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Roulette

Pair et impair

Albert Honorius Karl Fürst von Monaco, Herzog von Valentinois, Marquis des Baux, Graf von Carlades, Baron von Buis, Sire de Saint-Remy et de Matignon, Graf von Thorigny, Baron von Saint-Lo und La Luthumière, Herzog von Estouteville, Mazarin, La Meilleray und Mayenne, Fürst von Château-Porcien, Graf von Ferrette, Belfort, Thann und Rosemont, Baron von Altkirch, Herr von Isenheim, Marquis von Guiscard, Stipendiat der Spielbank und der Lupanarien von Monte Carlo, Durchlaucht, hat noch mehr Glück als Verstand. Wenn er sein Leben im Deutschen Reich gelebt hätte, wäre er längst wegen Gestattung von Glücksspielen (§ 285) und wegen eigennütziger Duldung unzüchtigen Verkehrs (§ 180 StGB) vor Gericht gestellt, ohne den Rechtsanspruch bürgerlicher Ehre ins Gefängnis geschickt und zum Verzicht auf den hohen Lasterzins gezwungen worden. Da er Chef des regierenden Hauses Goyon de Matignon-Grimaldi (das schon von Lessing ein schlechtes Sittenzeugnis bekam) ist, über ein Gebiet von einundzwanzig Quadratkilometern herrscht und einem Kriegsheer von siebenzig Mann befiehlt, durfte er zehn Tage lang im Haus des Deutschen Kaisers wohnen, von früh bis spät mit Wilhelm zusammensein und schließlich den Hohen Orden vom Schwarzen Adler heimtragen. Der ist am 17. Januar 1701, in einer dunklen, künstlich nur von Bengalfeuer erhellten Stunde preußischer Geschichte, gestiftet worden; als, nach Dankelmanns, des unbequemen Selbständigen, Sturz, der Kuppler Kolb von Wartenberg die Geschäfte führte, das Erbe des Großen Kurfürsten verschleudert wurde und, während im Westen Weltmachtfragen die Antwort gesucht und für ein Jahrhundert gefunden ward, am Berliner Hof der drei großen Wehs fremde Abenteurer den Ton angaben und mit den Günstlingen und seidenen Buben Seiner Majestät Prunkfeste feierten. Das hellblaue, achtspitzige Kreuz mit den vier schwarzen Adlern, das Orangeband, der Silberstern mit der Devise Suum cuique ist das höchste Ehrenzeichen geblieben, das der König von Preußen zu verleihen hat. Nur großes und dauerndes Verdienst soll er belohnen. Als in Nikolsburg die Friedenspräliminarien unterzeichnet waren, bekamen ihn Moltke und Roon; nach zwei siegreichen Kriegen. Jetzt hat ihn Albert Honorius von Monaco bekommen. Der Selbstherrscher und Entremetteur war bisher nur spanischer Kapitän zur See, Ritter des Seraphimenordens (den Oskar, der entthronte Poet, ihm, nach dem Genuß monegassischer Gastfreundschaft, als Xenion zurückgelassen hatte) und natürlich, als Vasall und Agent Frankreichs, der Ehrenlegion. Nun läßt er sich den roten Sammetmantel anmessen und harrt stolz der Stunde, da der Deutsche Kaiser, als Großmeister, ihm die Accolade gibt. Man hat Witze darüber gemacht. Den neuen Preußenritter Zéronissimus genannt; prophezeit, er werde nächstens, da man ihm ein Regiment nicht verleihen könne, à la suite der Spielleute eines Leibregiments gestellt werden; gesagt, die Sterndevise solle in diesem Fall offenbar andeuten, daß der Spielhöllenfürst gewohnt sei, jedem das Seine abzunehmen. Niedlich. Ist die Sache aber nicht verdammt ernst? Prinz Friedrich Heinrich von Preußen mußte, weil er an ererbter Perversion des Geschlechtstriebes leidet, auf die Herrenmeisterschaft im Johanniterorden verzichten. Gilt für das Kapitel des Schwarzen Adlers mildere Satzung? Da sitzt mindestens einer, dessen vita sexualis nicht gesunder ist als die des verbannten Prinzen. Soll nun einer sitzen, der den geräumigsten Hazardsaal und den größten Hetärenmarkt Europas duldet und reichen Gewinn daraus zieht. Die Befugnis, Orden zu verleihen, ist ein unantastbares Kronrecht der Majestät; soll's auch bleiben. Mußte dies sein? Im alten Preußen wäre gewiß wenigstens ein Aufrechter gewesen, der sich nicht neben Albert Honorius ins Kapitel gesetzt und, nach dieser Verleihung das hellblaue Kreuz zurückgeschickt hätte. Heute sucht ihn ringsum das Auge vergebens.

