Hans Jäger
Kristiania Bohême
Hans Jäger

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V.

Er hatte das Examen doch bestanden, zwar mit Ach und Krach: aber er war doch Student.

Der Direktor hatte ihm gratuliert, und daheim war Freude: das war ja mehr, als man erwartet hatte. Der Vater hatte geschrieben, er wolle ihm ein Jahr lang den Aufenthalt in der Stadt bezahlen, bis er das zweite Examen bestünde; dann müsse er für sich selber sorgen, bis dahin aber könne er nach Geld schreiben, so oft er es brauche. Und Jarmann schrieb ihm ziemlich oft nach Geld, ohne daß der Alte murrte; es war ja nur das eine Jahr.

Wer aber an das zweite Examen nicht dachte, das war Jarmann. Ihn beschäftigten ganz andere Dinge. Er hatte als Fuchs eine Reihe von Bekanntschaften gemacht, hatte angefangen, gesellschaftlich zu verkehren, und die Folgen seines früheren zurückgezogenen Lebens zu spüren bekommen: er fühlte sich geniert und steif, verstand sich nicht zu benehmen, hatte nicht dasselbe savoir vivre wie die anderen, kurz und gut, er machte den Eindruck eines ungeschickten Studenten aus der Kleinstadt. Und darüber hinauszukommen das war das Ziel seines Ehrgeizes geworden. Das war aber gar nicht leicht, und es nahm anfangs fast seine ganze Zeit in Anspruch. »Wenn du wüßtest,« sagte Jarmann einmal zu mir, »was es mich nur gekostet hat, wie ein Gentleman in ein Restaurant eintreten zu lernen ... oder im Theater in der ersten Parkettreihe nonchalant gegen die Orchesterbarriere gelehnt zu stehen und das Publikum zu betrachten ... oder nonchalant auf der Karljohannstraße auf und abzugehen und Gesichter anzusehen, anstatt wie früher vorüberzueilen, ohne zu wagen, jemand ins Gesicht zu blicken! – wenn du wüßtest, was mich das gekostet hat – es ist reinweg unglaublich!«

Er lernte es aber auch in diesem einen Jahre gründlich; er richtete sein Leben ganz darauf ein, diesen edlen Zweck zu erreichen. Und da er nun einmal dieses Ziel vor Augen hatte, war seine Lebensweise gar nicht einmal allzu dumm.

Erst am Spätvormittag, zwischen zehn und elf stand er auf; schlenderte gemächlich nach Ingebrets Restaurant, genoß eine Tasse Bouillon und etwas Butterbrot und setzte sich dann mit einer Zigarre und einer Zeitung an das Eckfenster des hintersten Zimmers im Café, bis es ein Uhr wurde. Dann bummelte er gelassen nach der Karljohannstraße, ging dort auf und ab und musterte die Karljohannsdamen, wie sie ihre Einkäufe machten. Das dauerte bis kurz nach zwei Uhr. Da kam die Musik, und nun strömte alles nach dem oberen Teil der Karljohannstraße, um sie anzuhören, Jarmann natürlich auch. Zwischen der Universität und Grand Hotel, bald auf dieser, bald auf jener Seite auf- und abspazierend, studierte er aufmerksam die Gesichter der jungen Damen und halbwüchsigen Mädchen, die dort auch auf- und abgingen; er kannte sie alle genau und ließ keine von ihnen vorüberkommen wenigstens wenn sie schön waren – ohne daß er sie gezwungen hätte, zu bemerken, daß er sie ansah. Übrigens niemals mehr als eine auf einmal, er konnte sich aus einer ganzen Schar, die zusammen spazierte, auswählen. Schon von vornherein fing er an, sie mit den Augen zu entkleiden und die Figur zu mustern, bis entweder sie selber es merkte oder die anderen sie darauf aufmerksam machten; dann ließ er die Augen in den ihren ruhen und versuchte ein schwaches Lächeln. Wurde es erwidert, so war er für eine ganze Viertelstunde vergnügt; das war ja sein Spezialgenuß, das gehörte dazu, ihn in gute Laune zu versetzen. Und es gelang ihm nicht allzu selten; denn er sah gut aus, wie er daherkam, schlank und blond, nonchalant in seinem grauen, ganz vorzüglich sitzenden Dreh weiterschlendernd, mit einem Anflug von Blasiertheit in dem seinen, blassen Gesicht.

