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Spolarium

Am 9. März 1913 ist Fürst Wilhelm zu Wied als Mbret von Albanien in Durazzo eingezogen. Bis in den Sommer 1914 dauern Aufstände gegen ihn an.

Demonstratio

Die Fraktion in den Reichstag gewählten Sozialdemokraten ist nicht aufgestanden, als in dem Hohen Haus (das schon, auf des Kaisers Befehl, geschlossen war) der Präsident die Mitglieder ersucht hatte, zu rufen: »Seine Majestät der Kaiser lebe hoch!« Stumm saßen die Hundertelf. Bis in den Mai 1914 waren sie, wenn der Präsident zu solchem Satz die Zunge einspeichelte, aus den Türen gelaufen. (Der Fall Wilhelm Liebknecht zählt nicht. Der emsige alte Herr hatte, nach lieber Gewohnheit, auf seinem Platz einen Artikel geschrieben, die Aufforderung des Präsidenten überhört und zu spät gemerkt, daß die erlauchte Versammlung schon in die Schlußhuldigung gelangt war.) Diesmal sollte deutlicher als bisher demonstriert werden: »Wir sind Republikaner und rufen dem Vertreter eines uns schädlich scheinenden Rechtszustandes nicht Glückwünsche zu.« Sollte auch den nationalen Fraktionen eingeschärft werden: »Da Ihr unseren Abgang, aus solchem Anlaß, einmal listig benutzt habt, um schnell, während wir draußen waren, die Sitzung zu schließen, dünkt Diskretion uns nicht mehr Ehrensache. Wir sind den Wählern verpflichtet, auf der Wacht zu sein, haben nicht den allergeringsten Grund, Eure Bräuche mitzumachen, und bleiben fortan, wenn Ihr dem Allerhöchsten huldigt, geruhig auf unseren Allerwertesten.« Vernunft empfahl, den Modenwechsel gar nicht zu beobachten; zu tun, als sei alles wie immer gewesen, und roten Fragern gelassen zu antworten: »Kinder, wenn Euch so billige Gesinnungsprotzerei Spaß macht, seid Ihr zu beneiden.« Dann war der Aufwand ertraglos vertan; und die Verdutzten hätten vor der Wiederholung gezaudert. Wann aber spricht in unserem politischen Getriebe Vernunft noch das bestimmende Wort? Redner schluchzten und tobten. Schreiber heulten und pfauchten. Mindestens sechshundert Leit- und Leidartikel wurden dem Vorgang »gewidmet«. Bis die rote Genossenschaft, vor solchem Wortschwall, glauben durfte, ihr sei eine Haupt- und Staatsaktion gelungen, deren wuchtiger Wirkung der Gegnerschwarm in wütender Ohnmacht nachknirsche. Weil die Kenntnis der Strafgesetze ein dem Politik- und Zeitungmacher lästiges Gepäck ist, hörten wir aus beiden Lagern natürlich auch gute Menschen den Eingriff der königlichen Staatsanwaltschaft erflehen; und als Antwort die Ableierung des Plattentextes: »Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgendeiner Zeit wegen der in Ausübung seines Berufes getanen Äußerungen außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.« Um diesen (dreißigsten) Artikel der Reichsverfassung (dessen Anwendbarkeit, da der Reichstag schon geschlossen war, streitig ist) handelte es sich aber gar nicht. Was die Fraktion der Sozialdemokraten getan hatte, müßte auch auf jedem anderen Schauplatz straflos bleiben. Ehrfurchtverletzung ist noch nicht Beleidigung; wer dem Staatshaupt nicht huldigen will und drum, wenn andere zu solcher Huldigung aufstehen, stumm sitzen bleibt, ist, nach Reichsgerichtsentscheidungen, die bald zwanzig Jahre alt sein werden, noch nicht der Majestätsbeleidigung schuldig. Deren Tatbestand ist erst gegeben, wenn sie aus böswilliger Absicht auf Ehrverletzung kam; »wenn der Täter bezweckt, gerade die Ehre der fürstlichen Person zu verletzen, nicht aber, wenn er andere Zwecke verfolgt und die Verletzung der Fürstenehre nur als Folge seiner Handlung mit in den Kauf nimmt« (Erklärung des Sprechers der verbündeten Regierungen in der Reichstagskommission; Wintertagung 1907/8). Die hundertelf Angeklagten konnten also zwar dem Ausland ein Lenzvergnügen bereiten, in der Heimat aber nicht einmal die Eröffnung des Hauptverfahrens erwirken. Und wäre dem Reich, dem Kaiser, dem Ansehen deutscher Volkshoheit etwa gedient, wenn hundertelf Abgeordnete eingesperrt würden, weil sie nicht Hurra rufen wollten?

