Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Das Fest

Um das Kloster auf dem Ägydienberg hauchten die schweren alten Linden Wolken von zartem Honigatem in den Frühsommerabend, der die Stadt mit lauem Gold überflutete. Das volle Laub der massigen Wipfel, über und über im matten Silberschaum der Blüten aufgekräuselt, regte sich nicht in der klaren Luft und war vom dumpfen Gesumm der Bienen erfüllt.

Die drei Ratsgebietiger schritten langsam in eifrigem Gespräch unter den Bäumen her. Die jungen Leute waren vorausgeeilt und warteten bei den kleinen Häuschen der von Augsburg zwei Jahrzehnte zuvor eingewanderten Barchentweber. Hinter dieser Ansiedlung hatte der nordöstliche Teil der Stadt, der noch nicht lange von der erweiterten Mauer umzogen war, ein fast ländliches Ansehen bewahrt.

Vor beträchtlichen Gärten, die sich gegen den Befestigungsgürtel hindehnten, standen hier manche patrizische Landhäuser, und reiche Herren, die dem Handwerk und der Kunst zu verdienen geben konnten, ließen neue lustige Bauten entstehen oder ältere im neuen Geschmack, den die Künstler von Italien brachten, umbauen.

Flieder und Goldregen hingen über die Gartenmauer heraus. Zahllose Vögel flöteten und trillerten in den schönen Abend. Die drei Stutzer standen plaudernd beisammen. Ein jeder von ihnen war nach neuester Mode gekleidet und schlug den andern an Buntheit. Ihr Führer aber in jedem Belang schien der Erasmus Schürstab zu sein. Denn er prunkte in den zierlichsten roten Schuhen, in einer ockergelben Strumpfhose mit oben in blau ausgepufften Schenkeln, die unübertrefflich saß, und in einem kurzen, wundersam zerschnittenen und geploderten Wams von blauem Taffet, dessen gelbes Futter aus den künstlichen Schlitzen prächtig hervorflammte. Dazu trug er eine blaue Mütze mit kecker Falkenfeder auf dem braunen Haar, das sich schön von der Brennschere gelockt um den bloßen Hals ringelte. Auch war er an Jahren und Erfahrung den Genossen überlegen und hatte einiges Ansehen in der Nürnberger goldenen Jugend, was die Eltern 44 einesteils mit Besorgnis sahen, da er im Ruf eines ausgemachten Lüdrians und Nachtschwärmers stand und sehr wohl an jenen Orten Bescheid wußte, wo manche Väter ihre Söhne ungern und manche Mütter sie niemals vermuten.

Zu ihnen stieß nun aus der Richtung des Laufertores kommend Sebastian Merkel, nicht minder geckenhaft gewandet. Allsogleich kam es unter den Vieren zu einem geheimnisvollen Murmeln und Lachen, das verstummte, als die Würdenträger sich nun auf Hörweite näherten.

Die Jungen setzten sich wieder in Bewegung und schlenderten ein Gäßchen zwischen Gartenmauern entlang. Der Merkel nahm seinen Vetter Schürstab unter den Arm und zog ihn einige Schritte voraus. »Hast schon vernommen?« raunte er. »Das Reichskammergericht hat der Odheimerin ihr Recht zugestanden.«

Der Schürstab: »Was heißt zugestanden und welch ein Recht?«

Der Merkel: »Nun, ihren Anspruch auf das Schürstabische Erb, auf den Hof zu Farrnbach, auf Silber, Schmuck, fahrende Hab und weiß Gott was.«

Erasmus stehen bleibend: »Teufel! Wer sagt das?«

Sebastian ihn weiterziehend: »Still! Die da gehts nichts an. Der Doktor Drack hat mirs gesagt. Ich fand ihn oben spazieren vor dem Wall. Der Bescheid ist heraus, aber noch nit zugefertigt. Der Nürnbergische Assessor am Kammergericht hats dem Drack geschrieben.«

Erasmus: »Daß sie Potz dieser und jener auf einen Haufen schänd!«

Sebastian: »Ja, und noch mehr. Es soll eine lange Schrift sein mit vielen Tituln und Paragraphen, und zum End 12 000 Gulden Ungelt vor den erschlagenen Knecht und 8000 Gulden davor, daß sie von häuslichen Ehren und ins Elend sei getrieben worden.«

Erasmus: »Den Doktor Drack, den soll doch gleich der Tropf schlagen! Wo hat der sein Hirn gehabt und seine Feder, daß er das Gericht so unsinnig hat sprechen lassen!«

