Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Der gute Fang

Ein greller Vollmond stand hoch und klein im Scheitel des eishellen Himmelsgewölbes und beleuchtete die bitterste Frostnacht. Die Wälder in bläulichem Dunst über die Höhen weithin, Schneeflächen glitzernd, flimmernd dazwischen, unten im Tal die Saale eine dunkle Schlange. Hundegebell verloren irgendwo in den Bergen, und einmal kurz und wild das Aufheulen eines Wolfes.

Zwei Reiter trabten von Michelau der Roßmühle zu. Sie ritten stumm und eilig, die Hufschläge knirschten im singenden Schnee, kalter Rauch stieß aus den Nüstern der Pferde.

Als sie des hohen, blinkenden Daches der Mühle ansichtig wurden, fielen sie in Schritt. Der Pfeifer ließ die Zügel fahren, schlug die behandschuhten Fäuste an den Harnisch und rieb die Nase: »Teufel!« blies er aus verhülltem Mund hervor, »es ist Zeit, an ein Feuer zu kommen. Mir fallen die Glieder ab wie Eisklötz.« Der Schau schüttelte sich nur im Sattel und antwortete nichts. Unter der Kappe, die er tief ins Gesicht gezogen hatte, stieg der Dampf hervor. Die Rosse schnoben und qualmten. Keine Regung in der silbernen Starrheit umher außer dem Knistern des Triebeises auf dem Fluß. Der Sodenberg wie ein blaues Luftgebilde stand überm Tal. Ein Fenster glomm in der Burg. Noch einmal und nahebei heulte ein Wolf auf. Ein anderer antwortete vom drübern Ufer. Sie sahen ihn gleich einem Schatten vom Waldsaum herunterlaufen und dann im Feld oberm Fluß stehn, krumm und mit hängendem Schweif. Der Pfeifer hielt an. »Das wär ein guter Schuß mit der Armbrust,« flüsterte er.

Der Schau: »Zieh du auf bei dem Frost. Mir ists zu kalt.«

Der Pfeifer: »Mag er leben wie wir.« 220

Sie ritten weiter. Vor der Mühle angekommen saßen sie ab und führten die Gäule zum Stall hinunter. Der Schau öffnete die Tür. Dichter Dunst wölkte sich hervor. Im trüben Schein einer Laterne sahen sie mehrere gesattelte Pferde in den Ständen angebunden stehen. Ein Knecht schlief auf einer Bank. Sie weckten ihn und hießen ihn Platz machen. Dann ließen sie ihren Rossen die Gurten nach, hängten sie an die Krippen und gingen wieder zur Mühle hinauf. Sie klopften ans Tor. Der Hund bellte innen. Der Müller öffnete vorsichtig, ließ sie ein und zeigte nach der Küche geradeaus. Sie fanden dort etliche Reiter sitzen, darunter den Kater, Nebukadnezars Knecht. Die hatten dampfende Becher vor sich.

»Guten Abend,« sprach der Schau.

»Guten Abend,« erwiderte einer. »Ihr kommt gar spät.«

Der Pfeifer drauf: »Die Junker sind uns auf dem Fuß, in einer halben Stund müssen sie da sein.«

Der Schau hatte die Blechhandschuhe auf den Tisch geworfen und wandte sich pustend und händereibend zur Alten, die unter dem großen schwarzen Rauchmantel am offenen Herd hantierte. »Bärbel, hitz auf, hitz auf! Drauß frierts, daß die Stein krachen.«

Die Bärbel, Späne brechend und unter den hängenden Kessel schiebend: »Ich koch ohnedem schon heißen Wein seit zwo Stund. Was müßt ihr just zur Winterszeit rauben wie die Wölf!«

Der Schau lachend: »Weil wir Hunger haben wie die Wölf. Hoff, du hast auch viel zum Essen. Es kommen noch bei funfzehn Reuter. Wer ist schon da?« fragte er zu den Reitern hin.

Einer versetzte: »Die Herren Jörg und Eustach von Thüngen, Wilhelm Fuchs, der Kottwitz und der lange Voit. Die vom Reußenberg halten schon oben an der Straß und werden euch fluchen, daß ihr so lang trendelt. Habt wohl gesoffen zu Wolfsmünster oder wo.«

Der Pfeifer: »Nein, sind als risch geritten. Aber unser Herr meint, es dürften nit alle so früh zusammkommen, es möcht verraten werden.«

Er trank dem Kater seinen Glühwein weg und ging hinaus. 221 Rasch eilte er die Treppe hinauf und tappte sich oben behutsam durch den Schwibgang ins Nebengebäude. Vor der Kammertür horchte er und hörte die Trudel drin leise vor sich hinsingen:

»Grüß dich Gott, mein feines Lieb!Uhland, Volkslieder.
Wie steht unser Sach?
Ich siehs an deinem Mündelein,
dein Herz leidt Ungemach.