Findet dicht daneben aber andere Weide. Daß die französischen Komponisten und Theaterleute Orden erhalten würden, war zu erwarten. Doch wir erfuhren viel mehr. Zwei Pariser Sängerinnen dritten Ranges wurden zur Abschiedsaudienz ins Schloß befohlen. Die übrigen Mitglieder (wenn man die nur für eine kurze Saison Verpflichteten so nennen darf) des Startheaters vom Kaiser, der jeder Vorstellung vom Anfang bis zum Ende beiwohnte, allabendlich durch Ansprachen ausgezeichnet und enthusiastisch gelobt. (In Hannover waren die Durchreisenden, auf Allerhöchsten Befehl, von den Spitzen und Stützen des zweiten preußischen Hoftheaters auf dem Bahnhof begrüßt und mit Sekt gelabt worden.) Herr Raoul Gunsbourg, an der Newa schlichter Reb Günzburg genannt, der früher in russischen und deutschen beuglants Jargoncouplets vortrug und jetzt Manager der montecarlinischen Gastbude ist, wurde vom Kaiser empfangen, während oder nach der Vorstellung oft angesprochen, zum Frühstück geladen und mit dem Kronenorden Zweiter Klasse dekoriert. Fragt, in trüber Erinnerung an Stanley, Stoessel, Armour, Vanderbilt und manchen anderen Gunstempfänger, leise nur, ob solche Entwertung höchster Gnadenbeweise der Monarchie wohl nützen könne. Auch aus den Gesprächen hörten wir allerlei. Als der greise, längst impotente Deutschenhasser und Wagnerschmäher Saint-Saëns, der süßliche Parfümkomponist Massenet, der Orchesterstümper Leroux und Monsieur Gunsbourg vor ihm standen, sagte Wilhelm, er habe zu hoffen gewagt, so hoch ragende Riesen (de telles sommités) in Berlin begrüßen zu können. Das Kompliment wurde geschlürft; und im wirksamsten Hofstil erwidert. »Ragen unsere Häupter auch hoch, so sind wir neben Eurer Majestät doch nur, was ein Alpengipfel neben dem Himalaja ist.« Eine andere Antwort war möglich. Wenn der Deutsche Kaiser sich je um Bruckner oder Brahms bemüht, Strauß, Humperdinck, Mahler, Weingartner, Schillings an seinen Tisch geladen hätte, würde er die Pariser Mittelmäßigkeiten nicht wie Gebirgsgipfel anstaunen. Ehret deutsche Meister! Die französische Musik up to date hat uns nichts zu sagen; sie lebt, seit Bizets Tod, von dem aus Deutschland und aus Italien, von Wagner und von Verdi, Empfangenen. Die Große Oper hat Meyerbeer, die Operette Offenbach den Franzosen geschenkt. Die unverwelklichen Gaben des gallischen Kunstgenies reiften in unserem Jahrhundert auf dem Felde der Malerei und Skulptur. Wer die aber bewundert, in Courbet und Corot, Manet und Monet, in dem feinen Degas und dem Allumfasser Rodin Pfadfinder sieht, treibt nach der Meinung des Kaisers ja wohl Rinnsteinkunst. »Was mir gefällt, was ich lobe und in meinem Theater aufführen lasse, wird schon deshalb von den Berlinern heruntergerissen.