Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Epistel an Hollmann

Im Februar 1903 bringen die »Grenzboten« den zur Veröffentlichung bestimmten Brief des Kaisers an den Admiral Hollmann.

Die letzte Karnevalswoche hat uns ein Schauspiel beschert, dessen Schilderung nur einem Swift oder Laboulaye völlig gelingen könnte; Stoff zu stärkerer Satire war selbst in den Ländern der Lilliputaner und Fliegenschnapper, den berühmtesten Fabelprovinzen, niemals zu finden. Der Deutsche Kaiser, der im Reich höchster Kriegsherr und in Preußen Summus Episcopus ist, hat an Herrn Friedrich Hollmann, Admiral, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Orient-Gesellschaft, Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft, einen Brief geschrieben, einen langen Brief über das Modethema Babel und Bibel. Dieser Brief (richtiger: der in Briefform gekleidete Artikel) wendet sich gegen den Professor Delitzsch, dessen persönliche Anschauungen schroff und spöttisch abgelehnt werden; er genügt, mit seinen disparaten Erinnerungen an Harnack, Dryander und Chamberlain, aber auch dem Anspruch der Strenggläubigen beider Bekenntnisse nicht und muß fromme Juden durch ein Hohnwort über den »Nimbus des auserwählten Volkes« kränken. Zu erwarten war also, der Artikel werde, je nach dem Standpunkt des Betrachters, kritisiert und, wie fast alle Dilettantenversuche, über Glaubensnöte sich mit Kompromissen hinwegzuhelfen, mehr getadelt als gelobt werden. Als Friedrich Wilhelm der Vierte, dessen Drang, die Religion »weiterzubilden«, nicht geringer war als der seines Großneffen, in einer von Radowitz ausgearbeiteten Denkschrift den Plan enthüllte, auf Zions Höhe die drei großen Kirchen Europas durch drei von einer internationalen Schutztruppe bewachte Residenten vertreten zu lassen, schüttelten nicht nur Nesselrode und Metternich, sondern auch deutsche Protestanten die Köpfe und die Liberalen höhnten die »diplomatische Romantik« des Herrschers. Nicht besser erging es dem König, als er später Gewissensfreiheit mit unerbittlichem Kampf gegen den Unglauben vereinen, zwischen den Wegen Hengstenbergs, Schleiermachers und Nitzsches seiner religiösen Begeisterung einen breiten Pfad bahnen wollte; die Rede, in der er die erste evangelische Generalsynode in Berlin begrüßte, weckte auf keiner Seite frohen Widerhall und mißfiel ihm selbst bald so sehr, daß er an Thile schrieb, sie sei »ein neuer Beweis, daß unser Summus Episcopus eine sehr bedenkliche Kreatur ist«. Das war 1846. Heute weht, im deutschen Norden wenigstens, ein anderer Wind. Wenn der Kaiser die Urteile der bourgeoisen Presse über seinen Artikel liest, dürfte er glauben, eine Großtat vollbracht, ein erlösendes Wort gesprochen zu haben, das alle Herzen, heiße und laue, höher schlagen ließ. Kaum eine Spur von Kritik; und gerade in liberalen Blättern manchmal ein Überschwang, als sei der Menschheit neuen Heiles Kunde gekommen. Gestern wurde der Kaiser als Glaubensgenosse Delitzschs gefeiert; heute preisen die Liberalen ihn, weil er nicht ganz orthodox, die Orthodoxen, weil er nicht so liberal ist, wie sie gefürchtet hatten. Was der Monarch tut, ist wohlgetan; an Lady Milford muß man denken, die auf den Lobgesang der loyalen Zofe, der Fürst sei der schönste, der feurigste und witzigste Mann im Lande, mit kühler Ironie antwortet: »Denn es ist sein Land!« Stolz zitieren die Zeitungsschreiber den Ausspruch eines englischen Kollegen, der Kaiser sei ein geborener Journalist (andere ausländische Urteile werden weise verschwiegen), und an das deutsche Volk ergeht die Mahnung, seinem gekrönten Vertreter für das »herrliche Bekenntnis« zu danken. Platos Wunsch, Philosophen auf Königsthrone erhöht zu sehen, sei jetzt, stand irgendwo, endlich erfüllt; und an Julians epideiktische Reden und Schriften wurde erinnert. Merkwürdig ist eigentlich nur noch, daß von solchem Ritt ins Reich der Alten nicht der Vergleich mit Marc Aurel heimgebracht ward. Das Wirken dieses Kaisers hinterließ in der Geschichte des Christenglaubens ja auch einen »Markstein«. Auch er fand zum Ruhm eines Höchstseligen, Antonins des Frommen, immer neue Töne inniger Pietät. Auch er hat über Gewissensfragen geschrieben. Und wenn es auch Leute geben wird, denen die zwölf Hefte Marc Aurels höher gelten als die Epistel an Hollmann, so werden doch selbst sie dem Artikel Wilhelms des Zweiten nicht den Wert eines menschlichen Dokumentes und das Recht auf den Titel bestreiten, unter dem die feinen, nie verwelkenden Aphorismen des Epiktetschülers nach seinem Tode veröffentlicht wurden: Τὰ εἰς έαυτόν, »Über sich selbst«.

