Johann Gottfried Herder
Der Cid
Johann Gottfried Herder

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    Eingeschlummert, matt vor Alter,
Saß auf seinem hölzern Stuhle
Cid, der Feldherr; neben ihm
Saß Ximene mit den Töchtern,
Stickend eine feine Leinwand.
Ihnen winkte mit dem Finger
Sie, des Vaters süßen Schlummer
Nicht zu stören; alles schwieg –

    Als zwei persische Gesandte,
Den ruhmvollen Cid zu grüßen,
Kommen mit Geräusch und Pracht;
Denn der Ruf von seinen Taten,
Von der Größe seines Wertes,
Drang durch Mauren und Araber
Hin ins ferne Persien.

    Von des Helden Ruhm ergriffen,
Sandt der Sultan ihm Geschenke,
Seidenstoffe, Spezerein.

    Angelanget mit Kamelen,
Traten vor ihn die Gesandten.
»Ruy Diaz«, sprach der eine
Mit hinabgesenktem Blick,
»Ruy Diaz, tapfrer Feldherr!
Unser mächtiggroßer Sultan
Beut dir seine Freundschaft an.
Bei dem Leben Mahoms schwur er:
Hätt er dich in seinem Lande,
Wohl die Hälfte seines Reiches
Gäb er gerne dir als Freund.
Seine Achtung dir zu zeigen,
Sendet er dir die Geschenke.«

    Ihm antwortete der Cid:
»Sagt dem Sultan, eurem Herren,
Daß die Ehre seiner Botschaft
Ich empfange unverdient.
Was ich tat, es war nur wenig;
Was ich bin, ward oft verleumdet.
Hätt er sich bei uns erkundet,
Wer ich sei, er hätte wahrlich
Mir die Ehre nicht erzeigt.
Indes wär er Christ, ich machte
Ihn zum Richter meines Werts.«

    Also sprach der Cid und zeigte
Ihnen darauf seine Schätze,
Die Gemahlin und die Töchter;
Zwar nicht überdeckt mit Perlen,
Ohne Schmuck und Edelsteine,
Doch des Herzens Güt und Unschuld
Sprach aus jeglichem Gesicht.
Über seiner Töchter Schönheit
Waren beide hoch erstaunt,
Und noch mehr, noch mehr erstaunet
Über seine schlichte Sitten,
Über sein einfaches Haus.

    Auch in Spanien besiegte
Bald sein Ruhm die ärgsten Neider;
Seine schönen, edlen Töchter,
Doña Sol und Doña Elvira,
Fand der Lohn; an zwei Infanten
Aragoniens und Navarras
Wurden glücklich sie vermählt.


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