Georg Herwegh
Gedichte
Georg Herwegh

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Einladung in die Berge

Juli 1845

        Komm, mein Mädchen, in die Berge,
Wo der Himmel tiefer blaut
Und das stille Volk der Zwerge
Uns kristallne Schlösser baut.
Wo der Liebe morgenhellen
Traum kein Schleicherohr belauscht
Und: Triumph! von tausend Quellen
Der vereinte Donner rauscht.

Wie entfremdet ist die Erde,
Wie entweiht ihr Element,
Seit der Mensch mit Angstgebärde
Nur nach Schattenbildern rennt.
Wieviel Staub auf allen Wegen
Wühlt er auf zu seiner Ruh –
Komm, auf unbetretnen Stegen
Führ ich dich den Sternen zu!

Komm, wo kaum der Gemse Spuren
Reinstem Schnee sind eingedrückt
Und das Reich der Kreaturen
Lebt in erster Lust beglückt;
Dort, das Silberhaupt in Ehren,
Sieh den Gletscher! Welch ein Mann,
Den ein Sonnenblick verklären,
Aber nicht mehr schmelzen kann!

Komm, wo dir der Sturm die Locken
Aus der heißen Wange streicht,
Kaum der dumpfe Klang der Glocken
Und kein Glauben dich erreicht.
Während er im Tale zittert,
Losgebundner Knechte Schwarm,
Ruhen wir, wenn's hochgewittert,
Freudetrunken Arm in Arm.

Komm, mein Mädchen, laß dich fassen,
Tragen zu des Adlers Nest;
Menschen lieben, Menschen hassen,
Und wer bliebe felsenfest?
Was sie beten, was sie fluchen,
Ach, ich konnt es nie verstehn –
Blumen laß uns, Blumen suchen!
Mädchen, willst du mit mir gehn?

 


 


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