Gegen drei Uhr, wenn die Musik vorüber war, ging er nach Hause. Er war wieder in sein altes, enges Quartier gezogen und aß bei der Wirtin zu Mittag; auch das Mittagessen bei Ingebret einzunehmen, wäre zu teuer gekommen.

Nach dem Mittagessen schlief er gern ein Stündchen. Nach dem Kaffee blieb er entweder zu Hause sitzen und las, wenn er ein neues Buch hatte, oder er besuchte irgendeinen seiner neuen Kameraden und blieb dort den ganzen Nachmittag, rauchend und plaudernd; gewöhnlich wurde über Politik gesprochen, die damals – im Winter 1879/80 – das tägliche Gesprächsthema geworden war, und dann natürlich über die Frauen. Jetzt verheimlichte er seine Weibergeschichten nicht mehr, denn das tat ja auch keiner von den anderen.

Abends saß er dann entweder in einem Café, wo er zu Abend aß und bei einem Toddy und einer Zigarre die Zeitungen las, oder er war im Theater – und dann saß er immer in der ersten Reihe des ersten Parketts, wo man ihn in den Zwischenakten, flott gegen die Orchesterbarriere gelehnt, mit einem Kameraden plaudern, ab und zu auch eine Dame bald mit bloßen Augen, bald durch den Operngucker fixieren sehen konnte. Wenn dann die Vorstellung zu Ende oder es gegen 10 Uhr geworden war – dann gingen wieder die alten Weibergeschichten los bis tief in die Nacht hinein.

So lebte er sorglos und ruhig Tag für Tag, Monat für Monat, ohne an die Zukunft zu denken. Henschen, sein verkörpertes Gewissen, war irgendwo auf dem Lande Hauslehrer' geworden, und seit dessen Abreise war über Jarmann ein erhöhtes Selbstgefühl, ein ruhiges Gleichgewicht nach außen und nach innen gekommen, womit er selber sehr zufrieden war. Geschah es, daß ihn jemand fragte, was er werden wolle, so hatte er immer die Antwort: »Literat« bereit. Das Lob, das ihm in der Schule für seine Aussätze zu teil geworden war, hatte ihn auf diese Idee gebracht.– –

Es war an einem Abend im November. Die Witterung war rauh und kalt; es war windstill, die Luft etwas neblig, aber die Straßen waren trocken. Die Vorstellung im Kristiania-Theater war zu Ende, und das Publikum strömte auf den Bankplatz hinaus, Jarmann unter den ersten. Er hatte im Theater gegähnt und sich gelangweilt, war aber doch bis zum Schlusse geblieben; er hatte ja nirgends sonst etwas zu tun. Auf der Plattform vor dem Eingange blieb er stehen, den Winterrock fest zugeknöpft, die Hände in den Taschen, und sah gleichgiltig auf die Menschenmenge, die an ihm vorüber flutete. Als niemand mehr kam, die Gasflammen ausgelöscht wurden und das Theater düster und öde dalag, stieg er mechanisch die zwei Stufen von der Plattform hinab und ging langsam auf dem Bürgersteig über den Platz entlang weg. Vor den erleuchteten Fenstern von Ingebrets Restaurant blieb er einen Augenblick stehen und horchte auf den Toddylärm drinnen. Sollte er hinaufgehen und essen? ... Er rümpfte die Nase – er hatte keine Lust. – Oder sollte er ins Café gehen, einen Toddy trinken und eine Zigarre rauchen? – Er schüttelte den Kopf – hatte keine Lust. Und er ging langsam die Kirchstraße hinauf ... Sollte er den Versuch machen, ein Weib aufzugabeln? ... Er rümpfte wieder die Nase und schüttelte den Kopf – hatte keine Lust ... Oder sollte er zu einem Bekannten gehen und ein Stündchen plaudern ... Ach nein, er hatte keine Lust ... Oder nach Hause gehen und sich schlafen legen? ... Er hatte keine Lust! –

Es war, als wäre das Blut in seinen Adern verfault; die Glieder waren matt und schwer, das Gehirn schlaff und leer, gedankenlos, willenlos, ohne Verlangen, ohne Begehren ... Die Beine trugen ihn mechanisch über die Straße, er fühlte sich wie eine lebendige Leiche in einer plötzlich ausgestorbenen Stadt, unglücklich, als hätte ihn das Leben von sich gestoßen.

