Georg Herwegh
Gedichte
Georg Herwegh

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O wag es doch nur einen Tag!

Januar 1845

        Frisch auf, mein Volk, mit Trommelschlag
Im Zorneswetterschein!
O wag es doch, nur einen Tag,
Nur einen, frei zu sein!
Und ob der Sieg vor Sternenlicht
Dem Feinde schon gehört –
Nur einen Tag! es rechnet nicht.

Ein Herz, das sich empört.
O wart in deiner tiefen Not
Auf keinen Ehebund;
Wer liebt, der gehet in den Tod
Für eine Schäferstund:
Und wer die Ketten knirschend trug,
Dem ist das Sterben Lust
Für einen freien Atemzug
Aus unterdrückter Brust.

Laß deine Weisen fort und fort
Nur Tod und Schrecken sehn,
Dem Volk soll vor Prophetenwort
Der Ruf der Ehre gehn.
Horch auf, der letzte Würfel fällt,
Dein Abend, er ist nah,
Noch einmal stehe vor der Welt
In deiner Größe da!

O tilg nur einen Augenblick
Aus deiner Sklaverei,
Und zeig dem grollenden Geschick,
Daß sie nicht ewig sei;
Erwach aus. deinem bösen Traum:
Reif ist, die du gesucht,
Und schüttle nicht zu spät vorn Baum,
Wenn sie gefault, die Frucht.

Wach auf! wach auf! die Morgenluft
Schlägt mahnend an dein Ohr –
Aus deiner tausendjähr'gen Gruft
Empor, mein Volk, empor!
Laß kommen, was da kommen mag:
Blitz auf, ein Wetterschein!
Und wag's, und wär's nur einen Tag,
Ein freies Volk zu sein!

 


 


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