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Hamburg

Vom Hafen bis auf den Rathausmarkt und weiter bis in die Villenvorstädte an der Alster: Fahnen, Laubgewinde, Putzteppiche, Ehrenpforten. Getreulich ward »Die bunte Kuh«, ein altes Orlogschiff, nachgebildet; auch kann die Neugier sich an Häuserkulissen satt sehen. Eine Hafenerweiterung, die Ballin längst schon für seine Amerikalinie wünschte, und ein Wilhelmdenkmal wird heute geweiht. Ein Dutzenddenkmal, versteht sich. Der alte Kaiser zu Pferde; Reliefs, die allerlei Handelsaufschwünge, die Einigung der deutschen Stämme, die Eroberung der alten Reichslande darstellen. Vier Riesenallegorien sollen an die Einheit in Maß und Münze, an die Reichspost, die Sozialreform und das Bürgerliche Gesetzbuch erinnern. Also ein Werk starker Künstlerphantasie. Auf ungeheuren Eisenmasten zwei vergoldete Schiffe; ein verwünscht gescheiter Einfall. Nicht der einzige: das Denkmal trägt keine Inschrift. Der Kaiser pflegt seinen Großvater Wilhelm den Großen zu nennen. Dazu konnte Hammonia sich kein Herz fassen. Und »Wilhelm der Erste« hätte dem hohen Gast zu nüchtern geklungen: ergo blieb der Sockel leer. Doch der Bürgermeister, Herr Burchard (der im Reichstag gelassen das Wort sprach: »Bordelle im polizeitechnischen Sinn gibt es in Hamburg nicht«), brachte gleich im zweiten Satz seiner dem Neoborussenstil klug angepaßten Rede den »großen Kaiser«. Der Enkel antwortete. »In langer Friedensarbeit, in stiller Werkstatt reiften die Gedanken und fertig waren die Pläne des schon zum Greis gewordenen Mannes, als die gewaltige Aufgabe an ihn herantrat, als er uns das Reich wieder erstehen ließ.« (Das ist fromme Familienlegende, der Bismarck, Moltke, Roon, Treitschke, Sybel und Augusta widersprochen hätten. Dem alten König mußte jeder große politische Entschluß abgerungen werden. Sein eigener Sohn sagte im März 1866 zu Bernhardi: »Bismarck hat sich des Königs ganz zu bemächtigen gewußt; wie er das gemacht hat, weiß ich nicht, aber es ist so; der König sieht jetzt alles nur durch die bismärckische Brille.« Hundert Zeugnisse beweisen, von wo der Plan und die Initiative kam und wie fern dem gütigen alten Herrn der Wunsch lag, »das Reich wieder erstehen zu lassen.«) Das deutsche Volk, ruft Wilhelm der Zweite, soll in böser wie in guter Zeit seinen Idealen treu bleiben: »dann wird es der Granitblock werden, der, wie er draußen den großen Kaiser trägt, so, getreu seinen Traditionen, die neuen Aufgaben und Schöpfungen, die an uns herantreten, auf seinem Herzen und mit seiner Kraft tragen wird.« Die Rede schloß mit den Sätzen: »Die Augen auf! Den Kopf in die Höhe! Den Blick nach oben, das Knie gebeugt vor dem großen Alliierten, der noch nie die Deutschen verlassen hat, und wenn er sie noch so schwer geprüft und gedemütigt hat, der sie stets wieder aus dem Staub erhob; Hand aufs Herz, den Blick in die Weite gerichtet und von Zeit zu Zeit einen Blick der Erinnerung zur Stärkung auf den alten Kaiser und seine Zeit: und ich bin fest überzeugt, daß, wie Hamburg in der Welt vorneweg geht, so wird unser Vaterland vorangehen auf der Bahn der Aufklärung, der Bahn der Erleuchtung, der Bahn des praktischen Christentums, ein Segen für die Menschheit, ein Hort des Friedens, eine Bewunderung für alle Länder.« Eine seltsame Mischung; stolz und doch melancholisch. Mancher wird froh sein, wenn Deutschland in Reihe und Glied marschiert und von glücklicheren Weltmächten nicht überflügelt wird. »Hamburg vorneweg!« flüstert Einer im Gedräng. »Der halbe Tag kostet uns eine Viertelmillion, falls der Voranschlag ausreicht. Wir konntens nicht billiger machen, haben nur ausgeführt, was von Berlin angeregt wurde. Ein Senator sagte mirs selbst. Die Bürgerschaft hat gebrummt; aber nun sehen Sie!« Hinter der Schutzmannschaft wimmelts. Abertausende, trotz Regen und Absperrung; bis an die Elbhügel von Sankt Pauli ein wirres Gekribbel. Und aus den Fenstern, von den Dächern herab jubelt es, jauchzt und kann der Lust nimmer ein Ende finden. »Abends war die Stadt und der Hafen prachtvoll illuminiert. Der Kaiser zeigte sich mehrfach auf dem Balkon, der auf den Rathausmarkt geht. Hier harrte eine tausendköpfige Menge, die den Kaiser stürmisch begrüßte und patriotische Lieder sang.« Ein wahrhaft überwältigender Empfang.

»Amtliches Wahlresultat! In Hamburg drei sozialdemokratische Abgeordnete mit 43 000 Stimmen Mehrheit gewählt! Im ganzen Reich 2 911 317 Stimmen für die Sozialdemokratie abgegeben! Amtliches …«

Bei Pfordte, dem neuen Denkmal gegenüber, gehts hoch her. Morgen ist Norddeutsches Derby. »Da singen sie: Heil Dir im Siegerkranz! Wer schickt in unserer alten Heimat denn eigentlich die Roten in den Reichstag?«


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