Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wilhelms Höhe

Villafranca

Am fünften April 1906 sprach im deutschen Reichstag der Kanzler: »Will man unsere Marokkopolitik richtig verstehen, so muß man zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren; will man das Ergebnis richtig würdigen, den Anfang mit dem Ende vergleichen. Wir haben wirtschaftliche Interessen in Marokko, in einem unabhängigen, bisher noch wenig erschlossenen, zukunftreichen Lande. Wir waren Teilhaber an einer internationalen Konvention, die das Prinzip der Gleichberechtigung enthielt. Wir besaßen aus einem Handelsvertrag die Rechte der meistbegünstigten Nation. Darüber nicht ohne unsere Zustimmung verfügen zu lassen, war die Frage des Ansehens der deutschen Politik, der Würde des Deutschen Reiches, in welcher wir nicht nachgeben durften. Was wir wollten, war, zu bekunden, daß das Deutsche Reich sich nicht als quantité négligeable behandeln läßt; daß die Basis eines internationalen Vertrages nicht ohne Zustimmung der Signatarmächte verrückt werden darf. Unseren Unterhändlern bin ich die Anerkennung schuldig, daß sie die deutschen Forderungen mit eben so viel Festigkeit und Zähigkeit wie Umsicht vertreten haben. Worauf es ankam, war, den internationalen Charakter der Polizeiorganisation zu verbürgen. Frankreich hat sich mit der gleichen Versöhnlichkeit wie wir zu einer loyalen Lösung dieser schwierigsten Frage bereitfinden lassen. Die Konferenz von Algesiras hat, wie ich glaube, ein für Deutschland und Frankreich gleich befriedigendes, für alle Kulturländer nützliches Ergebnis geliefert.« (»Lebhafter Beifall.«) Zwei Tage nach dieser Rede wurde in der Bezirkshauptstadt der Provinz Cadiz, wo die Mauren einst in Europa eingebrochen waren und wo, am zwölften Juli 1801, England die Armaden Frankreichs und Spaniens besiegt hatte, das Schlußprotokoll unterzeichnet. »Unerschütterlich« (auch dieser Satz ist in der Rede des Kanzlers zu lesen) »haben wir an dem großen Grundsatz der offenen Tür festgehalten, der neben der Wahrung des deutschen Ansehens uns in der ganzen Marokkoaktion geleitet hat und leiten mußte.« Die Tür war offen. Deutschland aber brachte nicht mehr so viel Waren ins Scherifenreich wie früher; im Hafen von Casablanca allein ist die deutsche Einfuhr um fast vier Prozent zurückgegangen. Noch an zwei anderen »großen Grundsätzen« hatten die Vertreter des Deutschen Reiches in Algesiras unerschütterlich festgehalten. Die Souveränität des Sultans durfte nicht geschmälert, die Integrität seines Landes mußte gewahrt werden. Bald ward erwiesen, daß der Sultan nicht nur über die Stämme, die seinen Vorfahren schon Wehrdienst und Steuer weigerten, keine Gewalt erworben hatte, sondern auch im Belad el-Maghzen, in dem seiner Hoheit untertanen Bereich, fast völlig machtlos ist, für Ordnung und Sicherheit nicht zu bürgen vermag. Und die Integrität seines Landes? Als der französische Arzt Mauchamp (nicht ohne eigene Schuld, wie behauptet wurde) ums Leben gekommen war, besetzte Frankreich die Grenzstadt Udjda. Schon einmal hatte dort, nach dem Kampf gegen Abd el-Kader, die Trikolore geweht. Nicht lange. Auch jetzt sollte sie rasch wieder verschwinden. Herr Pichon, der Minister des Auswärtigen, sagte im Parlament: »L'occupation sera essentiellement provisoire; elle durera jusqu'au jour où toutes les satisfactions demandées seront obtenues«. Diese Rede lasen wir in den ersten Apriltagen. Jetzt naht der Herbst: und Udjda ist noch in französischem Besitz. Warum die Räumung beschleunigen? Die Einwohner von Udjda haben schon im Sommer 1903, als der Anmarsch des Prätendentenheeres sie bedrohte, Hilfe von Frankreich erbeten und sich bereit erklärt, die Oberhoheit der Republik anzuerkennen. Damals lehnte Delcassé den Vorschlag ab, weil er fürchtete, die im Grenzbezirk entstehende Agitation könne einzelne Großmächte verstimmen. Im April 1907 war zu solcher Besorgnis kein Grund mehr. Nach der ersten Meldung hatte Herr von Tschirschky dem Botschaftsrat Lecomte artig erklärt, Deutschland werde der Okkupation von Udjda nicht widersprechen. Frankreich konnte sich also Zeit lassen, konnte, wenn's nötig schien, an noch sichtbarerer Stelle den Muselmanen zeigen, daß es die Kraft habe, auch wider deutschen Wunsch seinen Willen durchzusetzen. Die Algesirasakte? Die, hieß es im Frühling hier, schreckt nur noch furchtsame Kinder; das Schicksal des Präliminarvertrages von Villafranca wurde ihr prophezeit.

Juni 1859. Franz Joseph ist bei Solferino von den Franzosen zum Rückzug gezwungen worden. Benedek, der bei San Martino den Angriff der Piemontesen abgewehrt hat, will auch gegen Louis Napoleon den Kampf wieder aufnehmen. Der Kaiser, der mit feuchtem Auge im Kriegsrat sitzt, widerspricht. Zwanzigtausend Menschen färben mit ihrem Blut das Schlachtfeld. »Lieber eine Provinz verlieren als noch einmal solche Greuel sehen!« Die Lombardei wurde aufgegeben; das österreichische Heer ging nach Verona und hinter die Etsch zurück. Doch auch Napoleon war des Gemetzels müde. Der Krieg bot noch manche Schwierigkeit. Die Festungen im Mincioviereck schienen stark. Wenn die weltliche Herrschaft des Papstes gefährdet wurde, blieb der französische Klerus nicht ruhig. Alexander Nikolajewitsch, Frankreichs Freund, sah ärgerlichen Blickes auf die italienische Revolution. Jerome Bonaparte hatte keine Aussicht, den ihm vom Vetter zugedachten toskanischen Thron ersteigen zu können; nicht eine Stimme sprach, wo das Volk frei reden durfte, für den Fremdling. Und Preußen schien entschlossen, für die Integrität des österreichischen Gebietes zu fechten. Ohne Hoffnung auf russische Hilfe dem Ansturm aller deutschen Stämme trotzen? Das dünkte dem nervösen Caesar allzu gefährlich. Und da Franz Joseph den Preußen einen Prestigezuwachs, den ein Sieg über Frankreich ihnen bringen mußte, nicht gönnte, war der Weg zum Frieden nicht weit. Freilich auch keine Zeit zu verlieren. Am neunten Juli schrieb Bismarck aus Petersburg an Schleinitz, der preußische Vorschlag (bewaffneter Intervention) sei von Gortschakow »avec empressement et sans phrase« angenommen worden. »Unter den russischen Militärs, auch denen der sogenannten deutschen Partei, ist übrigens die Stimmung gegen Österreich noch immer so, daß mir der Baron Lieven, ein älterer Herr und Chef des Generalstabes, gestern sein lebhaftes Bedauern über die Nachricht von einem Waffenstillstand äußerte, weil die Nemesis ihr Werk an Österreich noch lange nicht vollendet habe. Ich fürchte nur leider, daß dieser Göttin die Gelegenheit zur Fortsetzung ihrer Tätigkeit durch diese Pause nicht wird benommen werden. Österreich wird tun, was es kann, um das Vermittlungwerk scheitern zu lassen. Szechenyi sagt mir das ganz offen, mit dürren Worten; und so lange Graf Rechberg Hoffnung hat, die Armee und die Finanzen Preußens für Österreich ›ausnützen‹ zu können, wird er jedenfalls lieber versuchen, ob preußisches Blut Italien nicht wieder ankitten kann, ehe er es aufgibt. Die Schläge, die uns treffen, tun ihm nicht weh; und sollte der Verbrauch unseres Vermögens den Bankerott nicht abwenden können, so ist Österreich doch dabei imstande, sich aus der gemeinschaftlichen Masse auf unsere Kosten schadlos zu halten. Ich fürchte, wenn wir Krieg machen, Österreichs Verrat mehr als Frankreichs Waffen.« Zu dieser Probe kam's nicht. Als Minister hätte Bismarck, nach Magenta und Solferino, wohl versucht, Österreich einzuschüchtern und ein Bundesverhältnis herzustellen, das Preußen die ihm in Deutschland gebührende Macht gab. Dann wäre die Heilung ferro et igni vielleicht unnötig gewesen. Als Gesandter mußte er dem Berliner Befehl gehorchen. Tat's aber ungern; denn die Zeit schien ihm einem Kriege gegen Frankreich nicht günstig. »Wir opfern uns für Österreich, wir nehmen ihm den Krieg ab und es bekommt Luft. Wird es seine Freiheit benutzen, um uns zu einer glänzenden Rolle zu verhelfen? Und wenn es uns schlecht geht, werden die Bundesstaaten von uns abfallen wie welke Pflaumen im Wind und jeder, dessen Residenz französische Einquartierung bekommt, wird sich landesväterlich auf das Floß eines neuen Rheinbundes retten.« Als Schleinitz den Brief vom neunten Juli erhielt, war der Gegenstand dieser Sorge schon weggeräumt; war in Villafranca der Präliminarvertrag unterzeichnet. Österreich, das von seinen zwölf Armeekorps neun schon in Italien hatte, konnte keinen zuverlässigen Ersatz heranziehen. Ungarn war unruhig, auf Magyaren und Kroaten im Feld nicht zu rechnen, für die neuen Korps nur ein Haufe schlecht gedrillter Rekruten verfügbar. Der Generalstab wußte kaum, woher er die achtzigtausend Mann nehmen solle, mit denen Österreich, nach dem Bundesrecht, Deutschland am Rhein verteidigen müßte. Grund genug zur Nachgiebigkeit. Die Neigung mehrte sich noch, als der Franzosenkaiser in Villafranca Franz Joseph erzählte, Preußen habe in London und Paris vorgeschlagen, nicht nur die Lombardei, sondern auch Venetien von Österreich zu trennen, und diesem Vorschlag die Zustimmung Palmerstons und Gortschakows gewonnen. Die Geschichte war, wie Persigny, Frankreichs Vertreter in London, bald verriet, erfunden; wirkte aber auf die umdüsterte Seele des Habsburg-Lothringers, der in kurzer Regentenzeit draußen und drinnen so bittere Erfahrung gesammelt hatte. Die Verhandlung währte nicht lange. Dann diktierte Rechberg den Vertragsentwurf, den Louis Napoleon mit eigener Hand niederschrieb.

