Hans Jäger
Kristiania Bohême
Hans Jäger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVIII.

Es war ein Jahr später, zur Sommerszeit. Wir waren aufs Land gegangen. Die Luft war neblig vor Hitze. Das Meer lag ruhig und spiegelblank im Sonnenschein da.

Im Innern der kleinen Bucht war ein grüngestrichenes Boot halb auf den Strand hinaufgezogen; es war umgefallen und lag mit dem Bauche in dem weißen Sande. Um die Bucht herum stieg das Land amphitheatralisch in die Höhe, von oben bis unten, fast bis zum Strande, mit dichtem Kiefernwald bewachsen; eine Reihe kleiner Büsche und ein Rasengürtel trennten den Wald von dem eigentlichen Strand.

Wir saßen – mein Kamerad und ich – auf ein paar großen Steinen vor dem Boote und kleideten uns nach dem Baden an. Wir sprachen ein Wort; kein Laut war zu hören, nur in der Ferne weit draußen ersterbendes Sausen; sonst war es totenstill.

Die Stille hatte uns angesteckt. Wir waren mit dem Ankleiden fertig, blieben aber mechanisch auf unserem Platze sitzen, mit einer Empfindung behaglichen Vegetierens. Kein Begehren, keine Gelüste, kein jugendliches Verlangen regte sich in uns; in unserm Herzen war Ruhe und Stille wie in der Natur.

Endlich sagte mein Kamerad ganz mechanisch: »Wollen wir wieder nach Hause gehen?«

Wir erhoben uns gemächlich, richteten das Boot auf, schoben es ins Wasser und sprangen hinein, ergriffen dann jeder unsern Riemen und ruderten ganz langsam in die Bucht hinaus.

Wie wir eben draußen um die Landspitze biegen wollten, schoß plötzlich ein schlankes weißgestrichenes Nordlandsboot mit hohen Steven von der anderen Seite her mit ziemlicher Schnelligkeit gerade auf uns los: es war gedrängt voll von Damen in hellen lichten Sommerkleidern. Einige Damen schrien auf. Wir hielten die Ruder an, das Boot glitt an uns vorbei, ohne daß wir ihm zu nahe gekommen wären, und plaudernd und lachend ruderten die Damen weiter, ohne uns zu beachten.

Ich starrte auf das Boot und seine Insassen in den leichten Sommerkleidern wie auf eine Erscheinung; alles Blut war mir zum Herzen geströmt, ich fühlte es, daß ich ganz blaß wurde. Du großer Gott, all diese reizenden Geschöpfe würden sich baden, ganz wie wir, würden sich am Strand entkleiden, ins Wasser steigen und mit den herrlichen nackten Leibern plätschern ... o, ich zitterte bei dem Gedanken daran, es war zum Verrücktwerden ... ich mußte ... mußte ... sie wenigstens sehen, es koste, was es wolle.

Ein paar Ruderschläge, und wir waren um die Landspitze herum. Da zog ich stille mein Ruder ein, stand auf, hielt den Finger an den Mund und sagte leise: »Wende!«

Er tat es, und das Boot glitt ans Ufer. Ich sprang mit der Fangleine ans Land, machte das Boot fest und winkte ihm – und dann krochen wir beide die Landspitze hinan, legten uns auf den Leib und sahen in die Bucht hinein.

Das Nordlandsboot fuhr gerade auf den Strand auf, die Damen stiegen aus, zogen das Boot etwas hinauf und eilten dann hinter die Büsche, um sich zu entkleiden.

»Ach,« sagte ich halblaut. Ich hatte gehofft, ihnen beim Entkleiden zusehen zu können.

Wir warteten in atemloser Spannung.

Endlich kam eine der Damen hinter einem Busch hervor. Sie watete direkt ins Wasser hinein, über den Sandboden hinweg, bis ihr das Wasser bis an den Leib reichte, dann legte sie sich vornüber und schwamm in die Bucht hinaus ...