Dein Mündlein ist verblichen,
ist nimmer so rot als vor.
Daß ich dich zum erstenmal lieb gewann,
ist länger dann ein Jahr.«

Der lange Hans aber antwortete draußen:

»Ha, ha! Warum sollt ich trauern?
Nun rühret sich der Mai.
Schlag, schlag, schlag auf mit Freuden!
Mein Trauern ist entzwei.«

Die Tür flog auf, das Mädchen flog an seinen Hals. »Hans! Hans!« und küßte ihn wie unsinnig. Er trug sie hinein aufs Bett. Sie hielt ihn umschlungen und schluchzte. »Was weinst du denn, du Närrlein?«

»Weil du da bist . . . – weil du . . .«

»Weil ich da bin? So will ich wieder fortgehn.«

Jetzt faßte sie ihn noch wilder und fing durch die Tränen zu lachen an.

»O du törichtes Kind!« Er streichelte sie. Das Mädchen schlotterte vor Kälte. »Risch wieder ins Bett, du erfrierst mir sonst!«

»Tu dein kaltes Blech weg, davon frier ich so, tus weg und mach mir warm.«

»Kind, ich muß gleich wieder reiten.«

Jetzt brach ein neuer Sturm von Tränen und Küssen über ihn los. »Du darfst nit, ich laß dich nit!«

»Wann du mir auch beide Ohren abbeißest, muß ich halt 222 ohne reiten und friert mich nit dran. Heut gibts kein Weilen, heut ist ein großer Tag – will sagen, eine große Reitnacht – aber in Blech und Frost.«

»Was habt ihr dann schon wieder?«

»Das darf ich nit sagen. Heut wird der Nürnbergische Rahm abgeschöpft.«

Er hatte sie in die Decke gehüllt. Sie wischte die Tränen ab und sah ihn halb selig, halb verzweifelt an.

»Schon den ganzen Abend hört ich Kommen und Gehn und Reiten hin und her.«

»Und mich hast nicht kommen gehört?«

»Ich war vor Müdigkeit just ein wenig eingeschlafen. Da hört ich wieder was und wacht auf und sang, um wach zu sein.«

»Gotts Marter! Hier im Kämmerlein frierts mehr dann drauß in Schnee und Mond. Warum tust du nit einheizen?«

»Ist kein Ofen da, und bräucht auch keinen, wann du da wärst. Komm, bleib da!«

Er horchte auf. »Mich daucht, ich hör sie kommen.« Er sprang zum Fenster und öffnete es ein wenig. Sie hüpfte ihm nach und hing sich an ihn.

Die Talstraße herauf näherte sich ein langer Reitertrupp. Helme und Rüstungen blinkerten im Mondenschein.

»Wie sacht sie reiten, als wärens Gespenster!« flüsterte die Trudel.

»Sie haben die Bügel in Stroh und die Hüf in Fetzen gewickelt, daß es nicht klirrt,« versetzte der Pfeifer. Er schloß das Fenster. »Jetzt ade, bis nachher,« sagte er, das zitternde Mädchen umschlingend. »Geh ins Bettlein und schlaf gut, ums Tagen komm ich, da singen wir

Wann ich des Morgens früh aufsteh,
da ist mein Stüblein geheizet,
da kommt mein liebes, schönes Lieb
und beut mir ein guten Morgen.«

»Ach!« maulte sie.

»Des Morgens muß ich früh aufstahn,
mein lieben Buhlen nit bei mir han,
so trauert mein Herz, so trauert all mein Gemüte. 223

Bleib noch da, ein Weilchen nur! Bis sie absitzen, eins trinken, reden und wieder aufsitzen, ist Zeit genug!«

»Schön. Auf einen Bügeltrunk von Küssen mags reichen. Aber geschwind!«

Der Platz vor der Mühle füllte sich mit stampfenden und schnaubenden Pferden, stampfenden und pustenden Reitern, die ihre erstarrten Glieder zu beleben trachteten. Mangold von Eberstein, Fritz von Thüngen, Philipp von Rüdickheim und zwei von der Tann gingen ins Haus und betraten die Stube, wo die andern Junker schon bei dampfendem Wein warteten.

