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Kamarilla

Während der längst unheilbaren Landesübel gewordene Festlärm wieder einmal laut durch die Zeitungen tobte, konnte man, wo nur ein Plätzchen frei geblieben war, allerlei Spukgeschichten von einer politischen Krisis lesen. Über die Reform des Militärstrafverfahrens, so hieß es, habe die höfische Umgebung des Kaisers andere Ansichten als das Ministerium, eine Einigung der Geister sei unmöglich und schon die nächste Stunde könne uns den Rücktritt sämtlicher Minister bringen, die, mannhaft wie immer, für ihre heilige Überzeugung zum schwersten Opfer bereit und gerüstet seien. Nun mag es ja gläubige Untertanen geben, die in unseren Ministern eiserne Catone sehen und ihnen allen Ernstes zutrauen, sie könnten, ehe sie auch nur um eines Fußes Breite von dem einmal gewählten Standpunkte wichen, lieber auf die süße Bürde der Würde verzichten; aber selbst der spärlichen Schar solcher Wohlwollenden schien es wunderbar, daß nach mancher Wandlung gerade eine militärische Frage plötzlich den Catonenstarrsinn entbunden haben sollte. Bald wurde denn auch zum Rückzug geblasen und der Zeitungslärm, der im Volksempfinden nirgends ein Echo geweckt hatte, verhallte allmählich.

Der Sprachgebrauch nennt jede Störung im Gleichgewicht der Organismen eine Krisis; aber der medizinische Krisenbegriff ist doch selbst dem Laien noch so vertraut, daß gewöhnlich nur da, wo eine rasche Entscheidung zu erwarten ist, von einer Krisis gesprochen wird. In diesem Sinn darf von einer politischen Krisis bei uns nicht gesprochen werden. Den krankhaften Zustand unseres staatlichen Lebens empfindet jeder und die meisten fürchten, daß er eines Tages ein schlimmes Ende nehmen wird; aber an eine schnelle Entscheidung über den Ausgang der Krankheit ist, vielleicht zu unserem Heil, nicht zu denken und wir können froh sein, wenn eine langwierige Lysis uns von dem schleichenden Übel befreit. Daß nun gar schon über die internen Personalverhältnisse der Militärverwaltung Preßfehden ausgefochten und technische Fragen des Heeres mit offiziösen Leitartikeln beantwortet werden, zeigt deutlich, wie weit mählich die Dinge gediehen sind, fast wieder so weit wie in den Unglückstagen Friedrich Wilhelms des Vierten, wo dem rastlos irrlichtelierenden Geist des Königs die Möglichkeit geboten war, heute mit einem gegen den anderen Minister und morgen mit dem Generaladjutanten gegen das gesamte Ministerium zu konspirieren. Diese Wahrnehmung ist wichtiger als das spielerische Raten, aus welcher Gegend die nächsten Fackeltänzer wohl kommen mögen. Die Spitze der Pyramide zeigt rissige Stellen und solche Zeichen sollen nach einem alten, oft bewährten Aberglauben ein Ungewitter ankünden. Die Hurrastimmung beweist nichts gegen die Prophezeiung; Madame Campan erzählt in ihren Memoiren, daß in den ersten Regierungsjahren Ludwigs des Sechzehnten von sechs Uhr früh bis in die sinkende Nacht hinein Hochrufe auf den König erschallten, und nicht lange danach verlor der Bürger Capet dennoch Krone und Kopf. Wir wollen nicht warten, bis die Pfeiler der Monarchie völlig unterwühlt sind, sondern, bevor es zu spät ist, den Sitz des Übels suchen. Fürst Bismarck hat in einem der Tischmonologe, die neben Luthers Reden aufbewahrt werden sollten, einmal gesagt, irgendwas müsse im Staate stets faul sein, wenn ein General über öffentliche Angelegenheiten Meinungen laut werden läßt und wenn Minister in den Zeitungen einander bekämpfen. So weit sind wir nun längst … deshalb sollten die von der Angst um das Termingeschäft genährten Kolportagephantasien endlich nüchterner Betrachtung der Wirklichkeit weichen.

siehe Bildunterschrift

Kaiser Franz Joseph I.