siehe Bildunterschrift

Wilson

Riefen sie, dann wäre ihr Ruf Heuchelei. Die dürfen wir nicht wünschen, noch gar erzwingen. Der Eid, den die Genossen vor der Zulassung in deutsche Landtage leisten müssen, riecht schon übel genug. Die Sozialdemokraten, sagt man, »könnten das Gefühl der anderen Fraktionen achten und wenigstens aufstehen.« Sie könnten; wenn sie von Gefährten und Bundesratsvertretern stets mit unbeirrbarer Höflichkeit, als Volksgenossen fremder Empfindungsart, doch ehrenwerten Wollens, als Gentlemen, behandelt würden. Sie müßten (auch ohne diese Bedingung); wenn sie klug wären, wenn in ihnen der Wille zur Macht glühte und kleinliches Bedenken überloderte. Dann würden sie jeden Zeremonialbrauch mitmachen; in Schlösser und Amtshäuser gehen, ohne sich jemals in Dienerei zu erniedern, und, bis sie über den ihrer Stimmenzahl gebührenden Teil der Staatsgewalt verfügen, die Feinde in Sicherheit lullen. Wie brav, hieße es dann wohl, sind die gestern noch so wilden Männer geworden; wie ähnlich der Mannschaft englischer Gewerkvereine. Müssen die Schützer der Throne, Altäre, Geldschränke diese Entwicklung nicht mehr als des Satans Fegfeuer fürchten? Sie würde in dem Deutschen Reich, wo Protestanten mit Katholiken, Preußens Grundbesitz und Schwertadel mit der Masse des in West und Süd wohnenden Volkes vielleicht noch im nächsten Menschenalter nicht in eine haltbare, sieghafte Stoßkraft verbürgende Front zu bringen sind, alle von Lohnarbeit Lebenden, aus Fabrik und Werkstatt, Amtsstube und Kontor, unter eine Fahne reihen; zu Herren der Einzelwirtschaft und des Reichsschicksals machen; den Sieg der Arme über die Köpfe sichern. Betet also, daß der Marxismus, all in seiner dürren Starrheit, noch lange daure. Und bauschet schlaffe Bläschen nicht, den Kindern zur Wonne, mit Eures Atems Wind zu Wülsten auf. Was nicht verboten ward, ist erlaubt. Unnützlich und unrecht der Versuch, Erwachsenen vorzuspiegeln, nur der dem höchsten und dem allerhöchsten Herrn, Gott und dem Kaiser, Gehorsame wohne im Ehrenrecht. Wollt Ihr es, dann drücket einen Verfassungsparagraphen durch, der Atheisten und Republikanern das Bürgerrecht abspricht. Sonst: Ruhe im Glied; tatloses Geschimpf hat noch nie einem geholfen. Die stete Ankündung, daß gegen die Sozialdemokratie »etwas« geschehen müsse, solle, werde, liefert das Reich und dessen Walter ins Hohngelächter. Das einzig Wirksame: schöpferische, auf ein klar erkanntes Ziel tapfer losgehende und das nationale Empfinden auf diesen Weg mitreißende Politik, wird uns auch morgen nicht Ereignis. In den meisten Parlamenten sitzen Menschen, die des Staates Ordnung umstülpen möchten; in Paris Monarchisten, in Rom und Madrid, Petersburg und Sofia Republikaner, in Wien und Budapest Feinde Habsburgs. Überall wird man leidlich mit ihnen fertig. Dazu genügen drei Dinge: ernstes Kraftbewußtsein, wachsame Geduld und Humor. Als der alte Franz Joseph einen Sozialdemokraten, der an den Habsburg-Lothringern kaum ein gutes Härchen zu lassen pflegte, als Vizepräsidenten des Reichsrates in der Hofburg empfangen hatte, sprach sein lächelnder Mund: »Ich erwartete nicht, daß der Herr, der nebenan so unhöflich schrie, so nett mit mir sein würde.« Ward des Erzhauses Würde dadurch etwa erniedert? Unsere Hundertelf sind noch nicht gefährlich. Auch wenn sie dem Kaiser, der sie, leider, oft allzu laut gescholten hat und deshalb nicht nur als Vertreter eines von ihnen bekämpften Rechtszustandes, sondern als Schmetterer der Rottenrede vor dem Auge und Ohr ihres Geistes steht, die Huldigung weigern. Schadet es dem zweiten Wilhelm? Nicht mehr, als dem ersten der Groll kleineren Fraktionen geschadet hat. Müßte erzwungener, geheuchelter Ehrfurchtausdruck ihn nicht ekeln? Der Status von 1914 ihm nicht lieber sein als der von 1890, der ihn, weil er Bismarck weggejagt hatte, von den Rötesten als eine Hoffnung anschmachten ließ? Und war das Schauspiel des Gelaufes, Gestolpers, Geflüchtes etwa würdiger als das des stumm sitzenden Haufens? Auf all diese Fragen ist aus dem Mund Verständiger nur je eine Antwort denkbar. Auch auf die letzte: Meint Ihr wirklich, die Wählerschar sei empört, weil ihre Mandatare weder aufgestanden, noch aus dem Saal getrabt sind? Fällt ihr nicht ein. Sie sagt: »Nur unsere Leute wagen noch was.« Und der Lärm lehrt sie glauben, daß der Quark Wagnis war. Sie sagt: »Nur unsere Leute wollen eben nichts.« Und ahnt nicht, daß sie ihnen damit das härteste Urteil spricht. Denn die Urpflicht dieser von der Masse Abgeordneten wäre, zu wollen: daß jedes Mittel, auch der List und pfiffigen Truges, genutzt werde, um der Masse an den Machtquell zu helfen. Jetzt? »Höret nur, wie die Bürgerlichen zetern! Denen hat unser Hintern die Pfingstfreude verdorben. Sind wir nicht stramme Kerle?« Nie ward ein Triümphchen billiger eingehandelt.

