Johann Gottfried Herder
Der Cid
Johann Gottfried Herder

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    Fahnen, gute alten Fahnen,
Die den Cid so oft begleitet
In und siegreich aus der Schlacht,
Rauschet ihr nicht in den Lüften?
Traurig, daß euch Stimm und Sprache,
Daß euch eine Träne fehlt;
Denn es brechen seine Blicke,
Er sieht euch zum letztenmal.

    Lebet wohl, ihr schönen Berge,
Teruel und Albarazin,
Ew'ge Zeugen seines Ruhmes,
Seines Glückes, seines Muts;
Lebet wohl, ihr schönen Höhen,
Und du, Aussicht auf das Meer hin!
Ach, der Tod, er raubt uns alles,
Wie ein Habicht raubt er uns!
Seht, es brechen seine Augen,
Er blickt hin zum letztenmal.

    Was hat er gesagt, der gute
Cid? Er liegt auf seinem Lager.
Wo ist seine Eisenstimme?
Kaum noch kann man ihn verstehen,
Daß er seinen Freund Babieça,
Ihn noch einmal sehen will.

    Babieça kommt, der treue
Mitgefährt des wackern Helden
In so mancher, mancher Schlacht.
Als er die ihm wohlbekannten
Guten alten Fahnen siehet,
Die sonst in den Lüften wehten,
Hingebeugt aufs Sterbelager,
Unter ihnen seinen Freund,

    Fühlt er seinen Lauf des Ruhmes
Auch geendet, steht mit großen
Augen stumm da wie ein Lamm;
Sein Herr kann zu ihm nichts sprechen,
Er auch nichts zu seinem Herrn.
Traurig sieht ihn an Babieça,
Cid ihn an zum letztenmal.

    Gerne hätt sich Alvar Fañez
Mit dem Tode jetzt geschlagen;
Ohne Sprache sitzt Ximene;
Cid, er drückt ihr noch die Hand.

    Und nun rauschen die Paniere
Stärker; durch das offne Fenster
Weht ein Wind her von den Höhen.–
Plötzlich schweigen Wind und Fahnen
Edel; denn der Cid entschläft.

    Auf nun, auf! Drommeten, Trommeln,
Pfeifen, Klarinetten tönet,
Übertönet Klag und Seufzen;
Denn der Cid befahl es da.
Ihr geleitet auf die Seele
Eines Helden, der entschlief.


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