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Wiesbaden

Vom Wilhelmsplatz bis zum Kochbrunnen, weiter noch, bis an den Eingang ins Nerotal flattern Fahnen, winken vom Sims, von Dächern und Pfeilern Laubgewinde und Blumenketten herab. Geputzte Sommerpracht. Kein Feiertagsgewand könnte die Reize der Thermenstadt zu höherer Geltung bringen als das grüne, mit tausend Blütenfarben bestickte Kleid, das ihr der Brachmonat antat; nun ähnelt sie einem Pfauenweibchen Zuloagas, das die Pfirsichhaut mit Reismehl tüncht, das dunkle Gitanenhaupt und den grazilen Leib mit billigem Trödeltand behängt. An der Neuen Kolonnade ragt das Schauspielhaus in glühendes Gewölk. Unter einem grünen Baldachin schreiten und fahren die Zugelassenen bis an die Pforte; das künstliche Gerank birgt ihnen den Sommerhimmel. Sie treten ein. Rosen und Flieder. Riesengirlanden schmiegen sich von der Decke her ans Gebälk; Holzwerk und Stuck sind in frisches Grün und Kunstblumen (natürliche würden in der Hitze allzu rasch welken) gehüllt, künstlich erzeugter Fliederduft durchzieht den Saal und alle Ränge und Logen sind mit Preußenfähnchen geschmückt. Der Blumenhain einer Theaterfee aus Borussenland. Herolde in altdeutscher Tracht blasen Fanfaren. Schwere Stoffe rauschen, edles Gestein blitzt auf, ein Summen und Klirren, ein Neigen und Beugen: und alles ist still. Am Ozean ringt Rezia flehend die Hände; Armida lockt Rinaldo aus der Kreuzfahrerpflicht in den kirkischen Garten; George Brown ruft in munterer Leutnantslaune das holde Gespenst von Avenel zu galantem Spiel; Vasco da Gama schlingt den siechen Arm um sein braunes Liebchen. Die Schatten der Wieland und Burns, der Tasso und Camoes huschen durchs Gedächtnis. Von der Merowingersage führt der Weg uns ans Heilige Grab, vom schottischen Spukland in den Legendenkreis der Lusiaden. Und wenn das Bühnenbild unserem Auge entschwindet und der Schausaal sich wieder erhellt, riechen wir Flieder, sehen Kunstblumen, frisches Grün und schwarzweiße Fähnchen.

Kaiserfestspiele. Ringsum alles abgesperrt.

Auf dem Neroberg stehen Zwei. Unten entschlummert die Stadt. »Das war nun der vierte Abend. Um keinen Preis möchte ich einen fünften erleben. Und im nächsten Jahr fliehe ich vor dem Fest in den Taunus. Alles, was von Natur und Kultur in mir lebt, bäumt sich gegen den falschen, fälschenden Prunk. Wahrlich: unsere besten Männer haben vergebens gelebt. Als Wagner vor dreißig Jahren über sein Bayreuther Festspielhaus berichtete, sprach er mit Stolz davon, daß ›nur das allerdürftigste Material‹ verwandt und ›eine völlige Schmucklosigkeit‹ erreicht worden sei. Hier putzt man den Raum mit Papierblumen und Preußenwimpeln, gaukelt uns einen Märchengarten vor, tut alles irgend Erdenkliche, um das Auge, das Kunst schauen sollte, abzulenken, und muß, um die Zerstreuten doch zu kurzer Sammlung zu zwingen, auf den Brettern den Pomp ins Unerträgliche steigern. Elektrisches Licht und künstliche Rosen: Phantasie, das scheue Seelchen, entflattert uns schaudernd. Zur Aufführung werden nur Werke gewählt, die ein blendendes Aufgebot szenischen Plunders erlauben. Da gräbt man die ›Afrikanerin‹ aus, den widrigsten Wechselbalg Meyerbeerischer Spekulantenlaune. Natürlich: die Ratsversammlung, das Schiff, tropische Landschaften; Maler, Maschinenmeister, Hoftapezierer können hier nach Herzenslust schwelgen. Da setzt man Boildieus Hochländern Rokokoperücken auf und macht aus dem Balladengetändel ein parfümiertes Schäferspiel. Und jedes Werk, das edelste wie das gemeinste, wird plumpen Handwerkerfäusten ausgeliefert. Neue Texte, neue Musik. Ein tüchtiger Versschmied und ein Dutzendkapellmeister entstellen, verstümmeln uns Gluck und Weber: und keine Künstlerschar, keine Kunstwächtergilde wagt wider solchen Greuel ein lautes Wort. In keinem anderen Lande nähme das Publikum Ähnliches ohne heftigen Widerspruch hin. ›Oberon‹ und ›Armida‹, zwei Kronjuwelen deutscher Poesie, sind kaum noch zu erkennen. Und für solche Taten werden die Herren Hülsen, Lauff, Schlar obendrein noch gelobt, von Leuten gelobt, die sich, ohne zu erröten, Kunstkritiker nennen. Blättere in den Büchern alter und neuer Theatergeschichte, hellenischer oder gallischer: schwerere Sünde wirst Du auf den berüchtigsten Seiten nicht finden. Und so floriert der deutsche Geist seinem …«

»Den laß aus dem Spiel, Liebster; und übertreibe die Rednerei nicht gar so fürchterlich. Die Hunderte, Tausende meinetwegen, die hierher kommen, wie nach Monte Carlo zum Karneval, nach Hamburg zum Derby, nach Kiel zur Regatta, sind nicht die Wahrer deutschen Geistes und deutscher Kunst. Gluck und Weber würden schnöderen Unfug überleben. Und dem Volke ist die Schaustätte dieser Festspiele abgesperrt. Kennst Du Nekrassows Gedicht ›Vor der Ehrenpforte‹? ›In Rauschstunden des Sklaventaumels strömt die Menge herbei …‹ Wo Du nicht seufzen hörst, wimmelt kein Volk.«


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