Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. Buch.
Ein demütiger Mönch


1

Nach der Messe umringte die Bruderschaft ihren Abt Gerwaßij und bestürmte ihn mit Fragen über die Reliquien. Der buckelige Vater Doßifej drängte sich nach vorn, bohrte den Blick seiner stechenden Äuglein in das Gesicht des Abts und schnarrte:

»Wann denn, wann denn endlich? …«

»Ihr habt doch gehört – Seine Eminenz der Bischof hat es ja bei Tisch vor der gesamten Bruderschaft bekanntgegeben …«

 

Vater Gerwaßij zog sich in die Abtei zurück und schärfte dem flachsblonden Dienstbruder Kostja ein, niemand von der Bruderschaft vorzulassen. Er setzte sich auf den Lederdiwan, lehnte sich zurück; eine zentnerschwere Last war ihm von den Schultern gesunken, denn die hohen Gäste waren glücklich fort! Wie ein Eichhörnchen im Rad hatte er sich drehen und winden müssen, einen ganzen Monat lang, immer auf der Wacht, immer bemüht, es jedem recht zu machen. Keinen Augenblick der Ruhe hatte er gehabt, gar nicht mehr an sich und seine eigenen Angelegenheiten denken können! Nur seine gierigen Hände hatten sich nicht beirren lassen, hatten runde Sümmchen in die eisenbeschlagene Kiste gesteckt als Spargroschen für den Fall der Not, hatten dem Vater Haushalter reichliches Wirtschaftsgeld in die Hand gezählt, vor dem Bischof gezittert, vor Frau Kostizina gezuckt. Er müßte einmal alles ordentlich durchdenken, sehen, sich in all den Ereignissen zurechtzufinden, aber ihm war so wirr im Kopf! … Er dämmerte vor sich hin, dachte an den See – gegen seinen Willen schälte sich ein bedrückender Gedanke aus dem Wirrwarr heraus, der Gedanke an das peinliche Ereignis auf dem Vorwerk. Dieser Gedanke verdrängte allmählich alles andere, fraß sich in ihn; er sprang auf, ging erregt auf und ab, ballte wütend die Fäuste. Er wußte nicht, an wem er seinen Zorn, der sich zu einer ohnmächtigen Wut steigerte, auslassen sollte – er sah wieder Waßja den Blöden vor sich, die umgestürzte Milch, Arischas gequältes Gesicht, spürte den Geruch der angebrannten Grütze … Ihm schien, daß nicht Barmanskij der Schuldige sei, der das alles herbeigeführt hatte, sondern der Novize in der neuen Herberge, Boris Smoljaninow. Wenn der nicht gewesen wäre, wäre es vielleicht gar nicht zu dem ganzen Skandal gekommen. Er fürchtete, daß man in der Stadt darüber sprechen, daß der Klatsch weitere Kreise ziehen und mehr noch, daß in der Bruderschaft eine gehässige Stimmung gegen ihn aufkommen könnte – nicht umsonst hatte ihm Vater Doßifej so stechende Blicke zugeworfen. Abt Gerwaßij fühlte sich müde, wie zerschlagen, er wollte sich ausruhen und alles durchdenken – und da war nun diese Geschichte und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen! Er rief nach dem flachsblonden Dienstbruder.

Bruder Kostja trat lautlos ein, verbeugte sich und blieb an der Tür stehen.

Der Abt wollte eigentlich nach Smoljaninow schicken, sagte aber:

»Geh zum Starez Akakij und hol' mir den Blöden.«

Wieder begann er seine Wanderung von einer Ecke des Zimmers zur anderen; warf die hohe Mütze und die Soutane auf den Diwan …

Unterwegs bemühte sich Waßja den flachsblonden Kostja auszufragen:

»Was will er denn von mir? … Kostja, Liebster, du bist ihm doch nah, all sein Sinnen und Trachten muß dir ja bekannt sein – so rück' doch heraus mit der Sprache! … O ich kenne ihn ja, kenne ihn schon lange – er kann sich nicht verbergen, kann nicht fliehen vor dem Zorn des Gerechten, der Zorn des Herrn ist über ihm, das quält ihn, er aber sucht alles auf andere abzuschieben, kann es nicht tragen, kann es allein nicht tragen … All seine Sünden und die Heimsuchung … Ach, Nikoluschka, ein Märtyrer bist du, wahrlich ein Märtyrer unter der strafenden Hand des Allmächtigen …«

Immer schneller ging Waßja, je mehr er sich der Abtei näherte. Bruder Kostja suchte in demütigem Flüsterton auf ihn einzusprechen.

»Vater, eilen Sie nicht so, Vater! … Der Vater Abt ist in großer Erregung …«

»In Erregung ist er? In großer Erregung? … Er ist vom Satan besessen, der Satan peinigt Nikoluschka. Herr, zu dir flehe ich um Hilfe, Rettung, Gnade! …«

Der Dienstbruder wagte es nicht, mit der Meldung zum Abt hineinzugehen; er ließ Waßja voran, zog die Haustür hinter sich zu, schob den Riegel vor und blieb im Vorzimmer.

