Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Das ewige Lied

Kahle Höh. Hutweiden, Steintrümmer, Wachholderstauden. Ein paar breite Hainbuchen und der gelbe Schwung einer Straße hinüber ins Weite. 480 Deutschland irgendwo und früher Frühling. Im Rückblick ein tiefer Talriß. Der Fluß still dunkel in flacher Wiesensohle bedachtsam gewunden. Gebüsch und Gehölz. Weißliche Felsen, Blöcke und Kegel an den Uferhängen steilaufstrebend in abenteuerlichen Gestalten. Schräg einander gegenüber zwei Burgen, verwittert, gedrungen, hockenden Raubvögeln gleich, die lauern. Eine Mühle einsam im Grund.

Der Pfeifer und die Trudel wanderten die kleine Straße bergan. Ein Schäfer trieb am dürren Hügel her. Ein Goldammer zirpte in den knospenden Buchen. Die Sonne, noch nicht lang erhoben, breitete durch leichtes Morgengewölk ein sanftes Silberlicht über die Gegend.

Sie setzten sich auf die Steine am Weg. Der lange Hans hielt die Laute auf den Knien. Seine Blicke träumten ins Land, seine Finger über die Saiten.

O die langen, weißen Windstreifen im hellen Blau! Was sind das für Fernen da drüben und weite Forste? Ein spitzer Kirchturm flimmert am Rand der Welt. Eine lichte Straßenschlange zieht bergüber in Wolkenklarheit.

Er sprach leise zu den Saiten:

»Ein Lied hat sich erschwungen,
ich weiß nicht wo.
Zwei Herzen sind zersprungen,
die klungen so.«

Die Trudel pflückte ein paar spärliche Blümchen vom Rain. Es war so still, daß man nach Glocken aushorchte. Der Goldammer zirpte. Der Pfeifer summte vor sich hin:

»Die klungen aneinander
mit Lust voll bis zum Rand.
In Scherben sind sie gegangen,
da sprang der Klang ins Land.«

Er sah lange hinaus, einem Vogelzug nach, der über die Höhen gegen Norden reiste. Ihre Blicke folgten den seinen.

»Lande, Zeiten, Fernen
klingt das Lied her.
Blüten fallen und Sterne.
Es schweigt nicht mehr.« 481

Er stand auf. Sie erhob sich zugleich. Immer wie träumend begann er weiter zu wandern. Sie hing an seinem Arm. Er ließ die Finger über die Saiten laufen und sprach halblaut im Tonfall:

»Weht ins Lindenrauschen
zum Bienengesumm.
Zwei Verliebte lauschen
ihm und werden so stumm.«

Sie kehrte sich im Schreiten. Das Tal war versunken. Das graue Turmhaupt der einen Burg, eben noch über den Hügelrand aufragend, spähte mit einem Schartenauge hinter ihnen her.

»Es zieht wie Glockentönen
heimlich durch die Nacht.
Da träumt ihm manche Schöne
nach, die einsam erwacht.«

Sie kamen in den Straßenscheitel. Ein Hochland lag vor ihnen wellig und rauh. Magere Feldstreifen, weite, steinige Heiden. Eine Viertelmeile abseits gegen Morgen einsam ein Städtlein mauernumringt mit rötlichen Dächern aufgehäuft zu einem düstern Schloß in der Mitte. Lange Waldsäume dahinter.

»Sie singens mit Flöten und Geigen,
tanzen dazu, sind lustig und laut.
Es schwingt im Hochzeitsreigen.
Was meinst du, lichte Braut?«

Er blieb stehn. Etliche hundert Schritte vor ihnen am Höhensaum zogen Reiter bergab dem Tal zu. Fünf waren es. Sie ritten langsam einer hinter dem andern mit schrägen Spießen wie Schattenbilder gegen das Morgenlicht.

»Es klingt, wo Gläser klingen
voll Weines mit Juchhei.
Die erst es klangen, gingen
in Scherben dabei.«

Gemach zogen die Reiter hinab, tauchten hinter Buschwerk, versanken. Er stand noch immer und starrte ihnen nach. 482

Das Mädchen hing sich fester an seinen Arm. Er seufzte, sah ihr in die bangen Augen, lächelte und küßte sie auf den Mund. Sie schritten weiter. Die Saiten summten. Er sang:

»Lande, Zeiten, Fernen
her klingt das Lied.
Blüten fallen und Sterne.
Es tönt, weht, zieht

immer, wo ein junges
Herz zum andern will.
Die es erst geklungen,
sind lange still.«

Sie wanderten über die einsamen Höhen. Der Schäfer bei seiner wollig wimmelnden Herde stand auf die Schippe gestützt am Weg. Unterm breiten Hut blickte er sie mit eishellen Augen ruhig an. Der lange Hans grüßte. Der Alte nickte ernst. Sie sahen im Wandern um. Er schaute ihnen nach und nickte noch einmal.

Ein Lerchentriller hing über ihnen hoch an den feinen weißen Windstreifen im hellen Blau. Weit umher das rauhe Land. Die kahlen Hügel, die stillen Steine, Stauden und einzelne Wipfel. Im Morgen das rötliche Städtlein mit der Burg vor den dunklen Waldsäumen. Im Abend übers versunkene Tal hin weite Höhenzüge, ferne Forste blau, blauer in die Unendlichkeit.

Deutschland, o Deutschland!

Sie verschwanden hinter einer Heidewelle. Der Straßenschwung blieb einsam, daneben ein alter Baum starrend in die Wolkenklarheit. Der Lerchentriller sank nieder ins Gras. In den Lüften leis verschwebend wehte das Lied.

».   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .
die es erst geklungen,
sind lange still.« 483

 


 


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