem Onkel etwas zu, was ebenso unverständlich blieb. Der Wind strich ihr pfeifend übers Gesicht, schwenkte ihren flatternden blauen Schleier hin und her, der den Ingenieur am Steuer zuweilen streifte; dann prustete Kirill Kirillowitsch, schrie Fenja wieder etwas zu und beschleunigte noch die Geschwindigkeit.

Ermüdet von der tollen Fahrt, machten sie irgendwo in einem Dorfe oder vor dem Häuschen eines Bahnwärters halt, tranken Milch oder aßen Rührei bei einem Bauern und kehrten zum Abendessen nach Hause zurück.

Oft setzte sich auch Fenja ans Steuer; es war ihr ein Genuß, den Wagen zu lenken, schien ihr doch, als sei die Maschine ebenfalls ein lebendiges Wesen, das atmete, bebte und sich schmiegsam ihrem Willen fügte. Allmählich wurden ihre Hände fest und sicher, und die Ermattung nachher empfand sie angenehm. Drakin ließ die Augen links und rechts über das offene Land schweifen, musterte mit geübtem Blick die Hanffelder, rechnete in Gedanken das wahrscheinliche Ernteergebnis aus. An den warmen, fast heißen Juliabenden war der Duft des blühenden Hanfs bitter und süß und schwer wie ein Kuß, der berauscht und lähmt, und zuweilen so betäubend, daß ihr schwindelig wurde; eine leichte, angenehme Übelkeit überkam sie, ihre Hände sanken vom Steuer, und einen Augenblick blieb der Wagen sich selbst überlassen, bis Kirill Kirillowitsch hastig das Steuer packte.

»Was stellst du an? … Lenken sollst du! Um ein Haar wären wir im Graben gelandet!«

»Ich kann nicht, Onkel … Dieser Duft steigt einem zu Kopf … Mir ist schlecht geworden.«

Drakin beschleunigte das bisher langsame Tempo, Fenja bat ihn mit verschleierten Augen langsamer zu fahren, damit sie sich an dem berauschenden Duft satt atmen könne.

»Lieber Onkel Kirja, langsamer, bitte; ganz langsam …«

Kirill Kirillowitsch knurrte, fuhr dann aber doch langsam.

 

In dieser Zeit der Hanfblüte rief Fenja des Morgens ihren Onkel oft im Kontor an. Der trockene Geschäftston des Ingenieurs wurde weich und freundlich, wenn er die helle, ein wenig singende Stimme seiner Nichte vernahm.

»Ja, ich bin's. Was gibt's?«

»Onkel Kirja, darf ich den Wagen haben? Ich möchte hinaus ins Grüne …«

»Du hast aber dem Chauffeur zu gehorchen, verstanden?«

»Ja, Onkel Kirja, du kannst ganz ruhig sein.«

 

Wenn sie aus der Stadt hinaus waren, setzte Fenja sich ans Steuer, fuhr langsam durch die Hanffelder, hatte sie sich aber an dem Duft satt gerochen, so schlug sie ein wahnsinniges Tempo an, suchte das Letzte aus der Maschine herauszuholen. Der Chauffeur geriet in Wut, schrie ihr ins Ohr, packte an den Wegkrümmungen das Steuer, sagte aber dem Ingenieur nie ein Wort davon. Zuweilen holte Fenja ihre Freundinnen Shurawlowa und Iwina und ein paar Studenten ab und brachte sie hinaus aufs Land. Auf der Chaussee flüsterte sie dem Chauffeur verstohlen zu: »Helfen Sie mir, es soll gehen wie der Wind!« Walja klammerte sich an Karpow an und quietschte vor Angst, die kleine Iwina haschte nach Fenjas flatterndem Schleier, zerrte daran und schrie:

»Ich fall hinaus, ich fall hinaus!«

Karpow, auch eines solchen Tempos ungewohnt, räusperte sich und spielte den Unerschrockenen.