Sebastian: »Er sagt, er hätt getan, was möglich war fürzusehen. Aber unser Zug nach Farnbach dazumal, der 45 sei gefehlt gewest, solche Tat hab die Rät und Richter zu Worms wider unser Sach gewendet.«

Erasmus: »Wider unser Sach gewendet?! Und ob die Odheimerin zu Recht oder Unrecht fordert, darnach fragt keiner? Potz blau, so viel Juristerei hab ich auch schon studiert, daß ich weiß, was ein Richter in Acht zu nehmen hab.«

Sebastian: »Der Doktor meint auch, es sei nit ganz mit rechten Dingen zugangen, schon weil der Spruch so flugs daherkommen, als ein Blitz aus dem Himmel, wo doch sonsten ein Prozeß länger lebt als alle, die darum streiten. Er sagt, es müß ein hoher Herr dahinter stecken, etwan der Bischof zu Würzburg.«

Erasmus: »Was gehts den an?«

Der Merkel machte ihm ein Zeichen, daß er schweigen solle. Aus einem der Gärten zur linken Hand wurde eine leise, angenehme Musik vernehmbar. Noch ein paar Schritte, und ein offenes Gittertor empfing sie, in das sie eintraten.

Der heiter verworrene Schall einer großen Gesellschaft belebte den Garten. Hart am Tor innerhalb der Mauer stand ein altes, steilgiebliges Häuschen mit kleinen Fenstern und dem Tucherschen Wappen oberhalb der schmalen Bogentür. Längs der Mauer nach beiden Seiten liefen offene, von Holzsäulen getragene Laubengänge hin, die von Gewinden kleinblühender roter und weißer Rosen dicht umrankt und überwölbt waren. Hier saßen Männer und Frauen jeglichen Alters schön und reich gekleidet an Tischen, die mit Blumen geziert, mit Wein, Konfekt und Früchten bestellt waren, oder standen in Gruppen unter den Rosengewölben umher, oder lustwandelten paarweise in den Garten hinaus und vom Garten herein. Rechter Hand vom Eingang dem Häuschen gegenüber war im Rasen an der Mauer ein Bauplatz mit umkränzten Stangen ausgesteckt, und in der Vierung der Grund schon teilweise ausgehoben. Abseits unter einer flüchtig errichteten Bauhütte lagen Haufen behauener und roher Steine, Säulenschäfte und Handwerkzeug der Maurer und Steinmetze.

Tiefer im Garten aber auf einem Wiesenplan erlustigte Jugend sich im Tanz zur Musik, die einige Flöten- und 46 Geigenspieler aus einer Laube erklingen ließen: von schönen Mädchen und Knaben ein frischer Kranz, frohe Gesichter im Zug des Reigens, biegsame junge Gestalten in farbigen Trachten überm Rasengrün, anmutig verknüpfte Hände, weiße Arme in bunt wehender Seide, blanke Schultern, Rosenkränzlein und Bänder in gelben und braunen Locken und heimlich spielende Blicke hinüber und herüber im Kreis. Gegen Westen hin stieg der Garten mit seinen Grasplätzen, bebauten Abteilungen, blühenden Gesträuchen und jungen Bäumen zur Burg an, die in den sinkenden Abend erhoben und von ihm umrötet hereinblickte, voran der starke Turm Luginsland mit den lustigen Ecktürmchen am Saum des vierkantigen Helmes, dann das hohe, rote Dach der Kaiserstallung mit den sechsfach gereihten Luken, dahinter die roten Kappen und Giebel anderer Türme und Bauwerke. Im Norden und Osten die Gartenumfriedung überragend der Zug der Stadtmauer innenseitig mit den Wehrgängen, den gewaltig hinschreitenden Stützbogen, den schrägen Treppenaufstiegen, abschnittweise durch die kurzen Grabentürme und ihre steilen Ziegelhüte unterbrochen.

