Hans Jäger
Kristiania Bohême
Hans Jäger

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XXV.

Es war anderthalb Jahre später, an einem Winterabend des Jahres 1877. Ich saß allein in meinem Zimmer auf dem Sofa zwischen den beiden Fenstern; in meiner gewöhnlichen Stellung, den Ellenbogen auf die Sofalehne gestützt, den Kopf in der Hand und die Beine unter mich heraufgezogen.

Auf dem Tische vor mir lag Hegel aufgeschlagen.

Ich starrte mit müden Augen ins Leere ...

Hatte es einen Sinn, damit fortzufahren? ... Zwei Jahre meines Lebens hatte ich nun mit Hegel, Fichte und Kant hingebracht ... ohne das Geringste zu begreifen ... War es nicht das beste, das Ganze liegen zu lassen?

Ich war doch nicht dumm! ... Es war doch nicht etwa meine Schuld, daß ich nichts davon begriff?

Doch wohl. Diese Männer hatten die Weltgeschichte für sich. Unsinn wird nicht weltgeschichtlich – ich mußte also doch dumm sein ...

Nein, zum Kuckuck! Ich war nicht dumm. Ich mußte es begreifen lernen, wenns irgendeinen Sinn hatte! Und ich wollte zeigen, daß ich es begreifen konnte! ... Ich hatte ja außerdem nichts zu versäumen ...

Ja, jetzt hatte ich es. Ich wollte eine Einleitung in die Philosophie schreiben. Darin wollte ich erstens beweisen, daß das ganze Dasein aus nichts anderem bestünde, als aus notwendigen Vorstellungen – dieser Beweis mußte ja, soviel ich sah, der wesentlichste Inhalt von Kants Kritik der reinen Vernunft sein, und jetzt würde ich doch Energie genug haben, um wenigstens mit diesem Buch ins reine zu kommen. Und dann wollte ich weiterhin auseinandersetzen, wie wir, so wahr diese Welt von notwendigen Vorstellungen vernünftig war, mit Hilfe unserer Vernunft das ganze wirkliche Leben in unserem eigenen Bewußtsein produzieren können müßten und dadurch dazu kommen, das unendlich reiche Leben des ganzen Weltalls zu leben ...

Und das mußte doch wenigstens einige dazu begeistern können, mitzugehen! So tief mußte doch die Armut in dem Leben empfunden werden, das die Menschen jetzt lebten; – ich wollte sofort beginnen!

Und ich nahm Kants Kritik der reinen Vernunft von meinem Bücherbrette, setzte mich vor den Tisch in den Lehnstuhl, legte die Beine auf einen Stuhl, lehnte mich zurück – und fing an zu studieren ...


Einige Monate später zu später Abendstunde – es war schon über zwölf Uhr – saß ich auf demselben Sofa in demselben Zimmer und schrieb eifrig. Der Lampenschirm warf das Licht grell auf das Papier. Im Zimmer selber aber war es ziemlich dunkel ...

Endlich! – Ich legte die Feder weg und stand auf; meine Einleitung in die Philosophie lag fertig vor mir auf dem Tische.

Ich ging nervös in dem halbdunklen Zimmer auf und ab, während der alte zerrissene Schlafrock um mich herumbaumelte ...

Hier war also der Aufruf – würde er nun auch jemand dazu veranlassen, zu den Waffen zu greifen? ...

Ich hoffte und glaubte es.

Sie aber, der ich das Buch schicken wollte, wenn es gedruckt war – würde sie von ihm ergriffen werden?