»Das laß ich gelten, das nenne ich fahren! Das ist mir ein Chauffeur!«

Die ganze Gesellschaft kehrte in einem Dorf ein, wie der Ingenieur zu tun pflegte. Die Bauern umringten das Auto, staunten Fenja bewundernd an, die Weiber schüttelten den Kopf …

»Das ist mir eine – der wahre Kosak!«

Man fuhr weiter, machte Spaziergänge, kehrte erst gegen Abend heim. Fenja eilte – die Fabriksirene hatte noch nicht gepfiffen – aufs Büro ihres Onkels, legte ihm die Hände auf die Schultern, bat:

»Kommen Sie, Onkel Kirja, machen Sie Schluß für heute und bringen Sie uns irgendwohin zum Abendessen – wir sind so vergnügt!«

Kirill Kirillowitsch runzelte die Stirn, furchte die Brauen, strich sich mit der Hand über das Kinn, gab aber schließlich lächelnd nach.

»Meine Herren, wir machen Schluß für heute – der Sommer ist kurz.«

Die Angestellten nebenan klappten freudig ihre Bücher zu, Kirill Kirillowitsch schloß klirrend den Geldschrank, warf den Schlüsselbund in die Tasche, ließ den ersten Buchhalter kommen.

»Unsere junge Prinzipalin will heute bummeln! Sie ladet Sie und Ihre Herren heute abend zu einem kleinen Essen auf der Veranda des Kasinos im Stadtpark ein.«

Der glattrasierte Buchhalter ging ans Telephon, klingelte den Maitre d'hotel des Kasinos an:

»Herr Ingenieur Drakin und Fräulein Nichte werden heute in größerer Gesellschaft bei Ihnen speisen.«

 

Auf der Veranda des Kasinos wurden mehrere große Tische aneinander gerückt, und die Köche unten in der Küche entwickelten an solchen, immerhin recht seltenen Abenden eine emsige Tätigkeit.

Der Stadtpark, klein und gemütlich, lag am Ufer des Flusses, die Veranda des Kasinos erhob sich unmittelbar über dem steil abfallenden Ufer; im Garten spielte ein Symphonieorchester, das sich aus den Professoren und Schülern des Konservatoriums zusammensetzte.

Fenja und ihre Freundinnen holten ihre Bekannten, Studenten und Studentinnen, herbei, die ganze fröhliche Gesellschaft setzte sich zu Tisch, sprach wacker den Speisen zu, dankte dem Orchester mit stürmischem Applaus, trank alles, was vorgesetzt wurde, und alles, was der Nachbar bestellte, sang Studentenlieder, und der ganze Park wurde angesteckt von der lauten Fröhlichkeit der sorglos lustigen Jugend.

Die kleine Fenja nippte nur an ihrem Weinglas, das den ganzen Abend über nicht leer wurde, war aber ebenso vergnügt wie die anderen jungen Leute. Plötzlich kam ihr Petrowskij in den Sinn, sie schlug an ihr Glas, stand auf und sagte:

»Kommilitonen, wir dürfen in unserer Fröhlichkeit nicht jener vergessen, die in Sibirien Not leiden.«

Drakin furchte die Brauen, zog Fenja auf ihren Sitz zurück.

»Ich glaube, daß niemand unter uns ihrer vergißt; wir sind aber heute hier zusammengekommen, um fröhlich zu sein, nicht um politische Reden zu halten!«

Die kleine Fenja sprang wieder auf und erklärte:

»Onkel Kirja, ich will keine politischen Reden halten, verstehe das auch gar nicht – ich wollte nur vorschlagen, eine Sammlung unter uns zugunsten der Verbannten zu veranstalten.«

Rubelstücke und Fünfziger wurden hervorgeholt und auf einen Teller gelegt, Drakin deckte einen Hundertrubelschein darüber, und Fenja steckte alles in ihr Täschchen. Am nächsten Morgen überwies sie die Summe an Nikodim Petrowskij.

 

Auf dem Heimwege nach einem jener Autoausflüge zu zweien, schenkte ihr der Ingenieur einen kleinen vernickelten Damenrevolver. Er hielt an, stieg aus und forderte Fenja auf, sich im Schießen zu üben. Sie war zuerst äußerst erstaunt, freute sich aber dann über das glitzernde Ding.

