Johann Gottfried Herder
Der Cid
Johann Gottfried Herder

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33

    Sterbend noch die letzten Blicke
Hingekehret gen Zamora,
Liegt der König bleich und tot.
Um den blut'gen Körper stehen
Ringsum seine besten Ritter;
Alle schweigen, tief verstummt.

    Traurig, doch mit edler Stimme,
Bricht der Cid das tote Schweigen
Und geleitete die Seele
Seines Herrn mitleidig so:

    »Unglück-unglücksel'ge Stunde,
Als Ihr wider meinen Willen
Hieher vor Zamora zogt!
König, wer Euch das geraten,
Scheute weder Gott noch Menschen,
Hieß Euch das Gelübde brechen
Eurer heil'gen Ritterpflicht.

    Jetzt erscheint Ihr vor dem Richter,
Der Euch die, die Ihr bekriegtet,
Ernst als Eure Schwester zeigt,
Die ihr Leben, die ihr Erbteil,
Das Ihr abdringen wolltet,
Gegen Euch verteidigte.

    Ihr, das Schrecken aller Eurer
Brüder, Schwestern, Untertanen,
Was seid jetzt Ihr? Eine Handvoll
Staubes, die indes wir ehren,
Ehren wolln mit aller Macht.

    Krieger, eh der Tag sich endet,
Muß ein Ritter vor Zamora,
Auszufodern alle wegen
Schändlicher Verräterei!«

    Sprach es; doch niemand erhob sich;
Alle, scheint es, alle fürchten
Arias Gonzalo und seiner
Vier berühmten Söhne Mut.
Alle heften ihre Blicke
Auf den Cid, der weiterspricht:

    »Krieger«, sprach der, »meinen Eidschwur
Wisset ihr, mich nie zu rüsten
Gegen dies Zamora; doch
Einen Mann will ich euch nennen,
Als wählt ich ihn für mich selbst.«

    Don Diego von Ordorño,
Der dem königlichen Leichnam,
Wie abwesend in Gedanken,
Traurigstumm zu Füßen saß,
Er, der Ritterschaft von Lara
Blühnder Ruhm, erhob die Stimme
Mit unmut'gem Laute so:

    »Hat«, sprach der, »der Cid geschworen,
Was er wohl nicht schwören sollte,
So entbrech er sich, uns einen
Herzunennen, den er wählt!
Viele Ritter hat Kastilien,
Wie den er uns nennen würde,
Und – doch ohn ihn zu verachten –
Ritter selbst wie er, der Cid.
Wer die Fodrung gen Zamora
Bringt und sie besteht, bin ich!«

    Damit griff er zu den Waffen,
Und hinaus! hin vor die Mauer.
Da, mit aufgehobnen Händen
Und mit fürchterlicher Stimme
– Seine Augen flammten Feuer
Zorns und Ehre –, sprach er so:

    »Ihr, meineidige Verräter,
Niederträcht'ge Zamoraner,
Memmen! Denn das seid ihr alle,
Seit ihr einer feigen Memme,
Einem niedrigen Verräter,
Meuchelmörder meines Königs,
Dem Bellido Zuflucht gabt;
Denn Verräter ist der selber,
Welcher die Verräter schützt.

    Ins Gesicht nenn ich euch solche,
Eure Vorfahrn, euren Abstamm
Und das Brot, das ihr genießet,
Und das Wasser, das ihr trinkt!

    Daß ihr's seid, will ich beweisen:
Komme einer gegen einen,
Einer nach dem andern fünf!
Diego Ordoño ist mein Name,
Unbescholtnen Bluts, aus Lara;
Und ich werf euch Zamoranern
Nicht, weil ihr ihn nicht verdienet,
Meinen Handschuh hin; ein Pferdhaar
Werf ich euch hin statt des Handschuhs,
Gieß aus dieser Tintenflasche
Schwarze Tint euch ins Gesicht.«

    Arias Gonzalo, der Edle,
Gab herunter von der Mauer
Ihm zur Antwort kalt und fest:
»Ist es, was du redest, Wahrheit,
Lara, oh, so wär ich lieber
Nie geboren; doch ich nehme
Deine Fodrung an und hoffe,
Dir mit Gott es zu beweisen,
Daß du, ein Verleumder, lügst!«

    Damit stieg er von der Mauer,
Und versammlend alle edlen
Zamoraner, sprach er so:
»Tapfre Krieger, Zamoraner,
Die das ganze Weltall ehrt,
Findet unter euch sich einer
In den Schandverrat verflochten,
Nenn er sich und tret hervor!
Lieber will in meinem Alter
Ich auf fremder Erde sterben,
Tief versteckt in Dunkelheit,
Als um niederträcht'gen Mordes
Willen auf geschloßnem Felde
Überwunden sein im Kampf.«

    »Feur vom Himmel falle nieder
Und verzehr uns!« riefen alle
Zamoraner, »wenn ein einz'ger
Von uns auf die mindste Weise
Teilhat an der Freveltat.
Fechten könnet Ihr mit gutem,
Redlichem Gewissen, Graf.«


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