Also ist zu vermuten, daß der neue Brauch fortwähren wird. Kann und darf nicht geduldet werden? Müßte, wenn nicht eine Keilerei die Seßhaften aus dem Saal prügelt, geduldet, könnte aber durch ziemliche Änderung älteren Brauches verhütet werden. Muß denn am ersten, am letzten Tag ein Chorus ins Kuppelgewölb klettern? Vorgeschrieben ist er nicht; und anderswo kommt man, in fest gemauerten Monarchien, ohne ihn aus. Wer in seinem Tageblatt liest, »das Hohe Haus habe dreimal begeistert in den Hochruf eingestimmt,« glaubt am Ende wohl an die Mär von »erhebender Kundgebung«. Die lügt. Viele sind schon draußen. Viele zum Choristendienst unlustig. Manche ordnen ihre Papiere, schichten Reichsbriefbogen oder betuscheln mit Kumpanen berlinisch-vergnüglichen Abschiedstrost. Der Ruf klingt immer dünn, fast immer kläglich. Muß es sein? Der Präsident ersinne sich irgendeine schlichte, schickliche Formel. Ungefähr: »Am Anfang (Schluß) unserer Arbeit, die das Reichswohl fördern soll, gedenken wir des Kaisers, dessen Glück dem des Deutschen Reiches unlöslich verbunden ist, und wünschen ihm, auf den das Auge der Nation aus getrostem Vertrauen blicken will, und seinem Haus frohes Erlebnis und fruchtbares Schaffen.« Wer sich in solchen Spruch nicht bequemen mag, kann nicht Präsident sein. Wer dawider randaliert, erweist sich selbst als einen Rüpel. Wer dem Herzensdrang, den Allerhöchsten hoch leben zu lassen, tönenden Ausdruck sucht, kann ihn im Weißen Saal und an Feiertischen finden. Und wer diesen Vorschlag (der dem Kaiser nichts Schätzenswertes nimmt, ihn aber vor dem Gefuchtel häßlicher Gesten schirmt) ablehnt, darf sich nicht mehr hehrer Mannentreue rühmen: denn wichtiger als der Schutz des Reichshauptes wäre ihm die Herausforderung roter Ungebühr, die, in jedem Jahr mindestens zweimal, ihm erlaubt, seine Fraktion als das Fähnlein der Aufrechten, sittsam Empörten Serenissimo zu empfehlen. Nüchtern, liebe Herren! Sie sagen, ihre Seele bäume sich, wie das edle Blut des mißhandelten Rosses, wider die Vorstellung des Verzichtes auf die Monarchie von Gottes Gnaden. Schön. Doch dieser Verzicht wäre auch gegen Euren Vorteil. Demokratie, gar Republik würde nicht nur die inbrünstige Andacht Eures Wohlstandes verstopfen. Und wo fromme Hingabe an ein Treugelübde (durch blöden Zufalls Fügung: versteht sich) einträglich wird, sollte sie sich nicht auf Prologpathos stelzen. Alles Metaphysische bleibt drum, als des Menschen persönlichste Angelegenheit, aus dem Spiel. Des Alltags gemeine Wirklichkeit zeigt uns Gruppen, die nicht aus der Machtschanze weichen, und Massen, die in einer auf Mehrheitbeschluß gebauten Staatswelt die Stimmenmehrheit erraffen wollen. Grund-, Hof-, Militäradel ist durch tausend Erzreifen an die Monarchie gekettet; wenn er für sie kämpft, kämpft er für sich. Der Masse scheint die Monarchie ein Sperrfort auf dem Weg in die Volksherrschaft; wenn sie dieses Fort schwächt oder stürmt, kämpft sie für sich. Frommer Seelendrang? Fürs Schaufenster.

Das Deutsche Reich aber, liebe Landsleute, ist der ewige Bund deutscher Monarchen und Republiken. Selbst nicht Monarchie. In diesem Reich, dessen Abgeordnetenmehrheit, wenn die Wahlkreise nach dem Wortlaut und Sinn der Verfassung geändert würden, nicht mehr unbedingt monarchistisch wäre, ist der Kaiser nicht souverän. Dennoch: er lebe so hoch, daß sein alltäglicher Wandel nicht sichtbar werde und Wortdunst unter ihm zerflattere. Wir verkümmern in einem Zustand elender Serailränke, niederträchtiger Zettelsucht, feiger Tatscheu. Vaterland? Ein Begriff aus umnebelten Märchenbezirken; oder Namensschall von einem Luxusdampfer, auf dessen Küche und Keller das schwarze Hundert der Zeitungsmacher sich, wie Schmeißfliegen auf warme Roßäpfel, stürzt. Keiner wagt, mutig zu handeln; jeder tummelt sich in dem Schein, »etwas« zu tun. Auf uns, schreit aus allen Lagern die Profitgier den Fürsten, mit lautester Stimme deren höchstem, zu, nur auf uns müßt Ihr Euch stützen: sonst seid Ihr verloren. Das Ausland wird in den Glauben verleitet, daß unter unserem Reich die Grundmauer wankt. Unsinn. Doch einer, der endlich, damit er nicht zur Gefahr werde, zerfetzt werden muß. Der Reichstag (dem von Hunderttausend kaum einer nachfragt; dessen Kommen und Gehen, Tagung und Vertagung fast schon unbeachtet bleibt) hat sein Skandälchen gehabt. Warum? Weil links, in der Mitte und rechts ein paar Leute ihrer Ladenkundschaft vortäuschen wollen, daß sie auf dem Posten sind und »etwas tun«; das Kaisertum, mit dem Hintern, zu Brei quetschen; die Monarchie, mit dem Maul, zu neuer Himmelfahrt flügge machen. »Die Sozialdemokratie darf niemals recht behalten.« Eine dümmere (nicht nur: unsittlichere) Parole war nicht zu erdenken. Gerade der Sozialdemokratie, die, weil sie der Staatsgemeinschaft nichts schafft, für sie nicht mitarbeitet, über jedes auf Tenne und Zimmerplatz, in Werkstatt und Backstube sichtbare Fleckchen bequem, wie über schmählichsten Unrat, zetern kann, darf nicht ein Quentchen ihr gebührenden Rechtes geweigert werden. Da man es, dennoch, täglich tut und da ihre Fraktion, die im großen nichts hindert, stört noch gar vernichtet, den Ernährern und Beiträgern demonstrieren muß, daß sie nicht ganz tatlos den Reichstaglohn verknabbert, hürdet sie sich gern in Skandale, deren Widerhall den Aberglauben entstehen läßt, nun sei, endlich, von kecken Vormännern wirksam Bedeutendes geleistet worden.