»Ich verstehe nur nicht, warum Sie mir das schenken, Onkel? Was soll ich damit?«

»Die Waffe soll dir zum Selbstschutz dienen, Fenja. Du fährst oft allein weit ins Land hinaus, nur vom Chauffeur begleitet, man soll sich im Leben aber nur auf sich selbst verlassen und seinen Mann stehen können. Sicher ist sicher. Man kann nie wissen.«

Die Waffe, klein, aber von ausgezeichneter Arbeit, schoß fast ohne Rückstoß; gleich bei dem ersten Versuch gelang es Fenja nach einigen Fehlschüssen den Telegraphenpfosten zu treffen, auf den ihr Onkel ein Stückchen feuchter Erde aus dem Graben geklebt hatte.

Als sie weiter fuhren und sich bereits dem Hause näherten, sagte Fenja:

»Wissen Sie, Onkel, nun könnte ich auch ganz allein fahren, ohne Chauffeur; ich fahre schon ganz sicher, und einen Schutz habe ich ja jetzt.«

»Du brichst dir noch den Hals!«

»Wenn ich allein bin, werde ich schon vorsichtig sein und nicht schnell fahren.«

 

Nach einigen Tagen erhielt Fenja von ihrem Onkel auch eine Lederjoppe und eine Lederkappe.

So machte denn Fenja allein weite Ausflüge im Wagen; sie genoß die Einsamkeit. Allein am Steuer fühlte sie sich selbständiger werden; sie wußte, daß niemand ihr beispringen würde, wenn sie den richtigen Augenblick einer Wendung verstreichen ließ, niemand ihr bei einem Fehlgriff das Steuer aus der Hand reißen würde – da hieß es mit unablässig gespannter Aufmerksamkeit Gang und Richtung verfolgen, bedacht lenken, sich in den Motor hineinfühlen. Aufmerksam tastete ihr Blick durch das Glas von ferne jede Krümmung des Weges, jede Unebenheit des Bodens ab, und ihr war, als fühle sie ihren Willen sich täglich stählen. Allmählich wich der Ausdruck der Spannung aus ihren Augen, ihr vorwärts gerichteter Blick wurde still und nachdenklich, voll Genuß lauschte sie auf die gleichmäßigen Atemzüge des Motors; sie fühlte sich eins werden mit der Maschine, die sie schließlich fast unbewußt beherrschte wie ihre eigenen Bewegungen.

Während eines Vormittagsausfluges aß sie Frühstück bei einem Bauern, bei dem sie einmal zusammen mit ihrem Onkel eingekehrt war. Der Bauer sagte:

»Diesmal sind Sie allein, ohne Ihren Onkel … Seine Dame will wohl nicht, daß er mit Ihnen fährt?«

»Welche Dame?«

»So eine hübsche, junge, mit dunklem Haar …«

Das konnte nur Frau Kostizina sein; also war es doch wahr!

 

Zuweilen suchte Fenja ihren Onkel in seinem Büro oder in der Fabrik auf und schritt mit ihm durch die Werkstätten; der rothaarige englische Techniker ging ehrerbietig in einiger Entfernung hinter ihnen her. Kirill Kirillowitsch erklärte seiner Nichte den Betrieb und geriet dabei allmählich in Eifer.