Denn dieser Artikel entschleiert die Wesenszüge eines Menschen, den, einen Kaiser und König, ungeblendete Augen nur selten sehen; und er beseitigt eine Legende. Jahre, fast schon Jahrzehnte lang wurden uns Wunderdinge über die ganz besondere Geistesart des Prinzen, dann des Kaisers Wilhelm erzählt. Die Seele eines Mystikers sollte in ihm dem ruhelosen Spürsinn modernsten Erkenntnisdranges gesellt, fromme Inbrunst und scharfer Verstand zu nie erschautem Bunde vermählt sein. Hohe Bewunderung verdiene sein weithin reichendes Wissen, höhere noch die niemals versagende Originalität seiner Auffassung. Ob er einen Stadtbebauungsplan, einen Schiffstypus, ein Geschützmodell, ein Textbuch, den Entwurf zu einem Denkmal oder den Grundriß eines Hauses korrigiere, mit Gelehrten, Künstlern, Technikern, Pfarrern oder Soldaten disputiere: stets spreche, aus jedem Ton und jener Linie, eine große, von aller herkömmlichen Gewöhnung abweichende Persönlichkeit. Die berühmtesten Forscher, hieß es, brächten aus solchen Gesprächen fruchtbar fortwirkende Anregung heim und es sei nur natürlich, daß ein Begas und gar ein Eberlein oder Leoncavallo sich den Weisungen dieses Mitarbeiters dankbar fügten. Noch neulich sprach ja Herr Delitzsch ekstatisch vom »Adlerblick« Wilhelms des Zweiten; und die Geniekraft des Kaisers wurde von guter Gesinnung längst nicht mehr bestritten. Nicht jeder hörte die Botschaft gern. Manchen quälte die Frage, ob es für ein in schwieriger Lage schnell wachsendes Volk ein Glück sei, wenn auf der Staatsspitze eine so besondere, die Norm überragende Persönlichkeit schalte, ein Glück, statt der ersehnten Entfesselung allzu lange gebundener Kräfte einen Einzigen nun als Allverwalter, Allerhalter zu sehen. Andere fürchteten, die vorwärts stürmende Individualität des einzelnen müsse mit den Forderungen der Demokratie eines schlimmen Tages hart zusammenstoßen. Erst durch die ausführlichen Kunstbekenntnisse des Kaisers wurde das Legendengerüst erschüttert; leise zunächst noch. Was in feine Ohren schon aus früheren Reden gedrungen war, klang nun weiter und gab vielen die tröstende Gewißheit, daß die Wesensfarbe des Monarchen dem Massengefühl nicht so fremd ist, wie Loblieder und Angstsprüchlein behauptet hatten. So, mit frommem Aufblick zu den ewigen Gesetzen der Schönheit und Harmonie, redeten ja die meisten gebildeten Dilettanten von der Kunst, ganz so von den Idealen, deren Zweck die Erziehung dumpfsinniger Herdenmenschen zu christlich sittsamen, strammen Staatsbürgern ist … Jetzt darf die Furcht schweigen; doch auch die Panegyriker sollten die Stimmen nun dämpfen. Es ist kein alltäglicher Vorgang, daß ein Kaiser einen langen Artikel drucken läßt; geschieht es, bemüht ein solcher Herr sich gar, seines Glaubens Wurzel der Welt zu zeigen, den Purpur zu lüften, der den Menschen in Herrscherhoheit hüllt, dann ist anzunehmen, das Bedürfnis der nach Aussprache drängenden Leidenschaft habe über alle hemmenden Widerstände gesiegt: und dann müssen in dieser Seelenentblößung vielleicht die feinsten, sicher die stärksten Geisteskräfte dem Auge erkennbar werden. Der Literat schreibt heute schlecht, morgen gut, je nach Stimmung und Stoff; der Monarch, der in der persönlichsten Angelegenheit des Christenmenschen vor allem Volke das Wort ergreift und sein Glaubensbekenntnis zu »ausgiebigstem Gebrauch« weitergibt, darf sich nicht wundern, wenn diese eine Leistung das Urteil über sein inneres Antlitz endgültig bestimmt. Die lautesten Hymnen der Hofposaunisten verhallen rasch; das Geschriebene aber bleibt. Und spät noch, wenn die deskriptive völlig der psychologischen Geschichtschreibung gewichen ist, wird der Artikel wider Delitzsch den Forscher erkennen lehren, daß nur der lebhaftere Ton des Temperamentes den zweiten Kaiser Wilhelm von der Masse des Volkes unterschied. Der Verfasser dieses Artikels mag sich eines Tages als Mann starker Tat, als gewaltigen Willensmenschen offenbaren; zu den großen Denkern, den Bringern neuer Vision wird künftig ihn nur die Lakaienschaft zählen.