« Das ist, als Ausspruch Wilhelms, in allen Zeitungen Europas veröffentlicht worden. Der Kaiser irrt. Ohnet und Ganghofer, der Maler Werner und der Bildhauer Lessing, Charleys Tante und Husarenfieber, der Dom und die Puppenallee, die Dichter Lauff, Blumenthal, Kadelburg, Condottieri und Hund von Baskerville: das alles hat auch in Berlin ein großes Publikum. Nur gibt's freilich Leute, die meinen, der Kaiser, der die moderne Malerei und Plastik, das moderne Drama und die moderne Theaterkunst nicht kenne, dürfe für das Urteil seines Privatgeschmacks nicht allgemein gültige Rechtskraft heischen. »Die neudeutsche Musik ist unausstehlich; trop compliquée, décadente, perverse«. »Sardou ist ein großer Dichter«. Gerhart Hauptmann nicht des Schillerpreises, Liliencron nur als invalider Offizier eines kargen Gnadensoldes würdig. »Gesang, Spiel und Inszenierungen der Monte Carlo-Oper sind über jedes Lob erhaben; unsere Sänger, Schauspieler und Regisseure könnten viel von Ihnen lernen«. Wirklich? Was brachten Albert und Raoul uns denn? Den genialischen Russen Schaliapin; einen begabten Pariser Tenoristen; den schon etwas müden Gesangskünstler Renaud, der sich an dem größeren Muster der Faure und Maurel klug und fleißig gebildet hat; und einen beweglichen italienischen Spielbariton. Die Vier konnte auch ein Agent ohne Fürstenhut und Seraphimenorden zu Gastspielen mieten. The rest is silence. Dutzenddirigenten und verblichene Stars. Der Kaiser ist weder im Deutschen noch im Lessing-Theater gewesen, hat weder die Kammerspiele noch die Komische Oper gesehen. Weiß also nicht, was auf deutschen Brettern geleistet wird; wüßte er's, dann wäre ihm nicht der Glaube entstanden, aus Monte sei für unsere Spielkunst etwas zu holen. Mußte das alles laut gesagt werden? Fritz von Preußen hatte (Gottsched hörte aus seinem Munde das Wort) »von Jugend auf kein deutsch Buch gelesen«; sah in Goethes Goetz une imitation détestable de ces mauvaises pièces anglaises, in Gottfrieds Tristan und in dem Nibelungenlied »elendes Zeug, das keinen Schuß Pulver wert ist und das ich in meiner Büchersammlung nicht dulden, sondern herausschmeißen würde.« Neben ihm lebten Gottsched, Gellert, Gleim, Lessing, Klopstock, Ewald Kleist, Rabener, Geßner, Winckelmann, Kant, Hamann, Wieland, Leibniz, Herder, Mendelssohn, Moeser, Lavater, Lenz, Goethe, Schiller, Johannes Müller und Bürger. Der König aber fand, noch habe der Deutsche keine Literatur, die sich sehen lassen könne, noch nicht einmal eine Sprache, in der eine lesenswerte Literatur zu schaffen sei. So arg irren durfte nur Fritz. Er hat Schlesien erobert und das neue Preußen geschaffen.

