Hans Jäger
Kristiania Bohême
Hans Jäger

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XXVIII.

An einem Nachmittag im Februar des Jahres 1883 saß ich im Grand-Hotel und trank Kaffee. Es waren viele Gäste da. Im Eckfenster saß Jarmann mit zwei jungen Menschen zusammen; der eine groß, dunkelhaarig und mager, mit einem starren Zug, um die dünnen Lippen und starrblickenden, stahlblauen Augen, an der spitzen, bleichen Nase merkwürdig abgemagert; der andere klein, blond und wohlbeleibt. Jarmann saß dem Fenster gerade gegenüber, den Rücken dem Café zugekehrt, und sah auf die Straße hinaus; die andern saßen neben ihm und blickten ins Café hinein. Sie sprachen kein Wort; sie saßen nur da, rauchten und starrten ins Leere.

Ich saß in der Mitte des Cafés an einem kleinen Tisch und betrachtete, hinter meiner Zeitung verborgen, diese stumme Gesellschaft. Ich hatte sie zur Kaffeezeit oft zusammen gesehen, meistens auf demselben Platze am Eckfenster. Sie saßen immer gleich still bei ihrem Kaffee, lasen keine Zeitung, unterhielten sich nicht, rauchten nur ihre Zigarre, nippten an dem Kaffee und sahen ins Leere. Ich kannte sie dem Namen nach. Der Große, Dunkelhaarige, Magere hieß Johnsen; der Kleine, Blonde Woll; das war aber auch alles, was ich wußte, Als es zu dämmern anfing, stand der Große, Hagere auf, holte seinen Überzieher, grüßte und ging seiner Wege. Die andern erwiderten seinen Gruß ganz mechanisch und blieben sitzen, regungslos und ohne ein Wort zu sprechen wie bisher, und starrten weiter vor sich hin.

Nach einiger Zeit warf auch Woll den Zigarrenstummel weg, stand auf und holte seinen Überzieher. »Jetzt muß ich wohl nach Hause wandern,« sagte er müde und gähnte, und dann grüßte er und ging.

Jarmann blieb sitzen und starrte weiterhin zum Fenster hinaus.

Ich setzte mich zu ihm. »Was sind das eigentlich für Leute,« fragte ich, »die beiden, mit denen du hier so oft zusammensitzt?«

Er lächelte. »Die? Ach, das sind meine besten Freunde. Es sind beide sehr gemütliche Leute.«

»Was sind sie denn aber?«

»Nichts.«

»Und was wollen sie werden?«

»Nichts.«

Ich sah eine Weile zum Fenster hinaus, dann sagte ich: »Nun, irgend etwas müssen sie aber doch den Tag über tun.«

»Nein, sie tun nichts.« Er schüttelte den Kopf.

»Wie du selber?«

Er lächelte. »Ja, wir haben uns gefunden, und wir vertragen uns sehr gut miteinander.«

Der Kellner brachte uns eine Karaffe Hennessy und ein paar Gläser, frischen Kaffee und Zigarren, und wir blieben noch eine Weile sitzen, rauchten und tranken von dem Kaffee und Kognak.

»Du!« sagte ich nach einiger Zeit, »wie bringt ihr denn aber den Tag hin, ihr drei?« »Ach,« sagte er schlaff lächelnd. »Gar nicht so uneben. Zunächst stehen wir erst spät vormittags auf ... dann bummeln Johnsen und ich in den Straßen herum und sehen uns bis Mittag die Leute an ... dann essen wir bei der Wirtin, bei der ich wohne ... dort treffen wir Woll, wenn er so früh aufgestanden ist ...«

»Schläft denn der so lange?«

»Er schläft seine vierzehn bis sechzehn Stunden am Tage, geht um zehn ins Bett und steht niemals vor zwölf, eins auf, manchmal erst um drei, vier.«

»Na, das ist wahrhaftig ein schlafendes Dasein. – Und dann am Nachmittag?«

»Dann gehen wir entweder zu mir und rauchen ... und schlafen ... und duseln die Zeit hin; oder wir gehen auch, wenn wir Geld haben, hierher. – Bis es dunkel wird. Dann verabschiedet sich Johnsen, und wir sehen ihn selten an dem Tage noch einmal; er geht auf die Weiberjagd, er muß jeden Tag etwas Neues haben. – Und Woll, der kleine Blonde, der vorhin zuletzt ging, der begibt sich nach Hause – um zu studieren! Er studiert nämlich Philologie. In seinem Zimmer liegen die philologischen Bücher auf« geschlagen auf dem Tische – übrigens immer bei derselben Seite; er zieht Schlafrock und Pantoffeln an, zündet eine lange Pfeife an und setzt sich dann vor die Bücher – und studiert! Das heißt, er sitzt, in dem Schaukelstuhl zurückgelehnt, vor den Büchern, raucht, sieht ins Leere und denkt. Zuweilen an etwas, was er schreiben will, meistens aber wohl an nichts. Ab und zu schläft er auch, wie er so dasitzt, ein, wacht dann wieder auf, zündet sich eine frische Pfeife an und beginnt wieder von vorn. So vergeht die Zeit, bis es zehn Uhr wird; dann zieht er sich aus, legt sich ins Bett und schläft wie ein Prinz – er hat, was das Schlafen betrifft, ein ganz merkwürdiges Talent.«