Abt Gerwaßij hörte Waßjas schlürfende, hastige Schritte und blieb vor der Tür seines Zimmers stehen; er spürte, wie der Zorn in ihm aufstieg und das Blut in Händen und Gesicht hämmerte.

Ein Gebet vor sich hermurmelnd, stieß Waßja die Tür auf und stürzte ins Zimmer, wobei er fast mit dem Abt zusammenprallte; wütend versetzte ihm Vater Gerwaßij einen Schlag auf die Stirn und fuhr ihn barsch an:

»Was ist mit dir? Bist du ganz verrückt geworden?«

Verwirrt blinzelte Waßja mit den Augen, stieß einen heiseren Ton aus, seine langen Arme hingen hilflos herab.

»Auf die Knie! Nieder auf die Knie! …«

Die ganze Gestalt des Blöden schlotterte, seine Knie stießen mit einem kurzen, trockenen Laut gegen die Bohlen, er starrte den Abt mit heftig blinzelnden Augen an, wobei er sich gleichzeitig duckte, als fürchtete er, Vater Gerwaßij könnte ihm wieder einen Schlag versetzen und diesmal nicht mehr gegen die Stirn, sondern hinter die Ohren, weshalb er den zurückgeworfenen Kopf tief in die Schultern einzog, so daß er mit gekrümmtem Rücken und vorn hervorquellendem Halse auf dem Fußboden kauerte. Aufmerksam verfolgte er jede Bewegung des auf und ab gehenden Abts und wich jedesmal, wenn der Abt an ihm vorbeikam, mit dem Oberkörper schaukelnd weit zurück.

»So weit hast du dich vergessen? So weit vergessen?!«

Waßja stammelte heiser:

»Nikoluschka – was hast du nur, Nikoluschka? …«

»Für dich bin ich Abt! Für alle bin ich der Abt … Verstanden?!«

Er machte wieder eine Runde durchs Zimmer, blieb dann vor Waßja stehen, beugte sich hastig zu ihm hinab, schrie:

»Was erlaubst du dir?«

Der Blöde rang die Hände, schlug sie vor das Gesicht, wich zur Seite aus, duckte den ganzen Körper gegen den Boden und stammelte bebend und schluchzend:

»Herr Allmächtiger und alle Heiligen, Herrgott im Himmel!«

»Schweig, Satan! Hör', was ich sage! Wenn du es jemals wagst, wenn du je auch nur einen Ton davon verlauten läßt, was auf dem Vorwerk geschehen ist, so … In der Kellerzelle der unterirdischen Kirche sperr' ich dich ein! Verstanden?«

Noch leiser, stockender – es war kein Flüstern mehr, es war ein heiserer, pfeifender Hauch – stotterte Waßja:

»Ich war es nicht, der Herr ist mein Zeuge, ich war es nicht!«

»Wer dann? Wer? Rede!«

»Jener hagere Herr – der hat mich wirr gemacht …«

»Du Satan! … Wer hat dir verboten, auch nur einen Augenblick von der Seite des Starez zu weichen, auch nur einen Schritt aus der Einsiedelei zu machen? Wer hat dir das strengstens untersagt? Das weißt du wohl nicht mehr? Hast es vergessen? … Jetzt weißt du von nichts mehr? … Starez Akakij ist von engelgleicher Milde und Güte, und du? Wie dankst du mir, daß ich dich bei ihm untergebracht habe? … Jetzt kommst du mir zu Vater Doßifej, mag er auf dich aufpassen! … Wenn du aber je ein unehrerbietiges Wort über deinen Abt sagst, so sollst du bei lebendigem Leibe im Keller verfaulen! … Du bildest dir ein, ein Blöder zu sein – ein Auswurf der Menschheit bis du, ein Aussätziger! Die verbissene Wut eines Aussätzigen steckt in dir. Die Ohren hat man dir vollgesummt – ein Blöder, heilige Einfalt! … Zu gut war ich zu dir! Paß du mir aber auf … Ich kenne dich nicht erst seit gestern! Mit Stricken laß ich dich binden und in den Keller werfen! …«