Fremde Mediokrität heimst Ehre ein, die den stärksten germanischen Künstlern versagt ist. »Ringe, Deutscher, nach römischer Kraft, nach griechischer Schönheit! Beides gelang Dir; doch nie glückte der gallische Sprung.« Schillers Wort ist vergessen. Französisches Prunkopernwesen wieder, wie in alter, unseliger Teilfürstenzeit, von der Hofgunst als Muster empfohlen. Ibsen und Nietzsche, Keller und Böcklin sanken ungeehrt ins Grab. Saint-Saëns und Massenet, Leroux und Gunsbourg speisen am Tisch des Kaisers. Herr Lecomte hat diesen Triumph seiner Regiekunst nicht mit erlebt; er ist, vor Cambons Einzug, aus der Berliner Botschaft abberufen worden und wird (»Il a bien mérité de sa patrie«) selbständiger Chef einer Mission (in Teheran). Sein Freund Phili aber durfte sich am Neroberg, wo der Kaiser ihm die Franzosenzeit wohl geschildert hat, des leis errungenen Sieges freuen.

Wir halten bei der Theaterpolitik. Gleich nach Monsieur Gunsbourg kam Mr. Beerbohm Tree. Der ist nicht, wie die berlinische Intelligenz wähnt, Englands erster Spieler und Regisseur, sondern ein Nachahmer der szenischen Künste des jüngeren Kean; und galt, so lange Sir Henry lebte, im öffentlichen Urteil neben Irving nicht mehr als bei uns Herr Barnay neben Herrn Reinhardt. Als Spieler ist er ohne jede schöpferische Begabung, kann sich nicht von fern auch nur der schmächtigen Feinheit des Herrn Forbes Robertson vergleichen, hat sich durch Fleiß und schlaue Beherrschung des Bretterhandwerkes aber einen populären Namen gemacht. Als Regisseur holt er mit unbeirrbarem Blick aus jedem Weltgedicht Shakespeares das Melodrama heraus, das drin steckt (alles andere interessiert ihn nicht), putzt es für den Massengeschmack müder, blasierter Geschäftsleute und umwickelt es mit den beliebtesten Tongespinsten aus allen Herren Ländern. Horrible! Most horrible! Der Text (soweit er bequem zu brauchen ist) von Shakespeare, die Musik von Wagner oder Weber, Verdi oder Sullivan, Nicolai oder Henschel, die Dekorationen von Alma Tadema oder einem anderen majestätischen Akademiker, Gewand und Gerät aus der besten Werkstatt: das muß gefallen. Gefiel auch in Berlin der Mehrheit. Für den alten Ruhm britischer Spielkunst war's dennoch eine Niederlage; doch ein Sieg angelsächsischer Physis. Nie sahen wir so viele kräftige, schöne Menschen von nobler Haltung, Männer und Frauen, auf einer Bühne vereint. Daß die besten Mimen nur Halbtalente waren, verdarb uns die Freude nicht ganz. So ist unser Volk: rief's aus den leuchtenden Blicken der Britenkolonie; und ihr Stolz hatte Grund. Orden, Audienzen, Einladungen zu Hof gab es nicht; trotzdem auch Herr Tree bei dem Unternehmen viel Geld zugesetzt hat, schwerer erspieltes als Grimaldis seliger Erbe, und dem Kunstgelände immerhin näher kam als Raoul, der Balkanbarnum. Doch der Kaiser hatte für Trees ersten Abend die Uniform des britischen Heeres, für den dritten den Rock des britischen Admirals angezogen: und wollte damit wohl zeigen, daß er auch dieses Gastspiel als politischen Vorgang nehme. Leicht hat er sich's in den Tagen der Invasion nicht gemacht. Am 12. April sah er morgens, mit seinem monegassischen Hausgast, die Generalprobe eines neuen Wildenbruchstückes, hatte mittags die Pariser Theaterleute bei sich zu Tisch und hörte abends vier Stunden lang Herrn Tree Richard den Zweiten säuseln und winseln. Elisabeth liebte dieses Königsdrama nicht. Kein König kann's je oft genug hören. Richard ist, ob er noch so leichtsinnig auch mit seinen Mignons tändelt und praßt, das Reich wie ein feiles Pachtgut verpfändet und durch schimpfliche Verträge der Selbständigkeit beraubt, kein schlechter Kerl. Sobald das Unglück ihn in strenge Sinnendiät zwingt und ihm die gewohnte Schmeichelkost rauh versagt, strahlt der angeborene Adel seines Wesens durch den zerschlissenen Plunder. Nur die Rechte aber, nicht die Pflichten seines hohen Amtes hat der Thronende erkannt. Dem Volk wollte er Führer sein: und nahm sich doch nicht die Zeit, das Volksbedürfnis zu erforschen. Auf jedem Gebiet wollte er das Wohl und Weh, Gewinn und Verlust kündende Machtwort sprechen: und ist auf keinem Gebiete doch heimisch, des rechten Weges bewußt geworden. Er fühlt die Unsicherheit seines Urteils und flüchtet unter das Hofgesinde, das am Wink seines Auges hängt und ihn hündisch umwedelt. Kein Widerhall der Wirklichkeit dringt in sein Ohr. Und da er durch gemehrten Glanz den Schein der Macht wahren will und dem Gehudel glaubt, daß eine Welt von ihm, als dem Heiland, Erlösung hofft, bricht die dünne Säule, die sein Gottähnlichkeitwahn erklettert hatte, und er stürzt, nur von einem Stallknecht beweint, in die Tiefe. Die Tragödie der Monarchenverziehung, die nach drei Jahrhunderten noch nicht unmodern geworden ist. Mark silent, king, the moral of this sport.

Theaterpolitik von Gottes Gnaden. Für England ist nicht so viel getan worden wie für Frankreich. Freilich kommt noch der Lord-Mayor von London; kommen (wenn die Berliner Papierkanonade sie nicht abschreckt) nächstens die englischen Journalisten. Also weiter im Flötenspiel. So hell, so süß und dennoch laut wie in den Carlinertagen klingt uns das Lied wohl nie wieder.