Wenn (noch in diesem von Schicksal schwangeren Sommer: möchten wir hoffen) auf dem Platz des Kanzlers ein Staatsmann säße, spräche er zu dem Kaiser, dessen einziger, für Handeln und Unterlassen einzig verantwortlicher Minister er ist: »Die Lösung von dem Alb des Roten Schreckens dünkt mich eine unaufschiebbare Pflicht meines Amtes; die Erlösung deutscher Bürger und ihrer Fürsten aus dem Bannkreis dieses Schreckgespenstes. Schlimmeres ist es nicht. Im Bereich staatlichen Lebens weder für das Reich noch für dessen Monarchenburgen ernste Gefahr. Die wird Eurer Majestät und Ihren Berufsgenossen nur vorgelogen, damit Ihre Macht sich den Wünschen der Stände, Gruppen, Klüngel verlobe, die, ohne solchen Schutzwall, die nächste Springflut wie Dünensand hinwegschwemmen könnte. Niemals darf fortan die Angst im Rat deutscher Staatskunst sitzen; so lange ich mitwirke, weder Motor noch Bremse unseres Handelns sein. Allzu lange ist sie es gewesen. Die in jeder Lebensregung fühlbare Angst der noch Mächtigen war das tonic, von dem Ohnmacht den werbenden Schein kräftiger Blüte lieh. Wenn die Nation merkt, daß wir, furchtlos und schwindelfrei, wissen, was wir wollen müssen, was niemals wollen, noch gewähren dürfen, wird jeder Schicht sich das Streben entwurzeln, durch Lug und Trug uns zu kirren. Wir wollen den Schwert-, Grund-, Beamtenadel: als die dem Blut und dem Ehrennerv deutscher Menschheit noch unentbehrliche Zuchtanstalt; und wir werden das von nationaler Pflicht ihm, dem Opfer unvermeidlicher, doch von Wachen nicht müßig zu erduldender Evolution, Geschuldete leisten, ohne es von Angst, die er zu diesem Zweck erzeugt, uns abpressen zu lassen. Ihm zuerst; nicht ihm allein. Weh dem Germanen, der nicht mit reinem Gewissen die Mahnung des Römerrechtes vernähme, suum cuique tribuere: jedem zu geben, was jedem gebührt. Auch den fürs Politikergeschäft organisierten Lohnarbeitern. Die sind mir, ob aus dem Holzpapier ihrer Blätter und dem Mund ihrer Schwatzanwälte Honig oder Geifer quillt, deutsche Gentlemen, bis sie (durch Handlung, nicht durch Rede) selbst sich als dieses Zutrauens unwürdig erweisen. Die Führer unserer Sozialdemokratie, Sekretäre, Redakteure, Advokaten, Schreibschemelmenschen und Parlierer aller Art, wollen nicht regieren, nicht für Aussaat und Ernte verantwortlich sein; sind auch nicht dumm genug für den Wahn, aus den Hauptsätzen ihres Programmes könne auf europäischer Erde Wirklichkeit werden. Sie möchten, das alles, ungefähr, bleibe, wie es ist; daß ihre Sektengewalt, ihr Parteiamtsertrag, ihre Applausration sich nicht schmälere; daß sie nicht zu schaffen, nur zu schelten brauchen. Da sie uns, wie dem Arzt in manchem Notfall gütige Stoffwechselprodukte, fürs erste unersetzlich sind, dürfen wir ihnen die Grimasse nicht wehren, von der sie leben; ohne die sie als welkes Laub vom Baum des Volksgunst fielen. Sie sind Feinde monarchischer Staatsform? Abgemacht. Darüber plaudern, schmollen, zetern wir nicht; wachen nur, daß diese Staatsform solcher Feindschaft unerreichbar sei. Sie wollen stumm sitzen, wenn dem Kaiser gehuldigt wird? Einverstanden; wir sind zu stark, um uns darob zu erhitzen, können, Kaiser und Nation, am Alltag deutschen Arbeitslebens Feierchöre entbehren und bescheiden uns gern mit einer schicklichen Formel, die der Präsident, als Vormund der Volksvertreterschaft, in der rechten Minute vom Lippenstapel läßt. Unruhig würden wir erst, wenn entartende Enkel Bebels zur Huldigung bereit wären und wir das Rot erwöhnter Parteitracht als die Blutfarbe des Entschlusses zu skrupellosem Machterwerb sichten müßten. Dahin soll es nicht kommen.