Die jungen Herren, deren Kommen im Ab- und Zufluten der Gäste kaum beachtet wurde, schlugen sich zu ihresgleichen, das auch unter den nicht am Tanze Beteiligten reichlich zugegen war. Der Schürstab aber machte vorerst der anziehenden blonden Gattin des Christoph Kreß eine Aufwartung und benützte die Gelegenheit nicht allein, um ihr die Ankunft des Gemahls anzukündigen, sondern auch zu einigen artigen Bemerkungen über ihr schönes Aussehen. Nun brachte der Eintritt des Hausherrn und seiner Begleiter Bewegung unter die Gesellschaft. Und nachdem des Begrüßens ein Ende geworden, zogen Pläne, die Herr Andreas Tucher aus dem Hause holen ließ und entfaltete, die meisten hinter ihm her zur Baustätte, wo er nun inmitten aufmerksamer Zuhörer das Schlößchen, das da als ein zierliches Gedicht in Stein erblühn sollte, schildernd und erläuternd erstehen ließ. Einige Meister, die er für den Bau und dessen Ausschmückung geworben hatte, waren auch unter den Gästen und übernahmen es, den Bericht des Bauherrn an der Hand 47 weiterer Zeichnungen zu ergänzen. Die lebhafteste Teilnahme aber gab sich kund, als der Tucher nun langstreifige Entwürfe aufrollte, die Albrecht Dürer für Wandteppiche in der Hauptstube des künftigen Hauses gemalt hatte, und die den Tucherschen Webereien in Holland zur Ausführung überschickt werden sollten. Man drängte sich zur Gartenmauer hin, an die in Mannshöhe emporgehalten die entrollten Malereien möglichst sichtbar gemacht wurden, und das bewegte Spiel der Figuren wurde eifrig besprochen und bewundert.

Doch die Jugend tanzte und sang dazu. Die schöne Margareta Tucher, ein schlankes, gerades Mädchen, das die andern und sogar einige der jungen Männer um ihr liebliches Haupt mit den vollen, dunkelbraunen Haarflechten überragte, führte mit einem jungen Waldstromer den Reigen an. Die Paare traten hinter einander her im Kreis und sangenUhland, Volkslieder, Band I.:

»Sie gleicht wohl einem Rosenstock,
Drum gliebt sie mir im Herzen,
sie trägt auch einen roten Rock,
kann züchtig, freundlich scherzen,
sie blüet wie ein Röselein,
die Bäcklein wie das Mündelein;
liebst du mich,   so lieb ich dich,
Röslein auf der Heiden.«

Nun verschränkte jedes Paar die Arme und beschrieb im Takt schreitend eine Runde für sich. Dazu sangen sie:

»Wann mich das Mägdlein nit mehr will,
Röslein auf der Heiden,
so will ich weichen in der Still
und mich von ihr tun scheiden,
so will ich sie auch fahren lan
und will ein anders nehmen an,
ein schöns, ein jungs,   ein reichs, ein frumms
Röslein auf der Heiden.«

Mit den letzten Versen waren Tänzer und Tänzerinnen sich gegenüber getreten, hatten nach der Melodie rechts und links 48 ausschwenkend einige Figuren und endlich einander den Rücken gedreht, worauf jeder Tänzer mit seinem Gegenüber den Platz wechselte.

Nun sangen die neuen Paare:

»Behüt dich Gott, mein herzigs Herz,
Röslein auf der Heiden.
Es ist fürwahr mit mir kein Scherz,
ich kann nicht länger beiten,
du kommst mir nicht aus meinem Sinn,
dieweil ich hab das Leben in;
gedenk an mich,   wie ich an dich,
Röslein auf der Heiden.«

Nun reichten die Tänzer, die alle auf der Innenseite gingen, einander strahlenförmig die Hände, und während sich die ganze Figur langsam im Kreis bewegte, ward gesungen:

»Beut mir her deinen roten Mund,
Röslein auf der Heiden,
ein Kuß gib mir aus Herzensgrund,
so steht mein Herz in Freuden!«

Jetzt ließen sie die Mädchen, die sie um die Hüfte hielten, los, und jeder schwenkte eilig hinüber zur seinen, mit der er den Tanz begonnen. Denn sie sangen:

»Behüt dich Gott zu jeder Zeit,
all Stund und wie es sich begeit;
küßt du mich,   so küß ich dich,
Röslein auf der Heiden.«

Dabei durfte jedes Paar tun, was es sang, und es war nicht zu vermeiden, daß manche Lippen länger und fester aufeinander lagen und manche Augen nahe voreinander sich mehr sagten, als die Tanzfigur von Rechts wegen gestattet hätte. Die Musik aber schloß mit einem mächtigen Tusch, und unter großer Heiterkeit fand der Reigen sein Ende.

Noch während sie tanzten, war ein schlanker Mann in dunklem Rock mit wohlgepflegtem Bart und herabwallendem Braunhaar still in den Garten getreten und hatte, während die einen das Betrachten der Entwürfe, die andern der Reigen hielt, unbemerkt hinter einer Säule gelehnt den Tanzenden 49 zugeschaut. Jetzt lief die Jugend mit Gelächter und Geplauder auseinander. Er blickte einzelnen der Paare und Gestalten nach. Plötzlich hatte er eine schmale Mädchenhand mit einer wunderbaren dunkelroten Rose vor dem Gesicht.

