Johann Gottfried Herder
Der Cid
Johann Gottfried Herder

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32

        Hüte, hüt dich, König Sancho,
    Vor Verrätern! Vor Verrätern
    Hüte jeder sich; am meisten,
    Wer Gewalt und Unrecht tut.

    Aus dem Tore von Zamora
Eilt heran Bellido Dolfoz;
Seht, wie er sein Roß dort spornet!
Seht, er eilt zu Königs Zelt.
»Großer König, Gott beschütze
Eure Waffen!« spricht Bellido.
»Gott beschütz Euch!« spricht der König,
»Edler Mann, was führt Euch her?«

    »Eu'r Vasall bin ich geboren,
Hoher König«, sprach Bellido,
»Unter Euren Fahnen stritt ich,
Unter ihnen blieb mein Herz.

    Als ich dieses in Zamora
Frei bekannte und Zamora
Riet, an Euch, an Euch, den Herrn,
Willig sich zu übergeben,
Droht mir Gonzalo, der alte
Arias drohet mir den Tod.
Da ich drinnen nichts vermochte,
Komm ich, Euer pflichtverbundner
Kastilianer, hier ins Lager,
Sichern Weges Euch, o König,
Einzuführen in die Stadt.

    Einen engen Gang der Mauer
Kenn ich, eine kleine Öffnung –«

    Als er also im Gespräch war,
Zeigte auf dem nächsten Bollwerk
Sich der edelste der Krieger,
Arias Gonzalo, und rief:

    »Sei es Euch gesagt, o König,
Euch gesagt, ihr Kastilianer:
Ein Verräter ist entwichen
Aus der Stadt, er heißt Bellido.
Vier Verräterein beging er;
Wenn er Euch die fünfte zufügt,
Keinem edlen Zamoraner
Rechnet's an; Ihr seid gewarnt!«

        Hüt dich, hüt dich, König Sancho,
    Vor Verrätern! Vor Verrätern
    Hüte jeder sich; am meisten,
    Wer Gewalt und Unrecht tut.

    »Glaubet nichts davon, o König«,
Sprach Bellido, »was der Alte,
Euch Mißtrauen zu erregen,
Dorther von der Mauer ruft!
Wohl weiß er, daß ich die Öffnung
Und den Gang der Mauer kenne;
Und dann weiß er auch sein Schicksal.«

    »Ja, Bellido«, sprach der König,
»Ich kenn ihn als einen stolzen,
Einen unbiegsamen Mann.
Ungern küßt' er mir die Hand einst.
Auf! wohlauf dann zu der Öffnung,
Zum geheimen Mauergang!« –

    »Jetzt, o König, würde jeder
Uns mit seinen Augen folgen.« –
»Wohl dann, so gesehen es später!« –
»Und am besten wär's, o König,
Erst die Lage zu besehen;
Ihr und ich, wir gehn allein.«

    Eh sie gingen, stellt' der König
All sein Heer hin in die Waffen;
Schwören sollten alle Führer,
Nichts zu schonen in Zamora,
Keinem Flehn zu geben nach.

    Als der Cid so schwören sollte,
Sprach er: »Meine Männer werden
Wie des Mannes Freunde kämpfen,
Der nichts fürchtet; allenthalben
Werden sie mich vorwärts sehn.
Aber, abgelegt die Waffen,
Schwör ich bei dem Himmel droben.
Gegen die erhabne Schwester
Meines Königes den Degen
Nie zu zucken! Hört den Schwur!«

    Einen Wurfspieß in die Rechte
Nahm der König, und sie gingen.
Längs dem Ufer des Duero
Sah man lang sie vorwärts gehn,
Bis auf einmal sich Bellido
Hob und mit dem Dolch dem König
Zehnmal in den Rücken stieß.
Fallen sah man den Monarchen,
Todverwundet, doch nicht tot.

        Vor Verrätern, vor Verrätern
    Hüte jeder sich; am meisten,
    Wer Gewalt und Unrecht tut.

    Unbewaffnet, wie er dastand,
Schwang sich auf sein Roß Rodrigo,
Einzuholen den Verräter.
An die Pforte von Zamora
Sprengt' er, ach, als sich die Pforte
Eben hinter dem Verräter
Schloß. »Oh, zeuge mir's die Erde
Und der ganze weite Himmel«,
Rief er, »wie ich mich verwünsche
Jetzt um einen Augenblick!
Hätt ich Sporen, ach, ich wäre
Vorgekommen dem Verräter,
Hätt ihn hier am Tor ergriffen,
Ihm gegeben seinen Lohn!«

    Todverwundet trug den König
Man ins Lager; alle sprachen
Zu ihm, und ein einz'ger nur
Sprach die Wahrheit, die ihm diente,
Ein bejahrter Rittersmann:
»König, denkt an Eure Seele,
Sonst an nichts mehr auf der Welt!«

    Sterbend seufzete Don Sancho,
Als der edle Graf von Cabra
Diese Worte zu ihm sprach:
»Ach, der Kön'ge hartes Schicksal!
Daß, wenn man sie nicht mehr fürchtet,
Dann nur ihnen Wahrheit spricht.«

    »Auch zu andern, andern Zeiten
Sagt man ihnen wohl die Wahrheit;
Aber sie, sie hören nicht!«
Sprach der Cid; er sprach es leise,
Daß er seines Königs Seele
Scheidend nicht beleidigte.


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