Im Januar hatte der Kaiser einen Großgrundbesitzer, der sich mit Frau und Tochter im Marschallsamt für die kommenden Hoffestlichkeiten einschreiben lassen wollte, im Schloßhofe mit den Worten begrüßt: »Wenn es der Landwirtschaft wirklich so schlecht geht, wie die Herren behaupten, sollten sie lieber zu Hause bleiben«; bald danach lasen wir die hitzigen Reden gegen den Antrag Kanitz. Im März sagt der Kaiser bei Tische: »Wenn der Terminhandel wirklich so schlimm ist, sollte man ihn abschaffen«; bald danach lesen wir, daß die Terminspekulation in Getreide verboten wird. Die Beispiele ließen sich häufen; aber eins genügt, um zu erklären, wie es kommt, daß im deutschen Land das Raunen und Wispern nie mehr verstummen will und der Klatsch sich ohne Ermatten an die Umgebung des Kaisers klammert, an die Gruppe, die auf die Richtung seines Willens zwischen Obst und Käse zu wirken vermag. Lessings Riccaut belehrt das sächsische Fräulein: Tout dépend de la manière dont on fait envisager les choses au roi; und seine schlauen Schranzenworte haben nach hundert Jahren eine im Preußen Friedrichs nicht geahnte Bedeutung gewonnen. Der Bürger und Bauer fragt verängstigt, wer morgen oder übermorgen wohl vom Monarchen der Ehre eines Gespräches gewürdigt werden könnte (denn davon kann abhängen, ob das Deutsche Reich bimetallistische, sozialistische oder großindustrielle Politik treiben wird), und er gewöhnt sich, das von mystischen Schleiern umwallte Gebild, das man einen Hof nennt, mit grimmigem Mißtrauen zu betrachten. Solches Mißtrauen erzwang unter Wilhelm dem Dritten von England, der, statt mit dem Privy Council, mit einem Kreise auserwählter Lieblinge die Geschäfte besprach, die Bestimmung: »daß alle auf die Regierung des Königreiches bezüglichen Gegenstände, die nach den Gesetzen und Gewohnheiten vor den Geheimen Kronrat gehören, dort behandelt und daß alle gefaßten Beschlüsse von den Mitgliedern unterzeichnet werden sollen, die dazu geraten und dafür gestimmt haben.« Und dieselbe Empfindung waffnete die Wut gegen die Sippen der Mignons und der Polignacs. Heute liegen die Dinge anders. Aus der wundersamen Epistel, deren Veröffentlichung der Freiherr von Mirbach für passend hielt, kann man erkennen, wie ganz und gar unpolitisch und rührend einfältig der Sinn der Leute ist, die als Hofchargen sich im Sonnenglanz tummeln und die der fern stehende Betrachter für Mitglieder einer tückisch waltenden Kamarilla hält. Diese Leute sind ungefährlich; sie sitzen in der Nähe des Gnadenbornes, lechzen brünstig in jeder Stunde nach einem Zeichen hoher und höchster Gunst und denken selten an anderes als an ihrer ängstlichen Seelen eigenstes Heil. Das liebe Vaterland könnte ruhig sein, wenn es nur diese Märchenkamarilla zu fürchten hätte. Die wirkliche Gefahr wurzelt darin, daß heute jeder Kamarilla zu spielen versucht und daß, wohin auch das Auge blickt, kaum irgendwo in der Runde ein unzweifelhaft sicherer Mann zu finden ist, der von dem Pfade der Pflicht, der Ehre und Überzeugung unter keinen Umständen und für keinen Preis jemals abweichen würde. Beinahe jedem ist jedes Mittel willkommen, das ihm gnädiges Wohlgefallen erwerben kann, und jede Hintertür, die zum Erfolg führt, wird mit Girlanden bekränzt. Dieser Zustand wird dadurch nicht gebessert, daß man, vielleicht manchem Minister zur Wonne, dem Unmut den höfischen Kreis als den eigentlich zu bekämpfenden Feind denunziert.