»Das bist du!« sprach er, kehrte sich rasch und sah Margarete Tucher lächelnd stehen. Er nahm die Hand und küßte sie, nahm die Rose, hielt sie mit der Linken empor und sagte noch einmal: »Das bist du!«

»Seht!« sprach das Mädchen, »dort bewundern sie just Eure Schildereien.«

»So haben sie derweilen genug von mir,« versetzte Dürer. »Komm,« fügte er leise mit einem Blick auf die Schar der Gäste hinzu, die noch um den Herrn Andreas und die Künstler an der Baustelle festgehalten, doch eben im Begriffe war, sich aufzulösen. »Komm, wir wollen ein wenig da oben im Garten spazieren.«

Er zog sie mit sich fort. Margareta aber flüsterte ihrer Schwester Ursel, die eben mit einem jungen Mann vom Tanzplatz unter die Lauben trat, eilig zu: »Laß wieder aufspielen und halt die Leut hier unten. Du weißt, er liebt es nicht, wann sie ihm nachlaufen.«

Anfangs schneller, dann, als sie von den Menschen entfernter und ihren Blicken durch das Laub entzogen waren, langsam gingen sie unter den Rosenwölbungen hin und traten ins Freie gegen eine Anhöhe, die sie auf einem kleinen Weg längs der Gartenmauer erstiegen.

»Ihr seht bleich heute. Ihr leidet wieder,« sprach Margareta zum schweigenden Meister.

Er blieb stehen und seufzte. »Es wird nit schlimmer und nit besser und gut wohl nimmer mehr. Es mag wohl das End sein.«

Margareta erschrocken: »Da sei Gott vor.«

Dürer lächelnd: »Ei, das mag sich noch lang hinziehen. Und, liebes Mädchen, ist nicht das ganze Leben ein Hinwachsen zum End, das doch auch nur wieder ein Anfang?«

Sie gingen sehr langsam weiter.

»Siehst du,« sprach er vom neuen, »wann die Blume zerfällt, ists ein Tod und hebt die Frucht doch erst zu schwellen 50 an. Und im Samen ist schon wieder das neue Leben darinn. Hast du einmal ein Samenkorn betrachtet, das den Keim ausschickt?« fragte er, wieder stehen bleibend.

Margareta schüttelte den Kopf.

Dürer sagte: »Vergangenen Herbst hab ich einmal eins aus dem Acker gezogen, wo just die grünen Keimlein herfürstachen. Ein Roggenkörnlein. Das war seltsam, als ein Leichnam, der verweset. Nit schön, graulich und aufgeborsten, und trat ein häßlicher Schleim daraus herfür, aber mit dem nährt es den jungen Halm, der schon eine halbe Spann lang frisch und grün zum Licht gedrungen war.«

Er verstummte im Weitergehen und hob dann wieder an: »Da bin ich tief in Gedanken kommen, da dacht ich: ist doch unser aller Leben in dieser Zeitlichkeit solch ein Zerfallen und Verwesen. Und so einer greis und krank wird, Schmerzen hat, und ist ihm selbst und denen, so um ihn sein müssen, eine Unlust und Beschwer, wer weiß, wie hoch schon der neue Halm, das neue, schönere Leben uns unsichtbar aus ihm gewachsen sein mag.«

Sie waren auf dem Hügel angelangt. Da stand zwischen zwei jungen Birken eine Bank aus rotem Sandstein. Sie ließen sich darauf nieder.

Es war von da aus ein schöner Blick über den östlichen und südlichen Teil der Stadt. Hinter den Gärten die vielen Steildächer schuppig aneinander und gegeneinander gedrängt, vorherrschend verwitterndes Ziegelrot, auch Schindeln und Stroh, abendliche Rauchschwaden sonnengoldig darüber, dort und da ein hoher Giebel, ein Turm, eine Kirche übern Dunst erhoben, außen herum in dunkelnder Wucht der starke Ring der Wehrmauern mit den heller aufragenden kurzen und höheren Türmen, und dahinter das gelbe und grüne Land und das endlos umher blauende Waldmeer in weiter, träumender Abendruhe.

Dürer saß vorgebeugt, den rechten Ellenbogen auf das Knie gestützt, die Rose in der schönen, langen Hand. Die Linke hatte er vertraulich dem Mädchen auf die Schulter gelegt.

Vom Garten tönte wieder Musik herauf. Man sah die 51 Jugend auf dem Rasen zu neuem Tanz antreten und die Gäste sich bunt mit Reden und Lachen unter den Lauben zerstreuen.