Zero

Hat der Lockruf der Schalmei uns Freunde geworben? Alarmschüsse haben ihn übertönt. Und die Schreiber, die, auf Kommando, zur Beschwichtigung der Erschreckten ausrückten, fanden, dem Reich zum Heil, nirgends Gehör.

Auch Herr von Tschirschky und Bögendorff hat die Franzosen bewirtet. Wirklicher Geheimer Rat, Staatssekretär im Auswärtigen Amt: da ist doch wohl über hohe Politik geredet worden? In der französischen Presse ward's angedeutet. Frühstück bei Pichon, Frühstück bei Tschirschky: dazwischen théâtre paré (so heißt es in Berlin). Was Herr Pichon kann, darf und will, kümmert uns nicht; er ist das Werkzeug Clemenceaus, also Eduards. Unseren Mann aber haben wir an der Arbeit gesehen. Im Juni 1906, nach Algesiras und der Mensurdepesche, antwortete er im Reichstag auf die Frage des Abgeordneten Bassermann, »wie hoch heute die politische Bedeutung des Dreibundes eingeschätzt werden könne«: »Ich erkläre, daß die Regierungen der drei Staaten nach wie vor fest auf dem Boden des Dreibundes stehen. Insbesondere habe ich von dem italienischen Botschafter, der kürzlich aus Rom zurückgekehrt ist, die bündigsten Erklärungen im Auftrag seiner Regierung in dieser Richtung empfangen … Die Kaiserliche Regierung erblickt nach wie vor die Basis ihrer Politik in dem mitteleuropäischen Bündnis sowie in der Pflege freundschaftlicher Beziehungen zu allen Staaten. Sie wird, mit Selbstvertrauen und auf eigenen Füßen stehend, ihren Weg weitergehen, ohne sich durch noch so geschickte Preßmanöver oder sonstige ungerechte Anfeindungen aus ihrer Bahn drängen zu lassen.« Vorangegangen war die Behauptung, durch die britisch-russische Verständigung werde das deutsche Interesse nicht berührt. Das Parlament, das in ernster Stunde solches Gerede so kühl hinnahm, hatte das Lebensrecht und den Anspruch auf Achtung verwirkt. Dann kam die Spektakelreise nach Italien (»mit Selbstvertrauen und auf eigenen Füßen stehend«). Viel Lärm um nichts. Der Hosterwitzer schnitt seinen Namen in die Weltesche, brachte außer dem Spitznamen Carlino aber nichts heim. Und die Kaiserliche Regierung mußte, trotz allem Selbstvertrauen, endlich nun erkennen, daß »die Basis ihrer Politik, das mitteleuropäische Bündnis«, unhaltbar geworden war. Noch immer nicht? Nach dem Staatssekretär ging der Kanzler ins Land der Goldorangen. Wurde wegen mangelnder Sprachkunde (»L'italiano di Bülow«) von Blasernas Freunden öffentlich bös bespöttelt und konnte nach der Rückkehr aus Rapallo im Secolo ungemein deutliche Sätze lesen. »Die neue politische Gruppierung hat in Europa, am Vorabend der Haager Konferenz, eine neue Situation geschaffen. Die erste Wirkung haben wir in Algesiras gesehen; die nächste werden wir im Haag sehen. Die deutsche Presse muß sich mit der Tatsache abfinden, daß heute, trotz dem offiziellen Bündnis mit Österreich und Deutschland, die ganze Sympathie der Italiener den Briten und den Franzosen gehört. Der König von England hat Italien das ›befreundete und verbündete Reich‹ genannt. Auch wenn dieses Bündnis nicht auf einem geschriebenen und gestempelten Vertrag beruht, hat es für uns viel mehr innere Wahrhaftigkeit und äußeren Wert als das andere, auf papierne Protokolle gestützte.« (Il Secolo vom 16. April 1907.) Ein ansehnlicher Reiseerfolg.

Rien ne va plus?