Empfindet der Deutsche wieder, daß seine Leistung, jedes einzelnen, fürs Reichswohl ausgenützt wird, sieht er sein Vaterland unter stiller Sonne gedeihen, dann heitert sich ihm auch der Blick und umfängt getrost die neue Bürgerpflicht, deren Erfüllung dann erst möglich ist: die Änderung des Grundgesetzes, das, nach fast fünfzig Lebensjahren, dem Reichskörper zu kurz, zu eng, zu fadenscheinig und flickig ward; wie dem Erwachsenen das dem Knaben angemessene Kleid. Deutschland ist mündig. Und die Aufgabe des Verfassungswandlers nicht, es in Kindesmaße zurückzuducken, sondern, ihm in das Gewand zu helfen, in dem er ohne Atemnot und Ungezieferplage arbeiten, rüstig ausschreiten und, unnützlich hemmender Rückenlast ledig, des Reiches, des Vater- und Sohnlandes Zukunft erkämpfen kann.«

Mbret Wilhelm

»Was werden soll? Ich bin weder Elia noch Mohammed und darf mich nicht ins Prophetenamt brüsten. Eins aber weiß ich: das nun Gewordene ist das Kind eures kurzsichtigen Dünkels. Weil unsere Hautfarbe eurer ähnelt, weil unsere Augen und Ohren, Arme und Beine, wie eure, Zwillinge sind, weil auch wir gehen und stehen, sprechen und speisen, tasten und riechen, haltet ihr uns für euresgleichen. Für arme Verwandte, die in der Kultur (so nennt ihr ja euer Krämchen) zurückgeblieben sind, doch, wenn sie hübsch gehorchen lernen, allmählich vorwärtskommen werden. Vielleicht gar bis auf eure Höhe. Solche Vorstellung beweist, daß euch das Wesen des Skipetaren fremder als das eines Kabylen oder Bantunegers ist. Trotz allem, was ihr darüber in Büchern gelesen und von euren Diplomaten gehört habt. Die, meint ihr, müssen aus edlem Hause sein, einen rasselnden Titel tragen, sich fein kleiden, jede Bewegung gefällig runden und von weitem schon nach Würde duften: dann liegt das Bergvolk, Mann vor Mann, am Tag der Ankunft gewiß vor ihnen auf dem Bauch. Ob sie gescheit sind und auch nur den Willen haben, uns gründlich kennen zu lernen, wird kaum geprüft; nur, ob der Posten ihrem Range gemäß und ihnen zuzumuten ist, ohne Orchideendiners, Golfklub, Kasino und parfümierte Seidenmädchen bei uns auszuhalten, bis sich Netteres bietet. Im Bureau und Salon ist da unten aber nichts auszurichten; und unter freiem Himmel sieht der erstbeste Bey, mit dem sie zu tun haben, würdiger aus als die geschniegelten Herren, deren Politur nicht in die Landschaft paßt. In der Heimat wirkt wohl ihr Name; uns sagt er, samt Wappen und Krone, nichts Verständliches. Aus keiner Erdscholle wuchsen vornehmere Stämme als unsere Vlora, Toptani, Doda. Nie sah die Sonne edlere Ahnen als unseren Skanderbeg, den großen Georgios Castriot, der als Christi Kriegsmann, als Fürst der Albaner und Epiroten in tausend Liedern lebt, und seinen Waffengefährten Lek Dukadgin, der den Mirditen Gesetze gab und dessen Enkel die Bib-Doda sind. Eure Buchklugheit müßte wissen, daß in unseren Adern das Blut der Pelasger fließt, von dem ein Tröpfchen genügt hat, aus der Griechengeschichte ein Weltwunder zu machen; daß Achilleus und der größte Alexander (der im Zorn, wie Plutarch berichtet, Makedonisch, also Pelasgisch, sprach), Köprilu und Mehmed Ali, Mustapha und Ali Pascha, Marko Bozzaris und Francesco Crispi Zweige am Albanerstamm waren. Daß von Thessalien bis an die Schwarzen Berge, vom Wardartal bis an die Adria unser Schwert den Boden gepflügt und mit Blut gedüngt hat. Jahrtausendelang. Das stolze Rom hat vor diesem Schwert gezittert, da der Epirotenkönig Pyrrhus es wider der Menschheit Tyrannin zückte. Und unser Glanz hat die Nacht dieses Königsschicksals überdauert. Avaren und Hellenen, Lateiner und Walachen, Slawen und Türken haben die steile Wölbung unserer Erde gestampft und ihre Spur tief in den Flugsand unserer Sprache gedrückt. Noch aber sind wir. In Jahrtausenden umgewandelt. Arm wie die Väter. Kühn wie die Väter. Nicht in eurem Sinn ein Volk. Meinetwegen nur eine weithin versprengte, verschwemmte Sippe. Das Stammeshaupt verteilt Arbeit und Gewinn; und wenn die Familienhäupter sich zum Gerichtstag vereint haben, ist jeder ihrem Spruch untertan. Weh, dem, der sich weigert, seines Bruders unbefruchtete Witwe zum Weib zu nehmen oder verspritztes Familienblut zu rächen! Ehrlos ist er, friedlos, ein geächteter Mann. Und hätte die Frau mit drei Söhnen seines Vaters gehaust: vom vierten fordert die Pflicht den Versuch, der dreifach enttäuschten in Mutterschaft zu helfen. Und hätte das Gebot der Blutrache aus zweien Familien schon hundert Köpfe weggemäht: jeden Überlebenden ruft ehernes Gesetz zu neuem Rächerwerk. So sind wir. Muselmanen und Christen beider Marienkirchen. So wollen wir sein. Um keinen Preis anders werden. Fraget in Süditalien und in Amerika, überall, wo Kinder unserer Sippe seßhaft geworden sind, fraget den Mirditenfürsten sogar, der im Exil den Ruhm der französischen Waffen und Künste, von Turenne und Bossuet bis auf Mac Mahon und Flaubert, eben so hoch schätzen lernte wie die Kaufkraft französischen Geldes: keiner wird antworten, daß er sich in neue Haut sehne oder dem Westeuropäer seine Kultur neide. Unsere Art ist nicht schlechter, mag auch nicht besser als eure sein; ist eben anders. Räuber scheltet ihr uns: weil unser Raubsystem, das älteste, das der armen, auf ihr Gewehr angewiesenen Bandenmenschheit, nicht mehr in der Mode ist: hinterlistige Lügner: weil wir das Handwerk im kleinen und am hellen Tag, nicht in der Riesenhalle eines Staatsmechanismus, nicht bei künstlich gefärbtem Licht noch hinter bestickten Schleiern treiben. Drei Dinge wollen wir nicht: Staat, Steuer, Dienstpflicht. Drei sind uns unentbehrlich: Nahrung, Freiheit, Ansehen. Dem Stärksten beugen wir uns; ihm gehört unser Arm und unser Glaube. Aber er darf uns nicht knechten, nicht Zins von uns heischen, sondern muß uns anständig löhnen und die Grenze des Albanerlandes vorrücken. Wir haben uns dem Islam eingefügt, um nicht in die Rajah hinabzusinken und als Herdenvieh weniger zu gelten als der Schwärm türkischer Bettler. Wir werden das Kleid jedes Kräftigen tragen, der, mag er aus Wien oder Rom, Athen oder Belgrad kommen, uns Ehre und Wohlstand spendet; und jeden Rock, ohne Gewissenspein, uns vom Leib reißen, wenn andere Tracht fetteren Nutzen verheißt. Jede Macht kann uns mieten; keine kaufen. Denn höchste Pflicht dünkt uns, Krieger und Jäger, Hirten und Räuber, die Erhaltung reinen Stammeswesens. Das hat weder Diokletian, noch Innozenz, weder Murat noch Abd ul Hamid zu fälschen vermocht. Der schlaue Hamid gab den Versuch bald auf; ließ uns die Urvätersitte und wählte aus unserer Zucht Leibwächter und Wesire. Dem Komitee für Einheit und Fortschritt fehlte die Nase des Großherrn; es wähnte, nach einer schroffen Wendung gegen die Herrschaft der Beys werde es alle ihnen in Hörigkeit Verpflichteten an der Leimrute haben. Törichte Leute. Wider den Fremdling werden die Skipetaren im Innersten stets einig sein. Sie werden sein Unternehmen fördern (wie am Tag von Kossowo das des Sultans Murad, wie seitdem das mancher Jesuiten- und Franziskanermission), solange es ihnen Vorteil bringt; nicht eine Stunde länger. Und stets wird ihres Wunsches Ziel die Skipetarisierung oder die jähe Ausstoßung solches Fremdkörpers sein.

