Georg Herwegh
Gedichte
Georg Herwegh

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Zur Schillerfeier in Zürich

Prolog für die Festvorstellung im Theater am 10. November 1859

Vivos voco

                    Vor hundert Jahren kam ein Schwan gezogen
Vom Geisterland, ein wunderbarer Schwan.
Nach kurzer Rast heimwärts ist er geflogen –
Wir rufen ihm auf seine Sternenbahn
Hinauf den Gruß vom niederen Gestade
Und denken heut der sonnenhellen Pfade,
Die er dahinzog, und der lichten Spur,
In deren Schein verklärt ward die Natur,
Licht floß ihm von der reinen Schwinge nieder,
Licht strahlt' er in des Schicksals dunkeln Gang,
Vom Glanz der Wahrheit blitzte sein Gefieder,
Und der Gedanke ward bei ihm Gesang,
Der ihn entzückt in trunknem Flug
Bis vor den Thron der Schönheit trug.

Ein Alexander barg in goldnem Schrein
Das hohe Lied von Ilium.
Doch unsern Dichter, in dem Heiligtum
Des Herzens schloß ein ganzes Volk ihn ein.
Und trennt uns groß' und kleine Leidenschaft
Und gegenseitig bitteres Verneinen –
Dem Genius verbleibt die Kraft,
Uns alle um sich zu vereinen.
Wir grüßen ihn, den Herrscher unsrer Seelen,
Als gält's in dieser trüben Zeit
In ihm den Führer uns zu wählen,
An seinem Wort das Schwert zu stählen,
Bis wir's gebrauchen in dem Streit.
Wir wissen nicht, was uns beschieden,
Es waltet heut ein böser Stern:
Wir hatten Krieg und haben keinen Frieden,
Und donnern hör ich schon von fern.
Doch sehn wir auch, wie trotz dem Bleigewichte
Der Finsternis ein Volk jetzt aufwärts strebt;
Die Freiheit ist die Flut der Weltgeschichte,
Und manche Woge sehn wir, die sich hebt.
Wir sehen auch, es schwindet das Vertrauen
Auf jeden ird'schen Herrscherstab;
Drum wollen wir auf jene Krone bauen,
Die er der Menschheit wiedergab.
Von außen kommt kein Brecher ihrer Ketten;
Der eigne Adel in ihr wird sie retten.

Der Menschheit Bild in herrlichster Vollendung,
Wie sich's in tiefem Schauen ihm enthüllt,
Zu offenbaren – das war seine Sendung;
Er hat sie treu erfüllt.
Und sehnend wenden Millionen heut
Den Blick zu ihm, den Blick nach innen;
Und wie uns auch der Lärm der Welt zerstreut,
Wir sammeln uns zu weihevollem Sinnen. –

Wo ist im großen Menschenstrom die Welle,
Die so der Glut von oben sich verschließt,
Daß nicht ein Teil von ihr des Himmels Helle,
Frei von des Stoffes Wucht, entgegenfließt?
Wer ist, der um den Glanz erworbner Habe
Den angebornen Glanz so von sich warf,
Daß er hier fürder keiner andern Labe
Als aus dem Born gemeinen Glücks bedarf?
Wer ist in dieser frohbewegten Schar,
Wenn er den Mißklang unsrer Welt empfunden,
Der ihm nicht dankbar für den Wohllaut war,
Den er in seinen Melodien gefunden?
Wer ist, dem nicht der eigne Manneszorn
Aus seinem Wort veredelt widertönte,
Daß noch mit Blüten sich des Mißmuts Dorn,
Wenn auch mit Leidesblüten krönte?

Denn tief im Schönen wurzelte sein Glaube:
Durchs Schöne führt der Weg aus niedrer Qual,
Durch jene Kunst, die einst zum zweiten Mal
Den Menschen schuf – aus der Hellenen Staube.
Und solcher ew'gen Schönheit Zauber wußt
Zu legen er in jenen letzten Klang,
Als, mit dem Todespfeil in seiner Brust,
Den Pfeil, den rettenden, er für euch sang.
Ihr wißt, mit Leibesaugen hat er nie
Die Alpen, Zeugen jener Tat, geschaut,
Hervor aus seiner Seele sprangen sie,
Die ja mit allen Höhen war vertraut
Und allen Tiefen – nichts hat ihn erschreckt,
Er forscht' und forschte, bis er die Gesetze,
Unwandelbar im Flüchtigen, entdeckt.
O sprecht, von allen, welche Schätz um Schätze
Turmhoch auf dieser Erde auf gespeichert –
Hat einer so wie er die Welt bereichert?

Sein erster Schritt, wie war er stolz und kühn!
Doch welcher Segen sollt uns noch erblühn,
Als er an dir den Freund gefunden, Goethe!
Wie Streben rasch an Streben sich erhöhte!
Wie ihr vereint dem Ziel seid zugeeilt
Und großgesinnt die Palme habt geteilt!
Es werden Sterne auf – und niedergehn
Solch einen Bund wird man nicht wiedersehn
Der Kunst getreue Wächter, Hand in Hand,
So stehn sie da, gepriesen und bewundert,
Nie mehr getrennt wird man von Land zu Land
Sie nennen, von Jahrhundert zu Jahrhundert.
Innig verbunden, haben sie ein Band
Fest wie kein anderes um uns geschlungen.
Der von der Glocke uns das Lied erfand,
Hat er nicht selbst, wie sie, in Freud und Leid,
In kummer- wie in hoffnungsvoller Zeit
In unserm ganzen Leben mitgeklungen?
Seit jenem Tag, da mit ureigen neuer
Gewalt des Worts er Rechnung abgefodert
Der alten Welt und seines Zornes Feuer
Erschreckend wie entzückend hat gelodert!
Die Lava war es himmlischen Genies,
Der später jener edle Wein entsprossen,
An die ein volles Dichterparadies
Der schönsten Schöpfungen sich angeschlossen.
Es sorgt das Leben schon, uns abzukühlen:
Mit zwanzig Jahren wird man stets so fühlen.
Ihr, junge Herzen, haftet fest das Echte
In eures Dichters erstem Jugendschwung –
Ach, nur zu frühe vor dem Rausch der Knechte
Lernt in uns schweigen die Begeisterung. Bleibt jung!
Bleibt jung! Bleibt jung!