»Dir ist das etwas Fremdes und Fernes, für mich aber liegt ein Stück meiner Seele darin: es ist mein Werk, meine Schöpfung. Verstehst du, daß so etwas zu einer Leidenschaft werden kann? … Diese Fabrik ist ein großer komplizierter Organismus, der eine Seele und Nerven hat. Der Mensch muß eins werden mit der Maschine, sich als ein Teil der Maschine fühlen, das ergibt eine einheitliche Harmonie der Arbeit. Jede seiner Bewegungen muß dem schwingenden Rad entsprechen, daß sie zusammen ein Ganzes bilden, seine Spannung muß sich in den Rhythmus der Maschine einfügen, und je mehr er sich ihr anpaßt, um so zweckentsprechender verwertet er seine Energien; er soll nie eine unnütze Bewegung machen, jedes Heben der Hand, jedes Rücken des Körpers muß dem Gang der Maschine entsprechen. Du darfst nicht denken, daß eine solche Arbeit dem Menschen seine Individualität raubt, ihn selbst zum Mechanismus macht. Wenn er sich eins fühlt mit dem ganzen Arbeitsorganismus als ein Blutkörperchen, das das Ganze speist und aus diesem Ganzen seine verhundertfältigte Kraft zieht, so wird er seine Arbeit niemals als Last empfinden. Ja, gewiß, ich gehe auf Erwerb aus, ich brauche Geld, viel Geld, aber nicht die Anhäufung von Reichtum ist mein Ziel, sondern die Arbeit, die ich mit diesem Gelde leisten kann, der Weiterausbau meines Werkes. Ich will, daß meine Fabrik zum beherrschenden Mittelpunkt auf diesem Gebiete der Gütererzeugung wird. Ich sehe im Geist zahllose weitere Gebäude um diese herum emporwachsen, in denen Zehntausende von Arbeitern beschäftigt sind, Hunderte von Maschinen ihnen helfen, nutzbringende Erzeugnisse in die Welt zu schicken. Meinen Fachkollegen ist es ein Stein des Anstoßes, daß ich meine Arbeiter menschenwürdig behandle! Wer aber kann mir einen Vorwurf daraus machen, daß ich um das Wohl meiner Helfer besorgt bin? Ich habe ihnen eine Konsumgenossenschaft eingerichtet, wo sie billiger kaufen als sonstwo, eine Badeanstalt; sie haben ihre eigene Krankenkasse, ihre gemeinnützige Unterstützungskasse; eben wird der Bau einer Teehalle fertig, die ihnen zur Erholung und zur Zerstreuung dienen soll. Ich will, daß dieser Arbeitsorganismus ein einheitliches, gesichertes Leben lebe, daß sein Blutkreislauf gesund ist, daß die aufgespeicherte Energie in immer weitere Bahnen geleitet und nichts nutzlos vergeudet wird. Ich, ein Industrieller, ein Kapitalist, wie man so sagt – ich tue vielleicht mehr für den wahren Sozialismus als die geschworenen Sozialisten selbst! Ja, wenn es sein muß – und sein kann, ohne dem Werke zu schaden –, bin ich bereit, morgen ihnen das alles in die Hände zu geben, niemals aber, um keinen Preis, könnte ich aus freiem Willen meine Idee, mein Werk aufgeben, ich gehöre zu ihm, es ist aus mir gewachsen und mit mir verwachsen. Und dieses Bewußtsein, das Bewußtsein dessen, daß dies meine Schöpfung ist, die Frucht meiner Arbeit, Ziel und Zweck meines Lebens – das ist mir tausendmal wertvoller als der Gewinn, den das Werk mir gibt. Und wieviel verbrauche ich denn für mich persönlich? So gut wie alles, was einkommt, wird wieder zurückgeführt zum Weiterausbau und zur Verbesserung des Betriebes. Die Bezeichnung ›Kapitalist‹ ist mir geradezu unangenehm, sie entspricht keineswegs der wirklichen Lage der Dinge; in Wirklichkeit bin ich nichts weiter als der erste Angestellte dieses Werkes, der dafür aber auch die größte Arbeits- und Verantwortungslast trägt. Ein Schlemmerleben zu führen, Verschwendungssucht liegen mir fern – liegen unsereinem überhaupt fern –, und das wäre auch gar nicht möglich: das würde mein Schaffen, also Sinn und Zweck meines Daseins untergraben, und meine Arbeiter würden sich von mir abwenden, meine Idee eines werktätigen Lebens und Schaffens würde also in sich zusammenbrechen.«

»Aber, Onkel Kirja, bin ich denn keine Verschwenderin?«

Drakin lachte bei der naiven Frage seiner Nichte laut auf.