Die Lombardei wurde an Sardinien abgetreten. Venetien, Mantua und Peschiera blieben österreichisch. Die vertriebenen Fürsten von Toscana und Modena sollten ihre Throne wieder besteigen; doch dürfe zu dieser Wiedereinsetzung Waffengewalt nicht mitwirken. Reformen im Kirchenstaat, liberale Verwaltung Venetiens, ein italienischer Staatenbund, dem Österreich angehören und der Papst präsidieren werde: all diese Punkte waren am elften Juli 1859 schnell erledigt. Die Details konnten auf der Züricher Konferenz in aller Ruhe besprochen werden. Wurden's auch. Als am zehnten November dann aber der endgültige Vertrag unterzeichnet wurde, waren die wichtigsten Bestimmungen schon obsolet geworden. Venetien blieb zwar (bis nach Königgrätz) österreichisch. Doch das Schreckbild der Knechtung Italiens, das Cavour aus dem Ministerium trieb, stand nur noch auf dem Papier und nie kam der Tag, der Italien vom Papst, von Österreich und dessen Agnaten beherrscht sehen sollte. Die Boten Cavours, der nicht mehr verantwortlich, aber noch eine Macht war, eilten nach Florenz und Bologna, Parma und Modena und brachten die Order, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, die Rückkehr der alten Fürsten aber nicht zu dulden und durch Massenabstimmung die Vereinigung mit Sardinen beschließen zu lassen. Also geschah's. Vier Wochen nach Villafranca huldigten die vier Provinzen, wider den Willen des Papstes und der beiden Kaiser, dem König Viktor Emanuel. Aus dem Vatikan kam der Bannstrahl, aus der Hofburg ein zorniger Protest; aus Paris? Louis Napoleon war der Mann des Plebiszits und durfte die Volksabstimmung nicht für nichtig erklären. Waffengewalt hatte er selbst ausgeschlossen; vielleicht, wie Franz Joseph, geglaubt, die vertriebenen Landesväter würden von jubelnden Scharen zurückgeholt werden. Jetzt war nicht mehr viel zu tun.

Als Ertrag der Aktion nur der vertiefte Zwiespalt der deutschen Stämme zu betrachten. Nicht in Österreich nur: auch hinter der Mainlinie hieß es, Preußens Zauderpolitik habe den Bundesgenossen geschädigt und die Reichsmacht geschmälert. Die Schwarzweißen, die gemurrt hatten, als die von der Erntearbeit einberufene Landwehr, ohne etwas geleistet zu haben, heimgeschickt wurde, spürten, wie im Süden der Groll gegen sie wuchs, fühlten aber auch, wie das italienische Beispiel die alten Einigungswünsche der Nation förderte, und schwankten tatlos zwischen quietistischen und großdeutschen Stimmungen, Mit Frankreich oder Sardinien, schrieb Bismarck an Gerlach, will ich nicht gehen, weil ich's im Interesse unserer Sicherheit für bedenklich halte. »Wer in Frankreich oder Sardinien herrscht, ist mir dabei, nachdem die Gewalten einmal anerkannt sind, ganz gleichgültig und nur eine tatsächliche, keine rechtliche Unterlage. Mit meinem eigenen Lehnsherrn stehe ich und falle ich, auch wenn er meines Erachtens sich töricht zugrunde richtete; aber Frankreich bleibt für mich Frankreich, mag Louis Napoleon oder Ludwig der Heilige dort regieren, und Österreich bleibt mir das Ausland, ich mag es bei Hochkirch oder vor Paris ins Auge fassen. Den Moment, wo man Sardinien gegen Frankreich den Rücken hätte stärken können, halte ich für vergangen oder zukünftig und wegen heimischer Personalverhältnisse für entfernt; ich halte es aber nicht für unerlaubt.« So weit war's noch nicht. Napoleon, der in Plombières-les-Bains 1858, im Gespräch mit Cavour, dem Programm der Nationalpartei fast rückhaltlos zugestimmt, dann die Parole »Frei bis zur Adria« ausgegeben, nun aber mit Rom, Wien und mit seiner eigenen Klerisei zu rechnen hatte, wollte die Wirrnis zuerst durch einen Kongreß der fünf Großmächte beseitigen lassen. Dafür war der Papst nicht zu haben. Der rührte sich nicht; reformierte auch den Kirchenstaat nicht. Ebenso hielt Österreich es in Venetien. Wenn die Partner das in Villafranca Vereinbarte nicht ausführten, brauchte auch Frankreich sich nicht zu genieren; konnte es mit Sardinien sich verständigen. Noch während der Züricher Verhandlung ließ Napoleon eine Broschüre schreiben, in der offen gesagt wurde, die weltliche Herrschaft über den Kirchenstaat sei dem Ansehen des Papsttums eher schädlich als nützlich. Unter dem Züricher Vertrag war die Tinte kaum trocken, als diese Schrift erschien. Walewski ging und Thouvenel kam. Am neunten Februar 1860 schrieb Bismarck an Schleinitz: »Aus dem Mißbehagen, mit welchem ganz Europa ein vergleichsweise so unbedeutendes Vergrößerungsgelüsten Frankreichs wie das savoyische aufnimmt, läßt sich wenigstens abnehmen, daß ein so unverhältnismäßiger Machtzuwachs Frankreichs, wie die Rheingrenze ihn gewähren würde, von allen Staaten, auch abgesehen von ihrem Verhältnis zu Preußen, lediglich im Interesse des Gleichgewichtes mit dem Schwert bestritten werden würde und daß wir uns mit diesem Popanz so sehr nicht einschüchtern zu lassen brauchen.« Das Ziel Napoleons war also auch in Petersburg schon bekannt. Am vierundzwanzigsten Februar telegraphierte er an Viktor Emanuel, er fordere Savoyen und Nizza, wenn der König sich nicht mit der Annexion von Parma und Modena und mit dem Vikariat in der Romagna begnüge. Diese Forderung stieß bei Cavour, der, als er die Demütigung der Nation nicht mehr zu fürchten brauchte, wieder ins Ministerium getreten war, nicht auf Widerspruch. Noch einmal wurden die Provinzen zur Abstimmung gerufen: und im März war der König von Sardinien Herr über die Romagna, Toscana, Parma, Modena. Frankreich nahm Savoyen und Nizza und ließ, zu Palmerstons Wut, erklären, erst damit habe es im Süden seine natürlichen Grenzen wiedergewonnen. Viktor Emanuel war König von Italien, Nizza die Hauptstadt des Seealpenbezirkes, Frankreichs Besitz außerdem noch um die zweihundert Quadratmeilen Savoyens vergrößert. Acht Monate nach dem einträchtigen Plauderstündchen in Villafranca. Die Macht der Tatsachen hatte das von Rechberg adoptierte Angstkind Bonapartes zum Tod verurteilt.