Arme Verwandte, die sich zuerst bücken müssen und nach zulänglicher Läuterung dann in die Familiengemeinschaft eingelassen werden? Nein. Menschen von einer euch weltenfernen Art: die entschlossen sind, diesseits von dem Grenzstrich zu bleiben, mit dem ihr Gut von Böse scheidet: entschlossen, euch, denen sie sich überlegen fühlen, niemals ähnlich zu werden. Und auf ihrem Boden ein winziges Häuflein Halbwilder, stärker als ihr von Großmachtwahn Umdunstete: denn sie wissen, was sie wollen; ihr aber wachet nur, um zu verhüten, daß werde, was ihr nicht wollen dürft.«

Der Mann, den meines Hirnes Ohr so sprechen hörte, ist nüchterner, doch nicht weiser als die von ihm gehöhnte Zunft aus der Dutzendschachtel. Sie weiß, was nicht werden soll; er, was nicht werden kann. Ungefähr soweit ist jeder, der nicht ein Jahr verschlafen oder seine Vernunftreste im süßen Würzwein der Eitelkeit ertränkt hat. Die dicksten Schleier sind gefallen. Mit Kinofilmen, die Bilder aus innigem Familienleben vorflimmern, mit pompösen Waffenröcken und Fenstergruppen ist aus der gemeinen Wirklichkeit der Skipetarenwelt nicht mehr zu erlangen als mit Jubeldepeschen und Gondelserenaden. Handlung wurde verlangt und erwartet, nicht Theater. Damit kommen Herrscher aus altem Geschlecht manchmal, bei gutem Wetter, ein Weilchen aus. Wer nicht Königssohn ist und doch Königsahn werden will, muß durch Kopf und Faust die Unfehlbarkeit göttlicher Gnade bewähren. Zu Tadel und tändelndem Spott ist heute aber nicht Zeit. Das Geschwür von Europa (so nannte Bismarck zuerst Schleswig-Holstein, zuletzt Österreich) muß enteitert werden, ehe es das Blut des Kontinentalkörpers vergiftet. Trostsprüche (»Unter dem neuen Mond wird es besser«) helfen nicht. Derben Einschnitt (»Ubi pus, ibi evacua«) gebietet die alte Heilkunst, verbietet die neue Staatskunst. Ob rechts oder links das Messer gehoben würde: die Nerven der Nachbarschaft risse der Anblick des blanken Stahles in Wirbel. Der Fall fordert den Internisten, nicht den Chirurgen. Auch nicht, wie nach den Verschwörerpossen und Hofretiraden der Maitage mancher wohl stöhnt, einen Heros noch ein satanisch funkelndes Scheusal mit gewaltiger Tatze. Der Heros müßte die Macht der Sippe gegen einen Feind ballen und das Skipetarenreich weiten: das kann Europa ihm nicht erlauben. Und das Scheusal, das lüstern ist, den vom Verdacht Gestreiften in des Teufels Bratküche zu liefern, dürfte nicht von Europäerrechtes wegen thronen.