»Wenn du zehnmal so viel ausgäbest, könnte man kein Wort darüber verlieren. Es kommt nur darauf an, daß du dein Geld, das Erzeugnis fremder Arbeit, nicht sinnlos verschleuderst. Durch jede Kopeke, die du nutzlos verschwendest, begehst du in meinen Augen ein Verbrechen, denn das hieße, daß du keine Achtung vor der arbeitenden Menschheit hast.«

»Ich schicke aber doch Geld an Nikodim und helfe ihm dadurch, gegen Sie zu kämpfen.«

»Na, ich denke, daß Nikodim Alexandrowitsch und ich nicht nur Freunde sein, sondern auch zusammen arbeiten werden.«

»Wirklich, Onkel Kirja?«

»Wie gesagt, ich bin ja nicht Kapitalist, sondern nur Arbeitsorganisator; meine Arbeit besteht darin, daß ich anderen Menschen Arbeitsmöglichkeiten schaffe: warum sollte er mir dabei nicht behilflich sein?«

Das Gesicht des Ingenieurs war erregt, in seinen Augen – was an ihm überraschte – flammten jähe Funken auf; während er sprach, holte er mit dem Arm weit aus, als könnte ein Wink seiner Hand zahllose Fabrikgebäude aus dem Boden zaubern und diesen ganzen wimmelnden menschlichen Ameisenhaufen ins Unendliche anwachsen lassen.

Die kleine Fenja hatte ihrem Onkel Kirja aufmerksam zugehört, und seine Erregung teilte sich ihr mit; hingerissen sagte sie:

»Onkel Kirja! Ich liebe Sie … Sie sind so anders als sonst, so jung …«

Er geleitete sie zum Tor hinaus, legte den Arm um ihre Schultern.

»Das kommt daher, meine kleine Fenja, weil du anders geworden bist, mit anderen Augen die Welt betrachtest, mit dem Blick des Erwachsenen – da sieht man mehr.«

 

Eines Abends, als Kirill Kirillowitsch sie zu einem Festabend abholen kam, sagte sie:

»Danke, Onkel Kirja, aber ich bleibe lieber zu Hause.«

»Warum, Fenja?«

»Ich gehöre jetzt nicht mir selbst …«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Ich gehöre nicht mir selbst, denn ein anderes Wesen, ein neuer Mensch lebt in mir, der noch ich selbst bin, und den will ich vor Aufregung bewahren.«

Sie sagte es klar und schlicht. Drakins glattrasiertes Gesicht blickte ernst und besorgt. Fenja fürchtete Fragen und fuhr fort:

»Ich glaube, im Januar bekomme ich ein Kind … Ich habe es so herbeigesehnt! Sein Vater ist der, den ich liebhabe, Onkel. Und Sie sollen Taufpate sein …«

»Jetzt verstehe ich, warum du so einen erwachsenen Eindruck machst. Ich freue mich mit dir, meine kleine Fenja … Weiß Mutter schon?«

»Ich will es ihr selbst sagen. Sie müssen mir aber in allem zur Seite stehen, Onkel Kirja … Er soll auch ein Blutkörperchen in dem großen Arbeitsorganismus sein, nicht wahr, Onkel Kirja?«

 

Im Herbst reiste Fenja nach Petersburg. Ihre ruhige Klarheit machte auch ihre Tage ruhig und klar. Des Abends, nach den Vorlesungen, schrieb sie oft Briefe an Nikodim; auf eine Antwort von ihm hoffte sie nicht mehr.