Casablanca

Die Algesirasakte hat ein bißchen länger gehalten als der Bogen mit Rechbergs Diktat. Ein bißchen. Am siebenten April 1906 wurde das Schlußprotokoll unterzeichnet. Am ersten April 1907 wehte die Fahne der französischen Republik über Udjda. Das Aktenpapier hatte einen Riß. Nicht der Rede wert. Ein Grenznest. Was da geschieht, braucht uns, deren Hauptinteresse an den Hafenstädten haftet, nicht zu bekümmern. Geniert aber auch den Maghzen nicht. Nötigt ihn nicht zur Aufbietung aller Kräfte. War vielleicht nur eine Belastungprobe, die zeigen sollte, was Deutschland jetzt hinzunehmen bereit sei? Der sanfte Polenfürst an der Solferinobrücke blieb ruhig; und aus der Wilhelmstraße kam rasch das freundlichste Echo. König Eduard hatte es, als er in Paris war, vorausgesagt. Chi va piano, va sano. Übereilung kann nur schaden. Der kluge Herr Jules Cambon, der sich in Spanien zum Spezialisten für marokkanische Angelegenheiten ausgebildet hat, löst in Berlin den Botschafter Bihourd ab und läßt merken, daß er Lust hat, über Frankreichs Wünsche und Bedürfnisse zu plaudern. In der Presse wird, hüben und drüben, von dem Streben nach »besseren Beziehungen«, nach »Annäherung« und »Versöhnung« der beiden Völker geredet. Als Frühlingsanfang im Kalender steht, wisperts an der Seine von einem rauhen Wort, das an der Spree von Offizieren gefallen sein soll; allzu ernst wird's nicht mehr genommen. Clemenceau hat im Palais Bourbon gesagt, er empfinde ganz wie General Bailloud (der sehnsüchtig vom Rachekrieg gesprochen hatte) und dürfe nur nicht dulden, »qu'on général puisse annoncer une guerre avec un peuple déterminé pour un objet déterminé; c'est l'affaire du Parlement.« Deutschland fordert keine Erklärung; findet die Sechsundzwanzigerrede des Generals Bailloud ebenso harmlos wie den marokkanischen Marsch des Generals Lyautey. Von Osten her droht also kein Sturm. Da noch ein beträchtlicher Teil der Ernte zu bergen ist, braucht man auch gutes Wetter. Franko-japanische, russo-japanische entente; Separatbund der Mittelmeermächte (mit einem stillen Teilhaber. So viele Aussperrungsversuche könnten die Berliner am Ende doch ärgern? Nein; nur müssen wir uns hübsch höflich zeigen. Die Herren Albert Honorius von Monaco, Gaston Menier und Eugen Etienne kehren mit guter Kunde heim. Als die anglo-russische Verständigung reif ist, wird der Deutsche Kaiser mit seiner Frau nach Windsor eingeladen; der Zar und der Britenkönig sagen ihm Besuche an; Eduard gedenkt in einem Yachtklubtoast plötzlich des Neffen. Seht den Himmel: wie heiter! Tag für Tag versichern die Offiziösen, Deutschland sei in der bequemsten Lage, die es sich wünschen könne. Freunde ringsum; und der Dreibund gar stark wie im Mai seines Lebens. Jetzt oder nie. Wenn Clemenceau sich nicht einen glorious summer bereitet, muß er vor dem Winterfeldzug zittern. Der im südlichen Weinland gepflückte Lorbeer ist dann welk. Die schlechten Nachrichten aus Heer und Flotte haben manchen verstimmt. Die Kapitalisten wehren sich gegen den Einkommensteuerentwurf, den die Radikalen doch so lange verheißen haben. Soll der große Patriot, der Gambetta und Ferry gestürzt hat, etwa fallen wie ein Dutzendminister? Ein Erfolg auf dem Gebiet internationaler Politik, einer, der Armee und Marine wieder in die Sonne der Volksgunst bringt: und das Ministerium ist fürs erste gerettet. Während der Kammerferien ist die Gelegenheit besonders günstig. Da kann die Aktion nicht von lästigen Interpellanten gestört werden; kann Jaurès nicht die Arie vom Menschenrecht singen. Deutschland? Die Versicherung, man wolle Frankreich keine Schwierigkeit machen, ist im Sommer feierlich wiederholt worden. Ein der Republik verbündeter Monarch war eben Wilhelms Gast; ein zweiter, noch mächtigerer, will's morgen sein. Da schreckt kein Risiko. Und der Franzose will endlich wieder hören, daß seine Rüstung noch nicht verrostet ist. Le jour de gloire est arrivé. Am fünften August wird Casablanca beschossen und besetzt.

Über diese atlantische Hafenstadt, die Erbin einer alten Portugiesensiedlung, ist in Algesiras hitzig gestritten worden. Dürfen auch da Franzosen und Spanier die Polizei organisieren? Nein, sagte Deutschland; und hätte mit seinem Veto erreicht, daß die Organisation dem schweizerischen Inspektor übertragen werde, wenn es nicht gar zu rasch nervös geworden wäre. Um jeden Preis nur den Bruch vermeiden; lieber mag auch Casablanca in die franko-spanische Machtsphäre fallen. Wieder ein Rückzug. Der sich jetzt schlimm gerächt hat. Wenn der Eidgenosse Oberst Müller eine Polizeitruppe auf die Beine gebracht hätte, wäre der casus belli nicht so leicht herbeizuführen gewesen. »Worauf es ankam, war, den internationalen Charakter der Polizeiorganisation zu verbürgen. Frankreich hat sich mit der gleichen Versöhnlichkeit wie wir zu einer loyalen Lösung dieser schwierigsten Frage bereitfinden lassen.« Also sprach im Reichstag der Kanzler. Wer seinen Willen durchsetzt, zeigt sich ebenso versöhnlich wie der Nachgebende. Die Konferenzmehrheit hatte für den deutschen Rückzug ein schmales Brückchen gebaut. Der Herr Inspektor erhielt das Recht, sämtliche Polizeitruppen zu kontrollieren. Die belanglose Konzession wurde von lächelnden Exzellenzen gern gewährt. Seitdem sind sechzehn Monate verstrichen. Frankreich und Spanien haben Casablanca nicht mit einer Schutzmannschaft beglückt. Warum nicht, da das Privileg doch mit so zähem Eifer verlangt worden war? Geschäftsgeheimnis des Westkonzerns.

Niemand rügte die Unterlassung. Die Provinz Schawia, das Hinterland Casablancas, schien, nach einer guten Ernte, nicht von Aufruhr bedroht und in den Hafenstädten fühlen die Europäer, die den Eingeborenen lohnende Arbeit schaffen, sich ziemlich sicher. Da wurden an Bauarbeiten beschäftigte Franzosen von fanatischen Muselmanen gemordet; mit ihnen spanische (und ein italienischer) Handlanger. Leider nichts Neues in Nordafrika; unter Berbern lebt sichs nicht so gemütlich wie am Martyrberg (wo die Apachen aber auch manches heiße Herz kalt machen). Neu scheint nur die Gewißheit, daß der Sultan gegen solche Ausbrüche des Fremdenhasses nichts vermag. Abd ul Aziz wird sein Bedauern aussprechen, Entschädigung gewähren, ein paar braune Strolche hinrichten und ihre Köpfe durch die Straßen tragen lassen: und über ein Kleines wird alles sein, wie es zuvor war. Damit kann Frankreich sich nicht begnügen. Die Besetzung von Udjda hat auf den Maghreb nicht gewirkt: nun soll er die Geißel fühlen. Casablanca war nach dem Tag des Schreckens wieder ruhig geworden. Die Scherifentruppen hatten die Kabylen aus der Stadt gescheucht, Wachtposten vor die Häuser der Europäer gestellt und im Hafen wurde friedlich gearbeitet. In der Nacht vor dem fünften Augusttag kommt die Nachricht, ein französisches Geschwader werde noch vor Sonnenaufgang Truppen landen. Ist das Geschwader denn schon auf der Reede? Nein. Nur der Kreuzer Galilée. Der schickt im Morgengrau fünfundsiebzig Mann an Land. Die halten sich, unter der Führung des Fähnrichs Ballande, tapfer, sind aber natürlich zu schwach, um den Arabern Furcht einzuflößen. Ob sie zuerst schossen oder einen Angriff abwehrten, ist noch nicht festgestellt. Sicher nur, daß kurze Zeit nach der Landung ein wüstes Gemetzel entstand. Der Galilée überschüttet die Stadt mit Melinitgranaten; ihm gesellen sich nach ein paar Stunden der Kreuzer Du Chayla und ein spanisches Kanonenboot. Das Gesindel kriecht aus den Höhlen; von allen Seiten eilen empörte Kabylen herbei; was irgend zu erraffen ist, wird geraubt. Zwischen brennendem Gebälk häufen sich in den engen Straßen die Leichen. Um das nackte Leben zu retten, flüchten die Europäer auf die im Hafen liegenden Schiffe. Judenmädchen werden auf offener Straße geschändet und, zu Dutzenden, von den Hamiten als Lustsklavinnen weggeschleppt. Wie gegen eine Feuer speiende Seefestung wüten die Schiffsgeschütze gegen die unbefestigte, wehrlose Stadt … Im Haag tagt die Friedenskonferenz und Herr Bourgeois spricht vielleicht gerade über die Pflicht, den Krieg zu humanisieren.

Jeder neue Tag bringt nun neue Greuelkunde. Die Kabylen scharen sich zum Angriff und werden zurückgeschlagen. Scherifische Beamte werden als Förderer des Aufruhrs verhaftet. Aus Tanger, Mazagan, Mogador, aus allen Küstenstädten flüchten die Europäer; lassen alles im Stich, was mühsame Arbeit ihrer Hirne und Hände erarbeitet hat. Sollen sie warten, bis aus den Scharmützeln eine Schlacht, aus der Judenverfolgung die Djehad geworden ist, der Heilige Krieg, den ringsum schon die Marabuts predigen? Was nützt ihnen dann das Geschwader des Admirals Philibert und die Truppenmacht des Generals Drude, der bei Casablanca kampiert? Die islamische Wut würde dieses Häuflein überrennen und die Granaten rissen mit den Berbern wohl auch manchen Europäer ins Grab. Sicheren Schutz böte nur eine Armee. Die ist einstweilen aber nicht zu erwarten. Clemenceau trinkt in Karlsbad seinen Brunnen und Pichon, der Euryalos dieses Diomedes, beteuert, die Republik denke nicht an Eroberung, plane keine Expedition ins Innere, werde unter allen Umständen die Souveränität des Sultans und die Integrität seines Reiches wahren. In Casablanca wie in Udjda. General Drude macht aus seinem Soldatenherzen keine Mördergrube. »Da wir den Gang der Dinge hier nicht voraussehen können, wissen wir heute auch nicht, welche Truppenzahl übermorgen nötig sein wird.« So spricht er; und verdirbt den Pariser Politikern damit das Heuchelkonzept. Marokko ist nicht Tunis. Die Berberstämme, die sich nie fremden Eindringlingen unterworfen haben, werden im Dar-el-Islam ihre Freiheit teuer verkaufen. Weicht Frankreich zurück, dann ist Algerien gefährdet. Wagt es den Kampf, dann muß es ihn in großem Stil führen. Daß Herr Pichon noch immer, mit tiefernster Miene, behauptet, der Wortlaut der Algesirasakte sei ihm Gesetz, versteht sich. Die Besetzung der beiden Städte hat die Oberhoheit des Sultans nicht angetastet, sondern seine Autorität gestärkt. Das Bombardement hat die offene Tür noch weiter geöffnet. Und die französischen Offiziere wollen, wenn der lauteste Lärm verstummt ist, das Scherifenheer drillen und die Polizei organisieren. Das gestattet die Akte. Fraglich war nur, ob alle Signatarmächte mit dieser Deutung zufrieden sein würden.