In den »Noten und Abhandlungen«, die er dem West-Östlichen Divan »zu besserem Verständnis« auf den Weg in die Welt mitgab, sagt Goethe: »Was dem Sinn der Westländer niemals eingehen kann, ist die geistige und körperliche Unterwürfigkeit unter seinen Herrn und Oberen, die sich von uralten Zeiten herschreibt, indem Könige zuerst an die Stelle Gottes traten. Im Alten Testament lesen wir ohne sonderliches Befremden, wenn Mann und Weib sich vor Priester und Helden aufs Angesicht niederwirft und anbetet; denn dasselbe sind sie vor den Elohim zu tun gewohnt. Was zuerst aus natürlichem frommem Gefühl geschah, verwandelte sich später in umständliche Hofsitte. Der Kotau, das dreimalige Niederwerfen, dreimal wiederholt, schreibt sich dorther. Wie viele westliche Gesandtschaften an östlichen Höfen sind an dieser Zeremonie gescheitert!« Heute ist der Weltosten uns nicht mehr so fern wie 1820; und was damals »dem Sinn der Westländer nicht eingehen konnte«, ist Germanen nun Alltagsereignis geworden. Am zwanzigsten Februar 1903 war der Brief des Kaisers in allen Zeitungen zu lesen. Abwarten. Das Geschlecht der Lessing, Fichte, Grimm kann auf deutschem Boden ja nicht ausgestorben sein; irgendwo wird im engeren oder weiteren Vaterland einer aufstehen, ein Natur- oder Kulturforscher, ein tapferer Pfarrer, und das nötigste sagen. Die harten, oft leidenschaftlich verdammenden Urteile, die unter vier Augen fallen, werden sich ans Licht wagen. Zwei Wochen gingen. Keiner stand auf. Aus zuckersüßen Worten kroch da und dort mählich ein zagendes Bedenken hervor, ein submissester Einwand, der im Entstehen schon Verzeihung erbat; und in der Fülle gehäufter Kränze wurde das Würmchen kaum sichtbar. Die Gelehrten schwiegen; Naturforscher, Historiker, Theologen. Herr Professor Harnack ergriff das Wort. Er hat die in der Epistel an Hollmann berührten Fragen in langen Unterredungen mit dem Kaiser durchgesprochen und fühlt solche Gnade vielleicht als Fessel. »Wohltuend und erhebend« nennt er die Worte Wilhelms des Zweiten, der »den Überzeugungen des Gelehrten volle Freiheit läßt und nicht an Machtsprüche denkt«; und fordert uns auf, dem Monarchen »dankbar zu sein«. Dank und Lob scheint dem gelehrten Herrn, der als Luther des modernen Protestantismus gepriesen wird, also schon die Tatsache zu verdienen, daß der Kaiser nicht kommandiert: Das ist fortan in Deutschland zu glauben und jede dissentierende Regung werde ich ahnden; daß er nicht das Recht des Caesareopapates für sich fordert, nicht, trotz Montesquieu, Thomasius und dem König Fritz, Apostaten, Haeretiker, Schismatiker mit staatlichen Strafen bedroht. So herrlich weit haben wir es im preußischen Deutschen Reich nun gebracht. Zur Klage wäre kein Grund, wenn die öffentliche mit der privaten Meinung übereinstimmte. Doch nur Feigheit, träge Bequemlichkeit und die Taktikerangst, durch Widerspruch den mächtigsten deutschen Fürsten am Ende gar einer Partei oder lüsternen Gruppe zu entfremden: sie allein lähmen den Bekennermut. Hundert Aufrechte hätten längst, tausend sonst gesagt, was zu sagen Pflicht ist: daß kein Wochenblatt und keine Tageszeitung den Artikel des Kaisers angenommen hätte, wenn er nicht mit dem ersten Namen des Reiches unterzeichnet gewesen wäre.

