Hans Jäger
Kristiania Bohême
Hans Jäger

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XIX.

Ein Jahr später. Ich war Kajütenjunge an Bord einer kleinen Barke.

Es war Nacht. Ich schlief in einem finsteren Verschlag neben der eigentlichen Kajüte und träumte:

Ich war daheim und stand in dem Garten hinter unserem Hause. Auf dem kleinen Hofe zwischen Garten und Haus stand ein junges blondes Weib und wiegte sich leise in den Hüften. Sie hielt ein Kind an der Brust; der Busen war zur Hälfte entblößt, die Ärmel aufgekrempelt; die Sonne schien auf die stramme weiße Brust und die derben, sonnverbrannten Arme.

Ich schlich mich näher heran, bis ans Staket, und verschlang von dort aus mit weit aufgerissenen Augen die weiße Wölbung der Brust und das langsame Wiegen der Hüften.

Sie hatte den Kopf gebeugt und sah auf das Kind herab. Plötzlich aber hob sie ihr Haupt empor und fing einen glühenden Blick aus meinen Augen auf. Sie lächelte, und die großen blauen Augen bekamen einen merkwürdig sanften Ausdruck – dann legte sie das Kind in den Kinderwagen, und ging, die Augen mit mattem Lächeln fest auf mich gerichtet, auf die Gartentür zu.

Ich bebte.

Sie schloß die Gartentür auf und näherte sich mir langsam, immerfort matt lächelnd, die Augen fest auf mich gerichtet.

Da stürzte ich ihr auf einmal entgegen, schlang die Arme um ihren weichen Leib und barg mein Gesicht an ihre Brust. Und ich fühlte, wie sich die schweren weichen Arme mir um Hals und Nacken schlangen; sie drückten meinen Kopf fest an sich – und mein ganzes Wesen löste sich in Wollust auf.

– – – Da fuhr ich plötzlich in der Koje empor, auf einmal ganz wach.

Ich hatte die Empfindung einer faden Schlappheit .... Und wie weh mir die Ellbogen taten! Die Hände lagen in Schlingen, die an einem leinenen Band angebracht waren, das in der Mitte an einem Hemdknopf hinten am Halse befestigt war.

Ich riß die Schlingen auf, befreite meine Hände und reckte die geballte Faust drohend gegen den schwachen Lichtschein empor, der vom Skilicht in das Dunkel der Kajüte hereindrang: »Hol dich der Teufel, Gott!« zischte ich verbittert hinter den zusammengebissenen Zähnen und fiel dann schlaff aufs Kissen zurück.

... Es war also vergebens! Nichts half also gegen dieses schreckliche Laster ...

Und was war es eigentlich? War es eine natürliche Krankheit oder war es eine Strafe, die Gott meiner sündigen Gedanken wegen auf mich herabsandte? ... Was ging es mich an! Mochte es sein, was es wollte; es gab ja doch kein Heilmittel dagegen. Mochte in Gottes Namen dieser kostbare Stoff von mir fließen, der »den männlichen Keim nähren« sollte, mochte in Gottes Namen aller Saft und Kraft von mir fließen, und mochte ich klein und schwächlich mit zugrundegerichtetem Leibe weiterleben, ich, der Seemann, der ordentlich groß und stark werden sollte. Mochte es in Gottes Namen immerhin so gehen, aber – der Teufel mochte Gott holen! Sein war ja alle Schuld!

Ich gebrechliches Menschenkind hatte alles getan, was in der Macht eines Menschen stand, und hatte ihm das übrige anheimgestellt.

Und er, der allmächtig war und außerdem versprochen hatte, uns von Sünde zu erlösen, er hatte nichts getan.

O, das war schändlich.

Hatte ich nicht seit langer Zeit mit übermenschlichen Anstrengungen Tag für Tag jeden ausschweifenden Gedanken aus meinem Herzen ausgerodet – so lange ich wach war! Ja, selbst wenn wir nach langer Fahrt ans Land stiegen und die erste Schürze, die dorten sichtbar wurde, meine Phantasie in Brand setzte und mich halb wahnsinnig machte – immer hatte ich alle meine Kräfte zusammengenommen und die Gedanken überwunden, daß sie keine Macht über mich bekamen.