Dann trat eine andere hervor – kleiner und graziöser, rund und zart. Sie lief behend über eine Reihe großer Steine, die aus dem Wasser hervorsahen, setzte sich auf den äußersten von ihnen, steckte die Zehenspitzen ins Wasser, stieß einen kleinen Schrei aus und zog sie wieder zurück – dann blieb sie dort niedergekauert sitzen, die Beine heraufgezogen und die Arme um die Knie geschlungen – bis eine dritte unvermerkt denselben Weg über die Steine daherkam und ihr einen Stoß gab, daß sie ins Wasser stürzte. Ein Schrei, ein Platsch – und die dritte hüpfte lachend hinterdrein. Und dann kam eine nach der anderen hinter den Büschen hervor – im ganzen waren es acht –; sie wateten entweder auf dem Sandboden ins Wasser hinein oder nahmen den Weg über die Steine. Bald waren alle im Wasser. Und nun gab es ein Schreien, ein Lachen, ein Plätschern und Spritzen, daß das Wasser um die weißen, runden Gestalten aufschäumte.

Auf der Landspitze aber lagen wir auf dem Leibe und verschlangen den Anblick mit weit aufgerissenen Augen; die Herzen klopften, der Atem ging schwer, und der Schweiß perlte auf den Stirnen.

Auf einmal sprang ich auf. »Wir müssen uns beeilen,« flüsterte ich dem Kameraden zu.

»Willst du wirklich dorthin fahren?« fragte er ängstlich.

»Willst du mit oder nicht?« Ich sprang ins Boot.

Da kam er natürlich auch.

Ich ergriff das vorderste Ruderpaar, er das hinterste, und mit ein paar Zügen waren wir wieder um die Landspitze herum und steuerten auf den Strand los.

»Und nun rudern wir auf Leben und Tod!« flüsterte ich. »Lange Züge!«

Wir beugten uns vornüber und holten aus, soweit wir konnten – und das Boot flog dahin, daß der Schaum aufspritzte.

Einige Zeit hörten wir nichts als das Schäumen am Bug des Schiffes.

Merkten sie vielleicht nichts? ... Nein, sie waren wohl zu sehr mit sich selber beschäftigt.

Da schreien plötzlich mehrere Frauenstimmen auf einmal: rudert weg! rudert weg! Ich biß aber nur die Zähne zusammen, stemmte die Füße noch kräftiger gegen die Ruderbank und holte aus Leibeskräften aus ...

Das Boot flog über den Sandboden scheuernd den Strand weit hinauf und fiel dann seitwärts in den weißen Sand. Da erst kehrte ich mich um, um zu sehen. Die ganze Schar, alle acht, flüchtete den Strand hinauf; die letzte war gerade aus dem Wasser herausgekommen.

Ich saß wie festgewurzelt da. Mein Gesicht brannte wie Feuer; die paar Sekunden, die ich diesen fliehenden Frauengestalten nachsah, klopfte mein Puls wie im Fieber. Dann verschwand die letzte hinter den Büschen, und ich knickte förmlich zusammen.

Dann aber sahen plötzlich einige Damen hinter den Büschen hervor und riefen uns »Pfui! pfui!« zu.

Auf einmal wurde ich ganz beschämt; ich hätte in. die Erde sinken mögen. Aber die Ehre mußte gerettet werden; wir waren ja kecke Jungen; wir waren ja nicht deshalb gekommen, um sie zu sehen – was kümmerte uns das?! – O nein, wir hatten die Frauenzimmer bloß erschrecken wollen. Und ohne eigentlich zu wissen, was ich tat, stand ich im Boote auf, schwang den Hut und rief lachend: »Hurra, hurra-a-a!«

Und dann sprangen wir an Land, schoben das Boot wieder ins Wasser und ruderten langsam weg.

Eine Zeitlang sprachen wir kein Wort. Dann aber konnte ich mich nicht enthalten, zu sagen: »Denke dir, wenn wir zu ihnen hinter die Büsche gelaufen wären – hm!« Ich zitterte am ganzen Leibe.