Das mochten die Götter wissen. Soweit ich mich erinnerte, hatte ich wohl niemals mit ihr ein Wort gewechselt, trotzdem wir weitläufige Verwandte waren und einmal in derselben Stadt gewohnt hatten. Ich erinnerte mich nur, wie sie aussah: mittelgroß, etwas voll, glattgestrichenes Haar um ein gewöhnliches Gesicht, aber mit einem Paar sehr verständiger brauner Augen ... Sie sollte hochbegabt sein. Sie war zwanzig Jahre alt, las mit Leichtigkeit Deutsch, Französisch und Englisch und hatte viel gelesen ... Und dann war sie tief religiös! Sie mußte also die »Eitelkeit« dieser Welt empfunden haben ... Dieses Leben befriedigte sie nicht; was für sie hinzukommen mußte, das war die Seligkeit ... Die Seligkeit – das war ja ein Leben in Gemeinschaft mit Gott! Und zu diesem Leben sollte ja gerade die Philosophie hinführen ... und nur die Philosophie konnte dahin führen; das religiöse Gerede von einem Leben in Gott war ja nur Mystik ... Und das würde sie begreifen, das mußte sie begreifen, wenn sie mein kleines Buch gelesen und begriffen hatte! ... Und dann würde sie sich zur Philosophie bekehren.

Ja, ja. So mußte es gehen! Und ein solches Weib würde ich lieben können ... Jawohl, ich war dessen sicher: Ein solches Weib konnte mich ganz einnehmen; ihr gegenüber würde ich die Kraft zur Unmittelbarkeit zurückerlangen ... Und wer weiß – vielleicht kam sie auch dazu, mich zu lieben.

Ich setzte mich wieder auf das Sofa und begann das Konzept zu dem Briefe zu schreiben, den ich ihr mit dem Buche schicken wollte.

Ich schrieb: »Ich schicke Ihnen dieses Buch, ein Buch der Zeit, ein Buch des Tages, und ich bitte Sie, es zu lesen. – Ich kann Sie ja nicht um Ihretwillen darum bitten; Sie haben ja bereits anderwärts Befriedigung gesucht und gefunden – was geht Sie dann dieses Buch an? Es muß also meiner selbst wegen sein – und so ist es auch; dies wie alles andere tue ich einzig und allem meiner selbst willen. Und weshalb sollten dann Sie nicht dem Egoisten gegenüber – und wenn es auch bloß wäre, um ihm zu zeigen, wie abscheulich sein Egoismus ist – einmal den Mantel des Egoismus um sich werfen und mit »nein« antworten? – Und doch sage ich Ihnen, daß ich trotz all meiner inneren Armut nicht ohne einen ungeheuren Schmerz eine solche Bitte würde abweisen können, wenn ich wüßte, um wieviel es sich hier handelt; und um mir nicht selbst diesen Schmerz zu verursachen, würde ich alles tun, was in meinen Kräften stünde, um die Bitte zu erfüllen – und das werden auch Sie tun, dessen bin ich sicher.

Und worum handelt es sich nun? – Hören Sie:

Ich lebe ein unglückliches, verzweifelt-armes Leben voll öder, unsäglicher Leere. Aus meinem Herzen schreit ein rasendes Verlangen nach etwas anderem und nach mehr, als zu den Genüssen, die das wirkliche Leben zu bieten hat, und deshalb erhält das wirkliche Leben für mich keine Bedeutung; es zieht an mir mit seinem ganzen Inhalt vorüber, ohne mich zu berühren, ich fühle nichts dabei – es ist ja nicht das, was dem alles übertönenden Verlangen in meiner Brust entspricht. Alle die Freude, alle die Befriedigung, die ein gewöhnlicher, unreflektierter Mensch aus seinem unmittelbaren Gefühlsleben zieht, all das verschwindet für mich unablässig in dem grundlosen Abgrund der Reflexion, und ich blicke nur mit wehmütigen Augen hinterdrein, während es verschwindet – mit wehmütigen Augen; denn auch ich habe einmal gewußt, was es heißt, unmittelbar zu leben. –

Es gibt nur einen Lichtpunkt in diesem meinem elenden Leben. – Eine ferne Hoffnung darauf, einmal zu erreichen, was mein inneres Wesen fordert, verbreitet ein wenig Dämmerung in der finsteren Nacht meines Lebens – ach, nur ein wenig Dämmerung; denn die Erfüllung dieser Hoffnung liegt, wenn sie erfüllt werden kann, fern, ach so fürchterlich fern.