Gibt die Form diesem Artikel besonderen Wert? Vergebens sucht man die Einheit des Stils, ohne die keine Kunstform entstehen kann. In laute Pathetik, die am Spalier der Jahwelehre wuchs, drängen sich Worte der gewöhnlichen Umgangssprache; altfränkischen Wendungen folgen Inversionen, die nur im Amts- und Geschäftsstil, noch, leider, heimisch sind. »Es ist eben bei Delitzsch der Theologe mit dem Forscher auf und davon gegangen und dient der Letztere nur noch als Folie für den Ersteren«. Die »häßliche, unorganische Bildung Ersterer und Letzterer, eine komparativische Weiterbildung eines Superlativs«, hat Herr Wustmann oft gerügt; von der »Inversion nach und« sagt er, sie sei »für den sprachfühlenden Menschen der größte Gräuel, der unsere Sprache verunstaltet; sie geht ihm noch über Derselbe.« Ein anderer Satz: »Delitzsch erkennt die Gottheit Christi nicht an und daher soll als Rückschluß auf das Alte Testament dieses keine Offenbarung auf Denselben als Messias enthalten.« Eine Materie wird »angeschnitten«, »Lieblingvorstellungen«, mit denen »heilige und teure Begriffe« verbunden sind, werden »angerempelt«; dieser dem Studentenjargon entlehnte Ausdruck müßte in einer Abhandlung höchster Menschheitfragen noch mehr überraschen, wenn Herr Houston Stewart Chamberlain, den der Kaiser ungemein hoch schätzt, ihn nicht vorher schon (in dem gegen Delitzsch polemisierenden Vorwort zur vierten Auflage der »Grundlagen«) in ähnlichem Zusammenhang angewandt hätte. Nicht der Form also, die nach diesen Proben wohl zu beurteilen ist, kann die Bewunderung gelten. Ist nun der Inhalt so stark, daß er formale Mängel vergessen läßt?