Waßja lag auf den Knien, wiegte und krümmte den Oberkörper, die Strähnen seines spärlichen Bärtchens wogten hin und her, er zwinkerte unaufhörlich mit den Augen, und die ganze zusammengekauerte Gestalt zuckte und bebte. Er hörte dem Abt ergeben zu, dachte aber bei sich: Du tust Buße und geißelst dich selbst, Nikoluschka, willst den Satan in dir bezwingen, der aber springt und hüpft nur so in dir, und nicht du läufst ruhelos im Zimmer hin und her – der Satan hüpft und tanzt in dir, jauchzt über deine Verderbtheit, du aber denkst, es sei dein Blut, das in dir kocht und brodelt und nicht weiß, wohin in seinem Ungestüm; kannst dich nicht bezwingen, wie es dem Mönch geziemt, der sich von der Welt abgewandt hat … Die erschrockenen Augen des Blöden huschten hinter dem auf und ab schreitenden Abt einher, scheu funkelte zuweilen listige Verschlagenheit aus ihnen. Dann hätte niemand gemeint, einen Blöden, einen einfältigen Narren vor sich zu haben, und vielleicht war er das auch gar nicht, sondern gab sich nur den Anschein, als wäre er schwachsinnig – es war vorteilhafter, so wagte niemand ihn anzurühren, Forderungen an ihn zu stellen, ihn zu verurteilen, und selbst Nikolka, sein alter Freund, drohte ja bloß nur, wohl wissend, daß die Bruderschaft für ihn eintreten und nicht gestatten würde, einen Geistesschwachen zu strafen. Vielleicht wußten auch die Mönche, daß Waßja nicht ganz so blöde war, wie er sich gab, sie schwiegen aber, weil er als Sehenswürdigkeit galt und viele Pilger ins Kloster lockte. Darum wurde er oft dem Pförtner, dem strengen Vater Awraamij anvertraut – im Torweg fiel er den Leuten ins Auge, und seine blödsinnigen Ausrufe und Litaneien stürzten die ländlichen Wallfahrer in Entsetzen und Rührung. Als die hohen Gäste im Kloster weilten, hatte man ihn auch nicht einem einfachen Mönch in Obhut gegeben, der mit Waßja schon fertig geworden wäre und ihn in sicherem Gewahrsam gehalten hätte, sondern dem als halben Heiligen geltenden Starezen Akakij, meinte man doch, daß dieser in seiner Allgüte und seiner grenzenlosen Nachsicht, die alles und allen vergab, und der Blöde, der das Strafgericht des Himmels auf die Menschen herabbeschwor, sich in ihrer heiligen Einfalt berührten. Da im Kloster keine Skimniki – Mönche strengster Ordnung – geduldet wurden, durften die Wallfahrer bis zur Abendmesse den Starez Akakij in seiner Einsiedelei aufsuchen. Gegen die Skimniki waren sowohl die jungen als auch die alten Mönche, denn in einem Kloster, das solche Asketen beherbergte, wurde die Klosterregel in aller Strenge befolgt, da durften die Mönche die Pilger in den Herbergen nicht besuchen und mit ihnen Tee und süße Liköre trinken; ein solches Kloster durfte auch nicht reichen Kaufmannsfrauen als Sommerfrische dienen. Auf Waßja den Blöden und Akakij den Weisen war das Kloster stolz, weil es diese Gerechten, diese Seher und Deuter der Menschenseele in seinen Mauern beherbergte. Doch in der letzten Zeit war das Bestreben aufgekommen, die Bedeutung des Starez und des Blöden nicht so hervorzuheben, denn nicht ihren Ruhm sollte das Gerücht in alle Welt tragen, sondern den Ruhm des Klostergründers Simeon von Belobereshsk. Jetzt scharte sich die Menge den ganzen Tag um die alte Kathedrale, die vor der Abtei, neben dem Speisesaal lag; hier, vor der Grabstätte des Starez Simeon wurden vom frühen Morgen bis in die Nacht Totenmessen zelebriert. Von hier aus wurden mit Hilfe von Kirchengesängen und Weihrauchwolken die feinen Fäden des Glaubens an die Wundertaten des Klostergründers in die Herzen der Menschen gesponnen. So kam es ganz von selbst, daß die Wallfahrer aus der alten und neuen Herberge, Männer und Frauen mit kleinen Säcken über der Schulter, sich nicht mehr wie früher beständig um die Einsiedelei des Starez Akakij drängten, andächtig auf jedes seiner Worte lauschend. Der Abt hatte sogar einen jungen Mönch hinsenden müssen, der acht darauf gab, daß die Wallfahrer die alten Eichen nicht zugrunde richteten, indem sie die Rinde abknapperten, die gegen Zahnschmerzen helfen sollte, und nicht allen Sand rings um die Einsiedelei fortschleppten, der als Heilmittel gegen allerlei Gebrechen galt …

Als Abt Gerwaßijs Zorn unter dem Einfluß von Waßjas demütigem Schweigen allmählich verrauchte, sagte er:

»Komm mit zu Vater Doßifej, du wirst von nun an bei ihm wohnen!«

Der Blöde erhob sich, zog sein Käppchen über den Kopf, schritt mit seltsam unsicherem, schwankendem Gang hinter Vater Gerwaßij nach dem anderen Ende des Klosterhofes, an der Kapelle des Krankenhauses vorüber, der Zelle des Vaters Doßifej zu, die in dem Winkel zwischen den Umfassungsmauern lag. Unterwegs löste sich ihm wieder die Zunge; er sprach, zuerst im Flüsterton, dann immer lauter, vor sich hin, bis der Abt ihn anfuhr:

»Was habe ich dir gesagt? Den Mund sollst du halten! Weißt du nicht, daß geschrieben steht: Deine Zunge ist dein Feind? Sie stürzt dich noch ins Verderben, paß auf, Waßja! Und in der Hölle wirst du an deiner Zunge hängen. Aber auch andere könnte dein Mundwerk zugrunde richten …«

Waßja antwortete flüsternd:

»I wo denn, Nikoluschka, i wo denn! Ich bin doch dein Busenfreund! … Hast du denn vergessen, wie wir zusammen durch den Wald streiften? Nur meine große Liebe zu dir, Nikoluschka, spricht aus mir, nicht daß ich dir schaden wollte …«

»Wer hat mich bei der Mühle durch seine Dämlichkeit um ein Haar zugrunde gerichtet? Wer? … Du, Verdammter!«

»Ich wollte dir nicht schaden, Nikoluschka, ich nicht – es war jener hagere Herr, der ist fürwahr ein Satan und Beelzebub, aber ich doch nicht! Wo denkst du hin, Nikoluschka …«

Als sie bereits den Vorraum von Vater Doßifejs Zelle betraten, sagte der Abt mit unterdrückter Stimme böse zu Waßja:

»Nimm dich in acht! Ich bin der Abt, du schuldest mir stummen Gehorsam! Verstanden?«

Vater Doßifej hatte durch das Fenster die beiden kommen sehen, sich schnell die hohe Mütze auf den Schädel gestülpt und trippelte eilig – Gerwaßij hatte eben seine Ermahnung an Waßja beendet – dem Abt entgegen, vor dem er sich tief verneigte und stumm auf dessen Anrede wartete. Er bemerkte gleich den gereizten Ton in Gerwaßijs Stimme und blickte neugierig auf den zuckenden Blöden.

»Vater, ich bringe dir den Blöden her, den Waßenka.«

Der bucklige Mönch verneigte sich wieder stumm, während der Abt und Waßja an ihm vorbei in die Zelle schritten.

Der Abt schlug beim Eintreten ein weites Kreuz, zog den Duft von getrockneten Kräutern, Wermut, Mondrauten, Geranien ein und sagte in singendem Tonfall (als hätte er vor einem Augenblick nicht böse gezischt):

»Das ist fürwahr die Zelle eines frommen Mönches! Leiden Körper und Geist an einem Gebrechen, so heile sie mit Kräutern vom Felde und dem Worte der Wahrheit … Der Starez Akakij ist groß an Demut, du aber, Vater Doßifej, bist groß an Weisheit. Mit der Arznei deiner Belehrungen wirke ein auf den Blöden, nimm ihn in deinen frommen Dienst.«

Vater Doßifejs Augen funkelten, er verneigte sich tief, mit einer Hand den Boden berührend, vor dem Abt und schnarrte:

»Der Wunsch desch Abtsch scholl erfüllt werden.«

»Mit Kräutern kuriere ihn, mit Gotteskräutern! … Hilft es aber nicht, Vater, so belehre ihn die Rute …«

Nikolka sah den Blöden noch einmal nachdrücklich an und verließ die Zelle.

Wasßja schickte ihm ein schallendes Gelächter nach, wie einst im Walde, als freue er sich maßlos über irgend etwas.

Vater Doßifej kniff die Augen zusammen, über sein ganzes, böses, listiges Gesicht zogen tausend Fältchen, während er lautlos kicherte. Es war nicht ganz klar, was seine Heiterkeit erregte; vielleicht lachte er, weil er meinte, durch Waßja den Abt jetzt in der Hand zu haben, oder weil Waßjas Gelächter in diesem Augenblick wirklich irr und wüst klang, oder vielleicht darum, weil der Abt selber – gleichviel, was man über ihn denken mochte, er war der Abt – anerkannt hatte, daß er, Vater Doßifej, über dem alten Akakij stehe. Es war auch kein eigentliches Lachen, sondern nur ein krampfhaftes Zucken seines von Runzeln durchfurchten Gesichts, wobei sein kleiner, kahler, spitzer Schädel – die hohe Mütze hatte er wieder auf den Tisch gestellt – fast zwischen den Schultern verschwand, während der Buckel scharf hervortrat und ebenfalls komisch zuckte und hopste, daß auch Schultern und Arme ins Zucken gerieten. Plötzlich hörte das Zucken des Buckels auf, die Fältchen in seinem Gesicht glätteten sich, die stechenden Augen funkelten auf, er schritt auf Waßja zu und schnarrte mit zahnlosem Munde:

»Gedroht hat er dir? Weschhalb?«

Waßja war offenbar hocherfreut, daß er nun endlos reden durfte, schnalzte mit der Zunge, sagte:

»Der Nikolka? Angst hat er, daß es ihm an den Kragen geht … Der Satan plagt ihn … Habe ich ihm doch immer gesagt: Vertreib sie mit dem Besen, all deine kleinen Fenjas, die Töchter des Bösen …«

Vater Doßifej trat beiseite, setzte sich auf einen Schemel und starrte den Blöden gespannt und erwartungsvoll an, gierig nach jedem seiner Worte haschend.