Nach kurzer Begrüßung begann Mangold: »Wißt ihr alle, was los ist?«

»Nit so ganz,« versetzte Heinz Kottwitz.

Mangold: »Also. Kundschaft besagt: Ein Nürnbergischer Ratsherr, Andreas Tucher mit Namen, reiset gen Worms zum Reichstag. Das heißt, er geht mit falschem Namen als in Geschäften, aber wir haben gut Wissen, wer er sei und was er will. Zuvörderst ist er auf Hammelburg gezogen, dort hat er einen Tag mit denen von Fulda, als ich acht, daß er den Abt wider uns, die wir Krieg haben mit Nürnberg, aufbringe, und sind Abgesandte des Abts, darunter sein Hauptmann Jost Riedesel, zu Hammelburg eingeritten. Von da wird er mit Fuldischem Gleit gen Gemünden und wahrscheinlich auf Wertheim zum Grafen reisen. Am frühesten heut, möglich auch erst morgen oder übermorgen, wird er aufbrechen, und, wie leicht zu denken, am liebern bei Nacht, was ihm sicherer daucht. Den Tucher zu erwischen, kost es was es wolle, ist unser Ziel. Denn das wär ein großer Schlag wider die von Nürnberg, und da müßten sie bald nachgeben in unserem Handel. Zu solchem Zweck halten wir oben zwischen dem Sodenberg und dem Reußenberg im Wald.«

»Die Unserigen und die Rosenbergischen halten schon seit Anbruch der Nacht,« sagte Jörg von Thüngen, »und sind Reuter auf je ein Schritt und tausend aufgestellt bis hart an die Mauern von Hammelburg, daß wir Kundschaft kriegen, sobald die aufbrechen.«

Mangold: »Gut. Und eure Haufen, wo liegen die?« 224

Jörg: »Der Straß nahebei im Holz. Aber bei der grimmen Kalt ist bös halten, das schafft weder Mann weder Gaul länger dann ein paar Stund.«

Mangold: »Ist auch nit not mehr dann ein paar Stund zur Nacht. Und kommen die Nürnberger nit, so laßt die Eurigen vor Tag sachte wieder auf den Reußenberg rücken und dort bereit sein, gesattelt und angelegt, daß sie auf sein können, sowie Kundschaft von Hammelburg kommt. Und die Unserigen müssen daherunter in die Mühl und teils in Wald zurück, daß sie Feuer machen können.«

Eustach von Thüngen: »Ja, wann wir den Sodenberg hätten, da wärs leicht, könnten geruhsam oben sitzen und käm uns keiner aus. Der Reußenberg liegt ein wenig zu weit ab der Straß.«

Heinz Kottwitz: »Ist der alte Neidhard droben?«

Jörg von Thüngen: »Ja, aber ist nichts von ihm zu besorgen. Er ist gar krank und liegt zu Bett. Acht, er wirds nimmer lang tun und vielleicht gar nimmer aufstehn.«

Wilhelm Fuchs: »Wär er schon tot, hätten wir auf dem Sodenberg ein gut offen Haus.«

Fritz von Thüngen: »Du sprichst schön von meinem Bruder!«

Wilhelm Fuchs: »Na – ihr habt doch immer ohne einander sein können.«

Heinz Kottwitz: »Soll öfter so sein unter Thüngischen Gebrüdern und Vettern.«

Einige lachten.

Fritz: »Ich hört, von denen Kottwitz, Adelsheim und dergleichen Art stünden auch wunderselten zwei in einem Stall. Wie dem auch sei, und konnten wir einander auch gern entraten, mein guter Bruder Neidhard und ich, das will ich doch nit leiden, daß ihm einer den Tod wünscht, wann ich dabei sitz.«

Wilhelm Fuchs: »Also dann geh hinaus. Ich bin dem Alten gar gram, denn er nimmts gar zu genau mit der Ritterehr. Und acht, er hab dahier am Tisch kein bessern Freund dann mich, seinen Bruder und Vettern nit ausgenommen.«