In seinem ersten Vortrag hatte Herr Professor Delitzsch gerufen, wir dürften nicht ruhen, bis die Religion der Propheten und des Galiläers von den babylonisch-assyrischen Vorstellungen befreit sei. Dieser Vortrag gefiel dem Kaiser und wurde »auf Allerhöchsten Befehl« im Schloß wiederholt, damit die Herren und Frauen am Hofe ihm lauschen könnten. Später, erzählt der Kaiser, »hatte Professor Delitzsch während einer Abendgesellschaft bei uns Gelegenheit, mit Ihrer Majestät der Kaiserin und Generalsuperintendent Dryander mehrere Stunden zu konferieren und zu debattieren, wobei ich mich zuhörend und passiv verhielt.« Was der Professor sagte, fand nicht den Beifall des Hörers. »Nebelhafte und gewagte Hypothesen; bezüglich der Person unseres Heilands entwickelte er so ganz abweichende Anschauungen, daß ich einen meinem Standpunkt diametral entgegengesetzten konstatieren mußte; auf diesem Gebiet kann ich nur dringend ihm raten, nur sehr vorsichtig Schritt vor Schritt zu gehen und jedenfalls seine Thesen nur in theologischen Schriften und im Kreise seiner Kollegen zu ventilieren, uns Laien aber und vor allem die Orient-Gesellschaft damit zu verschonen; vor deren Forum gehört das alles nicht.« Danach, sollte man glauben, wurde der Professor sicher ersucht, in künftigen Vorträgen jeden Schritt ins Land der Judenchristenlegenden zu meiden; wurde, wie höfische Sitte von jeher befahl, das Manuskript des nächsten Vortrages eingefordert, ehe der Kaiser sich entschloß, mit seiner Frau hinzugehen. Der dreizehnte Januartag kam, der Vortrag wurde gehalten: und wieder lasen wir, der Kaiser habe die Hand des Redners gedrückt, die Kaiserin »huldvolle Worte an ihn gerichtet«. Neues hatte Delitzsch nicht gesagt, neue »theologisch-religiöse Schlüsse und Hypothesen« wenigstens nicht vorgebracht; nur früher Angedeutetes unterstrichen. Dennoch wird er nun unsanft gerüffelt. Der Kaiser, der den von ihm Kritisierten für einen »Theologen von Fach« hält und auf diesen Irrtum die Hauptwucht seines Angriffes stützt, nennt den gestern noch vom heißesten Strahl der Sonne Beschienenen heute ironisch den »guten Professor«, den »vortrefflichen Professor«, sieht in ihm einen Mann, dem leider der nötige Takt, das zum Wirken ins Weite unentbehrliche Augenmaß fehle. Hier stockt der Betrachter schon. So wird der Kaiser vom Hofstaat, vom Zivilkabinett, von den Ministern informiert, daß solcher Irrtum möglich ist? Daß der höchste Vertreter deutschen Geistes ein Jahr lang einen Mann durch persönliche Huld auszeichnen und ihn vor allem Volke dann schroff tadeln kann, ohne auch nur zu wissen, welcher Fakultät dieser Mann, ein Direktor der königlichen Museen, angehört? Und der ersten folgt schnell eine zweite Frage. Der Kaiser ist nicht Theologe; Delitzsch ists auch nicht, hat das seiner Wissenschaft, der Assyriologie, benachbarte Gebiet der Logoslehre und der Bibelexegese aber, unter dem Zwang der Berufspflicht, eifriger durchforscht als der gekrönte Kritiker. Weshalb darf der Kaiser nur, nicht der Professor, den der Titel doch zum Bekenner weiht, theologischen Fragen vor den aufmerkenden Volksgenossen die Antwort suchen? Dritte Frage: Wer schuf dem Professor die Resonanz? Der Kaiser. Dessen Gunstbeweisen hat Delitzschs erste Schrift, die sonst nicht über den kleinen Zunftkreis hinausgedrungen wäre, zu danken, daß sie in sechzehntausend Exemplaren verbreitet wurde. Über Jesus Christus hat Delitzsch öffentlich bisher nicht gesprochen; in den Bereich der christlichen Dogmatik will ich, sagt er, mich nicht eindrängen. Nur aus dem Artikel des Kaisers wissen wir, daß der Professor »die Gottheit Christi nicht anerkennt«; hier, heißt es dann weiter, »hört der Assyriologe und forschende Geschichtschreiber auf und der Theologe mit allen seinen Licht- und Schattenseiten setzt ein«. Ist diese Abgrenzung richtig? Nein. Theologos nennt man einen, der Geschichte und Wesen seines Gottes, seiner Götter zu ergründen sucht; wo der Glaube an die Inspiration der mosaischen Bücher und an den göttlichen Ursprung des Galiläers geschwunden ist: da gerade, wird manchen dünken, hört der Theologe auf und der »forschende Geschichtschreiber setzt ein«. Die schlimmste Sünde des Professors rügt der Kaiser in dem Satz: »Er hat in sehr polemischer Weise sich an die Offenbarungsfrage herangemacht und dieselbe mehr oder minder verneint bezw. auf historisch rein menschliche Dinge zurückführen zu können vermeint. Das war ein schwerer Fehler.« Nur in einer »puren wissenschaftlichen Versammlung von Theologen« dürfe solches geschehen, nur »ein gewaltiges Genie sich an solche Tat heranwagen«. Staunend vernehmen wirs. Delitzsch hat gesagt: »Es läßt sich kaum eine größere Verirrung des Menschengeistes denken als die, daß man die im Alten Testament gesammelten unschätzbaren Überreste des althebräischen Schrifttumes in ihrer Gesamtheit Jahrhunderte lang für einen religiösen Kanon, ein offenbartes Religionsbuch hielt.« Das soll Laien, soll den Patronen einer Orientalistengesellschaft wie eine gefährliche Entdeckung verborgen werden? Die Mahnung kommt um mindestens zwei Jahrhunderte zu spät. Schon Pierre Bayle hat in seinem Dictionnaire das Vertrauen in die Unfehlbarkeit der Hebräerbibel mit leisem, doch nachhallendem Spott angetastet und, schon er in dem Artikel über Babylon, gefragt, ob die Menschen wirklich so früh nach der Sintflut, wie die »Heilige Schrift« lehrt, Astrologen gewesen sein könnten. Der Kaiser hat hundert Exemplare von Chamberlains »Grundlagen« verschenkt; in diesem populären, nicht für die Theologenzunft geschriebenen Buch wird der religiöse und ethische Wert der Thora viel geringer als in Delitzschs Vorträgen geschätzt; in diesem Buch steht der Satz: »Selbst der Jude, sobald er die Sehnsucht nach Weltanschauung verspürt, wendet sich mit Spinoza und Mendelssohn vom Alten Testament hinweg.« Wilhelm der Zweite kann nicht zweifeln, daß dieses Buch »Lieblingsvorstellungen angerempelt« hat. Vielleicht erklären die Hofpanegyristen uns nächstens, warum ein gelehrter Orientalist sündigt, wenn er tut, was vor ihm, unter dem Beifall des Kaisers, ein geistreicher Dilettant tun durfte.