Dürer fuhr fort: »So der Mensch, so die Zeit, an der uns gar vieles schlimm und häßlich dünkt. Denn es geschieht ein großes Zerfallen um und um und wird noch viel ärger kommen. Die Welt mag nicht stille stehn. Das Alte zerbricht und stürzt. Neues drängt herauf und tut Gewalt in seinem Drang.«

Er betrachtete die Rose. »Und das Schöne ist für den Untergang geboren. Drum ist alles Schöne traurig,« sprach er sinnend. »Schau, gibt es Schöneres, Vollkommeneres unter den Blumen? Zur glücklichsten Stunde ward sie gebrochen, sie ist erschlossen und doch nicht ganz entfaltet noch. Sieh, welch tiefe Schwermut in ihrem Neigen, in ihrem dunklen Purpur.«

Margareta: »Hätt ich sie nur am Strauch gelassen. Nun tuts mir weh.«

Dürers Hand glitt an ihrem Arm herab und ruhte über der ihren, die auf der Bank lag. »Morgen oder übermorgen wär sie zerfallen. So ward ihr das schönste Los, von deiner Hand gebrochen zu werden.«

Margareta: »Und Euch zu erfreuen.«

Dürer: »Dir, der schöneren und höheren Schwester, ward sie ein Opfer. Die Natur ist reich genug, uns zu beschenken. Wir mögen ihrer Gaben genießen ohne Kümmernis. Nur wegwerfen sollen wir die Blumen nicht, die wir gebrochen haben. Das sag ich den Kindern, wann ich seh, wie sie mutwillig die Kräuter abreißen und in den Staub der Straße streuen. Seht, sag ich ihnen, haben sie nicht Augen wie ihr selbst? Sie fühlen und leiden auch. Möchtet ihr da liegen, zertreten und zerfahren werden?«

Seine Hand umschloß Margaretens Finger sanft.

»Du, laß dich nicht wegwerfen,« sagte er mit einem Blick auf ihre dunklen Augen.

Margareta: »Warum besorgt Ihr das?«

Dürer hinabzeigend: »Das da unten, das ist Straße und Staub. Was bewegt und treibt die Menschen dort im Innersten? Gewerb, Gewinn. Laß dich nicht verkaufen.« 52

Er schwieg ein Weilchen und fuhr fort. »Lieber gib dich dem Drang hin, der rein und glühend aus deinem Herzen hervorbricht. Du bist so schön. Du könntest einen Künstler zum Höchsten führen, das er vermag. Der große Raphael, wann er seine frommen Bilder an die Gewölbe malt, läßt eine schöne Frau, die er liebt, auf das Gerüst herauf kommen. Da liegt er stundenlang auf dem Rücken, sieht sie an und malt, sieht sie wieder an und malt.«

Margareta mit aufleuchtendem Blick lächelnd: »Wie gern käm ich zu Euch, so Ihr glaubt, mein Anblick ereiferte Euch in der Kunst.«

Dürer das Haupt schüttelnd und ihre feinen Finger streichelnd: »Nicht mir, liebes Mädchen, ich bin alt und am Ende.«

Margareta lebhaft: »Ihr? Der größte Maler im deutschen Land? Und weit über Deutschland hinaus leuchtet Euer Ruhm.«

Dürer: »Was hilft mir das? Die Schönheit, wie sie mir ist erschienen, die hab ich nicht können fassen. Das ist so, als ging einer dem Abendrot nach und wollt es ereilen. Hätt ich den festen Glauben nicht, daß alles, was wir schaffen, nur eine Lehrarbeit ist für die große Meisterschaft da drüben, zur Stund bräch ich Pinsel und Stift entzwei.«

Margareta: »Wie seid Ihr selbst schwermutvoll heute. Gewiß, es steht schlimm mit Euch, Ihr seid sehr krank.«

Dürer: »Nein, mein liebes Kind. Das ist nicht des Leibes Krankheit. Ja, ich hab mich viel bemüht und hab ein Leben hinter mir, das der Arbeit voll ist, und auch manch glückliche Stunde ist mir geworden. Aber siehst du, die Erkenntnis dessen, was schön und groß ist, vielleicht ist das die Krankheit, die eines Menschen Seele befällt, den Gott mit einem tiefen Schauen begnadet. Denn furchtbar auch ist solches Schauen. Gott führt uns auf einen hohen Berg, und wir sehen, wie ungeheuer seine Schöpfung ist, und wie klein wir selber sind mit unserer Kraft. Die Menschen beneiden den Künstler um die Geschicktheit seines Handwerks, den Weisen um seine Einsicht. Wir aber wissen, daß alles Stümperei ist und Stückwerk. Und je besser es euch scheint, was wir machen, je geringer däucht es uns selber. Denn alle Kunst ist nur ein 53 Weg, der wird mühsamer, je höher er steigt. Und steigt man in die Höh, da wachsen die Berge rundum immer höher.«