Der bucklige Alte erinnerte sich Nikolkas auch aus jener Zeit, als dieser aus dem Kloster geflüchtet war, um die kleine Fenja Grakina zu heiraten; er wußte auch, hatte es von den Novizen gehört, daß der Abt nicht grundlos die junge Nonne Arischa auf dem Viehhof des Vorwerks untergebracht hatte und daß sie ein Kind habe. Aber was im Laufe des letzten Monats, in Anwesenheit der hohen Gäste dem Abt zugestoßen war, davon hatte er keine rechte Vorstellung. Vater Doßifej kam selten mit Menschen zusammen, fast täglich ging er, ein Stück Brot, Gurken und Zwiebeln aus dem Gemüsegarten des Klosters im Säckchen, in der Morgendämmerung auf die Kräutersuche und kehrte erst mit anbrechender Dunkelheit durch die Pforte bei den Ställen ins Kloster zurück. Die Stallknechte hatte er über den Abt und Waßja Witze reißen hören, doch um was es sich handelte, war ihm nicht klar geworden; jetzt hoffte er von dem Blöden zu erfahren, was auf dem Vorwerk vorgegangen war.

Waßja stand an den Türrahmen gelehnt, verdrehte gewohnheitsmäßig die Augen und murmelte vor sich hin.

»Wasch für eine Fenja? Sprich vernünftig!«

»Diese Gnädige, die Gnädige, die ist für ihn auch eine Fenja, alle Weiber sind Fenjas für ihn … Im Walde habe ich sie mit Nikolka überrascht … Saßen im Grase, im weichen Waldmoos … Und der Satan der Mittagsstunde ist der ärgste der Feinde … Der hatte ihn überkommen, der flüsterte ihm zu: Buhle, buhle in der Stunde des Mittags …«

»Mit einer Dame hascht du ihn geschehen? Wasch ischt denn dasch für eine?«

»Keine Dame, eine Teufelin war es! Die Teufelin, die immer hinter dem Bischof her war.«

Als er den Namen des Bischofs vernahm, zischelte Vater Doßifej:

»Kein Wort über Scheine Eminensch, kein Wort, Waschka! Dasch übersteigt deine Faschungskraft. Kein Wort!«

»Ich spreche doch bloß von Nikolka … An allem ist aber jener feine Herr schuld …«

»Der immer scho freundlich tschu Vater Pamwla war?«

»So ein schwarzer, knochiger … Wie ein Satan hat er mich mit Teufelselixir verlockt. Da habe ich ihm den Sündenpfuhl auf dem Vorwerk gezeigt … Ein neues Bethlehem hat er es genannt, das da auf dem Vorwerk … Und da wohnt doch diese … Nikolkas Fenja, seine kleine Fenja …«

»Alscho alle Welt hat erfahren, dasch die Nonne ein Kind von einem Mönch hat, von unscherem Abt?«

»Ich bin aber nicht schuld daran, ich bin nicht schuld … Durch Nikoluschka, durch Nikoluschka selbst ist das so gekommen.«

»Geh jetscht tschum Vater Akakij und hol' dein Bettscheug. Und vergisch nicht, wasch dir der Abt geschagt hat: schweigen scholscht du. Jetscht bischt du mir unterstellt und ich bin nicht Akakij – dasch merke dir!«

Kaum war Waßja zur Tür hinaus, da fing Vater Doßifejs Buckel wieder an zu hüpfen und zu hopsen und tausend zuckende Fältchen bildeten sich in seinem Gesicht; in ein lautloses Kichern ausbrechend, murmelte er vor sich hin:

»Der Verschuchung unterliegscht du, der Verschuchung! … Schmach, Schmach für die Bruderschaft … Angscht hascht du, Angscht, dasch du dir den Halsch brichscht, Angscht …«

Durch das Fenster sah er Vater Mißail vorübergehen, den Herbergsvater, dem Bruder Boris unterstellt war, und rief ihn auf einen Augenblick herein, angeblich, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen, daß Waßja nicht mehr bei Vater Akakij, dem Heiligkeitskrämer, sondern von nun an bei ihm, Doßifej, wohnen würde. Er hieß Vater Mißail sich auf die Bank niedersetzen, erzählte ihm, wie der Abt selbst Waßja hergeführt habe, und fragte dann wie von ungefähr:

»Schind nun all die feinen Gäschte fort?«

»Alle! Gott sei Dank … Das waren mir Gäste!«

»Wiescho, wiescho denn?«

»Da war so eine Dame, gehörte zum Gefolge des Gouverneurs … Die hat unseren Lüstling in die Tinte gesetzt …«

»Wie, wasch redescht du da? Vater Mischail, wie kanscht du nur! Wie wagscht du esch nur, scho über unscheren Abt tschu sprechen?«

Der Mönch sperrte den Mund auf, starrte den Alten mit weitaufgerissenen Augen verdutzt an und stammelte ängstlich, indem er sich ihm zu Füßen warf:

»Über den Abt? Aber ich spreche doch nicht von unserem Abt! Vergib, Vater, daß ich dich in meinem Unverstand auf einen unlauteren Gedanken gebracht habe – ich meine doch unseren Lüstling, den ausgerissenen Studenten …«

