Johann Gottfried Herder
Der Cid
Johann Gottfried Herder

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    Auf geradem Wege zogen
Erst die Grafen; wohl empfangen
Von des edlen Cids Vasallen,
Freundlich auch von jedermann;
Wer des Helden Namen kannte,
Wer des Helden Töchter sah,
War ihr froher Untertan.

    Auch die Schwiegersöhne heucheln
Freundlich ihrem guten Vater,
der beklommen von den Töchtern
Und mit Seufzen Abschied nahm;
Denn ein Strom gepreßter Tränen
Gießt sich auf der Töchter Wangen:
»Warum geht Ihr, guter Vater?
Wem verlaßt Ihr Eure Töchter?«
Warum gehst du, edler Cid?

    Seitwärts ab vom Wege lenken
Jetzt die Grafen in die Wüste,
Voraus sendend ihren Zug.
Und als tief sie im Gebürge
Waren, einsam von den Menschen,
Hießen sie die edeln Doñas
Niedersteigen von den Mäulern;
    O der niedrigen Verräter!
    O des schändlichen Verrats!

    Rache jetzt an Cid zu nehmen,
An Cid, der sie nie beleidigt,
Auch des Kastilianeradels
Neid und Haß und bittern Groll
Auszugießen, einzuprägen
Unauslöschbar auf sein Haus,
Reißen sie den Schmuck der Kleider
Ab vom Busen der Vermählten,
Schleppen sie an ihren Haaren,
Geben Streiche ihren Wangen,
Ihrem Rücken Riemenstreiche,
Daß ihr Blut zur Erde fließt.
»Habt das jetzt für euren Vater,
Für den großen Cid, den edeln,
Der den Kastilianeradel,
Der den Hof verachtend schmähte,
Der auf uns den Löwen ließ!«

    Also ließen sie die beiden,
Die Unschuld'gen, angebunden
Tief im Wald an einem Baum.
Und wie nach vollführtem Siege
Ziehen fürder sie die Straße.
»Wo ist unsre Herrschaft blieben?«
Fragt der Zug. Die Grafen sprechen:
»Doña Sol und Doña Elvira,
Beide sind sie wohlversorgt.«
    O der niedrigen Verräter!
    O des schändlichen Verrats!

    Doch vom Himmel und im Herzen
Ihres edlen großen Vaters
War die Rettung der Verlaßnen
Wunderbar vorherbestimmt.
»Reitet«, sprach der Cid beim Abzug
Zu Ordoño, seinem Neffen,
»Reitet querhin durch die Wüste,
Zu Valencia sehn wir uns.«


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