Mangold: »Laßt ihn leben und sein, wie er ist. Er ist ein treuer Ritter und großer Kriegsmann; wollt, er hielt uns zu. 225 Hab mich oft hart mit ihm geredt, aber nie kein Falschheit von ihm erfahren. Hätt er jetzt einen Anschlag wider uns, er ließ uns zuvor absagen. Er ist nit so wie der Bauerngraf zu Wertheim. Itzt aber nimmer viel geteidingt, es ist nit Sattelhenkens mehr. Das wollt ich euch noch sagen: Haltet mit den Gäulen gut ein Schritt dreihundert oder viere von der Straßen ab, daß keiner wiehert, so die andern heranrucken, und muß Fußvolk zunächst der Straßen sein, das fällt die Nürnbergischen mit Geschrei an und ist ihnen solang auf dem Pelz, bis die Reuter nachkommen. Die Reuterhaufen aber müssen schön verteilt sein zu beiden Seiten im Holz und vorn und hinten, daß uns keiner entrinnen mag.«

Jörg von Thüngen: »So haben wirs mit Kunz und Zeisolf von Rosenberg oben schon ausgeredet und eingericht. Ihr braucht nur mehr in Stellung ziehn und habt die Seiten im Holz herunter gen Weikersgrüben zu und vorn gen Aschenrod.«

Mangold: »Gut. Und ihr nehmts in Achtung und sagts auch euren Leuten, daß sies achten: der Tucher, das ist ein dicker, großer Mann mit braunem Bart, daß mir der nit erschlagen oder gefährlich verwundt wird. Wir müssen ihn lebendig haben. Und, versteht sich, auskommen darf er auch nit.«

Eustach: »Wollens in Acht nehmen. Aber sag, wo solls dann hin mit dem Gefangenen und den Gütern?«

Mangold: »Die müssen wir teilen in alle Wind, damit daß die Nacheil, so die Fuldischen oder die Nürnbergischen ein Geschrei höben, desto schwerer wurd. Drum ein Teil auf den Reußenberg, ein Teil nach Burgsinn, Zeitlofs, Aulenbach und Rüdickheim, nach Urspringen nichts, weil man sich des Grafen von Wertheim versehen muß, und der Tucher, der muß mit mir auf den Brandenstein. Werden aber keine Güter dabei sein, die viel Wert haben, nur Gefangene.«

Jörg: »Die tun am besten bei uns auf dem Reußenberg. Sollens die von Fulda und Nürnberg nur wissen, daß sie da liegen. Mit dem Stift steh ich ohnedem in Handlung und der Stachus auch und die Voitischen und Heinz Kottwitz nit minder, kommt uns der Fang eben recht. Und der 226 Reußenberg ist fest genug; hat sich der Bischof Johann von Würzburg vor 80 Jahren erst den Schädel dran eingerannt.«

Mangold: »Macht das, wie ihr wollt. Nur muß es beschlossen sein, daß dann kein Trendeln und Umscheißen sei. Denn ich pack den Tucher und trag ihn eilends fort mit mir auf mein Nest, kann mich um euch nimmer viel scheren.«

Die Tür ward aufgestoßen, und Lenhard Schupff mit Zapfen im Bart und bereifter Pelzhaube, dem Knecht Ruprecht nicht unähnlich, trat ein. »Meine Herren schicken mich eilends,« sprach er, »es ist Botschaft kommen, die Nürnberger sind nach elfe zu Hammelburg aufgebrochen und ziehn unter Saaleck her gen Eschenbach herauf, ein Schlitten vierspännig mit guten, schnellen Gäulen und bei dreißig Reuter Gleit. Ein Nürnberger Ratsherr, der soll im Schlitten sein.«

Mangold: »Dreißig Reuter, da sind wir nit viel über. Rösch auf die Gäul! Und die Fäust gut um die Griffe, es wird nit just hergehn wie Mehl und Butter.«

Die Junker sprangen auf. Wilhelm Fuchs stieß den schlafenden Nebukadnezar an. Er riß die Augen auf und starrte umher. »Nun hat er alles verschlafen!« lachte der Fuchs.

Fritz von Thüngen drauf: »Er schlaft nur auf den Wirtsbänken, einmal ein Stund, wieder einmal eine Stund oder zwo, dann saufen, dann reiten, dann saufen . . .«

Wilhelm Fuchs: »Alter, auf! Jetzt weißt du erst garnichts von dem, was du tun sollst.«

Nebukadnezar sich mühsam erhebend: »Nu – was wirds sein! Halten, dreinschlagen, fangen. Das treib ich länger dann dreißig Jahr und brauch keine Lehr dafür. Dann wie ich halten und reiten muß, das weiß ich schon, und was mir begegnen mag, das kann mir keiner sagen.«

Wilhelm Fuchs: »Aber den Nürnberger Ratsherrn, den sollst du leben lassen, hörst du?«

Nebukadnezar: »Versteht sich, es geht um die Woll mehr dann um den Hammel. Stößt er mich nit, stoß ich ihn nit wieder. Aber mein Leben ging mir vor, so schlecht es ist.«

Sie tranken aus und verließen die Mühle. Draußen ward aufgesessen. Der Roßmüller und die Bärbel hatten es eilig, 227 umherzulaufen und noch dem und jenem einen Becher heißen Weines zu bringen.