An der Diagnose ist nicht mehr zu rütteln. Eine Menschheit, die geblieben ist, was sie in Mythenzeit war: ebenso tollkühn und aller Gewissenspflicht ledig. Nirgends ein Keimchen der Kraft, die Staaten zu bilden vermag. Familien und Geschlechtsverbände, die einander befehden, zerfleischen, auszurotten trachten; von je hundert Männern tötet sechzig der Dolch oder die Kugel. Ewig ist Krieg; denn die Bessa, die von einem Clan erkauft wird (und niemals lange währt), gilt nur für einen engen Bezirk. Niemand will Steuer zahlen, von irgendeiner Erwerbsmöglichkeit abgesperrt sein noch gar in schmalerem Ehrenrecht wohnen als die Schar der Eindringlinge. Die tun zärtlich befreundet, klettern in Tafelreden auf die Firnen hehrster Seelenkultur, rümpfen über den Barbarenunfug der Vendetta die Nase und würden sich doch der Majestät des Beelzebubs verbünden, um dem Nebenmann ein Beutestück zu entreißen. So lehrt Europa fromme Tugend. Und die Schulstätte ist ein armes Land, dessen blutrünstigem, längst schon verkrüppeltem Leib nun auch die Beine abgeschnitten worden sind.

Nicht so schnell wie über die Diagnose werden die Ärzte sich über die Therapie einigen. Leider. Denn jeder Tag, der ungenutzt verstreicht, mehrt die Gefahr. Der »Fall« sieht schon so übel aus, daß die Laien dreinzureden anfangen. So ist's immer, wenn dem Zünftigen die Leistung nicht Respekt harb. Dann empfiehlt einer die Kräutlerin, der zweite die christian science, der dritte eine Wunderlatwerge.

Albanien kann einstweilen nicht in Ruhe regiert, muß aber sofort finanziert werden. Meinetwegen: »gegründet«. Ein Bey Alexander, der über Nacht zum Volkshelden Skanderbeg wird, kommt vielleicht niemals wieder. Und käme er morgen, dann müßte ihn, damit er nicht im Epirus oder anderswo Lorbeer suche, Europa entwaffnen, am Ende gar, damit er drängenden Preisangeboten entzogen sei, hinter ein Eisentor setzen. Das Land braucht Geld. Ein ansehnlicher Steuerertrag ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Also muß fremdes Kapital hinein. Warum kann Durazzo nicht wieder werden, was Dyrracchium einst war? Flüsse und Häfen müssen entsandet, Eisenbahnen und Straßen gebaut, alle Möglichkeiten der Landwirtschaft, des Gewerbes, der Industrie ausgenützt werden. Von Kaufleuten, die nicht die Menschheit beglücken, sondern aus langfristiger Arbeit Geld verdienen wollen. Die werden dafür sorgen, daß die Politik ihnen nicht das Geschäft verderbe; daß Tüchtigkeit entscheidet, nicht Glaube und Nationalität; daß mit Gold gedüngt werde, wo allzu lange nur mit Blut gedüngt ward. Die werden prüfen, ob eine Fremdenindustrie erlangbar und einträglich ist. Werden die Skipetarenstämme nicht hindern, einander zu plündern, zu morden; sie weder knechten, noch nach der Exerzierregel des Erdwestens drillen. Aber ihnen Schulen, luftige, wohlfeile Heimstätten und Badhäuser öffnen; jedem zu redlicher Arbeit Willigen die Gelegenheit zu anständigem Erwerb schaffen; den Muselmanen, die den Koran nicht, und den Christen, die das Evangelium kaum kennen, durch den Augenschein des Alltags beweisen, daß der saubere, in vernünftiger Lehre zu nutzbarer Leistung erzogene Mensch behaglicher lebt und des Daseins froher wird als der schäbige Held der Schlucht, den das Geprahl mit dem Ruhm Achills und Alexanders nicht sättigt. Wer Menschen dieses Schlages zwingen will, auch nur das Kleid ihres Wesens zu wechseln, ärgert sie in finsteren Groll und tückisch zähen Widerstand. Wer sie gewähren, den Vorteil und die Last festerer Lebenssicherung abwägen und in Freiheit den Schicksalsweg wählen läßt, hat niemals Enttäuschung zu fürchten und kann still sein Schäfchen scheren.

Ehe solcher Versuch gemacht werden könnte, wäre der Titularfürst Wilhelm in Sicherheit zu komplimentieren. Der ist, auf Lackstulpenstiefeln mit Silbersporen, in ein Abenteuer geschlittert, das ihn, wenn's nicht schleunig endet, um den Mannesruf bringen muß. Daß die Aufgabe, in die er sich locken ließ, vom Stärksten nicht zu bewältigen wäre (weil ein Albanien, eine albanische Nation, Religion, Sprache, Wollensgemeinschaft niemals gelebt hat noch zu werden vermag), wurde früh gezeigt. Doch einen Fürsten, König, Mbret, Sultan dieses Schlages hat der Erdkreis noch nicht erschaut. Seit das Geblink eines güldenen Stirnreifes gen West, bis ans Eiland der Havelpfauen, vordrang, war jeder Schritt des ihm auf schwanken Grund Nachschwärmenden falsch, fast jedes Folge eine Minderung persönlichen Ansehens. »Märchenland will einen König haben«: so sang Tante Lisi, der herzige Einfalt erlaubt hatte, sich selbst »das Waldmärchen« zu taufen. Hat Neffe Willi der Märchentante Carmen Sylva geglaubt? Dann schweige des Frankenliedes freche Stimme von dem Ulanen, dem nichts heilig ist.