»Ich würde eine Mark dafür geben, wenn ich mehr sehen könnte,« antwortete mein Kamerad lüstern.

»Eine Mark?! – mein ganzes Leben!« Ich sagte das nicht laut, murmelte es nur vor mich hin; selbst ihm, meinem besten Freunde, wagte ich nicht mich so zu zeigen, wie ich wirklich war.

Wir ruderten langsam nach Hause, das Boot glitt gemächlich durch das ruhige Wasser, keiner sagte etwas, wir hatten genug mit uns selber zu tun.

Bei mir wenigstens war es so. Ich fühlte mich unheimlich unwohl an Leib und Seele, wie wenn eine zehrende Krankheit an mir nagte.

O, dieser qualvolle, wahnsinnige Durst! – sollte der anhalten, ohne gelöscht zu werden, Tag für Tag, bis ich in ferner Zukunft endlich einmal heiraten würde?!

... Heiraten? – Der Vater hatte mit einunddreißig Jahren geheiratet, ich war noch nicht einmal vierzehn. Siebzehn Jahre lang warten, achtzehn Jahre – ich würde viel früher verrückt werden. Seltsam, daß ich es nicht schon geworden war. Diese verzehrende Leidenschaft erfüllte mich ja den ganzen Tag über, vom Erwachen bis zum Schlafengehen – abgesehen von einigen kurzen Pausen völliger Erschlaffung ... Ein Bad war noch das einzige Gegenmittel; das beruhigte für die Zeit seiner Dauer. Man konnte doch aber nicht den ganzen Tag über im Wasser liegen – und sonst war diese Leidenschaft fast immer da. Sobald ich des Morgens die Augen aufschlug – gleich war sie da, und ich sprang aus dem Bette, schlang etwas Essen hinunter und eilte aufs Feld, um mit den Bauerndirnen zu heuen. Ich mußte ihnen so nahe wie möglich sein, so daß ich ab und zu verstohlen den Geruch ihrer Leiber einatmen konnte; ich sog ihn mit offenem Mund und geblähten Nüstern ein. Ich hatte aber nicht den Mut, sie anzurühren; um alles in der Welt nicht. Fiel es der Bäuerin ein, wenn wir mit der Arbeit fertig waren und ich recht fleißig gewesen war, zu mir zu sagen: »Du bist geschickt, zur Belohnung kannst du heute in der Scheune bei den Mägden schlafen!« dann wurde ich nur verlegen und stand mit einem dummen Lächeln da, anstatt sie zu fassen und meinen Spaß mit ihnen zu treiben. Ich hatte die Empfindung, daß sie alle meine Gedanken errieten.

Ach, es war zu dumm, daß ich niemals den Mut hatte. Ich knirschte mit den Zähnen.

Ich hielt es nicht aus; ich würde sicher verrückt werden, wenn das so andauerte ... Und trotzdem getraute ich mir's nicht . . Nein, zu Hause nicht. Wohl aber, wenn ich zur See kam. Weit weg von daheim, wo mich niemand kannte und es also niemand erzählen konnte ... Dann würde ich schon den Mut finden. Und dann wollte ich, ja, dann wollte ich, das war sicher ...

Zur See! – Segeln ... segeln ... und dann in den Hafen kommen und dort sich sättigen, sich mit Frauen sättigen!. Und dann wieder segeln – und sich sehnen. Segeln und sich sehnen, segeln und sich sehnen – und dann wieder in den Hafen kommen – ach – ich fuhr auf, von Wollust durchschauert.

»Was ist denn mit dir los?« fragte mein Kamerad.

»Ach, ein Frostschauer! Mich fröstelt!«

Und dann ruderten wir mit raschen Zügen, das Boot flog pfeilschnell durch das klare Wasser – und bald war ich wieder auf dem Felde draußen und heute zusammen mit den Bauerndirnen.


 << zurück weiter >>