»Trudel!« keifte die Alte. »Trudel! . . . Wo die Leische wieder stecken mag! Immer wann man sie bräucht, ist sie nit da!«

Der Pfeifer erschien in der Tür, zog sich die Handschuhe an und hastete dem Stall zu. »He!« sagte der Schau, der unten gerade seinen Gaul herausführte. »Der Harnisch steht dir halb offen da unter der Achsel.«

Der Pfeifer, den Arm hebend: »Geh, schnall mir ihn zu.«

Der Schau, den Riemen anziehend: »Ja, wann einen Maidlein rüsten!«

Der Pfeifer machte seinen Schimmel fertig, zog ihn hervor und schwang sich in den Sattel. Die Trudel sah oben zum Fenster heraus. Er warf ihr eine Kußhand zu und sprengte den anderen nach.

Sie ritten das schmale Seitental hinauf. Im Dörflein Weikersgrüben, das den Thüngischen Ganerben zum Reußenberg gehörte, fanden sie die wehrhaften Bauern auf und um den Ort herum Wache halten, daß keiner heraus oder hinein könne, er wisse denn die Losung. Mangold hielt an der Wegkreuzung und befahl den Pfeifer und den Schau zu sich.

»Ihr reitet da rechts den Weg auf Aschenrod hinauf,« sprach er, »und haltet zu äußerst nach vorn zu Roß. Es hat da ein Gestrüpp, das mag euch bergen. Die Nürnberger haben gewißlich zwei Vorreiter auf ein Schritt hundert oder zwei vor den andern. Die laßt ganz still fürbaß, und wann ihr hört, daß hinten die Sach anhebt, dann ihnen nach oder sie aufgehalten, so sie zurücktrachten, und sie niedergemacht.«

Die beiden taten, wie ihnen geheißen, bogen in die bezeichnete Richtung ab und ritten im hohlen Weg hinauf. Oben auf dem Höhenrücken an der Straße, die von Hammelburg nach Schönau im Saaletal und Gemünden führt, fanden sie einen Bestand von jungem Laubholz, zumeist Eichen, die noch voll welker Blätter starrten, und suchten sich darin einen Platz, wo sie geborgen waren und doch ziemlichen Ausblick hatten. Zur Linken sahen sie die Forchengehölze an der Straße hinauf 228 und dahinter den ragenden Klotz des Sodenberges mit der dunklen Burg und dem rötlich glühenden Fensterauge; vor ihnen weit leuchtete die sacht gen Mittag hinabsinkende Talbreite um Höllrich. Da spähte auch der Reußenberg mit seinem Schloß flimmernd herüber. Und wenn man sich ganz umwandte, sah man nordwärts fern überm Saaletal und den Wäldern die Rhönkuppen zart im Mondesduft hingezogen.

Es war so still, daß sich jedes Schnauben der Gäule und Rascheln im steifen Dürrlaub weit hörbar machte. Der Schau fand es für gut, seinem Gaul einen Futtersack vor die Schnauze zu binden, saß ab und tat es. Das dämpfte sein aufgeregtes Blasen und hinderte ihn in etwa am Wiehern. Dann stieg er wieder auf, und sie hielten und horchten in die starre, taghelle Nacht hinaus. »Blau!« flüsterte der Schau nach einer Weile, »ich reit lieber einen halben Tag Trab, als so zu stehen. Mir wachsen die Eisnadeln in den Zehen, ohngeacht ich Stroh um die Bügel und Hasenfell im Stiefel hab.« Der Pfeifer zog die Handschuhe ab, hing sie übern Sattelknauf und rieb sich die Finger. »Das verfluchte Blech,« meinte er, »das ist wie Eis. Und faßt mans an, bleibt einem das Fell dran kleben.« Sie schwiegen und harrten. Nach einer Weile sah der Schau zum Mond auf. »Es muß eine Stund nach Mitternacht sein. Daß sie noch nit kommen!« Wieder warteten und lauschten sie. Hinterm Hügel in Aschenrod bellte immerzu ein Köter, und in den Wäldern an der Saale erwachte ab und an ein Wolfsheulen oder ein Eulenruf. Die Schneelandschaft glitzerte und flimmerte. Die grimme Kälte machte Roß und Reiter schläfrig. Sie ließen abwechselnd die Köpfe hängen, fuhren wieder auf, schüttelten sich, streckten und rieben die Glieder, wippten in den Bügeln.