Nicht lange. Spanien zauderte ein Weilchen. Dachte wohl an die Presidios und an die Möglichkeit deutscher Intervention. War aber bald beschwichtigt und schickte fünfhundert Mann übers Wasser. Die britische Presse tadelte freundlich die Brutalität des Strafvollzuges, die dem Handel aller Europäer schaden kann, fand an der Sache aber nichts auszusetzen. Und Deutschland lobte ohne jeden Vorbehalt. Herr von Tschirschky, der in den bösen Tagen von Algesiras aus dem Dunkel getaucht ist (un malheur ne vient jamais seul), erklärte flink, die Republik habe in Marokko gehandelt, wie sie handeln mußte, und dürfe der deutschen Zustimmung sicher sein. Mußten gerade wir den lautesten Beifall spenden? Deutsche haben durch den französischen Eingriff Heim und Gut verloren. Ein paar Kriegsschiffe waren da nötiger als bei der Swinemünder Parade. Nein: noch ehe ein zuverlässiger Bericht über die Vorgänge nach Deutschland gelangt war, hatte Herr Pichon sein Kompliment in der Aktenmappe. Keine europäische Macht würde also den Weg sperren. Der ist lang und beschwerlich; doch am Ziel wird die Mühe belohnt. Louis Napoleon sagte an der Hoftafel einst zum Lord Cowley, der England in Paris vertrat, der Bund der Westmächte habe eigentlich doch auch die Aufgabe, die afrikanischen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Britannien möge Ägypten, Frankreich Marokko nehmen. Dem Premierminister Lord Palmerston paßte der Plan nicht. Jetzt kann er ausgeführt werden. Die Französische Republik hat nicht vergessen, was die Eroberung Algeriens gekostet hat, und wird nicht blind in ein Abenteuer rennen, das vielleicht gefährlicher würde als die Kriege in Indochina und am Vaal. Sie braucht sich auch gar nicht zu beeilen. Der erste Streich wird im Maghreb heilsam fortwirken. Bis zum Tag von Casablanca hatten die Marokkaner und ihr Sultan gehofft, das Deutsche Reich werde ihnen aus der ärgsten Franzosennot helfen. Nun sehen sie, was Frankreich vermag, und werden sich hüten, den Grenznachbar noch einmal zu reizen. Ohne solche Lehre ging es nicht weiter. Das müssen auch die radikalen Abgeordneten einsehen. Was Louis Philippe und Louis Napoleon vergebens erstrebten, haben wir erreicht; und dabei doch nicht, wie Delcassé, die Gefahr eines europäischen Krieges heraufbeschworen. Heer und Flotte haben wieder ihre Schlagkraft bewährt und die Gunst der Menge zurückgewonnen. Schuldet das Vaterland uns nicht Dank? Wer uns stürzen, ersetzen will, ehe in Marokko alles, aber auch wirklich alles zu gutem Ende geführt ist und wir sagen können, que toutes les satisfactions demandées sont obtenues, der nimmt das Gewicht schwerer Verantwortung auf sich. Und fallen wir, so preist das Lied uns den Enkeln als Mehrer des Reiches und Clemenceau thront neben Ferry in der Glorie.

Das ist der Humor der Geschichte. Daß Ferrys Todfeind den Weg geht, den der Tonkinois ging; und daß auch er ihn erst beschritt, als er der deutschen Zustimmung sicher sein durfte. Alles andere war zu erwarten. Rouvier (der uns nie einen Marokkovertrag angeboten hat, nie einen anzubieten brauchte, weil ihn am Quai d'Orsay, bald nach der brüsken Berliner Note, die tröstliche Botschaft erreichte, daß von Deutschland nichts mehr zu fürchten sei), der ins Auswärtige verschlagene Finanzmann hat in seinem Rechenschaftsbericht vom Dezember 1905 gesagt: »Nicht nur die Grenznachbarschaft gibt uns in Marokko eine Sonderstellung. Unser Recht reicht viel weiter; es beruht darauf, daß Frankreich in Nordafrika eine moslemische Macht ist, die über sechs Millionen Eingeborene und siebenhunderttausend Kolonisten herrscht und ihre Autorität wahren muß. Die Gemeinschaft des Glaubens, der Sprache und der Rasse bindet diese Bevölkerung an die Marokkos und läßt sie alle Erregungen mitempfinden, die im Nachbarstaate durch Anarchie oder durch das Walten einer feindlichen Regierung entstehen können. Deshalb dürfen wir fordern, daß im Scherifenreich eine der Tradition entsprechende und überall Gehorsam erzwingende Staatsgewalt wirksam sei; deshalb dürfen wir uns die Sicherheit schaffen, daß diese Staatsgewalt nie zu dem Versuch gedrängt werden kann, unser Gebiet zu bedrohen und die Ruhe unserer Kolonie zu stören. Die marokkanische Frage umfaßt ein nationales Lebensinteresse; bleibt sie unbeantwortet, so kann dadurch das große Werk scheitern, das Frankreich seit drei Vierteljahrhunderten in Nordwestafrika unternommen und seitdem mit so schweren Opfern bezahlt hat. In den Verhandlungen mit dem Deutschen Reich sind alle unsere Rechte anerkannt, alle aber vorbehalten worden.« Mit diesem Programm, das nicht eines Haarstriches Breite von dem Delcassés schied, ging Frankreich nach Algesiras. Eine langwierige Komödie begann. Die auf der der Konferenz vertretenen Mächte taten, als glaubten sie ernstlich an die Souveränität des Sultans (den sie zugleich doch entwaffneten und unter internationale Polizeiaufsicht stellten), an die Einheit des Scherifenreiches (in dem hier Bu Hamara, dort Raisuli mehr Anhang hat als Abd ul Aziz), an die Möglichkeit, nach dem beschämenden Schauspiel europäischer Eifersucht das Heilige Land des Erdwestens noch in Ordnung zu halten. Was kommen mußte, kam. Die Macht des Sultans schwand mit jedem Mond, die Anarchie wucherte fort und der muslimische Haß waffnete sich gegen Frankreich. Dieser Zustand war unerträglich. Und die Meldung vom Galilée drum eine Heilsbotschaft.

siehe Bildunterschrift

Der Kaiser mit Nikolaus II.

»Will man unsere Marokkopolitik richtig verstehen, so muß man zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren; will man das Ergebnis richtig würdigen, den Anfang mit dem Ende vergleichen.« So sprach im Reichstag der Kanzler. Wir waren tief gekränkt, weil der franko-britische Vertrag, dessen Inhalt wir vor dem Abschluß aus Delcassés Mitteilung genau kannten, uns nicht offiziell vorgelegt worden war. Das war der Anfang. Jetzt hat Frankreich zwei marokkanische Städte besetzt, ganze Quartiere zusammengeschossen, Gelegenheit zu Massenplünderungen gegeben, die Deutsche um Haus und Habe brachten, mit Granaten, Flintenkugeln und Bajonetten an der Küste für sein Vorrecht gekämpft, Heiligtümer vernichtet und den Fanatismus des Islams gegen die Rumi gestachelt. Und wir beeilen uns, durch den beredten Mund Heinrichs von Tschirschky Einverständnis und Anerkennung aussprechen zu lassen. Das ist das Ende. Vergleichet! Tadelt den Kanzler aber nicht allzu hart. Er hat alles vorausgesagt. Schon im Juni 1905. Das beweisen Bihourds Berichte, die im Livre Jaune veröffentlicht worden sind. »Le Prince de Bülow m'a répété que le Gouvernement allemand tenait au maintien actuel de l'indépendance du Sultan et de l'intégrité de son Empire, tout en étant prêt pour la France à réserver l'avenir. Il m'a déclaré que l'Allemagne ne pouvait faire aujourd'hui ce qu'elle aurait certainement pu faire il y a un an et ce qu'elle pourrait peut-être faire dans un an. L'Empereur, après s'être engagé vis-à-vis du Sultan, ne saurait l'abandonner, mais l'avenir appartient à qui sait attendre. Il faut que l'indépendance du Sultan soit proclamée et qu'une organisation soit tentée par les Puissances. Si l'experience échoue, comme il est très possible, alors la France pourra assumer le rôle qu'elle souhaite. Le Prince a appuyé sur ce point.« Er darf heiteren Auges vom Ende auf den Anfang zurückblicken.

