Hans Jäger
Kristiania Bohême
Hans Jäger

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XXXI.

Es war am Dienstag vor Ostern, nachmittags um zwei Uhr. Die Sonne schien. Die Straßen waren trocken, und die Karljohannstraße wimmelte von Leuten in Frühjahrs- und Wintertoiletten; es gab zwar keine Musik, aber das Wetter war zu herrlich.

In der Zollamtsstraße strömten die Kadetten aus der Kriegsschule, einige mit, andere ohne Mantel. Teils in Gruppen, teils paarweise, wanderten sie, Gewehr über Schulter, die Straße hinab.

In dem Gebäude war Jarmann ganz allein auf dem Korridor zurückgeblieben. Er schnallte langsam den Säbel um, zog den Mantel an und blieb, auf das Gewehr gestützt, in Gedanken versunken stehen.

Seit frühmorgens war er in einer furchtbaren nervösen Erregung gewesen: es war heute der letzte Tag vor den Osterferien – sollte er dies den letzten Tag sein lassen, an dem er seinen Fuß hierher setzte oder nicht – sollte er oder sollte er nicht? – Diese Frage hatte seine Gedanken den ganzen Vormittag über beständig umkreist. – Alles sprach dafür. Warum in aller Welt sollte er sich hier noch länger herumtreiben? Diese hoffnungslose Empfindung einer öden Leere, die ihn früher ergriffen hatte, so oft er zu denken begann, sie hatte sich jetzt seiner ganz und gar bemächtigt, quälte ihn beständig zu jeder Tageszeit, verließ ihn niemals. Nicht einen einzigen Augenblick; nicht einmal, wenn er bei einem Weibe war. Nur solange er schlief, war es zu ertragen. – Weshalb denn also noch weiter vegetieren, wenn es nur auf ihn ankam, ob er beständig schlafen wollte! ...

Und trotzdem: er hatte sich nicht recht dazu entschließen können, den Zeitpunkt festzusetzen. Er würde es ja natürlich tun, unter allen Umständen; aber zu sich selber sagen: heute über acht Tage ...

Der Teufel auch! Es war doch im Grunde genommen ganz merkwürdig. – Wenn es dann einmal geschehen sollte ...

– – – Er ging, das Gewehr in der Hand, über den Hof der Kriegsschule und durch das alte ehrwürdige Tor hinaus. Draußen aber blieb er stehen, kehrte sich um, stellte das Gewehr auf den Boden und sah auf den alten gepflasterten Hof und auf das hundert Jahre alte Haus mit den dicken Mauern. –

Ein wilder Haß stieg in ihm auf – in diesen ekelhaften Mauern hatte er sechs Stunden täglich über ein halbes Jahr lang zugebracht, teils wirklich schlafend, teils im Halbschlaf auf der Bank sitzend – ein Meer widerlicher Langerweile! ...

Er stieß den Gewehrkolben hart gegen das Pflaster.

Nein, der Teufel sollte ihn holen, wenn er dieses ekelhafte Loch jemals wieder betrat – bei seinem Eid! – Bevor die Schule wieder anfing, sollte es geschehen sein!

Ein Fieberschauer durchrieselte seinen Körper in dem Augenblick, als er diesen Beschluß faßte, dann aber ergriff ihn eine namenlose Freude, und er fühlte sich froh und leicht ums Herz wie ein Kind. – Plötzlich lachte er, beugte sich vornüber und grinste zu dem alten Gebäude hinüber: hähä, nun kannst du lange dastehen, du altes verdammtes Gefängnis, in das ein freier Mann nie einen Fuß hätte setzen sollen ... nun kannst du lange dastehen – mich siehst du nicht wieder! Ich schüttle den Staub von den Füßen und verlasse das finstere Loch für immer.

Er schüttelte wirklich den Staub von den Füßen, erst von dem einen, dann von dem andern; legte dann das Gewehr über die Schulter und ging stolz die Straße entlang.

Er fühlte sich ganz leicht ums Herz. Nun war er obenauf. Seine Zukunft war gesichert. Jetzt konnten sie kommen, die braven, fleißigen Herren, die den ganzen Tag auf ihrem Steiße saßen und Jura und andere Dinge studierten, um später einmal Beamte zu werden – nun konnten sie kommen! – Sie hatten auf ihn herabgesehen! ... Als ob er mit ihnen hätte konkurrieren mögen! ... Er wollte um keinen Preis der Welt seine Zukunft mit der ihrigen vertauschen. O, er fühlte sich so stolz und frei.

Ja, jetzt mochten sie nur kommen. Und er wanderte schnell weiter.

In der Karljohannstraße begegnete er wirklich mehreren von ihnen. Er ließ sie zuerst grüßen, lächelte ihnen dann herablassend zu und grüßte nonchalant wieder.

Als ob das Gesindel nicht verpflichtet wäre, ihn zu grüßen! – Und er ging unwillkürlich langsam und würdevoll.

... Wie hübsch die Damen und Mädchen heute waren! Sie nahmen sich heute ungewöhnlich gut aus! Und er auch, das fühlte er – und er sah sie an und lächelte ihnen zu, wie in seiner flottesten Zeit, und freute sich; wenn seine Blicke erwidert wurden.

Er wanderte eine halbe Stunde lang in dem Menschengewimmel zwischen Storthing und Universität auf und ab, erfüllt von Selbstgefühl, sich darüber freuend, zu sehen und gesehen zu werden, zu lächeln und sich anlächeln zu lassen, als hätte er diesen Genuß noch nie zuvor ausgekostet. Dann begann aber die Menschenmasse abzunehmen, und er wollte die Straße nicht leer sehen, bog daher beizeiten in die Universitätsstraße ein und ging, von Blicken und Lächeln angenehm gesättigt, nach Hause, um zu Mittag zu essen.

Eine solche Karljohannspromenade hatte er, wie ihm schien, seit langer Zeit nicht erlebt.


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