Der Kaiser reist gern und viel und dadurch entschwindet den Ministern oft die Möglichkeit, in Immediatvorträgen ihre Ansicht zur Geltung zu bringen. Es ist auch ganz natürlich, daß der reisende Monarch die politischen Geschäfte mit seiner Umgebung bespricht, die ihm als soziale Gruppe verwandt ist, und daß in solchem Verkehr Intimitäten entstehen, die ministeriellen Wünschen nicht immer bequem sind. Man braucht kein Geberdenspäher zu sein, um sich vorstellen zu können, daß Graf Philipp Eulenburg, über dessen diplomatische Fähigkeiten die Meinungen sämtlicher Sachverständigen übereinstimmen, von den politischen Plänen des Kaisers mehr weiß als der Fürst zu Hohenlohe und daß Herr von Kiderlen-Waechter, der einst von des Monarchen eigener Hand mit dem Schlauch die Schiffstaufe empfing, manchmal vielleicht nur mit Mühe ein Lächeln zu unterdrücken vermag, wenn der Kanzler für nötig hält, ihm ausführliche Instruktionen zu erteilen. Aber auch dieser Zustand, dessen Schwierigkeiten unverkennbar sind, ist erträglich, so lange ein einiges, von einem festen Willen geleitetes Ministerium den Gang der Politik bestimmt, für die es nach der Verfassung verantwortlich ist. Er wird in dem Augenblick unhaltbar, wo einzelne Minister selbst Lust verspüren, Kamarilla zu spielen und gegen ihre Kollegen Söldnerheere zu alarmieren; und dieser Augenblick ist nicht sehr fern, wenn an der Spitze des Ministeriums der kraftvolle, Widerstrebendes zwingende Wille fehlt. Je stärker und jäher dann der Wille des Herrschers ist, desto rascher rückt die Gefahr heran. Dann wird der Monarch mit einer Summe von Funktionen belastet, die ein sterblicher Mensch auch bei emsigstem Fleiß nicht tragen, nicht ertragen kann, und die unheilvolle Zentralisation wird erneut, in der Tocqueville die gefährlichste Sünde der französischen Monarchie und die tiefste Ursache der jakobinischen Schreckenstage erkannte. Eine Politik, die dem Betrachter am Anfang und Ende jedes Weges den kaiserlichen Adler zeigt und ihm in jeder Minute die bange Frage aufdrängt, wem wohl der Zufall das Glück eines Gespräches mit dem Monarchen bescheren mag, ist schädlich, auch wenn sie, wiederum zufällig, einmal das Richtige trifft. Sie wahrt nur den Schein konstitutioneller Zustände, sie setzt den Vertrauensmann der Nation gehässigen Urteilen aus und dient gewöhnlich dazu, eine schwache Regierung von der schweren Verantwortlichkeit zu befreien, die sie vor dem Volksgewissen, vor dem Gesetz und vor der Geschichte doch auf sich zu nehmen hat. Der Gegensatz zwischen der höfischen und der politischen Art, die Dinge zu betrachten, ist recht alt; er stammt aus den Tagen, wo die Könige ihre Länder wie einen Pachthof verwalteten und über die Verwaltungsmaßregeln beim Becher mit dem Gesinde zu plaudern pflegten. So oft er in moderner Zeit außerhalb des Kreises der Privilegierten sichtbar wurde, war damit bewiesen, daß in den Staatsorganismus ein Krankheitsstoff eingedrungen war, der natürlich um so rascher wirkte, je mehr die Neigung zu schwächlicher Nachgiebigkeit in den höheren Sphären wuchs. Solche Zustände hat nie ein Einzelner oder eine im Hofdienst geschäftig lungernde Gesellschaft allein verschuldet; sie waren stets das Werk derer, die für ihr Recht und für ihre Pflicht nicht das genügende Verständnis hatten. Nur ausbündige Torheit kann sich für die Willensfreiheit unserer Minister erhitzen. Die Herren haben in jeder Stunde die Möglichkeit des Rücktritts, sobald sie mit ihrer Überzeugung da nicht durchdringen können, wo sie Rat geben, nicht, wie es fast schon heute üblich geworden scheint, Rat und Belehrung empfangen sollen. Wenn sie diesen Weg nicht beschreiten, dann können sie uns nicht zumuten, daß wir uns zornig gegen eine Kamarilla erheben, deren schwerstes Verbrechen doch immer nur war, willenlos im Staube zu winseln, wo aus geheiligter Höhe ein mächtiger Wille gebot.


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