Aber, werden Sie sagen, es ist doch eine Hoffnung, und bei der Arbeit daran, sie zu verwirklichen, müsse ich doch mich selber vergessen können; ich müsse mich selbst mitsamt meiner ganzen früheren Reflexion, mich selbst, wie ich stehe und gehe, in die Lösung dieser Aufgabe stürzen, die vor mir liegt, und den Nest meines Lebens in der Hoffnung verleben, daß es schließlich gelingen werde. – Ja, so würde es sein, wenn ich mich ausschließlich dieser Aufgabe widmen könnte, und wenn die Grenze der Energie und des Schlafes immer zusammenfielen. Aber keines von beiden trifft zu. Die Gesellschaft verlangt, daß ich einen großen Teil meiner Zeit darauf verwenden soll; sonst will sie mich nicht erhalten. Und die Energie – ach, sie reicht so jämmerlich wenig weit. Und all die Zeit, in der ich nicht unmittelbar in meiner Aufgabe aufgehe, falle ich in die alte verzweifelte Beschäftigung zurück: wehmütig dem nachzustarren, was an mir vorüberzieht und was ich hätte leben und fühlen können, wenn ich noch wie ehedem das Leben unmittelbar ohne Reflexionen mich durchströmen lassen könnte, ohne es mit dem anspruchsvollen Maßstabe in mir zu messen. Und mir ist zumute, als wäre mir plötzlich eine liebe Mutter gestorben, und ich stünde da und weinte und weinte – darüber, daß ich nicht weinen könnte .... O, wenn ich leben, leben könnte wie alle die anderen! –

Dann erfaßt mich aber Verachtung meiner selbst, der ich diesen Kleinigkeiten nachtrachte; und aus Raserei darüber, daß ich nicht einmal sie erreichen kann, stürze ich mich ins Leben hinaus und will wenigstens etwas von diesen Kleinigkeiten erfassen. Aber es gelingt mir nicht, und ich verfalle einer schlaffen Apathie, die oft lange Zeit anhalten kann – bis es zu unausstehlich wird; dann gehe ich wieder an meine Aufgabe heran, und hierauf beginnt der alte Kreislauf von neuem.

Wenn ich aber dann so apathisch daliege und schlaff alle Genüsse des unmittelbaren Lebens, nach denen ich vergebens voller Neid gegriffen habe, verachte, dann geschieht es zuweilen, daß eine brennende Sehnsucht in mir aufsteigt, die sich meiner Phantasie bemächtigt und mir ein herrliches Weib vorgaukelt, das von demselben verzehrenden Mangel an allem bedrückt wird wie ich selber – und wir tun uns zusammen. Mit ihr lebe ich. Zusammen stürzen wir uns in den großen Kampf, der uns alles geben soll und der allein uns zeitweise unsere unendliche Armut vergessen lassen kann. Zusammen stürzen wir uns, sobald die Kräfte erschöpft sind und wir nicht länger arbeiten können, in die fruchtlosen Versuche, uns von dem unmittelbaren Leben ergreifen zu lassen; und zusammen genießen wir in stummer aber inniger Erkenntnis unserer selbst und der Situation, der komischen tragischen Mischung von Nichtgönnen und Verachten der geborstenen Illusionen und Beneiden und Verachten derer, für die sie nicht bersten. Und ganz vertraut sinken wir uns dann an die Brust, wenn dann der Vorhang nach einem neuen Akt des fürchterlichen Schauspiels: Leben, fällt.

Dann erwache ich aber und nehme mich zusammen; ich weiß ja durchaus: Es ist und es wird wohl auch niemals Wirklichkeit. Denn um alles zu verlieren, wird außer einer starken Persönlichkeit auch eine starke Reflexionsfähigkeit gefordert – sonst beruhigt man sich bei religiöser Mystik. – Hat nun das Weib die Kraft zu dieser ganzen Reflexion? Das ist das, was ich von Ihnen wissen will, wenn Sie mir darauf zu antworten vermögen. Denn hat es dazu die Kraft, dann hat es auch die Kraft zu der Liebe, die die einzige ist, die ich teilen kann.