»Horch!« zischte der Pfeifer. Auf einmal waren sie alle beide ganz wach und warm. Längs der Straße kam gedämpftes Pferdegetrappel heran und wurde immer vernehmlicher. Dann schwoll es wieder ab. Die Reiter schienen in Schritt zu fallen. Es knirschte und knarrte wie von Schlittenkufen auf bloßem Boden. Plötzlich ein Rosseschnauben ganz nah und Stimmen. Zwei Reiter tauchten auf. Sie zogen im Schritt einher und hielten genau vor ihnen auf der Straße 229 still. Der Braun des Schau spitzte die Ohren und schnob in den Futtersack. Sein Reiter ließ ihn mit einem Ruck die Stange fühlen, der Pfeifer schlug ihn leicht auf die Schnauze.

Die Reiter auf der Straße wandten sich um. »Warum kommen sie nit nach?« sagte der eine. Der andre drauf: »Es hat da eine Wächte und daneben ist der Schnee als abgeweht, da geht der Schlitten hart drüber, und müssen wohl anschieben.« Der erste: »Es hat nit gar viel Schnee. Ich sagts, ein Wagen wär besser gewesen.« Der zweite: »Macht aber Lärm weithin.«

Sie hielten und schwiegen. Der Braun des Schau, das dumme Tier, wollte durchaus nicht mehr still bleiben. »Horch!« riß es den einen der Reiter, »da ist was in den Sträuchen!« Der andere: »Mag sein ein Has.« Der erste hineinspähend: »Mir war, ich hätt glühe Augen gesehn.« Der andere: »Das sind Wölf. Vorhin im Wald hinter Saaleck sah ich auch ihre Augen glühn. Die lockt der Geruch von Menschen und Roßfleisch an. Komm. Sie fahren wieder.« Sie setzten sich in Bewegung. Der Gaul des Schau war nicht mehr zu halten. Wie er ihn auch im Maul riß und die Sporen eingrub, er warf den Kopf auf und prustete wiehernd in den Sack. »Jetzt los!« schnob der Schau. Sie senkten die Spieße und fuhren aus dem Gestrüpp heraus. Der Schau prellte mit dem einen Reiter zusammen, der andere flüchtete gradaus und hob ein Geschrei. Ihm setzte der Pfeifer nach. Sie jagten eine Strecke auf der glatten Straße hin, bis eine Biegung kam. Da rutschte das Pferd des Reiters, kam auf die Knie und schlitterte über den vereisten Boden, daß es Funken stob. Der Pfeifer traf den Knecht mit der Lanzenspitze zwischen Helm und Halsberge hinten hinein. Er schrie auf und stürzte. Der Pfeifer fing den ledigen Gaul, der sich wild aufrappelte, und sah auf den Reiter hinab, der jammernd da lag. Ein dunkles Blutschlänglein kroch unter seinem Helm hervor und ringelte sich im Schnee. Der lange Hans kehrte sich und galoppierte, den gefangenen Gaul am Zügel, die Straße zurück, um die sich ein gewaltiger Lärm erhoben hatte. Reiter umjagten einander im mondhellen Feld mit Geschrei und schlugen sich Mäuler und Nasen blutig. Der Schau und der 230 Fuldische Knecht prügelten mit Lanzenstümpfen aufeinander los. Der Pfeifer half ihm, den Gegner erledigen, indem er diesen anritt und aus dem Sattel warf. Das weitere dem Genossen überlassend, stürmte er fort, dem Kampf zu, und ließ unterwegs den fremden Klepper fahren. Ein Mann lag quer über der Straße auf dem Gesicht und röchelte, ein gestürztes Roß stöhnte im Straßengraben, ein paar Leute schlugen sich zu Fuß herum. Auf der Straße mitten im Haufen der Balgenden stand ein vierspänniger Schlitten. Die Vorauspferde waren zur Seite gesprungen und bis zum Bauch in einer Schneewächte versunken. Fußknechte waren ihnen in die Zügel gefallen. Der Kutscher brüllte und schlug wild mit der Peitsche drein. Unter der Plache, die den Schlitten überwölbte, sah halb aufgerichtet ein in Pelz gehüllter Mann hervor. Mangold von Eberstein hielt daneben. Sie stritten miteinander. »Ich hab Geleit vom Reichsregiment! Im Namen des Kaisers laßt mich reisen – bei Acht und Bann! –«