»Und das hält er so Tag für Tag aus!«

»Na, etwas Abwechslung gibt es ja immer,« sagte Jarmann und trank sein Glas aus. »Ab und zu, wenn er auf dem Heimwege ein Weib trifft, das ihm gefällt, nimmt er es mit nach Hause. Er wird ihrer aber bald überdrüssig und schickt sie wieder fort. Und er strengt sich übrigens auch nie im geringsten an, um ein Weib zu bekommen ... Und dann kommt es ja auch zuweilen vor, daß er einen Kameraden trifft, der ihn zu einem Glas Grog einlädt. Eine solche Einladung nimmt er immer an; denn er betrinkt sich gern, wenn er das erreichen kann, ohne sich weiter echauffieren zu müssen. Aber auch nur einen Schritt zu tun, um sich Branntwein zu verschaffen, dazu hat er keine Lust. Übrigens ist er ganz spaßhaft, wenn er etwas getrunken hat. Ich habe mehrmals mit ihm zusammen bei Kameraden Grog getrunken, und da ist er ganz unbezahlbar. Erst wird er fürchterlich lustig, das ist das erste Stadium. Wenn er dann etwas mehr getrunken hat, wird er begeistert. Und dann hält er immer eine rührende Rede auf die Frau, und schließlich weint er, daß die Tränen ihm übers Gesicht strömen, während er mit dem Glas in der Hand dasteht. Das gehört zum Spaßigsten, was ich gesehen habe, und ich muß dann immer lachen und mir die Hände reiben, die anderen in die Seite stoßen und sagen: »Seht nur, seht nur! Jetzt weint Woll!« Dann lächelt er mir zu, setzt sich und ist mir deswegen gar nicht böse, weil ich lache. Ach, das ist ein reizender Mensch ... ich mag ihn beinahe noch besser leiden als Johnsen. – Aber Johnsen ist auch ein herrlicher Mensch. Du solltest nur wissen, wie er ist ... Wir haben uns z. B. zufällig bis Mittag nicht gesehen, und er kommt dann nachmittags zu mir, während ich Mittagsruhe halte ... Ich werde hierbei nicht ganz wach, höre ihn nur im Schlaf eintreten und sich still auf einen Stuhl setzen – und schlafe dann mit einem wohltuenden Gefühl weiter, als wäre ein guter Geist in die Stube eingekehrt. Wenn ich dann aufwache sitzt er noch auf dem Stuhl, auf den er sich gesetzt hat, sieht ruhig vor sich hin und sagt kein Wort – o, er ist ein herrlicher Mensch! ...«

Jarmann starrte wieder zum Fenster hinaus, und wir sprachen eine Zeitlang kein Wort.

»Wovon leben nun aber diese Menschen?« fragte ich dann.

Jarmann zuckte die Achseln. »Ach, sie bekommen etwas Geld von zu Hause.«

»Wenn das nun aber aufhört?«

»Ja ... daran denken sie nicht weiter.«

»Zuweilen müssen sie aber doch wohl daran denken.«

»Ja, wenn jemand sie danach fragt. Das gefällt ihnen übrigens nicht. Dann pflegt aber Woll zu sagen, er habe die Absicht, einmal etwas zu schreiben, Schriftsteller zu werden ...«

»Und Johnsen?«

»Wenn man sehr in ihn dringt, so murmelt er schließlich etwas davon, daß er nach Amerika will.«

»Und du selber?« fragte ich und sah Jarmann an, »was gedenkst du ... schließlich zu tun?«

Er lächelte schlaff. »Nichts! Ich treibe es so weiter wie bisher und sage, es mag gehen, solange es geht ... einmal kracht wohl das Ganze zusammen ... aber, kommt Zeit, kommt Rat.« Und er blies ruhig den Rauch aus dem Munde und starrte zum Fenster hinaus.

Und ich starrte auch hinaus. Ich fühlte mich ganz merkwürdig wohl in der Gesellschaft dieser verunglückten Menschen, und ich konnte den Wunsch nicht unterdrücken, daß die beiden andern auch da sein möchten: ich würde dann mit ihnen allen dreien ins Leere starren, nichts sagen und nichts denken.

Wie gut begriff ich, daß sie sich miteinander wohlfühlen konnten.

Seit diesem Tage fing ich von neuem an, Jarmann in seiner Wohnung zu besuchen. Es dauerte aber nicht lange; ich bekam es bald satt und hörte demgemäß wieder damit auf.

Im Herbst hörte ich, daß er nun die Kriegsschule besuchte, um Reserveleutnant zu werden, und daß er öfters zu meinen Brüdern käme und einem Fräulein Petersen den Hof machte, die in der gleichen Pension wie meine Brüder wohnte. Ich hatte aber fast ein Jahr lang nicht ein einzigesmal mit ihm gesprochen

– bis er nun plötzlich heute Abend mich aufgesucht hatte, während ich im Bette lag und las ...

... Der arme Kerl! Nun gelang es ihm also nicht mehr, die Zeit totzuschlagen ... es ging nicht auf die Dauer, selbst wenn er einige Stunden am Tage mit Johnsen und Woll zusammensitzen, ins Leere starren und nichts sagen konnte ...

Und ich dachte und dachte über dieses vernichtete Leben nach und wodurch es vernichtet worden war

– und da entschloß ich mich, dieses Buch zu schreiben.


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