Können's auch die Franzosen? Die von Rouvier veröffentlichten Documents Diplomatiques (Paris, Imprimerie Nationale) geben nur eine Lustralbilanz; über die Jahrhundertwende hinaus braucht der Blick aber nicht zurückzuschweifen. In der Oase Tafilet, südlich vom Atlas, hatte sich im März 1901 eine Berbertruppe gebildet, die auf algerisches Gebiet übertrat und bei Timmimun die französischen Posten angriff. Sie wurde zurückgeschlagen; bald aber folgte ihr eine stärkere Horde und Herr Révoil, der die Republik in Tanger vertrat, glaubte, den scherifischen Repräsentanten Mohammed Torres sehr ernstlich warnen zu müssen. Im April wird der Franzose Pouzet von Marokkanern getötet. Frankreich fordert Genugtuung und schickt zwei Schiffe (Pothuau und Du Chayla) nach Tanger. Seit 1898, schreibt Révoil an Delcassé, »haben wir nicht ein einziges Mal von Marokko die Genugtuung erhalten, die wir nach allem uns Angetanen verlangen mußten. Weder für inkorrektes Handeln der scherifischen Diplomatie noch für Angriffe, an denen (mindestens bei dem Überfall von Timmimun) der Maghzen mitschuldig war. Jetzt ist von marokkanischen Beamten unser Landsmann Pouzet getötet worden: und man wagt, ohne ein Wort des Bedauerns zu sprechen, uns die Bestrafung der Franzosen zuzumuten, die Pouzets Begleiter waren. La mesure était donc vraiment comble et il serait dificile d'imaginer des conditions dans lesquelles l'attitude énergique prise par le Gouvernement français fut plus justifiée et, j'ajouterais, plus opportune.« Amerika, Deutschland, England und Italien haben durch das »klassische Verfahren der Flottendemonstration« erreicht, was sie erreichen wollten. Frankreich hat bessere Rechtsansprüche und mehr Grund zur Klage als alle übrigen Mächte und darf nicht dulden, was sie niemals hinnehmen würden. Die Schiffe gehen von Tanger nach Mazagan und Herr Fumey, der Erste Dragoman der französischen Gesandtschaft, überreicht dem Sultan die Forderung der Republik. Alle Bedingungen werden sofort angenommen und Révoil kann im Juni melden, daß alle wichtigen Streitfragen im Sinn Frankreichs beantwortet sind. Inzwischen hat der Maghzen beschlossen, nach London, Petersburg, Berlin und Paris eine Gesandtschaft abzuordnen. Als sie in Paris eingetroffen ist, fragt Fürst Radolin, ob diese Mission einen besonderen Zweck habe; in den Zeitungen sei von einem französischen Protektorat die Rede. Delcassé antwortet: »Wenn mit dem Wort Protektorat gesagt sein soll, daß Frankreich, als Herrin von Algerien und Tunis, in Marokko eine privilegierte Stellung hat und behalten muß, so scheint diese Situation mir unzweifelhaft richtig dargestellt.« Fürst Radolin ist mit dieser Auffassung des Ministers ganz einverstanden. »Rien de plus juste«, sagt er; »tout le monde se rend compte de cette situation«. Delcassé läßt dem Marquis de Noailles, dem Berliner Botschafter der Republik, den Wortlaut dieses Satzes mitteilen; hält ihn also für wichtig. Zwei Jahre nachher hört der Maghzen wieder die alten Klagen; die algerische Grenze ist nicht geachtet, die Truppen Frankreichs sind angegriffen worden. Der Sultan läßt durch den Mund seines Ministers Si Abd el-Kerim Ben Sliman (der sich immer der französischen Auffassung zugänglich zeigt) sein Bedauern aussprechen und verheißt Abhilfe. Doch Delcassé glaubt der Verheißung nicht mehr, spricht in Noten an Herrn Saint-René Taillandier (der in Tanger Herrn Révoil abgelöst hat) offen von der Ohnmacht des Maghzen und erklärt, die Republik müsse durch militärische Maßregeln ihr Ansehen und ihren Besitz selbst schützen. So schwankt die Stimmung bis in die Tage des franko-britischen Kolonialabkommens. Ende März 1904: Gespräch zwischen Delcassé und Radolin. »Wir werden die politische Verfassung und den Territorialbesitz Marokkos achten; aber wir müssen unser Grenzrecht, das immer wieder verletzt wird, wahren und die Ruhe im Land sichern. In welcher Form wir auch dem Sultan Beistand leisten werden: die Handelsfreiheit werden wir nicht im geringsten antasten.« »Le prince de Radolin a trouvé mes déclarations très naturelles et parfaitement raisonnables et m'a remercié vivement de les lui avoir faites.« Der Inhalt des Gespräches wird den Botschaften in Berlin, London, Petersburg, Wien, Rom, Madrid mitgeteilt. Deutschland ist ruhig. Der Botschafter Bihourd meldet, die deutsche Presse bespreche das Abkommen ohne Besorgnis; die Norddeutsche Allgemeine Zeitung habe zweimal gesagt, den deutschen Handelsinteressen drohe keine Gefahr. Auch der Kanzler habe im Reichstag sehr korrekt über die Sache gesprochen. »Ich neige zu dem Glauben, daß der Kaiser nach seiner Rückkehr eine aktivere und kühnere Politik treiben wird. Dahin drängt ihn sein Charakter und der Wunsch, zu zeigen, daß Deutschland weder isoliert noch wehrlos ist. Er wird, wie ich annehme, also versuchen, in die Ordnung der marokkanischen Angelegenheiten einzugreifen; entweder indirekt, durch Beeinflussung der spanischen Politik, oder direkt, durch die Forderung, dem deutschen Handel zu gewähren, was dem englischen gewährt worden ist.« Wie kam Herr Bihourd zu diesem Glauben? Als Herr Loubet nicht mehr Präsident der Republik war, hat er einem Journalisten erzählt, der Deutsche Kaiser habe im Frühjahr 1904 in drängenden Worten den Wunsch ausgesprochen, am Ende seiner Mittelmeerreise mit dem Präsidenten in Italien zusammentreffen. Viktor Emanuel wollte die (nicht allzu schwere) Last der Einladung nicht auf sich nehmen. Vielleicht, weil er fürchtete, von Paris aus könne abgewinkt werden; vielleicht, weil seine Minister ihm sagten, King Edward werde ihm solchen Botendienst sicher nicht danken. Wiederholtem Ersuchen habe er sich versagt und darob, erzählte Herr Loubet, sei der Kaiser ärgerlich geworden; zuerst gegen Italien und dann auch gegen Frankreich. Der Präsident war bereit, Wilhelm, wo er ihn traf, Reverenz zu erweisen. Wenn Viktor Emanuel die Rolle des postillon d'amour übernommen oder auch nur dem Zufall sacht nachgeholfen hätte, wäre der alten Europa ein Jahr des Mißvergnügens erspart worden. Trotzdem Delcassé, der Günstling und Freund Loubets, das Deutsche Reich, wie wir bald danach hörten, gröblich beleidigt haben sollte. Durch den Botschaftrat Lecomte konnte Herr Bihourd über diese Vorgänge und Stimmungen genau unterrichtet sein. Er bleibt noch ruhig. Deutschland, sagt ihm Richthofen, hat in Marokko nur Handelsinteressen; und die sind, nach den Versicherungen der französischen Regierung, auch heute ja nicht gefährdet. So spricht der Staatssekretär im Oktober 1904. Vier Monate danach hört in Tanger der französische vom deutschen Geschäftsträger, Graf Bülow kenne den Inhalt des franko-britischen und des franko-spanischen Abkommens über Marokko nicht und lasse seine Politik schon deshalb nicht durch sie binden. Delcassé antwortet: Den Inhalt des ersten Abkommens kennt Fürst Radolin seit dem dreiundzwanzigsten März 1904; er hat ihn natürlich und vernünftig gefunden und mir für die Mitteilung herzlich gedankt; das zweite Abkommen habe ich, nach den Regeln der ausgesuchten Höflichkeit, die ich mir seit fast sieben Jahren zur unverbrüchlichen Pflicht mache, vor der Veröffentlichung zur Kenntnis der Berliner Regierung gebracht. Taillandier legt in Fez die Liste der französischen Forderungen vor. Der größte Teil der Reformen, sagt der Sultan, ist annehmbar und kann in kurzer Zeit durchgeführt werden; einzelne scheinen mir bedenklich und müssen zunächst vom Maghzen erörtert werden. In der letzten Märzwoche wird Herr Bihourd unruhig. Weil der accord franco-anglais weder von der Pariser noch von der Londoner Regierung in Berlin offiziell vorgelegt worden ist, stelle man sich hier, als kenne man ihn nicht; der Plan des Kaisers, in Tanger zu landen, verrate die Absicht, ein französisches Übergewicht in Marokko nicht zu dulden. Noch glaubt in Berlin mancher, England blicke, wie in den Zeiten Nelsons und Palmerstons, eifersüchtig über die Gibraltarstraße, wolle den Partner prellen und werde froh sein, wenn er gehindert werde, die am Atlas reifende Frucht zu pflücken. Sich also auch der Reise des Kaisers freuen. Die ist als Lied ohne Worte gedacht. Bringt aber eine Rede. »Mein Besuch gilt dem Sultan, in dem ich einen unabhängigen Souverain sehe. Das freie Marokko wird, so hoffe ich, unter der Oberhoheit des Sultans dem friedlichen Wettbewerb aller Völker, bei völliger Gleichheit aller Bedingungen, ohne Annexion und Monopol, geöffnet bleiben. Der Zweck meines Besuches ist, zu zeigen, daß ich entschlossen bin, alles, was in meiner Macht steht, für die wirksame Vertretung unserer Interessen in Marokko zu tun. Über die dazu geeigneten Mittel werde ich nur mit dem Sultan, dem vollkommen freien Herrn dieses Landes, verhandeln. Damit die Ruhe nicht gestört werde, wird bei der Einführung der Reformen, die der Sultan beabsichtigt, mit größter Vorsicht zu verfahren und das religiöse Gefühl der Bevölkerung zu schonen sein.« Der Botschafter der Republik weiß auch jetzt, was am Berliner Hofe vorgeht. »In der Umgebung des Kaisers fehlt es nicht an kriegerischen Stimmen, die behaupten, der Zweibund sei in der Mandschurei arg geschwächt worden und die Stunde deshalb einer Auseinandersetzung mit Frankreich günstig. Nach seiner Heimkehr wird der Kaiser, in Karlsruhe oder anderswo, vielleicht eine Rede halten, um seine Meinung über die Situation zu sagen.« Das geschieht; Herr Lecomte hat das Kommende wieder pythisch geahnt. Im Mai wird, auf deutsche Anregung, von Fez aus die Einberufung einer Konferenz empfohlen. Die Zirkularnote, die diesen Vorschlag vom Maghzen bringt, ist das letzte Aktenstück, das Delcassé als Minister empfängt. Er hat, vielleicht nach sekreten Berichten, nicht an den Ernst deutscher Drohung geglaubt, dreimal das Angebot englischer Hilfe abgelehnt und in der Kabinettssitzung gewarnt, sich von dem Berliner Bluff einschüchtern zu lassen. Vergebens. Er sollte geopfert werden. Mehr, war dem Ministerpräsidenten Rouvier gesagt worden, fordert der Kaiser nicht. Und trotzdem die Konferenz? Politik der Wilhelmstraße, heißt's, nicht des Schlosses. Auch sagt der Kanzler ja, die Intervention der Mächte werde sich wahrscheinlich als unfruchtbar erweisen und dann könne Frankreich die ersehnte Rolle übernehmen. Vor der Konferenz müsse er den französischen Forderungen widersprechen; wenn die Republik seinem Wort traue und dem Konferenzplan zustimme, werde er ihren berechtigten Ansprüchen gern nachgeben. Die Zustimmung wird gewährt, nachdem die Kaiserliche Regierung sich verpflichtet hat, qu'il ne poursuivra à la Conférence aucun but qui compromette les légitimes intéréts de la France au Maroc ou qui soit contraire aux droits de la France résultant de ses traités ou arrangements. In dem Konferenzprogramm vom ersten August 1905 fordert Rouvier, die in Tanger, Larasch, Rabat und Casablanca zu schaffende Polizeitruppe solle aus marokkanischer Mannschaft und europäischen Instruktoren gebildet werden. Am dreißigsten August erklärt er sich, auf deutschen Wunsch, bereit, die Namen der Städte, in denen die Polizei so zu organisieren sei, aus dem Programm zu streichen. Suaviter in modo. Am fünften August 1907 wird Casablanca mit Melinitbomben beschossen. Bald danach liegen acht französische Kriegschiffe vor den Scherifenhäfen.