»Das kann Euch nit helfen, Herr Tucher,« rief Mangold. »Ihr müßt gefangen sein.«

Der schreiende Kutscher ward vom Sitz gezerrt und in den Schnee geworfen, daß eine glitzernde Wolke aufstob. Ein Ebersteinischer Knecht sprang auf den Bock und ergriff die Zügel, ein anderer zum Tucher hinein. Die Pferde wurden auf die Straße zurückgerissen, die Peitsche knallte, hinten ward angeschoben und hui! gings dahin. Ein geharnischter Reiter stürmte auf Mangold los und schrie: »Fuldisch her zu mir! . . .« Mangold parierte seinen Streich mit einem Hammer und schlug zurück, daß der Helm krachte. Der Fuldische wankte, und zugleich brach unter ihm das Pferd zusammen, dem ein Fußknecht den Spieß hineingerannt hatte. Mangold schrie: »Blau – weiß! Bald wart auf mich!« – wandte sein Roß und hinterm Schlitten her. Einige folgten ihm, darunter der Pfeifer. Der Schlitten bog in den Abweg zu Tal – holterpolter! – und fuhr den Gäulen in die Hacken. Der Fahrer stieß den Bremsstachel ein. »Halt, zurück!« schrie er. Zwei Knechte, die hinten aufgesprungen waren, hingen sich in die Kufen. Mit Rutsch und Stoß und Hin 231 und Her gings den Hang hinab. »Pfeifer!« rief Mangold, »reit zuruck und schau, wies weiter geht!« Noch einmal jagte der Pfeifer ins Kampfgetös und stieß auf Fritz von Thüngen.

»Wie stehts?« fragte er. »Gut, soviel ich sehn kann,« versetzte der. »Wir sind über.« Eben kam Zeisolf von Rosenberg auf dampfendem Roß aus dem Wald heran. »Sie fliehen,« sprach er, »so viel ihrer noch frei und im Bügel.« Die Straße zurück und beiderseits im Holz ging eine wilde Hetze mit großem Geschrei an. Mehrere Thüngische und Rosenbergische Reiter kamen mit Gefangenen. Einzelne Paare schlugen sich noch abseits im Feld herum, ledige Pferde liefen dazwischen, Gefallene lagen bei verlorenen Helmen und Lanzentrümmern. Nebukadnezar und sein Knecht brachten einen, der noch immer Versuche machte, sich zu wehren. »Das ist ein weidlicher Gesell,« rief der Voit. »Hat mir hart zugesetzt und mich verwundt, gefällt mir aus der Maßen. Fritz, wann du den brauchen könntst, den gönnt ich dir. Laß ab,« sprach er zu dem Gefangenen, »und gib dein Gelübd. Magst uns ein oder andere Reis dienen, wann du willst. So du aber itzt noch davon trachtest, oder auf meinen Schaden sinnst, müßt ich dich vom Leben ab bringen; wär mir leid, bist ein braver Bursch.«

»Ist das Herr Fritz von Thüngen?« fragte der Mann. Und als es bejaht wurde, sagte er: »Dem will ich dienen.«

Der Pfeifer rief zwei Fußknechte mit Spießen an, die vorbeikamen: »Wer seid ihr?« »Bauern aus Höllrich,« versetzten sie. »Geht da hinauf gen Aschenrod,« schuf er ihnen, »da liegt einer, den hab ich niedergerannt und hart verwundt. Klaubt ihn auf.« Die Bauern gingen in die gewiesene Richtung. Der Pfeifer kehrte sich und jagte gegens Dorf hinab.

In Weikersgrüben war schier alles auf den Beinen und lief gaffend zusammen, als der Schlitten und die Reiter im Galopp durchsausten, daß der Schnee hinterher stob. Erst bei der Roßmühle unten befahl Mangold Halt. Der Müller wurde herausgeholt und mußte Wein bringen. Mangold war abgesessen und trat mit einem rauchenden Becher zum Schlitten. Er hob die Plache auf. 232

»Nun willkommen, Herr Tucher, in meiner Haft,« sprach er. »Habt keine Sorg, Ihr sollt ritterlich gehalten sein. Da trinkt, wir haben noch eine gar lange Fahrt.«

Der Tucher sah hervor: »Ist das Euer Schloß?« fragte er verwundert.