Ein Stück weiterhin blieb er stehen und stampfte auf den Bürgersteig! Aber zum Kuckuck, irgendwo mußte er doch etwas anfangen! – was sollte er nur beginnen? ...

Zu nichts hatte er Lust. Und er setzte sich mit den Beinen im Rinnstein auf dem Trottoir nieder, den Ellbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in den Händen – und wollte weinen. Es kamen ihm aber keine Tränen. Er hob wieder den Kopf und blieb sitzen und starrte schlaff und idiotisch die Fenster der Kreditbank an; als er aber dann weiter unten auf der Straße Schritte hörte, nahm er sich zusammen, stand auf und ging weiter.

Als er beim Postamt um die Ecke bog, begegnete ihm eine Droschke. Er rief sie an und sprang hinein. Der Kutscher fragte, wohin er fahren sollte. – »Ach, fahren Sie ... fahren Sie in die Drammensstraße hinaus!« Und er kroch in einer Ecke der Droschke zusammen, von jenem widerlichen Schmerz erfüllt, den nur die innere Leere bringen kann, während der Kutscher umkehrte und fuhr. Plötzlich aber fuhr Jarmann wieder empor: was sollte er denn auf der Drammensstraße? Nein, lieber irgendwo anders hin. Aber wohin? ... Mechanisch sah er sich um, wie um den Ort zu finden, sank d .nn aber wieder schlaff zurück –: Ach, Unsinn, ob er dorthin fuhr oder anders wohin, das war ja gleichgiltig, es war ja sowieso Blödsinn, zu fahren! – Und er starrte wieder, von diesem unleidlichen Gefühle der Leere verzehrt, gerade vor sich hin.

Ihm war, als hätte er sich nie so unglücklich gefühlt. Was war das Leben? ...

Plötzlich kam ihm zum Bewußtsein, daß er jetzt den Gedanken an Selbstmord verstand, und dann fiel es ihm ein, daß er, im Grunde genommen, wie er da saß, eine ganz interessante Person war.

Dann aber fuhr er wieder empor: nein, er hatte wahrhaftig keine Lust, auf diese Weise länger interessant zu sein ... »Kutscher!«

Der Kutscher dreht sich um. »Fahren Sie nach Vika!«

Auf dem dreieckigen Platze vor dem Eingange zur Vika stieg Jarmann aus, bezahlte den Kutscher und ging zu Berntine. Er entkleidete sich dort mit der Absicht, die ganze Nacht zu bleiben.

Kaum war er aber eine Weile dort gewesen, als ihm das Ganze schon wieder allzu widerlich vorkam, und er zog sich also wieder an und ging. Draußen blieb er stehen und sah sich unentschlossen um. Wieder hatte er Lust, sich niederzusetzen und zu weinen – nahm sich aber dann energisch zusammen und lief beinahe nach Hause in der graukalten Nachtluft, entkleidete sich, ohne Licht anzuzünden, und kroch unter die Decken: er wollte schlafen! wollte nichts mehr mit dieser Wirtschaft zu tun haben! ...

Eine Empfindung, halb Gedanke und halb Gefühl, überkam ihn, während er dort im Bette zu schlafen versuchte: ob es im Grunde nicht das Angenehmste sein würde, niemals wieder zu erwachen? ...

Mit dieser Empfindung schlief er ein.


Am Abend darauf. Im Volkstheater war eben der Vorhang gefallen. Jarmann war aufgestanden. Er stand, an die Orchesterbarriere gelehnt, den Operngucker mit beiden Händen in der Magengegend vor sich hinhaltend, das Gesicht zu Helmer hinabgebeugt, der neben ihm saß.

»War sie nicht großartig?« sagte er begeistert. Er meinte Frl. Lindgren. Es wurden die Räuber gegeben und Frau Tivander war der Fürst, Frl. Lindgren der Page.

»Ja, sie ist nicht schlecht,« sagte Helmer.