»Na, gut, gut! Steh auf, Mischail, steh nur wieder auf …«

»Der also hat sich in ihrem Zimmer auf jene Dame gestürzt und hat dafür von dem feinen Herrn ein paar hinter die Ohren bekommen, links und rechts hinter die Ohren. Das Fräulein aber, das zu ihnen gehört, das hat seinen Kopf in die Hände genommen und Tränen über seinem Haupte vergossen! … Ich sage dir, Vater Doßifej, man braucht gar nicht ins Theater zu gehen – wir haben hier unsere eigenen Vorstellungen! Fürwahr, Vater, das reine Sodom und Gomorrha … Und das in einem Kloster …«

»Oh, oh …«

»Ich würde diese Gnädige an den Schweif eines Pferdes binden und übers Feld schleifen lassen, wie man es in früheren Zeiten mit den Hexen tat.«

»Weschhalb?«

»Sie machte sich lustig über unser Kloster, über unseren Abt … Sprach unehrerbietig über den Bischof …«

Vater Doßifej konnte vor Aufregung keinen Ton hervorbringen und stellte sich vor Spannung sogar im Sitzen auf die Fußspitzen, um nur ja kein Wort des Herbergsvaters zu verlieren.

»Und dieser Lüstling, der Student, ist an allem schuld. Der Vater Abt muß wohl von seinen sauberen Stückchen erfahren haben, die Gnädige aber, die brauste auf … ›Ich habe den Vater Gerwaßij in der Hand‹, erklärte sie. ›Er soll es nur wagen, dem armen Jungen ein Haar zu krümmen‹, diesen Deckhengst meinte sie – ›ich weiß über alles Bescheid, auch darüber, weshalb der Wald verkauft worden ist, und noch über manches andere‹ …«

»Wasch für ein Wald?«

»Unser Wald, ein Stück vom Klosterwald …«

»Aber esch hiesch doch, dasch dasch Geld tschur Bewirtung der Gäschte nicht reiche … und dasch viel Geld tschur Verherrlichung unscheres Starez Schimeon nötig schei? …«

»Bei ihr klang das anders – habe es bloß nicht recht verstanden. Sie schmähte den Abt, das Kloster, die Bruderschaft. ›Ich will mich bei dem Fürsten beschweren,‹ sagte sie, ›sie sollen es nicht wagen, den reinen, unschuldigen Jüngling zu verhöhnen!‹ Und der Vater Abt soll jemand Geld gegeben haben, meinte sie, um die Heiligsprechung des Starez zu bewirken – so ein gotteslästerliches Gerede! Unser Starez tut Wunder, sie aber lästert ihn! Und der Abt soll angeblich in fleischlichem Verlangen nach ihr entbrannt sein – darum habe sie ihn jetzt in der Hand …«

Vater Doßifejs Augen hüpften und tanzten wie tausend glühende Fünkchen, Frohlocken und Verschlagenheit sprach aus seinem Gesicht … Mit kleinen trippelnden Schritten eilte er auf Vater Mißail zu und schnarrte ihm ins Ohr:

»Du aber schweige, Freund, schweige! Verschuche den Herrn nicht. Wecke nicht Ärgernisch in den Scheelen der Mönche durch dein Wort, dasch tschu eitlen Gedanken führen mag … Schweige, Freund, schweige …«

»Ich weiß ja selbst, daß ich schweigen müßte, doch der Zorn bricht aus meinem Herzen hervor – ich kann ihn nicht ruhig ansehen, den jungen Lüstling … Er ist der Bruderschaft ein Ärgernis geworden, er hat die Schmähungen des unwürdigen Weibes über unser Kloster heraufbeschworen!«

»Du aber schweige trotschdem, schweige! Tschum höheren Ruhm unscheresch Kloschtersch und unscheresch Heiligen. Bete tschu Gott, dasch er dich nicht in Verschuchung führt, und schweige! Ich will esch dem Abt schelber schagen, schelber will ich esch ihm schagen … Du aber gelobe mir vor dem Herrn, dasch du Schweigen bewahren wirscht.«

Vater Mißail schlug ein Kreuz über die Brust, verneigte sich tief vor dem Alten und ging. Und wieder hüpfte der Buckel des Mönches und zuckten die vielen Fältchen in seinem Gesicht in lautlosem Kichern. Nun war der Abt ganz in seine Hand gegeben, nun würde er, Doßifej, mächtiger sein als der alte Akakij! Der Herr selbst hatte ihm Waßja zu Hilfe gesandt – Nikolka hatte ihm den Blöden zugeführt, und der hatte eine lose Zunge, man brauchte ihn nur ein bißchen am richtigen Faden zu ziehen, und gleich legte er los, vor allen Leuten, sprach alles aus, was er herausgeschnüffelt hatte, und wer Ohren hat, um zu hören, der würde den Blöden schon verstehen und sich's merken, und schließlich würde nicht mehr der Abt die Bruderschaft in der Hand haben, sondern der Abt würde nach ihrer Pfeife tanzen.

Er setzte sich ans Fenster, um nachzudenken. Allmählich hörte sein Buckel zu zucken auf, die Fältchen in seinem Gesicht glätteten sich; er blickte in die Dämmerung hinaus und wartete auf die Rückkehr des Blöden.