Margareta: »Mir fällt ein Spruch ein, den ich irgendwo gehört oder gelesen: Die Sonne scheint sich selber nicht.«

Dürer: »Mag sein. Mag sein, daß wir Lichter sind, die sich verzehren müssen, und selbst nur fühlen, daß sie brennen. Und die hinter uns, denen leuchten wir auf den Weg. Ja, ja. Mir träumt manchmal von einer Welt, die ganz schön ist und ganz frei. Ganz erlöst aus allem Niederen und Engen, aus Ständen und Sippen, Geld und Eitelkeit, Gesetzen und Geboten, aus der Angst vor dem Galgen und der Furcht vor der Höll. Und das Weib wird blühen als die Schönheit für den Mann, der das Große schafft.«

Margareta: »Was Ihr da malet, das däucht mich der Himmel.«

Dürer: »Vielleicht. Denn, was wir träumen, das schickt sich nicht in diese Welt. So mußt ich schon oft erfahren. Und doch wird es einmal wahr sein, irgendwo. Schön und frei wird sein alles, und daß es werde, dafür müssen wir schaffen und zugrunde gehn. Doch ist es bitter, wie Moses auf dem Berg stehn, das gelobte Land schauen und sterben müssen. Die aber, so wir vierzig Jahr und mehr durch die Wüsten geführt, die gehn hinab zu den Weinstöcken.«

Sie schwiegen beide und sahen in den Abend hinaus, der immer tiefer Stadt und Land überrötete.

Nicht weit unter ihnen auf einem quer am Hügel vorbeiführenden Pfad ging ein junger Mann mit einer Laute zwischen zwei Frauen vorüber. Er rührte sacht die Saiten und sang dazu:

»Hätt ich einen Buhlen, als mancher hatUhland, Volkslieder.,
ich wollt ihm aufbinden sein gelbes Haar
mit eitel brauner Seiden.

Ich wollts ihm aufbinden in rotes Gold,
ich bin meinem Buhlen von Herzen hold,
ich könnt ihm nit holder werden.«

»Komm,« sprach Dürer: »Du sollst fröhlich sein. Es ist nit recht, daß ich dir da so viel vorsing von meiner melancholia. 54 Du sollst wieder hinunter zum Tanz, mag die jungen Knaben schon gar sehr nach dir verlangen.«

Margareta: »Es ist mir nit um den Tanz, lieber Meister, und bleib lieber bei Euch.«

Dürer: »Nun, das ist schön von dir, und ich wollt, ich könnt dir was Kurzweiliges erzählen. Denn freilich ist mir wohl bei dir als unter Rosen. Mir ist wohl in deiner Schönheit, und sie öffnet mir die Lippen und das Gemüt. Lieber red ich mit schönen Frauen, dann mit dem weisesten der Männer, und viel tiefer vom Herzen heraus. Aber das freilich ist dunkel und unfroh zumeist. – Nun will ich euch bald verlassen. Nein, nein. Du mußt nicht erschrecken. Ich mag noch gern und lang leben. Aber ins Niederland soll ich fahren meines Weibes halber, daß sie auch einmal eine Reis tät, und dem jungen Kaiser soll ich aufwarten, wann er zu Antorf an Land steigt, auf daß er mir gnädig wurd und das Jahrgeld wieder verwilligt, so mir mein lieber, guter Kaiser Max selig gewährt. Der Rat vermeint, er dürft mirs nimmer auszahlen ohne neuerlich Privileg der kaiserlichen Majestät. Bin gar neugierig, die Niederlande zu schauen, weil eine gar große, wunderbare Kunst da blüht, größer noch vielleicht, dann im schönen Land Italia. Wird mir doch schwer, vom lieben Nürnberg weg zu gehen, und will auch nit gar zu lang dort weilen. Du verwahrst mir derweil hier ein gutes, freundwilliges Herz, nit wahr?«

Margareta: »Lieber Meister, das kann ich Euch wohl zusagen und wills in Treuen halten.«

Er strich ihr sanft über den Arm und lächelte. »Ich will dir auch was Hübsches mitbringen aus dem Niederland, mein Margaretlein. Als du noch klein warst und ich dich auf den Knien geschaukelt, da hab ich dir manchmal was zum Spielen gebracht, gedenkst dus noch?«

Margareta: »Freilich, und den lustigsten Hanswurst, den Ihr selbst geschnitzt und bemalt, den hab ich treulich aufgehoben und schau ihn noch oft an.«

Dürer: »Itzt aber ist sie groß worden, schier größer als ich, und möcht sie nimmer leicht aufs Knie nehmen.«

Das schöne Mädchen lachte, und aus ihren Augensternen, 55 die so tiefbraun und klar waren, wie die eines Waldvogels, blickte ein lieblicher Schalk den Maler an.