Mangold verneinte es lachend.

Der Tucher drauf: »Eh ich trink, sagt mir, wes Gefangener ich sein soll.«

Mangold: »In der Odheimerin Namen seid Ihr gefangen von mir, Mangold von Eberstein.«

Der Tucher seufzte und sah düster vor sich hin.

»Was ist dran?« ermunterte ihn der Ritter. »Krieg ist Krieg. Bin auch schon etlichemal gefangen gelegen und ward immer gut gehalten, bis einmal in einem schwäbischen Städtlein; da freilich ist mirs übel ergangen im Turm, und wollten mich auf den Tod bringen, die Lumpen; habs ihnen auch, nachdem ich ledig geworden, heimgezahlt, daß sies noch heut gedenken mögen. An Euch selber hängts, daß Ihr nit lang lieget. Bringt Eure Stadt zu einem guten Vertrag, und Ihr werdet frei.«

Der Tucher abermals seufzend: »Es ist ein Unglück, ein großes Unglück! Wüßt nur bald mein Weib, daß ich leb,« setzte er hinzu.

Mangold drauf: »Das soll sie wissen und in wenig Tagen schon, dafür laßt mich sorgen. Nun trinkt und seid fröhlich!«

Der Tucher: »Seis denn, wie Gott will. Ihm befehl ich mich und eurer Ritterlichkeit, Herr von Eberstein.«

Er trank und Mangold trank ihm zu. »Auf Treu um Treue!« Indem kamen einige Reiter den Weg herab. »Wer ists?« rief der Junker. Es war Fritz von Thüngen mit Knechten von Zeitlofs und vom Brandenstein. »Hat all gut gegangen,« sprach er, sich abwerfend. »Achtzehn oder zwanzig mögen gefangen sein, sechse, siebene beiderseits liegen verwundt oder tot, die übrigen hat der Reißaus gepackt und fegt sie gen Hammelburg zurück. Dein Knecht, der Aschmesser, ist verwundt, aber nit schlimm, er kann zu Pferd nach, und meiner Knechte einem ist der Gaul erstochen worden, und mich hats da im Arm ein wenig gefleischt von einem Stich. 233 Das Jagen hinterher hab ich nimmer mitreiten wollen; mag sein, sie fangen noch ein paar dabei.«

Er hatte sich auch einen Becher bringen lassen und trat zum Schlitten heran. »Euer Wohl, Herr Tucher,« sagte er. »Gedenk ichs recht, so sind wir anno 85 zu Heidelberg zusammen gewest als Studenten, bin der Fritz von Thüngen.«

»Potztausend!« rief der Tucher, »du schöne Zeit! Ich gedenk es wohl und gern. So wär ich dann schier bei alten Freunden?«

Fritz: »Das seid Ihr, und daran ändert das bißle Krieg nichts. Ja zu Heidelberg, da ward viel getrunken und wenig studiert. Die Jura und Philosophie, die hab ich weidlich verschwitzt, aber Saufen und Fechten, das kann ich noch und hoff, auch Ihr!«

Der Tucher: »Traun – und jung seid Ihr geblieben!«

Fritz lachend: »Wenigstens im Mondschein!«

Der Tucher: »Noch ganz die gleiche ranige Person. Und wie Ihr reiterlich die Beine setzet, daran hätt ich Euch wiedergekannt.«

Er trank und hob den Becher: »Heidelberg!« sprach er sinnend. »Das Wort ist als ein Frühlingslüftlein voll Blütenduft trotz Winternacht und Gefängnus.«

»Alsdann auf eine fröhlich Haft!« sagte Mangold. Sie schüttelten einander die Hände. »Und itzt müssen wir weiter,« fuhr der Ebersteiner fort. »Ich bitt Euch', schaut nit umher im Fahren und trachtet nit davon auf Ritterwort. Mein Mann, der bleibt bei Euch sitzen da, daß es Euch leichter wurd, soll Euch aber sonst zu Diensten sein, so Ihr was bedürfet. Habt Ihr auch warm genug? – Schön. – Dann gut Nacht!« Er ließ die Plache fallen und rief: »Aufgesessen!«

Der Pfeifer nahm sich Urlaub. Die andern legten sich um den Schlitten und trabten mit ihm fort.

 


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