Johann Gottfried Herder
Der Cid
Johann Gottfried Herder

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25

    Als Don Sancho seinen Bruder,
Den gefangenen Garzia,
In den festen Turm von Luna
Eingesperret – wie ein Sperber,
Der den ersten Raub gekostet,
Jetzt nach reicherm, größern Raube
Dürstet und nach wärmerm Blut –,
Warf auf seine jüngste Schwester
Sancho sich; er schleppt' Elviren,
Wie die schwache Taube wehrlos,
Aus dem ihr verliehnen Toro
Gen Burgos ins Kloster hin.

    Jetzt entblößet Don Alfonso,
König von Leon, die Spitze
Seines Degens und verkündet
Laut der Welt und offenbar:
Aus Ehrfurcht für seinen Vater
Und sich selber zu beschützen,
Unternehm er diesen Krieg;
Doch nicht gegen seinen Bruder,
Einzig gegen den Beschützer
Eines niederträcht'gen Räubers;
Der Beschützer heiße Cid.
Denn, sprach er, die Bösen müßten
Abstehn von den Freveltaten,
Wenn zu solchen kein Rechtschaffner
Ihnen diente; denn der Beste
Wird im Dienst der Bösen schlecht.

    »Rede jetzt«, sprach König Sancho,
»Perle meines Reiches, rede!
Ziehet er nicht gegen mich?«

    »Gott ist's, der uns alle richtet!«
Sprach der Cid. »Doch wollt Ihr's wissen,
König und mein Herr, so sag ich:
Euer Bruder, weil er recht hat,
Eilet er vorjetzt – zum Unglück.«

    »Auf! Zu Waffen!« rief Don Sancho,
»Fliegt, ihr Fahnen! Fliegt, Paniere!
Seht, es kommen die Leoner!
Löwen der Standarten kommen,
Doch nicht Löwen, die sie tragen;
Und wir haben für sie Türme,
Türm und Schlösser zum Gefängnis.«

    »Auf!« fiel Cid ihm in die Rede,
»Auf, weil man an mich dann will!«

    »Gott genad ihm, wer an dich will,
Braver Cid, du Blume Spaniens,
Spiegel echter Ritterschaft!«

    Also zogen sie zum Kriege;
Don Alfonso ward gefangen,
Und gefangen ward Don Sancho,
Jener von den Kastilianern,
Von den Leonesen dieser,
Und noch wankt das Glück der Schlacht.

    Als der Cid auf seinem Rosse
Lossprengt' auf den Haufen Krieger,
Der Sancho umschlossen hielt,
»Fangen oder hangen!« rief er.
»Nicht das eine, nicht das andre,
Guter Cid!« ward ihm zur Antwort.
»Fangen oder hangen!« rief er,
Und sein König stand befreit.

    Don Alfonso blieb gefangen,
Ward gesperret in ein Kloster,
Wo ihn bald, zum Dank der Ehre,
Die dem Cid er laut erzeigt,
Doña Uraca ihn ins Freie
Fördert, daß er gen Toledo
Hin zu Ali Maimon floh.


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