Die offiziösen Quartanerartikel haben wir satt. Sie schaden nur; drin und draußen. Sie lullen Schläfrige ein und machen uns vor der Welt lächerlich; übermorgen wohl schon verächtlich. Hofft Ihr wirklich noch immer, daß Eure Theatermätzchen einen Erwachsenen blenden? »Inniges Einvernehmen mit Italien. Der Dreibund fester als je. Daß die kontinentalen Westmächte mit England so gut stehen, freut uns von Herzen. Hispano-britische Intimität? Wundervoll: die schreckt die Franzosen bald aus der Ententestimmung. Nur vergnügt, Kinder; seht den Himmel: wie heiter! Im Haag wird's ganz gemütlich und urfidel. Wir haben die zuverlässigsten Wächter. Was in der Kölnischen Zeitung vornan gegen Onkel Eduard steht, kam nicht aus der Berliner Wilhelmstraße. Wenn wir selbst stets behaupten, schlechte Geschäfte zu machen, glaubt man's schließlich; und es ist doch gar nicht wahr.« Und so weiter. Früh und spät. Wie lange wird man sich noch erdreisten, einem mündigen Volk solches Kindergequarr zu bieten? Ist's denn so schwer, still auf seinem Hosenboden zu sitzen?

Am 14. Juni 1906 hat der Minister Tittoni in der italienischen Kammer erklärt: »Wer sich nicht aufrichtig bemüht, die Rüstungen der großen Völker zu mindern, begeht ein Verbrechen gegen die Menschheit. Unsere Vertreter werden den Auftrag erhalten, im Haag den englischen Antrag zu unterstützen.« Deutlich? Manchem nicht deutlich genug. Herr von Tschirschky reist hin und macht sich niedlich. Erfolg? Den zur Friedenskonferenz Abgeordneten wird von Tittoni noch einmal eingeschärft, mit aller Energie für die Annahme des englischen Vorschlages zu wirken. Pause. Eduard hat in London zwar den Herzog der Abruzzen den Repräsentanten »der uns befreundeten und verbündeten Nation« genannt. Doch die Fiktion vom Dreibund muß um jeden Preis gerettet werden. Fürst Bülow quartiert sich an der Riviera di Levante ein und ladet Herrn Tittoni zu Gast. Der sagt zweimal ab, kommt dann huldvoll; und bewirtet nach seiner Rückkehr schnell die Herren Barrère und Cambon, Botschafter der Republik, und die Häupter der Franzosenkolonie Roms im Auswärtigen Amt. Offiziöser Jubel in Berlin. »Nun hält's wieder ein Weilchen.« Als der Kanzler des Deutschen Reiches aus Rapallo heimfuhr, telegraphierte er an den Ministerpräsidenten Giolitti: »In der Stunde, wo ich Italien verlasse, lege ich besonderen Wert darauf, Eurer Exzellenz mit meinen herzlichen Grüßen und Wünschen die Versicherung freundschaftlicher Ergebenheit zu übermitteln.« Sind wir befreundet? Macht's uns nach! Aus Rom kommen Vermittlungsvorschläge für die Haager Konferenz (Begrenzung der Wehrmacht); die Zirkularnote wird aber, trotzdem sie von dem anglophilen Tittoni stammt, »mit äußerster Reserve« aufgenommen. Die Abschiedsdepesche des Fürsten Bülow ist vom 19. April datiert. Am 18. April besuchte Eduard den König Viktor Emanuel in Gaeta. »Das ist die Antwort auf Rapallo«, heißt's im Secolo. Und alle Feinde Deutschlands und Wilhelms reiben die Hände. War Rapallo nötig? Ist's klug, eine Freundschaft zu affichieren, die der Umworbene unbequem findet? Eduard, der vorher in Cartagena den König von Spanien besucht und ihm Geld zum Flottenbau angeboten hatte, schickt sich nun einmal nicht leicht in die Rolle des Überlisteten; will man sie ihm aufzwingen, so setzt er den Punkt erst recht dick aufs i. »Euer Durchlaucht haben mit Tittoni geplaudert? Ich bringe Charles Hardinge, Greys besten Mann, und zwei Panzerkreuzer mit und unterhalte mich mit Viktor Emanuel. Wollen abwarten, wer den tieferen Eindruck hinterläßt.« Der gewiß nicht, der heute noch erzählt, Italien könne bereit sein, gegen das franko-russische Syndikat für Deutschland zu optieren.

