Johann Gottfried Herder
Der Cid
Johann Gottfried Herder

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    Boten sandte jetzt Ximene
Auf der Reise nach Kastilien,
Boten an Cids Anverwandte,
Boten auch an ihre Töchter
Und an ihre Schwiegersöhne,
Zwei gekrönte Könige:
Daß sie kämen und den Feldherrn,
Ihren Freund und Vater, ehrten,
Ihm erzeigend noch die letzte
Trauervolle Liebespflicht.

    Alvar Fañez war der Meinung,
Daß man in den Sarg ihn legte,
Diesen dann mit Purpur deckte
Und mit goldnen Nägeln schlösse;
Doch Ximene Gomez sprach:

    »Cid mit seinem schönen Antlitz,
Mit den hellen, offnen Augen,
Soll er in den Trauerkasten,
In den fest verschloßnen Sarg?
Nein! Es sollen meine Töchter,
Meine Schwiegersöhn ihn sehen,
Wie er noch im Tode lebt.«

    Angenommen ward die Meinung;
Eine Stunde weit von Osma
Sammlete sich die Versammlung,
Und der Ehrenzug begann.
Aragoniens König Sancho
Kam mit seinen braven Rittern;
Ihre rückgekehrten Schilde
Hingen an den Sattelbogen,
Schwarze Mäntel trugen alle,
Aufgeschlitzte Trauerkappen,
Nach kastilischem Gebrauch.
In der tiefsten Trauer waren
Doña Sol und ihre Damen,
Schwarz umhüllt mit Etamin.

    Fast erhob sich schon ein Weinen;
Aber schnell verbot Ximene
Alle Klagen, alle Tränen,
Weil der Cid es untersagt.
Ihres Vaters Hand zu küssen,
Nahten still verehrend beide,
König und die Königin.

    Auch der König von Navarra
Trat hinzu mit Doña Elvira,
Küssend ihres Vaters Hand.
Viele stille Tränen flossen,
Bis sie zu San Pedro kamen,
Wohin sich der Cid gewünscht.

    Selbst der König von Kastilien,
Als er von dem Zuge hörte,
Sandt er Boten, ihn zu grüßen,
Ehrenvoll ihn zu begleiten,
Eilte selbst hin nach Cardeña;
Und als er den Toten sah,

    Wundert' er sich seiner Schönheit,
Ordnete, daß, statt im Grabe,
Er auf einem prächt'gen Stuhle
Säße neben dem Altar.
Aufgerichtet, reich vergoldet,
Ward ihm schnell ein Tabernakel.
Länger als zehn Jahre saß er
Da in seiner vollen Rüstung,
Als ob er noch leibt' und lebte,
Die Tizona in der Hand.


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