»Nicht schlecht! – hast du je etwas so Großartiges gesehen? ... solche wunderbare Beine? ... und solche Hüften? ... Hast du bemerkt, wie sich ihre Beine neben denen der Frau Tivander ausnahmen?«

»Ach, die der Frau Tivander sind wahrhaftig auch prächtig.«

»Das sind sie,« sagte Jarmann; »es waren seine reine Linien! ... herrliche Frauenbeine – was ist das aber gegen Fräulein Lindgren! Sie hat Jungfrauenbeine, das Ideal von Jungfrauenbeinen! ... so reine feine Linien und doch so wundervoll zart – Gott, war sie großartig!«

Und in stummem Entzücken über diese herrlichen Beine starrte er begeistert über das Publikum hin. Helmer betrachtete ihn lächelnd und schüttelte den Kopf.

Plötzlich machte Jarmann eine nervöse Bewegung: »Nein, ich halte es nicht länger aus, hier zu stehen und zu warten, bis der Vorhang wieder in die Höhe geht – komm, wir wollen so lange in das Restaurant gehen.«

Sie gingen hinaus, rauchten eine Zigarette und tranken ein Glas Bier und saßen inmitten des Lärmes und der Tabakswolken in dem überfüllten Café – ohne ein Wort zu sprechen. Jarmann blies nur den Zigarettenrauch in schweren Wolken vor sich hin und sah ihnen begeistert nach, während sie in die Luft hinausflossen und sich mit all dem anderen Rauch vermischten. Als es klingelte sprang er auf, warf die Zigarette weg und stürzte ins Theater.

Der Vorhang ging in die Höhe, aber Jarmann sah nicht, was sich auf der Bühne abspielte, starrte nur in fieberhafter Spannung hinauf, Fräulein Lindgren erwartend. Als sie endlich kam, steckte er beide Hände in die Hosentaschen, lehnte sich zurück und blickte sie unverwandt an. Als sie abgegangen war, fiel er wieder zusammen und wartete nervös darauf, daß sie zurückkehren sollte – alles andere war ihm ganz gleichgiltig.

Als die Vorstellung zu Ende war, trennte er sich von Helmer gleich vor dem Theater und wanderte allein nach Hause. Er ging schnell, als hätte er Eile, und fühlte das starke Bedürfnis, etwas zu tun, ohne zu wissen, was. Hin und wieder stieß er den Stock fest auf das Pflaster –: Du großer Gott, wie schön sie war! Zu Hause zündete er die Lampe an und setzte sich in die Sofaecke, um an das Fräulein zu denken. Er konnte jedoch nicht still sitzen, fuhr wieder auf und ging nervös in dem kleinen engen Zimmer hin und her ...

Ja, sie war herrlich, wundervoll! Und so rein, so jungfräulich, so unschuldig – etwas Schöneres konnte er sich gar nicht denken, ein Schimmer von Reinheit ging von ihrer ganzen Gestalt aus. – Auf einmal erfaßte ihn selber eine unermeßliche Sehnsucht nach Reinheit: er mußte auch rein sein, wenn er an sie denken wollte. – Und er blieb vor der Kommode stehen, zog eine Schublade heraus, entnahm ihr reines Leinenzeug und reine Strümpfe, legte das alles aufs Bett, setzte sich daneben auf den Stuhl, entkleidete sich völlig, stellte sich splitternackt vor den Waschtisch und begann sich am ganzen Leibe mit Seife zu waschen. Dann rieb er sich trocken und warm, zog das glänzend weihe Leinenhemd an und setzte sich eine Weile auf den Stuhl neben dem Bett und genoß seine eigene Reinheit. Darauf zog er sich wieder an, holte aus dem Vorsaal Hut und Überrock, löschte die Lampe und begab sich in förmlich festlicher Stimmung in die sternenhelle Nacht hinaus –: es war etwas Bräutliches in diesem Gefühle der Reinheit; sie war ihm gleichsam näher gerückt! ...

Mit raschen, nervösen Schritten, ganz von dem Gedanken an sie erfüllt, schritt er durch die Straßen. Mitten in der Karljohannstraße blieb er stehen, schlug keck mit seinem Stock das Pflaster und sah sich energisch um – wohin sollte er gehen? Vor ihm lag die Straße, durch zwei Reihen Gaslaternen bis zum Eisenbahnplatz hinab erleuchtet – he! für ihn waren sie angezündet: er wollte ja nach dem Eisenbahnplatz – denn sie wohnte gewiß im Hotel Royal. Und mit energischen Schritten ging er dorthin.