Und jetzt begreifen Sie, daß eine ganze Lebenshoffnung von der Antwort abhängt, die Sie mir geben werden, wenn Sie mein Buch gelesen haben. Denn wenn Sie es in Ihrem Innersten haben so durchdenken können, daß es Sie ganz ergriffen hat, dann weiß ich, daß ich trotz all meiner Armut doch noch eine Möglichkeit für die Erfüllung meiner Liebeshoffnung übrig habe.

Hermann Eek.«

Ich legte die Feder weg, stand auf und ging in dem halbdunklen Zimmer auf und ab ...

... Ob sie mir wohl auf diesen Brief antworten würde? ... Würde sie ihn überhaupt verstehen? ... Wie würde sie antworten, wenn sie sich dazu entschlösse? ...

Ich bekam eine Idee: ich wollte selber für sie antworten, so wie ich wünschte, daß sie es täte. – Und ich setzte mich wieder auf das Sofa und schrieb für sie an mich:

»Ich habe Ihr Buch gelesen und es in inniger Aneignung verstanden, so wie Sie es wünschten. Ich begab mich an die Lektüre in der Absicht, der Aufforderung, die Sie an den Leser richten, nachzukommen: nicht nur äußerlich sich durch das Buch hindurchzureflektieren, sondern sich auch durch das Buch hindurchzuleben. Ich wußte aber nicht, was es zu bedeuten hatte, einen Gedankeninhalt zu durchleben; ich glaubte, mir die Gedanken wie ein Kleidungsstück anlegen und mich ihrer wieder entledigen zu können, wann ich wollte – und jetzt, da ich fertig bin, entdecke ich, daß sie ein Teil meines eigenen Wesens geworden sind. Denn jetzt begreife ich, daß nicht allein das, was Sie in Aussicht gestellt haben, mir die Befriedigung völlig verschaffen kann, die ich früher suchte und in der Religion zu finden meinte. Und jetzt begreife ich auch, warum mich in der glücklichen Zeit, die Sie mir jetzt vernichtet haben – ohne daß ich Sie jedoch wie im ersten Augenblick deswegen hassen könnte – immer und immer wieder Stunden des Mißmuts heimsuchten. Ich glaubte damals, es wäre der Teufel, der in jedem Augenblick, da ich nicht auf der Hut war, mich aus meinem innigem Zusammenleben mit Gott herausriß, nun sehe ich, daß der Grund darin bestand, daß diesem innigen Leben jeder konkrete Inhalt fehlte und daß es eigentlich nur ein ekstatischer Zustand war. Ich forderte unbewußt diesen konkreten Inhalt – diese Forderung war der Teufel –, und deshalb fiel ich aus dieser Innigkeit heraus, dieser berauschenden, betäubenden Innigkeit, zu der ich jetzt, ach, niemals mehr zurückkehren werde. Denn ich kann trotz alledem nur traurig und mit einer Art Mißgunst die vielen glücklichen Menschen betrachten, die weiterhin dies innige Leben leben, das zwischen himmlischer Seligkeit in der Ekstase des Glaubens und bebendem Kampf, sie nicht zu verlieren, hin- und herschwankt, und doch will ich nicht, kann ich nicht zurückwollen, und deswegen ist jede Brücke zu der glücklichen Vergangenheit abgebrochen. – Sehen Sie, dies haben Sie mir angetan, und trotzdem muß ich Ihnen danken, von Herzen danken.