Die Reisen nach Athen, Cartagena, Gaeta gehören zu einem politischen Plan (der wohl über Europa hinausblickt). Haben nebenbei aber einen psychologischen Zweck, über den man endlich einmal offen reden muß. Eduard ist kein Feind Deutschlands; bildet sich auch nicht ein, er könne die Kraft eines Volkes von sechzig Millionen tüchtiger Menschen für die Dauer brechen. Nicht an der Spitze des stärksten Konzerns könnte er's. Daß die deutsche Expansion einstweilen überall gehemmt, ihr Tempo mindestens für ein Menschenalter verlangsamt ist, genügt ihm. Er hat, ohne Krieg zu führen, viel erreicht; vermöchte ohne das Risiko der Waffenprobe viel mehr nicht zu erreichen. Einiges immerhin noch. Gegen seinen Neffen, den er genau zu kennen glaubt, hegte er heftigen Groll. Den will er ärgern. Ihn (schon weil's billiger und bequemer ist) lieber noch als Deutschland einkreisen; ganz isolieren. Deshalb macht er in allen Hauptstädten, an allen Küsten acte de présence. »Wird Willy noch nicht nervös? Ihn bittet man, die Entbindung der spanischen Königin abwarten: mich empfängt man in Cartagena mit offenen Armen. Er wäre in Italien jetzt nicht willkommen: ich bin's. In Paris, Wien, Lissabon; morgen, wenn mir's einfällt, in Petersburg und Konstantinopel. Er hat auf die Fahrt ins Mittelmeer verzichtet, weil die Landung rechts und links schwierig wäre, und begnügt sich in diesem Frühjahr mit Bückeburg und Dresden. Wie lange wird er's aushalten? Die Trumpfkarte spare ich auf. Scheint die richtige Stunde mir gekommen, dann mache ich meinen Stich. Bitte, vielleicht im wunderschönen Monat Mai, wenn in der Scheveninger Allee die Knospen springen, den lieben Neffen, nach Cowes oder London zu kommen, lade ihm Viktor Emanuel oder gar Fallières ein und bin wieder der gute, friedliche Onkel.« Widersprecht, Offiziöse; dennoch bleibt's wahr: und ist in den meisten Schlössern und Staatskanzleien Europas längst als Wahrheit bekannt. Der Kaiser, nicht das Reich, soll isoliert, soll eingekreist werden. Dessen Temperament, rechnet man, kann's nicht ertragen.

siehe Bildunterschrift

Einzug des Kaisers in Tanger

Plumpe Finger könnten das Gespinst zerreißen. Feine Arbeit will fein behandelt sein. Rechts girren die Schmeichler; links schmollen die Spröden. Der Schotte Carnegie, der, als treuer Bürger des Greater Britain, den Vereinigten Staaten einst den Eintritt in den Bund der Westmächte empfahl, feiert Wilhelm als den größten Mann der Erde, den von der Vorsehung Auserwählten, der den Menschen das Evangelium des Friedens bringen werde. Ähnliche Töne vernahmen wir aus dem Munde des Herrn Charlemagne Tower, des Botschafters und des Agenten der Französischen Republik. Auch Herr Saint-Saëns sprach die Hoffnung aus, in dem Künstlerkopf des Kaisers die harten Züge des Soldaten bald zu schöner Kulturmenschenmilde gesänftigt zu sehen. Die Absicht ist deutlich erkennbar. Und kann, ist sie erst erkannt, keinen Deutschen mehr schrecken. Schmeichelei und Einschüchterung soll den Guillaume pacifiste der Legende ins Licht locken.

Das kann nicht, wird nicht gelingen. Trotzdem Albert Honorius in Nizza von der main puissante et loyale geschwatzt hat, die der Kaiser Frankreich entgegenstrecke. Launische Sprünge und jähen Stimmungswechsel verträgt der Franzose nicht; fordert würdiges Gleichmaß des Betragens. Die Berliner Komplimente haben schon allzu viel verdorben. Der Deutsche Kaiser, der den Franzosen heute die Hand hinstreckte, käme im Panzer noch in den Verdacht mutloser Schwäche und brächte das Reich der Kriegsgefahr näher, als ein Bramarbas und Eisenfresser vermöchte. Wir alle ehren die Geschichte und lieben den Genius des französischen Volkes. Doch 1905 Kriegsdrohung, 1907 stürmische Werbung? Gewalt gegen das vereinsamte, Locklieder für das umfreundete Frankreich? Der Plan könnte einem Erdteil zum Verhängnis werden. Rien ne va plus. Nur ein Wahnwitziger setzt die ganze, mühsam erarbeitete Habe aus Null.


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