Vor dem Hotel blieb er stehen und sah zu den Fenstern hinauf. Viele Fenster waren erleuchtet. O, hätte er gewußt, welches Fenster es war ... hätte er nur hinter einem Vorhang einen Schatten sehen können und gewußt, daß es der ihre war!

Es zeigte sich aber nicht einmal ein Schatten; in vollem Lichte glänzten die Fenster weiter. Dann wurde eins von ihnen dunkel, und bald darauf die anderen Schließlich fiel ihm ein, daß sie vielleicht nicht einmal hier wohnte ... Natürlich nicht! das Personal des Volkstheaters stieg ja gewöhnlich im Hotel d'Angleterre ab. Und er ging dorthin. Dort waren aber alle Fenster dunkel. Er überlegte eine Weile ... sie hatte sich wohl niedergelegt, schlief süß zwischen ihren weißen Linnen.. und er wanderte mit kleinen, raschen, nervösen Schritten die Drammensstraße hinaus, ohne weiter zu denken, nur froh, von Herzen froh darüber, daß sie existierte ... daß es etwas Herrliches auf Erden gab.

Als er wieder nach Hause gekommen und zu Bette gegangen war, schlief er sofort ein und träumte von ihr: Hell und blond stand sie in ihrem schönen Pagenkostüm da, und er lag vor ihr auf den Knien und erzählte ihr voller Scham von seinem ruchlosen Leben. Das kam aber alles daher, weil er sie nicht eher getroffen hatte, weil er sie nicht eher hatte lieben können ... jetzt würde es nie wieder geschehen, von jetzt aber würde er niemals wieder an andere als an sie denken können. Und sie sah schamhaft und liebevoll auf ihn herab und sagte, sie wolle ihn ein Jahr auf die Probe stellen. Er bat und bettelte: so lange könne er nicht von ihr entfernt leben. Es half ihm aber nichts, die Probezeit mußte überstanden werden ... Plötzlich, wie er so für sich bat, entdeckte er auf einmal, daß der Page vor ihm gar nicht sie war, sondern Fräulein Bamberg mit den blinzelnden zärtlichen Augen und dem spöttischen Lächeln. Und er stand wieder im Gartenzimmer des Direktors, und der Direktor kam ganz ruhig herein und sagte Guten Tag – und das ganze schlug in lauter Blödsinn um.

Am Abend darauf und alle folgenden Abende, sobald Fräulein Lindgrens Name auf dem Theaterzettel stand, konnte man Jarmann in der ersten Reihe des ersten Parketts finden, und jedesmal war er gleich begeistert. Er machte aber keinen Versuch, mit der Dame bekannt zu werden.

Als Tivanders Truppe vierzehn Tage später weiter zog, fühlte Jarmann einige Tage lang eine heftige Sehnsucht. Nach und nach verließ ihn aber die Begeisterung wieder, und nach einer Woche hatte er das Ganze vergessen und lebte wieder wie vorher.


Das Jahr, in dem das zweite Examen bestanden werden sollte, ging, zu Ende, ohne daß Jarmann an irgendein Examen gedacht hatte. Die Geldsendungen von zu Hause hörten auf, und er begann darüber nachzudenken, was er anfangen sollte. Einen Augenblick dachte er an einen Hauslehrerposten, gab aber den Gedanken gleich wieder auf: dann hätte er ja von der Stadt fort müssen, und das wollte er um keinen Preis. Da bewarb er sich um einen Posten im Kontor eines Rechtsanwaltes und erhielt ihn. Das Gehalt betrug monatlich 30 Kronen. Er hatte aber dafür nichts zu arbeiten, er mußte nur zugegen sein. Und nun verbrachte er seine Vormittage in dem Kontor, mit irgendeinem Leihbibliotheksroman auf dem Sofa liegend, und lebte im übrigen weiter wie bisher – so weit sich das bei den beschränkten Geldmitteln und dem Kredit, den er hatte, tun ließ.

So vergingen etwa drei Vierteljahre bis zum Frühling 1881.


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