Sie baten mich ja aber nicht darum, Ihnen dieses zu erzählen – Sie fragen: hat das Weib die Kraft, sich zu solchen Höhen der Liebe zu erheben? – Ja, ich versichere Sie bei meinem Leben, das Weib hat diese Kraft. Und hätten Sie, anstatt mir lediglich den einzig möglichen Weg zur Wahrheit und zum Leben zu zeigen, mir erzählt, daß Sie die Idee hätten, daß Sie, wenn auch nur dunkel, den Weg zum Ziele vorerst nur unklar erblickten – ich würde, ohne etwas anderes von Ihnen zu kennen als das, was ich durch Ihren Brief erfuhr, mich vor Ihnen niedergeworfen und Sie angefleht haben, mich zu Ihnen hinaufzuziehen, damit ich mit Ihnen zusammen mich auf dem schweren steinigen Wege vorwärts kämpfen könnte, der allein zum Leben führt. Und hätten Sie mich dann zu sich emporgezogen, dann hätte ich mich Ihnen an die Brust geworfen, den ersten Kuß der Liebe auf Ihre Lippen gedrückt und den Kampf an Ihrer Seite begonnen. – Ach, Sie haben ja aber nicht die Idee, Sie vermögen mich nicht emporzuziehen; denn Sie stehen selbst nicht höher als ich. Und deshalb kann ich Sie nicht lieben. Nein, solange nicht einerseits Sie oder ich die Idee erfaßt haben und anderseits Sie ein Weib oder ich einen Mann gefunden habe, der sie erfaßt hat, solange ist die Liebe für uns unmöglich; denn selbst wenn wir uns jetzt liebten, weil wir beide dasselbe wollen – die Liebe würde doch sterben, wenn wir nicht den Weg fänden; und dieser Zweifel würde die Liebe in ihrem Entstehen vergiften. Und deswegen bleibt uns nur die eine Wahl: wie wahnsinnig zu arbeiten, um den Weg zu finden, oder schlapp in der Apathie der absoluten Verzweiflung zu versinken. – Ich arbeite und erwarte Hilfe von außen, in der Hoffnung, daß der Tag der Liebe einmal anbrechen wird.«

Ich las das Konzept durch und setzte mich dann wieder hin, um diesen Brief zu beantworten. Ich schrieb an sie: »Liebe Freundin! Sie haben zweifellos recht. Wird der Weg nicht gefunden, so trägt die Liebe bei ihrer Geburt den Keim des Todes in sich, und sie stirbt in demselben Augenblick, da die Liebenden die Hoffnung aufgeben. Solange aber diese noch lebt, ist es doch schön, jeden Tag neue Stärke und neuen Mut aus der Liebe schöpfen zu können. Und kommt dann doch der Tag, da die Hoffnung zerrinnt und die Liebe stirbt, dann hat wenigstens die Liebe die vergebliche Arbeit leichter gemacht. Das ist aber ganz richtig: eine Liebe auf dieser ungewissen Grundlage entsteht nicht per literas; sie muß sich auf etwas anderes als auf das rein Intellektuelle stützen können. Ach, daß wir uns nicht sehen und sprechen können!

Ich finde aber im Augenblick keinen Weg, um zu Ihnen kommen zu können. Deshalb gedulden Sie sich bis auf Weiteres!«

Der erste dieser drei verrückten Briefe wurde wirklich – vielleicht ein wenig geändert, daran erinnere ich mich nicht so genau, aber doch im wesentlichen in derselben Gestalt – mit dem Buche abgeschickt.

Ich erhielt natürlich keine Antwort, und die betreffende Dame hielt mich selbstverständlich für verrückt. Ebensowenig hatte sonst jemand Lust, meine »Einleitung in die Philosophie« zu lesen, die wirklich gedruckt wurde.

Und so lebte ich denn das Leben weiter, wie ich der Dame geschrieben hatte) zuweilen studierend, oft bummelnd, meist in schlappe Untätigkeit versunken, immer unglücklich und in einsamer Absonderung von allem eigentlichen Leben.

Allmählich verlor ich auch den Glauben an die Möglichkeit des Gelingens meiner Aufgabe: Die Vernunft reichte nickt über Gedanken hinaus, die Gedanken ließen sich nicht zu Sinneseindrücken, zu Vorstellungen verdichten ...

Trotzdem beschäftigte ich mich weiter mit Philosophie. Ich arbeitete nicht viel; wenn ich aber etwas arbeitete, dann war es Philosophie: alte und neue, meist aber alte. Ich hatte ja nichts zu versäumen, und es konnte ja immer von Nutzen sein, wenn ich so weit vordrang, um die Geschichte der spekulativen Philosophie so schreiben zu können, so daß jeder, der sich mit ihr befassen wollte, im Handumdrehen vollständig über sie orientiert sein und ihre völlige Nutzlosigkeit begreifen konnte.


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