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Jubiläum

Um die dritte Mittagsstunde saß in Paris am zwölften Juli 1870 der Herzog von Gramont dem Baron Werther gegenüber, dem schwächlichen Vertreter des Preußenkönigs am Tuilerienhof. Eben war das Telegramm bekannt geworden, das Fürst Karl Anton von Hohenzollern an den Marschall Prim nach Madrid und an den Spanischen Gesandten Olozaga nach Paris gerichtet hatte, um ihnen den Rücktritt seines Sohnes von der Thronkandidatur anzuzeigen, die in Frankreich die Leidenschaften so mächtig erregte. Der Friede, der seit Gramonts Rede vom sechsten Juli ernstlich bedroht gewesen war, schien nun wieder gesichert. Olliver und Thiers bemühten sich, den zornmütigen Eifer der Duvernois und Guyot-Montpayroux zu dämpfen, die, als echte Erben des edlen Chauvin, munter schon die Backen aufbliesen, um durch einen Trompetenstoß die Kammer zu alarmieren; und da große Spekulanten rasch in die Hausse gingen und die Rente in fünf Minuten um zwei Prozent stieg, konnte man hoffen, das Sechstagewerk werde geräuschlos zusammenstürzen und alles werde geschwind zur alten Ordnung wiederkehren.

Der Herzog von Gramont war anderer Meinung. Der Spanierthron war ihm gleichgültig, aber er brauchte für seinen kränkelnden Herrn einen Zuwachs an Prestige, der über die Schwierigkeiten der inneren Lage hinweghelfen konnte. Der Hohenzollernprinz war von der Kandidatur zurückgetreten, aber Europa sollte erfahren, daß dieser Rücktritt durch ein Machtwort Frankreichs bewirkt worden war, dem der Preußenkönig in Ergebenheit sich beugen mußte. Deshalb forderte Gramont einen Brief, in dem König Wilhelm dem Kaiser Napoleon erkläre, er sei von der Absicht, die Würde und die Interessen Frankreichs zu verletzen, weit entfernt gewesen, er werde dem Prinzen Leopold die Bewerbung um den spanischen Thron niemals erlauben und sich stets bestreben, jede Möglichkeit neuen Streites zwischen Frankreich und Preußen vorsichtig zu vermeiden. Ein solcher Brief hätte die Abdankung Preußens als Großmacht bedeutet und das Wort der Fortschrittspartei-Propheten erfüllt, das Ministerium Bismarck werde das Land in Schmach und Erniedrigung führen. Der Brief wurde nicht geschrieben. Sieben Wochen später, um die siebente Abendstunde des ersten Septembertages, stand der General Reille vor dem König von Preußen und überbrachte das Schreiben, in dem der Kaiser Napoleon sich der Gnade des Siegers gefangen gab. Auf der Säbeltasche eines Husarenleutnants wurde die Antwort geschrieben.

Was zwischen diesen beiden Vorgängen lag, ist ohne Beispiel in der modernen Geschichte. Ein gehaßter und verachteter Staat, der kurz zuvor noch genötigt war, in Bruderkämpfen sein Lebensrecht zu verteidigen, hatte das Vertrauen aller deutschen Stämme erworben und mit raschen Schlägen einen Feind niedergezwungen, dessen durch die Jahrhunderte glänzendes Ansehen von der napoleonischen Legende ins Ungeheure gesteigert war. So völlig war der Gegner zerschmettert, der mit leichtem Herzen und lächelnd die Herausforderung gemacht hatte, daß zunächst niemand mehr übrig blieb, mit dem man die Friedensbedingungen verabreden konnte. Und der unbefangen Zuschauende sah an dem Sieger keine Spur eines sich regenden Übermutes. Am ersten Septemberabend, während unübersehbare Feuerlinien das Tal der Meuse erhellten und die Mannschaft still im Wachtdienst wechselte, klangen aus hunderttausend Kehlen ernste und fromme Lobgesänge zum Himmel empor, Dankgebete an den Gott der Schlachten, Grüße an das ferne Vaterland, dem in hohen Haufen hier die Opfer geschichtet waren. Ein Franzose, der an diesem Abend das Schlachtfeld von Sedan sah, mußte später gestehen, ihm sei zumut gewesen, als habe er ein Priesterheer in der Andacht des Gottesdienstes erblickt. Die Wendung schien den Siegern so wunderbar, daß sie nur durch das Walten göttlicher Gnade erklärt werden konnte, der man in Ehrfurcht sich neigen mußte.