Der Kaiser glaubt »an einen, einigen Gott, der, um das Menschengeschlecht weiter zu führen und zu fördern, sich bald in diesem, bald in jenem großen Weisen oder Priester oder König offenbart, sei es bei den Heiden, Juden oder Christen. Hammurabi war einer, Moses, Abraham, Homer, Karl der Große, Luther, Shakespeare, Goethe, Kant, Kaiser Wilhelm der Große.« Wirklich: »Kaiser Wilhelm der Große.« Mancher von uns, stand in den Daily News, würde zögern, seine Verwandten in die Gesellschaft Mosis und Shakespeares zu bringen. Der gute alte Wilhelm, der nicht König bleiben, nicht Kaiser werden wollte, den Bismarck zu jedem wichtigen Schritt drängen mußte und der weder vom Heiligen noch vom Genie einen Blutstropfen hatte, würde sich gewiß am meisten wundern, wenn er sich neben Kant genannt hörte, neben dem »Alleszermalmer«, der in der Menschheitgeschichte mehr bedeutet als sämtliche Hohenzollern und noch ein Dutzend großmächtiger Dynastien dazu. Wo sind die Tage des West-Östlichen Divans? Das Bürgertum des Denkervolkes hat gegen die Heroenliste des Kaisers nicht protestiert. Und diese Liste bleibt doch, selbst wenn man den Großvater wegstreicht, merkwürdig genug. Den Modebabylonier Hammurabi wollen wir den Keilschriftgelehrten überlassen, die selbst noch nicht viel von ihm wissen. Abraham hat in Ägypten nicht gerade eine Heldenrolle gespielt. Als er an die Grenze des Pharaonenreiches kam, sprach er zu seinem Weibe Sara (1. Mose 12): »Sieh, ich weiß, daß du ein schön Weib von Angesicht bist. Wenn dich nun die Ägypter sehen, werden sie sagen: Das ist sein Weib; und werden mich erwürgen und dich behalten. Lieber sage doch, du seiest meine Schwester, auf daß mirs desto besser gehe.« Und ihm geht es gut: Sara wird in den Harem des Pharao gebracht, der um ihretwillen dem Bruder Gutes tut. »Und Abraham hatte Schafe, Rinder, Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele.« Saras Frauenreiz hat Abrahams Wohlstand erkauft. Handeln so die Empfänger göttlicher Gnade, dann sollte das deutsche Strafgesetz arme, von keiner Glorie erhellte Menschenkinder milder behandeln. Duldsam ist der »eine, einzige Gott«, an den der Kaiser glaubt. Er offenbart sich in Homer (der uns seit Wolfs Tagen keine Person ist): und durch die Jahrtausende tönt das Lied von Griechenlands schönen Göttern, die nicht Jahwe, nicht Jesus ein Wohlgefallen sein können. Er offenbart sich in Luther: und der Doktor Martinus zerreißt das Band, das den Weltwesten in der Gemeinschaft eines vom höchsten Herrn inspirierten Glaubens einte. In Goethe: und der entgotteten Natur wird die herrlichste Hymne angestimmt, die je in ein Menschenohr klang; zu den Hypsistariern zählt sich der Dichter, die keiner geschichtlichen Religion angehören, sondern aus allen das Beste für ihr eigenes geistiges Leben fruchtbar machen wollten; einen »dezidierten Nichtchristen« nennt er sich, die Lehre von Christo »so ein Scheinding«, das ihm schwer mache, ihr Objekt lieb zu behalten; da er in Venedig den Palmensonntag erlebt, hofft er, »von den Leiden des guten Mannes auch einigen Vorteil zu haben«. Und welcher Denker traf den Thron des biblischen deus ex machina mit härterem Hammer als Kant?