Frankreich hat, was es haben wollte: die Möglichkeit, dem Sultan und dem Maghzen sich als eine Macht zu zeigen, die auf deutsches Geheiß nicht zu hören brauche, und zugleich sein Spezialgeschäft so zu führen, daß am Tag der Abwickelung nicht ein französisches, sondern ein europäisches Interesse auf dem Spiel steht. Dieses Ziel ward erreicht. Daß unterwegs unklug und grausam gehandelt wurde, geniert einstweilen nicht einmal die vereinigten Sozialisten. Und die Fragen, ob die Fähnriche Ballande und Teyssier wirklich zwischen Bayard und D'Artagnan einen Heldenplatz verdienen und ob es zwischen Franzosen und Spaniern zu ernstem Konflikt kommen werde, sind nicht sehr wichtig. Wer in Paris zum Heros geweiht wird, geht uns nicht an; und Kommandantenzank scheint, nach wie vor dem Kreuzzug Waldersees, von internationalen Aktionen untrennbar. Wir wollen uns nicht bei Kleinigkeiten aufhalten. Die Vorgänge lehren Beträchtliches. Marokko ist kein einheitliches, von einem Staatswillen geleitetes Reich, wie Europa sie kennt; ist die westislamische Glaubensgemeinschaft, in der mit Arabern die aus Harns Samen erwachsenen kräftigen Berberstämme sich zusammenfinden (Amazirghen, Schelluh, Kabylen und Wüstenbewohner; im ganzen fünf und sechs Millionen Menschen). Diese kriegerischen Scharen sind weder von den Römern noch von den Arabern gebändigt worden und werden, wenn sie sich heute ducken, morgen wieder für ihre Freiheit fechten. Der Sultan ist nicht ein souveräner Landesherr, an dessen Willensregung das Schicksal des Landes hängt, sondern ein geistliches Oberhaupt, dessen Ohnmacht um so sichtbarer wird, je höher es sich zu weltlicher Herrschaft aufzurecken versucht. Internationale Eingriffe können hier noch weniger wirken als im ostislamischen Türkenreich, über dessen Grenze zwei Großmächte gucken; Hof und Behörden wissen im Orient nur allzu gut, wie leicht die an Konferenztischen und beim Becher gerühmte Einheit Europas zersplitterte Ordnung kann nur ein Starker schaffen, dem alle anderen freie Hand lassen. Dieser Starke will Frankreich sein; das europäische Mandat, das ihm 1905 bestritten wurde, erzwingen.

»Will man das Ergebnis unserer Marokkopolitik richtig würdigen, so muß man den Anfang mit dem Ende vergleichen.« War Algesiras das Ende? Nein: erst der Anfang vom Ende. Im Jahr 1905 wollten wir der Französischen Republik das Recht auf eine Vormachtstellung in Marokko bestreiten. Nun nimmt sie sichs mit bewaffneter Hand, ruft laut, daß es ihr gebühre: und der Vikar der Wilhelmstraße beeilt sich, zu erklären, daß kein vernünftiger Mensch dagegen etwas einwenden könne.

Villafranca war unvermeidlich, weil die Wehrverfassung der Habsburger Monarchie rückständig geblieben war. Auch Casablanca ist ein Resultat, das der Nüchterne längst errechnen konnte. Casablanca mußte auf Algesiras folgen, wie auf die Warschauer Konferenz einst die Olmützer Demütigung. Damals, sagt Sybel, »rollten manchem wackeren Kriegsmann bittere Tränen in den Bart. Preußen war gewichen! … Da war denn freilich auf Preußens Ehrenschild ein dunkler Schatten gefallen. Die Achtung seiner Freunde sank; der Übermut der Gegner hielt seitdem alles für möglich. Niemals hat der Prinz von Preußen den Eindruck dieser Tage vergessen. Aus tausend Stimmen erscholl der zornige Schmerzensruf, zum zweiten Male sei das Werk Friedrichs des Großen vernichtet worden.« Zornige Schmerzensrufe haben wir nicht nach Algesiras, nicht nach Casablanca gehört. Böllerschüsse und Glockengeläut, als käme ein Heer aus gewonnener Feldschlacht. Die Brandenburg und Manteuffel verstanden sich noch nicht auf die Kunst, eine Niederlage in einen Sieg umzufrisieren. Das geht heute flink. Nur hält die Frisur sich nicht lange. Der Tag ist nicht fern, der erkennen lehrt, daß Deutschland in Algesiras noch mehr verloren hat als Friedrich Wilhelms Preußen in Olmütz.