Oft ist die Frage gestellt worden, welche Kraft damals den Sieg bewirkt hat. Der Kaiser scheint geneigt, in der unbedingten Hingabe des Heeres an den Willen des Kriegsherrn die Ursache des Erfolgs zu sehen. Diese Auffassung entspricht dem monarchischen und militärischen Sinn für die Macht der Disziplin und Unterordnung, aber sie reicht zur Erklärung nicht aus; die unbedingte Hingabe an den Willen des Kriegsherrn wird gewöhnlich erst erschüttert, wenn dieser Wille vom Unglück heimgesucht wird, und der Rückblick auf den Krieg ist darum gerade so tröstlich, weil er die Gewähr gibt, daß auch eine Niederlage das deutsche Volk und die bewaffnete Abordnung seiner Söhne guten Mutes und aufrecht gefunden hätte. Heinrich von Treitschke hat in einer prachtvoll mahnenden Rede, die leider nur nicht an allen Stellen durch die glatte Oberfläche der Erscheinungen drang, gesagt, 1870 habe sich besonders klar gezeigt, daß in den Daseinskämpfen der Völker der Wille entscheidet, und der Sieg sei unser gewesen, weil wir im Einmut des Wollens die Stärkeren waren. Der Historiker fordert also nicht die blinde Unterordnung, sondern die Übereinstimmung des Willens. Vielleicht genügt auch diese Erklärung noch nicht. Der Einmut des Wollens lebte, nach dem Beginn des Krieges, auch in Frankreich; aber das Vertrauen in das richtige Handeln fehlte und ließ sich, da es einmal gewichen war, nicht mehr zurückzwingen. Den Preußen war dieses Vertrauen in fast zehnjähriger Anstrengung abgerungen worden; sie hatten die Regierung bei der Arbeit gesehen, hatten die zähe Gewissenhaftigkeit des Königs, sein leises und doch festes Beharren in einem langwierigen Konflikt kennen gelernt und wußten nun ganz genau: Jeder würde an seinem Platze stehen, alles würde in Ordnung sein und keine wechselnde Laune, kein Schwanken und Tasten würde die Stetigkeit des Handelns beirren. Dieses gute Gefühl verbreitete sich von Preußen rasch über das ganze Reich und weckte im Feldlager die frohe Gewißheit, daß kein Gebot der Vorsicht überhört, kein wirksamer Faktor vergessen war. Solche Zuversicht ist im Kriege der beste Proviant. Der Mann mag sein Leben nicht an eine Herrenlaune wagen, die mit der flüchtigen Stunde verflattert; er will, wo es um den höchsten Einsatz geht, die tröstende Gewähr haben, daß alles bedächtig erwogen und von den fähigsten Führern vorbereitet ist; er gehorcht gern, aber nur da, wo der Befehlende des Zieles und des Weges dahin nach Menschenmöglichkeit sicher ist. Dann mag immerhin kommen, was das Schicksal bestimmt: Die Pflicht ist erfüllt, das Haus bestellt und der Mann darf mit ruhigem Gewissen hinausziehen. Das Gefühl ruhigen Vertrauens, das vom ersten bis zum letzten Tage das Land und die Truppen beherrschte, war die sicherste Siegesbürgschaft.

Auf Glückszufälle ist im Leben der Einzelnen und der Völker nicht zu rechnen. Drei Männer vom Schlage der Bismarck, Moltke und Roon werden kaum jemals wieder vereint sein. Deshalb ist doppelt nötig, für die Tage der Gefahr das Vertrauen des Volkes zu sichern. Die Vorbereitung eines Krieges beginnt nicht erst in der Stunde der Mobilmachung; ein Krieg, der mit der Aussicht nach Erfolg geführt werden soll, muß die Fortsetzung der Politik unter veränderten Umständen sein, und diese Politik muß so feste Wurzeln haben, daß sie auch einem wütenden Sturm standhalten kann. Die Männer, die 1870 im Felde waren, sind heute dem fünfzigsten Lebensjahr nicht mehr fern. Mancher von ihnen hat es schon hinter sich; ihnen mag man die festlich geputzte Feier gönnen, den Fahnenschmuck, das Eichenlaub, den silbernen Riegel an der Kriegsdenkmünze; sie mögen bei Bier und Wein in Erinnerungen schwelgen und nach Zecherart auch wohl eine Heldentat auffrischen, die nur die Phantasie des Heimgekehrten vollbrachte. Die nicht mit im Felde waren, dürfen auch jetzt nicht bechern und jubilieren; unsere Aufgabe ist, aus der Geschichte des Krieges zu lernen und das Gelernte ohne Menschenfurcht auszusprechen.

Das Deutsche Reich ist mit Prunkfesten und illuminierter Politik übersättigt; es ist in die Gewohnheit gezwungen worden, von einem Tag auf den anderen Überraschungen befürchten und morgen verdammen zu müssen, was es heute vergöttert hat. Allein von großen Erinnerungen kann auf die Länge kein Volk leben und zu Wagen und Wirken kraftvoll gedeihen.


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