Kaum aber lag mein Kopf auf dem Kissen, kaum war ich mit einem Gebet zu Gott auf den Lippen eingeschlafen – da drangen auch schon wieder alle Gedanken auf mich ein und machten mit mir, was sie wollten; im Schlafe vermochte ich sie nicht zu beherrschen.

Und da hätte ja Gott mich behüten sollen. Das war ja meine letzte Bitte an ihn, wenn ich meine müden Augen schloß.

Aber im Gegenteil. Des Nachts war es nur immer schlimmer geworden, je mehr ich selbst des Tages kämpfte. Es kam immer öfter und öfter, zuweilen viele Male in einer Nacht, so daß ich am Morgen lendenlahm und ermattet aufwachte wie nach einer bei angestrengter Arbeit durchwachten Nacht.

Noch hatte ich aber immer geglaubt, es müsse meine Schuld sein; Gott könne nicht so nichtswürdig sein. Und dann war ich auf den Gedanken verfallen, das müsse diese schreckliche »Selbstbefleckung« sein, von der ich gelesen hatte und die auch im Schlafe sollte geschehen können.

Da hatte ich angefangen, meine Hände festzubinden. Es geschah nun seit acht Tagen. Und einen Morgen um den anderen war ich in diesen acht Tagen mit schmerzenden Handgelenken aufgewacht – aber frohen Sinnes. Denn es war nicht gekommen. Es wäre also meine Schuld gewesen, dachte ich, nicht Gottes Schuld.

Aber nein; nun war es heute nachts doch wieder gekommen. Es war also doch nicht meine, sondern seine Schuld; er wollte einfach keinen Finger rühren, um mir dazu zu verhelfen, daß ich diese Sünde los würde.

Und hatte er vielleicht nicht versprochen, mich von Sünde zu erlösen, wenn ich ihn ernstlich darum bäte?

Jawohl!

Er tat es aber nicht.

Und außerdem – ich hatte noch über etwas anderes, viel Größeres mit ihm abzurechnen; das wollte ich meinen.

Es war nun dreiviertel Jahre her. Da hatte ich angefangen, ernsthaft um mein Seelenheil besorgt zu werden. Jede freie Stunde am Tage hatte ich in dieser Zeit zur Selbstbetrachtung benützt, zum Lesen der heiligen Schrift und zum Gebet. Tag für Tag hatte ich meine Sünden gestanden und – bereut, sie ihm bekannt und ihn flehentlich gebeten, sie mir zu vergeben und mich zu neuem Leben in Christo wiedergeboren werden zu lassen.

Hatte er aber mein Flehen erhört?

Nein.

Und hatte er versprochen, es zu tun?

Ja.

War er also ein ehrlicher, redlicher und wahrhaftiger Gott?

Nein.

Und konnte ich also etwas noch mit ihm zu schaffen haben?

Nein, nein, nein, nein, bei allen Teufeln der Hölle, adieu!

Ich reckte die geballte Faust in die Höhe, ich hatte ihn gesucht und ihn nicht gefunden; ich hatte gebetet, und er hatte nicht geholfen; ich hatte angeklopft, und er hatte mir nicht aufgetan. Er hatte mich betrogen und sein heiliges, unverbrüchliches Wort gebrochen – mit ihm konnte ich nichts mehr zu schaffen haben.

Und meine Hände fielen schlaff auf die Bettdecke herab, und ich blieb liegen, ohne zu denken, nur mit einem Gefühl unsäglicher Verlassenheit.

Dann fingen die Gedanken wieder zu arbeiten an.

Und die Hölle? ... ich sollte also nun in die Hölle, wenn ich starb, weil er sein unverbrüchliches Wort gebrochen hatte! –

O, gab es denn keinen größeren, besseren, gerechteren Gott, der diesen Gott zu Boden schlagen und ihn zum Satan in die Hölle hinabstürzen konnte, wohin er gehörte! ...

Und ich blieb in dem finsteren Gelaß liegen und weinte krampfhaft vor lauter Raserei.


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