Badekuren

Hotel Weimar in Marienbad. »Was habe ich Ihnen in Paris gesagt? Das französische Weltreich muß Ihr Block aus Felsenstein werden. Als Patriot sind Sie nach dem Absturz in den Panamasumpf wieder auf die Höhe gekommen. Die Taten des Patrioten erwartet Ihr Land auf dem Gebiet internationaler Politik Damals träumten Sie von einem Rachekrieg und klagten, als ich der francisque fureur abwinkte, daß alle Bündnisse Ihnen, in Ost und West, immer nur die Police einer Friedensversicherung einbringen, die der Alliierte mit größerer Freude begrüßen müsse als Sie. Heute werden Sie zugeben, daß auch mit meiner Methode manches zu erreichen ist; und nicht bereuen, ihr vertraut zu haben. Sie haben Fehler gemacht. Landung einer unzureichenden Truppenzahl; Beschießung einer offenen, wehrlosen Stadt; Metzelung der Araber, die Europäerwohnungen vor berberischen Angriffen geschützt hatten; Sünde wider das dem Politiker wichtigste Gebot, sich nie bei grausamem Wüten ertappen zu lassen. Trotzdem steht Ihre Sache gut und wird, mag der Sultan Abdul Aziz oder Abd ul Hafid heißen, übermorgen die Sache Europas sein. Eine ernste Schlappe der weißen Vormacht würde das Land den Berberhorden ausliefern; schließlich müssen also selbst die deutschen Kaufleute, die jetzt schimpfen, Euch den Sieg wünschen. Ihr seid nervöses Volk und wolltet durchaus nicht glauben, daß von Berlin nichts zu fürchten sei. Glaubt Ihrs nun? Deutsche Häuser sind (wie ich höre, sogar von Euren Soldaten) geplündert, dem deutschen Handel die Kraftquellen verstopft worden: und Ihr bekommt Komplimente. Der kleine Delcassé, den Sie leider nicht riechen können, hatte recht, als er warnte, sich bluffen zu lassen. Alte Duellregel: wer kneifen will, soll's erst auf dem Kampfplatz tun; vielleicht kneift der Gegner schon vorher. Na, diesmal wart Ihr ja sicher. ›Casablanca wird von mir hören.‹ Das Wort stammt aus anderer Zeit als das Versprechen, Euch in Marokko nicht mehr zu genieren. Die Erdkugel dreht sich; eppur si muove: auch Euer Galilée hat's gemerkt. Habe ich im Winter etwa übertrieben? Sie konnten die Heeresziffer ruhig herabsetzen und dennoch in Nordwestafrika den Schlag wagen. Wenn die Stunde nur richtig gewählt war. Psychologie, Liebster. Hübsch bedenken, daß mancher das Isoliersystem nicht lange erträgt und daß die Sehnsucht des Einsamen nicht nach dem Marktwert der Freundschaft fragt. Warum sitzen wir behaglich in Sansibar, Witu, Uganda? Weil nach dem Manöverschnupfen von Narwa für unser Lächeln ein pretium affectionis geboten wurde. Warum schenken die Buren mir den größten Randdiamanten? Weil sie nach strenger Hungerkur endlich wieder aus der Schüssel schöpfen. Transvaal und Deutschland sollten unversöhnlich sein: und in beiden Ländern bin ich jetzt ein populärer Mann. Ewige Feindschaft, pflegte der alte Pam zu sagen, gibt's ebensowenig wie ewige Bündnisse. Sie werden's auch noch erleben. Als Sie Ihr Kabinett bildeten und Iswolskij, weil das Ministerium Sarrien nicht mehr, das Ministerium Clemenceau noch nicht lebte, in Paris Tage lang keinen Beamten der Republik sah, hätten Sie nicht gedacht, daß eine Britenhand den franko-russischen Gurt wieder zur alten Festigkeit zusammenziehen werde. Nun hat der gute Onkel noch teuere Leckerei in der Geschenkschachtel. Ihr wißt gar nicht, wie heiß der Nachbar in Osten Euch liebt. Marianne war im Hessenschloß das Hauptthema unserer Gespräche. Ça ira. Wenn Ihr den für die heikle Sache geeigneten Unterhändler findet. (Monaco hat keinen rechten Kurs mehr, seit er als Agent demaskiert ist; ich hätte ihn im Dunkel gelassen und ihm keinen Orden gegeben.) Cambon wird aus Norderney schon etwas mitbringen, woran sich ein Fädchen knüpfen läßt. Ich wette, daß die Verständigung mit Jauchzen empfangen wird, und sehe sie ziemlich nah. Dann braucht die Angst Eurer Rentiers nicht mehr zu schreien, Deutschland werde, sobald im Ärmelkanal ein Schuß falle, die Republik als Geißel abschlachten. Das war ja die schwache Stelle der Entente. ›Ägypten haben wir weggegeben, Marokko bekommen wir nicht, Tongking und Madagaskar sind von den Japanern bedroht und Englands Kriegsschiffe schützen unsere Ostgrenze nicht vor dem deutschen Anprall.‹ Oft genug mußte ichs hören. Jetzt gibt die Inventur ein anderes Bild. Marokko ist Euch so gut wie sicher, mit Japan habt Ihr ein Bündnis und mit Deutschland könnt Ihr morgen eins haben. Überhaupt gibt's nur noch gute Freunde und getreue Nachbarn. Dieser Umschwung hat Sie keinen Centime gekostet; mich eine Einladung, einen Besuch und zwei kurze Tischreden. Damit wäre die Nervenruhe eines Kleinbürgers noch nicht zu teuer bezahlt. Und daß man mir nachsagt, ich sei mit Deutschland nicht fertig geworden, mein System habe sich nicht bewährt und ich müsse deshalb ein neues versuchen, rührt mich nicht. Wer von solchem Futter satt wird, soll sichs schmecken lassen. I have that within which passeth show …«

Pyrophon

Im Juni 1904 hat Onkel Eduard den Neffen besucht. In Kiel. Die Leibkompagnie des Ersten Garderegiments fuhr von Potsdam nach Holtenau, um dem hohen Gast an der Schleuse Honneur zu machen. Alle Kriegsschiffe wurden illuminiert. Deck und Innenräume der »Hohenzollern« in Blumengärten verwandelt. Regatta, Galatafel, Salut, herzlicher Abschied. »Ein politisches Ereignis von weittragender Bedeutung«, lasen wir; »der Besuch des Königs hat deutlich gezeigt, daß die Verständigung mit Frankreich der deutsch-englischen Freundschaft nichts von ihrer Innigkeit genommen hat.« Spät erst erfuhren wir, daß in Kiel nicht alles ganz glatt gegangen war. Zwei Jahre hielt sich Eduard dann fern; ließ alle Lockrufe so schroff ablehnen, daß Europa erschreckt aufhorchte, und sprach vor Fremden, vor Feinden Deutschlands harte Worte über den Neffen. Jetzt ist der König wieder Gast des Kaisers gewesen: und staunend vernehmen wir nun, daß im vorigen Jahr die Temperatur nicht über den Nullpunkt gestiegen ist. Dieselben Blätter, die im August 1906 in durchschossenen Zeilen die »ungemeine Herzlichkeit« meldeten, sagen im August 1907, in Friedrichshof sei die Stimmung frostig gewesen. »Im vorigen Jahr waren König Eduard und Sir Charles Hardinge kühl zurückhaltend, zugeknöpft; gestern war alles anders, freier freundschaftlicher, herzlicher; man sieht: das Vertrauen ist zurückgekehrt, das Einvernehmen wiederhergestellt.« (Vossische Zeitung.) »In Cronberg fehlte der offene, freundschaftliche Charakter, mit dem Kaiser und König heute einander begegneten. Der König war von gewinnender Freundlichkeit, die man an ihm bei aller weltmännischen Form doch vermißt, wenn er im Innersten anders denkt. Kaiser Wilhelm zeigte all die feine Courtoisie, die sein eigenstes Wesen ausmacht, die aber doch nicht voll hervortritt, wenn sein Herz nicht ganz dabei ist. Heute sah man es deutlich: ehrlich in Handschlag und Geste! Beiden Herren liegt diese Tonart besser.« (Lokalanzeiger.) Beide Herren waren im vorigen Jahr also zur Verstellung gezwungen? Wer sagt den durch die Erfahrungen von 1904 und 1906 Enttäuschten nun voraus, was sie 1908 lesen werden?

Da der König diesmal zum Kaiser (nicht, wie in Cronberg, zu dessen Schwester) kam, mußten ihm alle bei Monarchenbesuchen üblichen Ehren erwiesen werden. Empfang und Einzug wurden sorgsam probiert. Bei der letzten Probe hatte ein Generalleutnant die Rolle des Königs zu markieren. Er kam in einem Sonderzug an, wurde auf dem Bahnhof feierlich begrüßt und fuhr, unter den Klängen der Britenhymne, durch das Spalier präsentierender Truppen bis vors Schloß, wo der Kaiser eine Generalprobe der Parade hielt. »Alles klappte wunderbar.« Leider kam Eduard dann drei Stunden zu spät. Wurde aber wie des Reiches treuster Freund empfangen. Gewerkvereine, Veteranen, Schulkinder mit Schärpen und Fähnchen in den englischen Farben, stürmische Zurufe aus einer seit der Morgenfrühe versammelten Menge. Ob in London ein Fürst, der dem Britenreich so viel Liebes und Gutes getan hätte, mit solchem Jubelgebraus begrüßt würde? Der Onkel trug die Uniform seines Gardedragonerregiments; der Neffe beim Empfang die der englischen, beim Diner die der preußischen Dragoner, während der Spazierfahrt Zivil, beim Abschied das Ehrenkleid des britischen Feldmarschalls. Nach neunstündigem Aufenthalt fuhr der König über Ischl, wo er einen Tag beim Kaiser Franz Joseph blieb, zur Kur nach Marienbad. An der Wilhelmshöher Galatafel hatte er einen emphatischen Trinkspruch des Kaisers mit sehr artigen Worten erwidert. Er sprach nicht, wie Wilhelm, von Verwandtschaft und Freundschaft, von alten Beziehungen und gemeinsam getragenem Leid; dankte aber für den herzlichen Empfang und erinnerte an seinen Wunsch, zwischen den beiden Ländern »die besten und angenehmsten Beziehungen« zu sichern. Die Schlußsätze der beiden Reden sind so charakteristisch, daß sie hier wörtlich angeführt werden sollen. Wilhelm: »Auf der Fahrt zum Schloß konnten Eure Majestät in den Augen der Bürger von Kassel und ihrer Kinder und später bei unserer Rundfahrt durch unsere schönen Fluren und stillen Wälder in den Gesichtern aller derer, welche die Ehre und Freude gehabt haben, Eure Majestät zu sehen, das Gefühl dankbarer Ehrerbietung für diesen Besuch lesen. Ich bitte Eure Majestät um die Erlaubnis, mein Glas erheben zu dürfen auf das Wohl Eurer Majestät, Eurer Majestät erhabenen Gemahlin, der Königin, des gesamten großbritannischen Königshauses und Eurer Majestät Volkes.« Eduard: »Ich freue mich sehr, daß Eure Majestäten mich bald in England besuchen werden, und bin überzeugt, nicht nur meine Familie, sondern das ganze englische Volk wird Eure Majestäten mit der größten Freude empfangen. Ich trinke auf das Wohl Eurer Majestäten.« Das Zeremoniale, der Jubel des Empfanges und Abschieds, die Kleider und Tischordnung, die Trinksprüche sind verbürgt. Nichts anderes wissen wir von diesem Besuch.

