Georg Herwegh
Gedichte
Georg Herwegh

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Kaisergrütli

September 1872

          Drei Kaiser beisammen – was gibt's zu retten?
Was gibt's zu schmieden für neue Ketten?
Der Völkerärzte – was gibt's zu heilen?
Drei Salomons-Schwerter – wo gibt's zu teilen
Ein neues Polen? Wer sind die Bedrohten?
Sind es die Schwarzen? Sind es die Roten?
Ist's einer der widerspenst'gen Vasallen,
Die sich geweigert, nach Mekka zu wallen?
Dreht man den Armesünderstrick
Vielleicht für Frankreichs Republik?
Und fühlen die Herren von Gottes Gnaden
Trotz aller Thiersschen Füsilladen
Sich nicht ganz wohl? Der weiße Zar,
Was will er? Holt er sein Honorar
Dafür, daß er so brüderlich
Den Bruder am Seinestrand ließ im Stich? –
Die Wächter der Donau, der Hüter des Rheins –
Die drei, wie lange bleiben sie eins?
Und wenn sie umarmt sich mit Entzücken,
Wer wird den andern zuerst erdrücken?
Und wenn sie ewige Freundschaft geschlossen,
Von wem wird wieder zuerst geschossen?
So fromme Herrn, so gute Christen –
Wer wird den andern überlisten?
Wer kann uns sagen, wer tut uns kund:
Was bedeutet der Kaiser-Grütlibund?
So hör ich fragen die Kreuz und Quer;
Unser Berlin indessen putzt sich sehr,
Die europäischen Providenzen
Sehn es im Gründerschmucke glänzen!
Madai steht stolz wie ein Titus da,
Seit er zerstöret Barackia;
»Kein Lump soll unter die Augen treten«,
So rief er, »den fremden Majestäten!«
Die hohe Cäsarenstadt wimmelt von Spitzeln,
Die inspiriertesten Federn kritzeln
Von Friedenstauben und Kriegesenten –
Oh, meine teuren Korrespondenten,
Ich kenne das Menu der Kaisertische,
Ich riech die kongreßlich gräßlichen Fische
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was die Götter bedecken mit Nacht und mit Grauen.

 


 


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