 

Der Abt kehrte in seine Gemächer zurück. In dem halb dunklen Vorzimmer roch es nach alten Möbeln, an denen der Holzwurm nagt, und nach Weihrauch – ein Duft, der sich auch durch anhaltendes Lüften nicht mehr vertreiben ließ. Der Abt liebte diesen Duft, meinte, er ersetze dem Mönche Parfüm, kaufte auch gern Räucherkerzen, die »Mönche« genannt wurden. In der Dunkelheit, wenn vor dem Ikonenschrein das große, blaue, heilige Lämpchen glomm, das auf einem hohen Tischchen hinter der auf Glas gemalten Ikone des Erlösers – einem Heiligenbilde göttlichen Ursprungs – stand, zündete er davor in einer hohen Messingschale in Form eines Kelches Weihrauchkräuter vom Berge Athos an oder wohlriechende Blätter oder die geliebten »Mönche« aus Zypressenholz.

Vater Gerwaßij fühlte sich noch immer nicht ruhig. Er wußte, daß der alte Doßifej ihn nicht mochte, ja sein heimlicher Feind und ein Hetzer unter der Bruderschaft war. Trotzdem hatte er keine Bedenken gehabt, Waßja in seine Obhut zu geben, denn er vertraute auf seine Macht, die er sich durch reiche Spenden an den Bischof, den Bewahrer der Kirchengeräte und andere ihm Nahestehende gesichert hatte. Er baute auch darauf, daß die Bruderschaft es nicht wagen würde, ihm gegenüber oder nach außen hin aufzubegehren, aus Angst, dadurch die Heiligsprechung des Klostergründers zu gefährden. Trotzdem beunruhigte ihn aber die Angelegenheit auf dem Vorwerk, Waßjas Gerede, die Vorahnung von müßigem Geflüster unter der Bruderschaft.

Er trat in das Empfangszimmer. Der flachsblonde Dienstbruder hatte das blaue, heilige Lämpchen hinter dem gläsernen Heiligenbild angezündet, und durch das Glas fiel das Licht in vier kreuzförmigen Strahlenbündeln in den Raum. Ein Strahl stieg nach oben an die Decke, die beiden Seitenstrahlen verschwammen in den Ecken, und der vordere, durch das Glas zerstreut und kaum wahrnehmbar, sank in gleichmäßigem Schimmer auf den Teppich und durchschnitt den weißen Läufer aus grober handgewebter Leinewand. Nikolka setzte sich wieder auf den Diwan; statt Zorn und Erbitterung fühlte er jetzt nur Müdigkeit und Ärger. Aber den Novizen Boris wollte er sich doch noch heute vornehmen.

Der Dienstbruder Kostja richtete schon um diese frühe Stunde im Vorzimmer sein Lager, um sich auszustrecken und zu träumen, immer eines Rufes des Abtes gewärtig. Im Vorzimmer stand eine lange bankähnliche Truhe, auf der die Wallfahrer, die den Abt sehen wollten, zu sitzen pflegten, bis Kostja sie in das Empfangszimmer führte. Auf dieser Truhe rollte Kostja des Abends als Schlafunterlage einen weißen Läufer auf, dessen unabgewickeltes Ende ihm als Kopfkissen diente.

Kostja hatte kein Eigenleben, keine eigenen Worte, keine eigenen Bewegungen, er war nur da; er verstand nur, im nötigen Augenblick dem Abt zu Füßen zu sinken, wortlos seine Anordnungen auszuführen und zu schweigen. Wenn ein Mönch etwas über den Abt von ihm erfahren wollte, lächelte der flachsblonde Novize hilflos und gab jedem Neugierigen immer dieselbe Antwort:

»Ich war nicht dabei. Ich weiß von nichts. Wenden Sie sich an den Vater Abt selber.«

Gerwaßij strich sich mit einer gewohnheitsmäßigen Bewegung die Haare aus der Stirn und rief nach Kostja.

»Geh in die Herberge, der Novize Smoljaninow soll herkommen.«

 

Der Abt wartete, und die Zeit wurde ihm lang. Sein Zorn hatte sich durch die Auseinandersetzung mit dem Blöden verflüchtet und eine stumpfe Gleichgültigkeit war über ihn gekommen. In dem Halbdunkel, der Stille fühlte er sich vereinsamt, gedachte der Nonne Arischa und beschloß, ihr am nächsten Tage einen Teil seines Geldes zur Aufbewahrung zu bringen; bei ihr würde es sicherer sein – man konnte nie wissen …

Leise raschelte eine Kutte um eine sich verneigende Gestalt; ein heller Strahl aus dem heiligen Lämpchen glitt flüchtig über ein schmales hageres, fast blutloses Gesicht; zwei große Augen leuchteten im blauen Lichtschein kurz auf; dann stand der Novize stumm und hilflos, auf die Anrede des Abtes wartend.