»Was dann soll ich ihr mitbringen?« sprach Dürer. »Ich mein, Brabanter Spitzen stünden ihr wohl zu Gesicht, recht schöne, lang gezackte, fein gelb wie Schaum, die stünden dir gut zu Hals und Armen, weil du eine Haut hast mit einem Schimmer von Gelb darin, dergleichen ich nie gesehen, so zart und durchscheinend als wie Bernstein. Auch Perlen stünden dir wunderbar, ein paar Reihen recht großer gleich, aber davor langen dem Dürer seine Pfennig nit, die muß schon der Herr Endres selber von Flandern bringen lassen, oder das glückliche Ratsherrensöhnlein, das dich einmal Braut nennen wird. – Sieh, da haben sich nun die Leut übern ganzen Garten zerschlagen und kommen auch schon etwelche herauf,« setzte er mit einem mehr leidvollen als ärgerlichen Ausdruck hinzu.

»Ei!« schalt Margareta, »Und ich hab doch der Ursel gesagt, sie soll den Musikern keinen Urlaub geben und Euch die Menschen vom Leib halten!«

»Sie werden ihr halt nimmer geblieben sein,« meinte Dürer. »Wir plaudern auch schon ein rechtes Weilchen miteinander. Nun muß es wohl ein End haben – einerlei – in einer Stund wärs mir auch noch zu früh gewesen. Vom Guten kömmt das Ende immer zu bald. Also schnell nun, was soll ich dir mitbringen?«

Er hatte ihre Hand ergriffen und auf sein Knie gelegt.

Sie errötete ein wenig, sah lächelnd zur Erde und dann wieder auf. »Nichts,« sagte sie. »Meister Albrecht soll selber bald gesund wieder kommen und mir sein liebes, freundwilliges Herz wieder bringen, ist mir köstlicher, dann Perlen und flandrische Spitzen.«

»Das laß ich dir da, mein liebes Mädchen,« sprach Dürer, mit Wärme ihre Hand drückend. »Und sei gewiß, es wird mich alle Tag rufen und bald wieder herziehen zu dem deinen.«

Margareta nach einem kurzen Schweigen: »Euch aber möcht ich noch mehr mitgeben als mein Herz, davon habt Ihr nit viel. Ihr tut eine gar weite und beschwerliche Fahrt. 56 Ich möcht Euch was Gutes in Euer Fuhrwerk tun, daß ihrs auch bequem haben sollt.«

Sie hatte sich ihm voll zugewendet und sah ihm mit gütiger Sorge ins Gesicht. Dürer legte wieder die Hand auf ihre Schulter und überflog mit einem Blick ihre atmende, schon fraulich erblühende Gestalt. Nun war sie ihm näher geneigt, und ihre warme Strahlung berührte ihn.

»Wir reisen von Bamberg zu Schiff,« sagte er.

»Dann erst gar müßt Ihr mit guten Hüllen versehen sein,« drängte Margareta. »Auf dem Wasser ists immer kühl, mag auch sonst der Tag noch so warm und sonnig sein. Und gar zur Nacht.«

»Mein Weib reist ja mit,« versetzte Dürer, »und eine Magd dazu. Die werden für alles Irdische sorgen. – Von dir, liebstes Kind, nehm ich diese Rose, dein Bild, und wann sie welk ist, brech ich mir eine andre so dunkle am Ufer wo und denk an dich auf dem Main oder Rhein und wo immer ich schwimmen oder wandern mag. Und so du mir noch eine sonderlich liebe Wegzehrung mitgeben wolltest und könntest, so gäbst du mir itzt ein Küßlein, da hätt ich Vorrat bis Niederland und wieder hieher.«

Margareta wandte sich herum und zurück, und der letzte Abendschein lag ihr tiefpurpurn auf Antlitz und Busen, als sie lächelnd flüsterte: »Das sollt Ihr haben und vom ganzen Herzen dazu.«

»Aber nit hier, wo wir zur Schau gestellt sind,« sagte Dürer, indem er sich lächelnd erhob. »Zwar hab ich dich oft geküßt, als du klein warst, und könnt auch jetzt ein jeder sehn. Aber wir wollen heimlich tun, sonst ist es das Wahre nit, das gehört dazu. Wir wollen da auf der andern Seite hinunter gehn, da steht ein gar schöner Fliederbusch, der mag uns decken.«