Nur die erste Kunde aus Potsdams Galawelt klang leidlich. Prinz Wilhelm zu Wied, sprach sie, will die Rittmeistersterne gegen eine Krone austauschen, wenn die Signatarmächte des Londoner Abkommens die für den Anfang nötigen Millionen vorstrecken. Der, dachte Deutschland, ist zwischen Entenfang und Heiligem See nüchtern geblieben; und seine Freunde plauderten aus, er habe sich, wie weiland der Hellene aus Kopenhagen, für den Fall des Unfalles von Europen ein staatliches Reugeld gesichert. Ein siebenfach Gesiebter also. Das Eröffnungsrennen macht dieser Rittmeister gewiß. Warum zaudert er nur gar so lange vor dem Start? Weil ohne Vorschuß aus Gottes Gnade selbst ein Königswille nicht aufblühen kann. Doch der Lancier ist inzwischen nicht müßig. Geschrieben steht: Am Anfang war der Film. Ein Kino zeigt in Durazzo Bilder aus dem Leben der Familie Wied Jüngerer Linie; zeigt, in einem Holzschuppen, auf kahlem Brett, ohne Eintrittszahlpflicht, den Mbret. Erstes Zeugnis von völliger Verkennung orientalischen Wesens; der Fürst, den er in der Meßbude sah, ist dem Muselmanen, dem Orthodoxen, dem Ostpapisten fast schon entkrönt. Einen Halbgott erhofften sie: und von putzig zitternder Leinwand flimmert das Geschlängel eines dünnen, pappellangen Offiziers, um den Frau und Kinder sich steif oder neckisch reihen. Zweites Zeugnis: die von Essad geführten Notabeln, die den Fürsten einholen sollen, werden nach Neuwied eingeladen; beriechen ein winziges Höfchen, das neben den Palästen der Vlora und Doda ein Schulzensitz schiene, und lernen ahnen (was ihnen nie dämmern dürfte), daß der ihrem Land Erkürte in seiner Heimat ein machtloses Männchen ist. Hätten sie ihn auf dem Potsdamer Paradeplatz, vor der glitzernden Pompgarde, an der Seite des in denselben Waffenrock gekleideten Kaisers erblickt! Der aber hat diesmal die richtige Witterung: traut der mageren Durchlaucht nicht zu, daß sie von Bülte kühn sich zu Bülte schwingen werde, und weigert jede Mitwirkung zu Schauspiel und Würdengepräng. Raunt von naher Riesenblamage. Dennoch: Auf nach Durazzo!

Landung. (Neuer Film; ein Europen zugedachter. Der zu lange, zu huldvolle, zu sichtlich verschüchterte Herr, der, in einer Metropoluniform, nicht nur mit dem Reiher überall anstößt und von der Majestätsgebärde des größten Musters nichts abzugucken vermocht hat. Die gewandte, von heftigerem Willen durchwirbelte Dame, der anzumerken ist, daß sie die Rolle der aus Hoheit und Güte, Marmor und Marzipan gefügten Landesmutter durchaus studiert hat und mit dem Übereifer der Lampenfiebrigen mimt. Königin? Ihr Antlitz ist nackt. Sie plaudert und lacht unter Männern. Wieder nichts für den Orient. Der bewundert seinen Essad, den stämmigen Pascha, der ernste Kriegerwürde nicht zu erkünsteln braucht.) Wird nun regiert? Zunächst eine Leibwache, eine Hauptstadtschutztruppe geschart? Königlichen Willen Waltens wenigstens angedeutet? Nein. Theater gespielt. Hoftheater aus kleindeutscher Zopfzeit; mit Titelkonflikten und Kabinettssiegen des Hofmarschalls über den Hofmedikus. Heute heißt's, der Fürst stelle sich an die Spitze der Armee (die weder je war noch jetzt ist); morgen, er habe ein »Ministerium gebildet« (in einem Lande, dem noch die Urzellen staatlicher Verwaltung fehlen; mit ebenso gutem Recht könnte ein Bauherr, ehe die Ausschachtung des Bodens begonnen hat, öffentlich den Firstwächter, Türmer, Glöckner vereiden). »Die Fürstin ist von der kernigen Treue des Volkes entzückt. Gestern hat sie nachts in einer Gondel gesungen und Zithersaiten gezupft.« Will also abreisen, da der Orientnimbus ihr nichts mehr gilt? Nein: die Kinder sind ja erst angekommen. Ein Ulan aus Moltkes Heer? Nein: der Lancier des Tanzmeisters Laborde; quadrille à la cour. Morgens herrschen Holländer, mittags Italiener, abends Österreicher. Der Mbret hockt im Konak. Läßt den Epirus von Zographos erobern. Essad verhaften, dann, als eine Römerhoffnung, via Otranto spedieren. Flieht, ohne Schwertstreich, vor einem Bauernhaufen auf ein fremdes Kriegsschiff … Ein deutscher Gardereiter. Der König sein wollte.


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