Gespannt, freudig erregt wartete sie auf die erste Regung des in ihr keimenden Lebens. Wurde diese Erwartung gar zu stark, so verließ sie das Kolleg und ging in ein Museum. An den Werktagen waren hier nur wenige Menschen, die endlosen Säle lebten ihr eigenes Leben. Sie blieb hinter kopierenden Schülern der Akademie stehen, sah ihnen zu, tauschte ein Lächeln aus und schritt weiter, zu ihrem geliebten Bilde »Christus auf der Insel Patmos«: reife Weintrauben, eine glühende Sonne, Wein und zärtlichkeitstrunkene Freude, straffe Glieder, die unter dem Bronzehauch des Sonnenbrands wie aus Metall, dem edlen Metall ewigen Lebens gegossen schienen und in der Umarmung weiblicher Körper die Seligkeit der Liebe schlürften – der zornsprühende Blick des Asketen, die bekümmerten, gesenkten Gesichter der Jünger – lebensfremd, feindlich, bereit, das befruchtende Sprossen der Lebensfreude abzutöten. Ihr kam der Wunsch, selbst solch eine schwere durchsichtige Weintraube in die Hand zu nehmen, die Berührung jenes kleinen nackten Kinderkörpers auf ihren Armen zu spüren, dessen kleine Händchen verlangend nach den großen prallen Trauben griffen. Sonne, Wärme, heiße, fruchttragende Erde und Himmel! … So sollte auch ihr Kind sein, dachte sie träumerisch; allein das Empfinden seiner Nähe mußte einen in ein Lächeln der Glückseligkeit hüllen … Ihr Blick hing an den großen Augen des Kindes, das nach den Trauben langte, an den kastanienbraunen Ringellöckchen, als sie plötzlich tief Atem holte und eine Hand aufs Herz legte – in ihr hatte sich etwas geregt … Unruhig und klar hörte sie ihr Herz pochen, und aus ihren Händen, aus den Fingerspitzen ging eine Wärmewelle aus, die ihren ganzen Körper durchflutete, freudig und erregend. Der Stoß wiederholte sich noch einmal, ein befriedigendes Lächeln erstrahlte auf ihrem Gesicht, das von den weitgeöffneten Lidern auszugehen schien und sie wie ein leichter Hauch umhüllte. Lange lauschte sie stumm in sich hinein, wagte nicht, sich zu rühren, um den seligen Augenblick voll auszukosten; doch es geschah nichts weiter. Es war spät geworden, die Säle hatten sich geleert, der Museumsdiener, der eine Staffelei vorübertrug, hüstelte diskret, um die reglose Gestalt aus ihrer Versunkenheit zu wecken.

Die kleine Fenja lauschte jetzt immer in sich hinein. Die Stöße wiederholten sich regelmäßig jeden Abend, wenn sie, halb wachend, halb schlummernd, erwartungsvoll in ihrem Bette lag und von einem ebenso strammen Buben träumte, wie der auf jenem Bilde; dann lächelte sie freudig, beglückt.

 

Nach Ablauf der Weihnachtsferien blieb sie längere Zeit zu Hause, ihr Studium unterbrechend.

Die Geburt des neuen Menschenwesens blieb anfangs Geheimnis innerhalb des Drakinschen Hauses. Fenjas Mutter hatte schon damals, als ihre Tochter sie einweihte, darauf verzichtet, ihr Vorwürfe zu machen, oder die Empörte zu spielen. Seitdem das junge Mädchen in die neue Hälfte des Hauses zu ihrem Onkel übergesiedelt war, hatte sich das Leben ihrer kleinen Fenja von dem ihren getrennt; sie vertraute ihrem Bruder, seiner Kraft und Einsicht und seinem Einfluß auf ihre Tochter. Über den Kleinen, der nach seinem Vater den Namen Boris erhalten hatte, freute sie sich und nahm der jungen Mutter die Sorge um das Kind ab.

»Du bist jetzt selbst Mutter – da mußt du auch selbst entscheiden, wie es weiter werden soll.«

»Ich muß mein Studium beenden, Mama – sowohl um meinetwillen als auch um ihn, um meines kleinen Borja willen.«

»Das ist deine Sache, an Fürsorge soll es deinem Kinde nicht fehlen. So habe ich auch jetzt wieder jemand, für den ich sorgen kann, und brauche mich nicht mehr mit den langweiligen Nonnen abzugeben …«

Fenja blieb den Frühling und Sommer über bei ihrem Kinde. Im Herbst reiste sie wieder nach Petersburg. Sie schrieb jetzt nur selten an Nikodim, ließ ihm aber regelmäßig Geldüberweisungen zukommen. Petrowskij blieb stumm. Kirill Kirillowitsch war im Sommer nach Petersburg gefahren und hatte, ohne seiner Nichte gegenüber ein Wort darüber verlauten zu lassen, erneut Schritte im Ministerium unternommen, um Petrowskijs Befreiung zu beschleunigen; ein weiterer Scheck auf den Crédit Lyonnais hatte die Obrigkeit angespornt, und Drakin hatte die Versicherung erhalten, daß Schritte zur Rückkehr des verbannten Studenten unverzüglich unternommen werden würden.

 


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