Das alles ist als persönliches Glaubensbekenntnis zu respektieren (ob eines Landpastors oder eines Kaisers, bleibt in diesem Fall einerlei), führt unsere Erkenntnis aber nicht um eines Fußes Breite vorwärts. Es ist der Ausdruck eines frommen Utilitarismus, der in der Religion das nützlichste Werkzeug der Staatsraison sieht. »Wir Menschen brauchen, um Gott zu lehren, eine Form, zumal für unsere Kinder.« So hat manche ehrwürdige Familienmutter sorgend gedacht. So dachte Jung-Stilling; alles Gute, was ihm begegnete, schrieb er unmittelbarer göttlicher Einwirkung zu. Goethe wollte von solcher »göttlichen Pädagogik« nichts hören. Und Goethe wird vom Kaiser zweimal als Zeuge zitiert. Das, alles, ist unorganisch; den Teilen fehlt das geistige Band, das sie zum Ganzen knüpfte. Das Genie stammt von Gott; Hammurabis und Homers, Karls und Luthers. »Das direkte Eingreifen Gottes läßt das Volk wiedererstehen, das mit eiserner Konsequenz den Glauben an einen Gott als Heiligstes betrachtet.« Hier »beginnt das staunenswerteste Wirken, Gottes Offenbarung.« Also ist Israel auserwählt, höchsten Ruhmes würdig und von den Juden kam der Menschheit das Heil? Nein. »Es schadet nichts, wenn viel vom Nimbus des auserwählten Volkes verloren geht.« In dieses Dunkel fällt kein erleuchtender Strahl. Τὰ εὶς έαυτόν über sich selbst, seines Wesens Art hat der Kaiser uns Klarheit geschafft; nun wissen wir, wie er die Welt anschaut. Er wird von tausend Zungen gelobt. Denn er ist Kaiser.

… Noch eine Frage, der leicht die Antwort zu finden ist. Warum starb Babel der Menschheit, der die Bibel noch lebt? Weil das Mischvolk, das wir Israel heißen, keinen Staat mitzuschleppen, seine religio keinem Staat zu verfronden hatte; weil sein Glaube ihm Heimat war, Tempel, Feststätte und Gefängnis, Vaterland und Kultur; weil Moses nicht »zumal an die Kinder« dachte, sondern Einrichtungen schuf, die dem Volksbedürfnis einer bestimmten Stunde genügten. Im Reich Hammurabis und Sargons scheint es nach jüngstem Bericht anders gewesen zu sein. Und bei uns? »Die Religion soll dem Volk erhalten werden.« Als ob man erhalten könnte, was längst aus loser Wurzel gerissen ward! Die Ergebnisse der Forschung sollen dem »großen, allgemeinen Publikum« verborgen bleiben. Als ob eine neue Wahrheit, und wenn sie geknebelt würde, unter dem tausendzackigen Szepter des Demos nicht aus der Fessel spränge und durch die Gassen liefe! Auch bei uns gibt es Fromme. Schon der leise Zweifel, der sacht den verwitternden Offenbarungsglauben bekriecht, ist ihnen ein Ärgernis. Wenn sie dann aber dem Aufsichtsrat der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft präsidieren, lassen sie Gott einen guten Mann sein und horchen auf die Dynamogeräusche der amerikanischen Konkurrenz. Babel hatte eine ausgebildete Technik, die alle Nachbarnationen in seinen Dienst zwang; in der Bibel lebt eine Kultur.

siehe Bildunterschrift

Chamberlain

Was die Borussologen in viertausend Jahren wohl finden werden? Maschinenreste, Kanonenrohre und die Epistel Guilelmi Nepotis an Hollmann.


 << zurück weiter >>