Hören aber, daß er zum unermeßlich holden Wunder ward und daß dem Reich die Sonne heller als je vorher ins Fenster scheint. Wer sprach denn von Isolierung, von der Absicht, uns einzukreisen? Kindische Gespensterfurcht. Nie gab's solchen Plan; wer ihn gehegt hätte, müßte jetzt doch wohl merken, daß er nicht durchzusetzen ist. Deshalb buhlt in Ost und West alles um unsere Freundschaft. Wir sind die gesuchtesten Leute und könnten so viele Verträge, accords und ententes haben, wie wir wollen. Danken aber bestens. Denken darüber wie Wotan und Wotans Schützling, der Drachentöter. Sind nicht so pedantisch, was Geschriebenes zu fordern. Der Dreibund ist wieder wie neu. (In Algesiras haben wir ihn bestattet, nach dem glorreichen Tag von Defio wieder ausgegraben.) Nikolai ist unser intimster Freund. (Gestern verschrien wir ihn als Idioten, vorgestern als Massenmörder; heute ist er ein etwas kränklicher, doch zuverlässiger Kumpan und sein Reich, das wir schon in Fetzen sahen, unsere feste Burg.) Mit Eduard sind wir ein Herz und eine Seele. (Denn er hat unseren Kaiser besucht und damit bewiesen, daß er nicht, wie wir im Juli noch glaubten, ein tückischer Feind, sondern ein Staatsmann ersten Ranges ist.) Verlangt Ihr noch mehr? Abgerüstet wird nicht, weil wirs nicht wollen. In Marokko wüten die Franzosen, weil wirs wollen. Tittoni geht mit Aehrenthal nach Ischl, Cambon zu Bülow nach Norderney und Clemenceau hat in Marienbad bei Eduard gefrühstückt. Kein Wölkchen am Himmel. Zwischen Deutschland und Britannien, zwischen Österreich und Italien kein Stäubchen. Übermorgen sind wir auch mit Frankreich im reinen. Ist Euch nicht aufgefallen, daß Radolin und drei reichsländische Spitzen mit Eduard im Hessenschloß waren? Daß der King dann Clemenceau ad audiendum verbum berief und der Kanzler Herrn Cambon ins Nordseebad lud? Bald spüret Ihr in allen Wipfeln keinen Hauch mehr. Sogar über die Balkangeschichten sind alle schon einig. Drum gab's beim Ischler Monarchenschmaus Macédoine de fruits en petits verres. Im Ernst …

Das alte Spiel beginnt wieder; wieder der alte Trug. Einst hieß es, was nicht in den Akten, jetzt heißt's, was nicht in der Zeitung stehe, brauche uns nicht zu kümmern. Und wer die Zeitungsschreiber nicht zu hypnotisieren vermöchte, wäre kein Meister über die Geister. Melinitbombendampf muß ihnen wie Ambrosia duften, eine Maulschelle sie wie wonnigste Paarungslust kitzeln. Dann läuft die Maschine. Dann hört das Volk, was wir seinem Ohr gönnen. Bei uns ist's erreicht. King Edward kann ein lustiges Lied davon singen.

À Paris

Wilhelm der Zweite hatte lange kein Haupt eines großen Reiches in seinem Haus gesehen. Vielleicht freut's ihn, daß er inter pares nun wieder den Wirt spielen durfte. Über Motiv und Zweck dieser Besuche täuschte er sich aber wohl nicht. Der Zar mußte die Artigkeit von Björkö endlich erwidern, vor dem Abschluß des anglo-russischen Vertrages sich als höflichen Nachbar zeigen und Freundeshilfe gegen den Wunsch der Westmächte werben, den Fragen der Türkenliquidation und der Meerengensperre in der Zeit russischer Ohnmacht die Antwort zu finden. Eduard treibt das Staatsgeschäft wie ein kluger Großkaufmann. Der sucht jede Feindschaft zu vermeiden. Fühlt er sich bedroht oder fällt das laute Wesen eines Konkurrenten ihm auf die Nerven, so wehrt er sich seiner Haut, zieht andere, die auch bedroht oder geärgert sind, in eine Interessengemeinschaft und zwingt den Lästigen in die seiner Potenz gebührenden Schranken. Dann hat er keinen Grund mehr zum Groll und stellt, sobald es irgend geht, den alten Verkehr wieder her. Feindschaften gehören zum Luxus müßiger Leute. Wenn man weiß, was beim Nachbar vorgeht, und die Möglichkeit hat, mit ihm zu reden, lebt sichs bequemer. Man kann dem Konkurrenten sagen, daß man die besten und angenehmsten Beziehungen zu ihm wünscht, und ihm doch jedes Geschäft wegnehmen, das zu erraffen ist. Das geschieht täglich und ist nach uralter Satzung des Handelskriegsrechtes erlaubt. Ein Bankdirektor speist abends bei dem Kollegen, den er mittags heimlich aus einer Geschäftsprovinz zu drängen versucht hat; und wenn Herr Rockefeller nach Berlin käme, wäre er bei den deutschen Naphthabanquiers ein gefeierter Gast. Eduard fand seinen Neffen zu lebhaft und unstet, fürchtete, nach dem Jamesontelegramm, dem Kampfruf gegen die Gelben, der hitzigen Werbung um Onkel Sam und die islamischen Häupter, nach dem allzu sichtbaren Engagement für die Bagdadbahn und nach mancher Arbeiterrede, eine langwierige Geschäftsstörung und schuf einen starken Trust, dem Deutschland nicht angehört, gegen den Deutschland fürs erste den Wunsch, in der Welt vornan zu sein und an allen Entscheidungen auf dem Erdball mitzuwirken, nicht durchsetzen könnte. Sollte der Sieger sich von einer Antipathie zu offenem Bruch drängen lassen? Das täte kein Kaufmann, der den Namen verdient. Der Ring ist ja geschlossen. Sechzig Millionen tüchtiger Menschen zu entwaffnen, für Jahrzehnte auch nur niederzuwerfen: daran hat der Kühle nie gedacht. Kann er gut mit ihnen stehen: um so behaglicher wird die Existenz. Draußen ist auch noch viel zu tun. Indien in Gärung, seit die Japanerglorie das Ansehen des weißen Mannes geschmälert hat. Irland so unruhig wie vor dem Fenierschrecken. Das Inselreich zum ersten Mal von einer sozialdemokratischen Bewegung bedroht, die der Gentry mehr Furcht einflößt als je ein Chartistenputsch. Konfliktsgefahr im Stillen Ozean und in der Adria. Das äthiopische Feuer glimmt unter der Asche fort. Da ist's nützlich, vor und hinter sich nicht Haß zu nähren, der in dunkler Stunde vielleicht wirksame Waffen fände. Wenn das Deutsche Reich sich mit der Stellung bescheidet, die es heute einnimmt, ist alles in Ordnung; in noch schönerer, wenn es im Trust sein Plätzchen begehrt. Warum sollte Eduard dann nicht wieder der Onkel sein? Mancher hatte gezweifelt; gewettet: Kühler Empfang. Wer auf Zeitungen schwört, muß jetzt glauben, Alldeutschland bestätige jauchzend, daß ihm ward, was ihm gebührte.

siehe Bildunterschrift

Witte

Eduards Trust hat im europäischen Westen eine schwache Stelle. Frankreich will nicht dem ersten Feuer deutscher Geschütze ausgesetzt sein. Dieser locus minoris resistentiae wäre keine Gefahr mehr, wenn man die Nachbarn versöhnen könnte. Bis auf weiteres wenigstens; angebrachtermaßen, wie Bismarck sagte. Unmöglich? Auch die franko-britische und die anglo-russische Verständigung schien's. Wenn die Minister Rußlands und Japans heute schon ihre Namen in Eintracht unter einen Assekuranzvertrag setzen, ist fortan nichts undenkbar. Nur langsam. Schritt vor Schritt. Der Frankfurter Friede muß zunächst aus dem Spiel bleiben; zunächst. Marokko ist auch nicht zu verachten. Deutschland kann ja in Anatolien entschädigt werden. Da, im Zentrum des Osmanenreiches, würde es dem Islam nicht mehr im Glanz uneigennütziger Freundschaft erscheinen. Auch den russischen Argwohn wieder wecken. Greift im Türkengebiet erst einer zu, dann haben wir bald die curée. Eine deutsche Parzelle in Anatolien wäre das sicherste Mittel, die drei Kaiserreiche einander zu entfremden, Britannien und Rußland in gemeinsamer Eifersucht einander noch fester zu verbünden. Dann ließe sich über die Meerengen reden und in Südosteuropa gerieten die Dinge in Fluß, ehe der Zar wieder mit starker Hand nach dem Bosporus langen kann. Dabei kämen alle drei Weltmächte also auf ihre Rechnung. Und diese Chance ist ein paar Artigkeiten wert. Der Deutsche Kaiser möchte nach Paris? Die Stadt lockt ihn mit ihrem Reiz, wie die alten Kaiser einst Roms magische Kraft an sich zog? Diesen Wunsch müssen wir nutzen. Die Römerzüge der Staufer haben das Reich geschwächt, nicht gestärkt. Friedrich der Erste hat aus Rom nur ein Diadem heimgebracht und in der Campagna später sein Heer verloren. Friedrich der Zweite ist im Kampf gegen den Lombardenbund erlahmt. Während eines Römerzuges trieb nationale Eifersucht Briten und Franzosen zum Bund gegen deutsche Staufermacht. Das Streben nach universaler Geltung kann auch dem neuen Deutschen Reich verhängnisvoll werden. Hat uns, die alten Feinde, nicht das Gefühl zusammengekittet, das, als ein von Roms Zauber geblendeter Kaiser vor Mailand stand, Johann von Salisbury in die Frage faßte: Quis Teutonicos constituit iudices nationum? Sie sind's nicht mehr. Weder Richter noch Herren. Die Wege ins Weite sind ihnen rechts und links gesperrt. Aber sie bleiben stark. Und Starken soll der Starke gefällig sein, so lange er sich mit solcher Willfährigkeit nichts vergibt.


 << zurück weiter >>