Der Besuch der hohen Gäste war für Boris eine endlose Pein gewesen. Vom frühen Morgen bis zum Abend auf den Beinen, hatte er alle möglichen Dienstleistungen verrichten, auf die beständigen Klingelzeichen unablässig von Zimmer zu Zimmer eilen müssen, vor allem aber waren ihm die neugierigen Erkundigungen der Herrschaften peinlich gewesen, die durchaus wissen wollten, warum er ins Kloster gegangen war, und dann … Ihm war, als glühe nach jenem Schlag ins Gesicht noch immer seine Wange, und er spürte wieder und wieder die Berührung jener Mädchenhände, die sich um seine Schläfen gepreßt hatten. Wenn dies nicht gewesen wäre, wäre er wohl mit sich fertig geworden, wäre unter der unverdienten Beleidigung nicht in Tränen ausgebrochen; kaum aber hatten diese zarten Hände sein Haar berührt, da waren ihm die Tränen ganz von selbst in die Augen gestiegen und unaufhaltsam geflossen. Das hatte die Wunde noch schmerzlicher gemacht. Nachher war er tagelang wie innerlich verwüstet umhergeirrt – gedankenlos, wunschlos, wortlos –, selbst beten hatte er nicht können. In seiner Kammer neben dem Zimmer, wo all die Samoware aufgestellt wurden, hatte er des Nachts schlaflos, dumpf und stumpf dagelegen, war unter jedem Geräusch zusammengezuckt, zuweilen nur in ruhelosen Halbschlummer versunken, um dann wieder wie eine aufgezogene Puppe treppauf, treppab zu laufen, klirrendes Geschirr in den Händen. Wenn er auf den Viehhof eilte, um Milch für die Gäste zu holen, hatte er voll Neid der Glücklichen gedacht, die hinter dem Schutz der hohen Klostermauern sich der Betrachtung und Stille hingeben, die Menschen fliehen, einsam durch den flüsternden Wald streifen, sinnen und auf das Eintreten jener inneren Stille warten durften, nach der er sich so sehnte … Der Ruf des flachsblonden Kostja hatte ihn erfreut, er würde die Stimme des Abts hören, aus seinen Worten vielleicht neue Kraft schöpfen – er fühlte sich rein und unschuldig, hatte nichts zu fürchten …

Vater Gerwaßij rührte sich nicht, aufmerksam blickte er durch das Halbdunkel in Boris' Gesicht. Klar und gleichmäßig ging der Pendel der Uhr, die Sekunden abzählend, und mit jeder verstrichenen Sekunde wuchs Boris' innere Spannung. Der Abt wußte jetzt gar nicht mehr, was er ihm sagen sollte und sagte plötzlich – es klang ihm selbst unerwartet –:

»Geh zum Vater Haushälter, er soll dich in der Bäckerei einstellen.«

Boris regte sich nicht; er wartete darauf, daß der Abt fortfahren würde, ihn ansehen und ihm in dieser Stille, in der Weihrauchduft schwebte und das gleichmäßige Ticken der Uhr klang, etwas Besänftigendes sagen würde. Nikolka hatte sich zurückgelehnt, die Augen geschlossen und war in der Meinung, daß Smoljaninow das Zimmer verlassen habe, in Nachsinnen versunken. Als er nach einer Weile die Augen wieder aufschlug, starrte er die reglose schwarze Gestalt vor sich erschrocken an, und jäh schoß ihm eine hitzige Blutwelle zu Kopf.

Die Standuhr schlug singend die Stunde, und das Schlagen der Uhr und die Stimme des Abts verschmolzen in einen zuckenden heiseren Laut.

»Was willst du noch hier? Geh in die Bäckerei!«

Gleichzeitig verstummten Uhr und Stimme. Boris verneigte sich tief, mit einer Hand den Fußboden berührend, vor dem Abt und wollte auf ihn zutreten, um ihm die Hand zu küssen und seinen Segen zu empfangen. Das reizte Nikolka noch mehr, er sprang plötzlich auf, stürzte auf Smoljaninow zu und fuhr ihn fast schreiend an:

»Um mich zu peinigen, stehst du noch hier?! Zugrunde willst du mich richten!«

Ebenso hastig wandte er sich ab, schritt auf die Tür zu und warf ihm im Vorübergehen ein letztes Wort zu, das ihm plötzlich im Halse stak – er hatte es wohl von tuschelnden Mönchen aufgefangen –:

»Du … Lüstling!«

Die Tür ins Schlafzimmer des Abtes fiel krachend ins Schloß – es war wie ein Schlag auf die Nerven des gequälten jungen Mannes, der unter dem Schmähwort des Abtes schmerzlich zusammengezuckt war; er zitterte wie in einem Fieberanfall und schluckte heftig, um die Tränen zurückzudrängen.

Der flachsblonde Kostja trat ein und sagte mit gleichgültiger, tonloser Stimme:

»Hier darf man nicht bleiben … So geh doch!«

Boris, der noch immer am ganzen Leibe zitterte, rang die Hände, faßte Kostja am Ärmel der Kutte, den er hin und her zerrte, während er hilflos ein und dieselben Worte wiederholte, die sich schmerzlich aus seinem Innern gelöst hatten:

»O Gott, das hat er mir gesagt, mir … Hast du gehört?«

Kostja leierte sein gewöhnliches Sprüchlein herunter:

»Ich war nicht dabei … Ich habe nichts gehört …«

 


 << zurück weiter >>