Er siegt, der Geist, der einst auf schwachen Planke
Kolumb gerettet und Kolumbs Gedanken
Und Philipps Flotte, die der Welt gedräut,
Wie kindisch Spielzeug in den Wind zerstreut.
Und scheitert auch ein königlicher Schwärmer,
Verzweifelt nicht: das gute Werk gelingt.
Aus tiefem, unbekanntem Schoß entspringt
Der Heilung Quell – je tiefer, desto wärmer.
So lehren uns der Mutter Erde Schichten,
So lehren uns der Menschenwelt Geschichten.
Blickt auf den Tell und jene Hirten hin!
Auf Frankreichs Retter, auf die Schäferin!
Vorahnend wollt er uns die Quellen zeigen,
Daraus die Geister der Erlösung steigen.

Die Zeit, die wir gesehn im WalIenstein:
»Wo nichts der Bürger galt, der Krieger alles!«
Bald sollt sie brechen über uns herein,
Die schwere Stunde unsres tiefsten Falles.
Wir lagen da zertrümmert und vernichtet;
Der Geist, der in ihm lebt, der hat uns aufgerichtet
Und wenn wir gut und wenn wir groß gehandelt,
So war's, weil er den Menschen umgewandelt,
Und wenn die Kraft des Volkes Wunder tat,
So war's, weil in ihm aufging seine Saat.
Mächtig wie deiner Wogen Schwall, o Meer,
Prächtig wie deiner Lieder Schall, Homer,
So in die Seelen sang er feurigen Mut,
So in die Seelen schwang er himmlische Glut.
In Not Lind Drängen wuchs an ihm empor
An seinen Gesängen
Ein Heldenchor.
Und als der Kampf entbrannt war ohnegleichen
»Um Herrschaft und um Freiheit« in der Welt,
Da standen unsres Schillers Zeichen
Mit uns im Feld.
Und als geschlagen ward die letzte Schlacht,
Hat uns zum Sieg geführt auch seine Macht.

Er war im Bild vergangner Zeiten
Der bessern künftigen Prophet
Und wird, ein Freund, das deutsche Volk begleiten,
Solang ein deutsches Volk besteht.
Im Schmuck der Jugend, wie in grauer Locke,
Wir sind ihm alle, alle treu verblieben –
Er selbst ist heute jene reine Glocke,
Drauf VIVOS VOCO deutlich steht geschrieben.
Sie kommen all, die Lebenden, die Seinen,
Bezwungen von des Rufes Hochgewalt,
Und wenn sie einst als Wetterbrecher schallt,
Sie werden alle wiederum erscheinen. –

Ihr aber bleibt von seinem Feste fern,
Die ihr ihm den Tribut der Liebe stahlt,
Der Fackeln, die zu löschen ihr befahlt,
Bedarf kein Stern.
Ihr Toten möget ruhen in dem Herrn,
Der euch bezahlt.
Doch wisst! Ihm, dem aufs Haupt der Musen Gunst
Ausgoß jedweder Himmelsschöne Tau –
Ihm war der Gipfel aller Menschenkunst
Der Freiheit Bau.
Ihr habt an ihm auch euren Witz geübt,
Auch seines Wortes klarsten Sinn getrübt,
Des Volkes Augen werden aber hell;
Es ruft: Ich hin Johanna, ich bin Tell!
Und »wenn kein Meister will die Form zerbrechen,
Mit weiser Hand, zu rechter Zeit«,
Tells Dichter wird ein Volk nicht schuldig sprechen,
Das endlich »selber sich befreit«.

»Das Reich der Freiheit hat dir Gott gegründet«,
O Schweiz, nur dir allein?
Sein Wort hat überall gezündet;
Das Reich der Freien, es muß größer sein.
Deutschland und Schweiz! Wie uns ein Strom, der Rhein
So hält ein Geistesstrom uns heut zusammen,
Und wie wir glühen von denselben Flammen,
Sei unser Gruß dem, der sie angefacht,
Demselben Genius von uns gebracht!

Erhebt euch! nicht vor einem Meister,
Der vor sein Volk in Purpur tritt;
Erhebt vor einem Fürsten euch der Geister,
Der nur für Menschenwürde stritt!
Erhebt euch heute dem zur Ehre,
Der euch so oft der dumpfen Schwere,
Der Angst des Irdischen enthob
Er ist zu groß für unser Lob;
Nur Liebe dringt in! seine Sphäre,
Nur Liebe werd ihm drum zuteil:
Heil, Schiller, Heil!

Die Feuer flammen, und die Glocken läuten,
Doch ist's nicht allerorten gut bestellt,
Und manche Bretter möchten heut bedeuten
Wohl eine andere als diese Welt.
»Die nur den Geist anrufen in der Not,
Und denen grauet gleich, wenn er sich zeigt« –,
Für sie ist unser Dichter tot
Und schweigt.
Doch kann's geschehen, daß in dem Volksgemüt,
Das liebend dich so lange schon in stiller
Andacht gehegt, ein neuer Sinn erglüht –
O gib ihm deinen Segen, großer Schiller,
Daß es kein Spiel jetzt treibt mit deinem Namen,
Und daß es endlich ruft: So will ich, denn so will er, Amen!

 


 


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