Als sie aufstanden, sahen sie oben die Burg tiefdunkel und massig vor dem Glutschein ragen, der hinter den Türmen und Dächern zartflaumige Feuerflügel weit gegen Norden und Süden breitete wie ein brennender Riesenschwan. Zwischen den weitgeschwungenen Purpurstreifen aber leuchtete die Luft meergrün und klar wie Kristall. 57

Sie schritten langsam die Anhöhe hinab, und hinter dem Fliederstrauch lagen ihre Lippen einen Augenblick zart und leicht aufeinander. Dann küßte ihr Dürer die Hand, und sie lachten beide. Sie gingen weiter hinab, und bald begegneten ihnen Andreas Tucher mit der schönen Kreßin, Veit Hirsvogel, der Glasmaler, mit der Frau des Tucher und noch andere Gäste.

Dürer ward mit Herzlichkeit und Ehrerbietung begrüßt. Nach und nach schlossen sich mehrere von den lustwandelnden Paaren der Gruppe an. Jeden zog es in seine Nähe, jeder freute sich, sein schönes Gesicht mit den klaren, tiefen Augen zu sehen, seine sanfte Stimme zu hören und den wundersamen Zauber zu fühlen, der von ihm ausging, wie von einem Heiligen.

Die jungen Leute bereiteten neues Vergnügen vor. An aufgespannten Drähten wurden um den Tanzplatz und in der Rosenlauben Laternen aus gefärbtem Papier aufgehängt und entzündet. Tief goldbraun blickte der Abend über die dunkelnde Burg und die Mauertürme herein. Die Lichtlein glommen schwankend wie Johanniswürmchen in der Gartendämmerung auf. Die Musik spielte wieder einen Tanz, und mit erneutem Eifer reihten sich die Paare.

Erasmus Schürstab lehnte mit Sebastian Merkel, Wolfgang Ebner und dem Endres Tucher junior an der Mauer beim Bauplatz. Der Schürstab und der Merkel hatten dem gewürzten Wein stark zugesprochen.

»Wie schwül es ist,« seufzte der Merkel.

»Und mich schaudert,« meinte der Schürstab.

Darauf der Bastian gähnend: »Ich wüßt was Besseres als da im Gras herum zu hupfen und zu blöken wie die Lämmlein.«

Der Schürstab: »Ich auch. Die Ehrbarkeit soll der Teufel holen. Solch ein Tanzen kommt mir vor, als schenkt einer den Becher voll, und dürft nur dran riechen. Ich aber will trinken auch. So dich aber da die Lust anfällt und du nimmst einmal eine nur ein klein wenig fester um die Lenden, so heißt das gleich gefreit. Und –« er wandte sich und spähte der schönen Kreßin nach, die in einiger Entfernung mit denen 58 um Dürer vorüberging, »die jungen Frauen – die sind auch gar in der Furcht des Herrn.«

Der kleine Merkel stellte sich auf die Zehen und flüsterte ihm was ins Ohr.

»Das hab ich mir auch schon gedacht,« sagte der Schürstab, und beide lachten.

»Kommt!« raunte er dann dem Tucher und dem Ebner zu, »wir wollen in die Stadt.«

»Wohin?« fragte der Tucher, der ein verdrossenes Gesicht machte.

Sebastian trat vor und flüsterte zu allen dreien. Der Tucher runzelte die Stirn. »Hols der Teufel!« zischte er dann mit einer wütenden Bewegung nach dem Tanzplatz hin, »ich bin dabei.«

Der Ebner zog sich verlegen, während Erasmus noch auf ihn einredete.

»Ich kann noch nit weg,« sagte er dann. »Ich hab der kleinen Volkamerin einen Tanz versprochen. Ich komm euch nach.«

Der Schürstab drauf: »Also dann spring deinen Reigen aus, häng dein Herz in die Rosen und schleun dich. Dort brauchst dus nit, und hier kannst du nit brauchen, was du dort brauchst. Ihr aber,« er wandte sich zu den andern und machte mit dem Zeigefinger eine Bewegung zum Ausgang. »Flugs wie der Fuchs und heimlich schön einer nach dem andern. – Jetzt – schaut grad keiner her –.« Der Merkel war schon draußen. Der Schürstab nahm den Tucher bei den Schultern und schob ihn vor sich her.

»Wir wollen tun, als gingen wir dort zu den Tischen,« flüsterte er ihm vorgebeugt ins Ohr. »Und vor dem Gatter– hui! Linksum!« –

So taten sie und wischten hinaus.

 


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