Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Blätterfall

Auf dem Brandenstein bollen die Hunde. »Hui!« sprach der Pfeifer zum Schau, der ein Roß an der Stalltür striegelte, »heut hats wieder scharpfe Luft im Frauenzimmer! Ich heb mich von hinnen und hinab nach Elm ins Wirtshaus. So mir wer nachfragt, ich bin ausgeritten.«

Er sah nach der Kemenate um, wo eben zwei Mägde wie gescheuchte Hennen aus der Tür flatterten. Hinter ihnen heftig scheltend gellte die Stimme der Burgfrau im Treppenturm. Der lange Hans, die Daumen im Gurt und ein Liedchen pfeifend, strebte mit langen Schritten dem Tor zu.

Es war ein rastloses Kommen und Gehen im Schloß. Fremde Reiter standen, saßen und schlenderten müßig herum; Boten brachten Nachrichten und harrten der Abfertigung; draußen im Vorhof hockten stumpfsinnig zehn oder zwölf Bauern, die man bestellt hatte, um ihnen Arbeit anzuschaffen. Und alles wartete auf den Herrn, der ausgeritten war. Der Vogt Peter, auf einen Stock gestützt, ging hustend umher. In seinen eingesunkenen Augen war der müde, unglückliche Blick versagender Kräfte. Er konnte des Wirrwarrs, der einriß, nicht mehr Herr werden wie früher, wo außer der Herrschaft in Haus und Hof kein Wesen, Mensch oder Tier, anders wollen durfte, als er im Sinne seines Junkers es wollte. So beschränkte er sich darauf, bald mit Schritten, bald sitzend mit den Augen einem seltsamen Kerl zu folgen, der langsam alle Orte und Winkel beider Höfe abging. Der wandelte wie im Traum, hielt eine zwieselartig geschnittene Weidengerte vor sich in beiden Händen mit dem Winkel aufwärts, ließ sich durch nichts stören, wandelte und machte ein verklärtes Gesicht dazu. Es war ein Rutengänger, den man berufen hatte, um Wasser zu finden. Der Vogt hielt 332 nichts von solchen Zaubereien. Ein verständiger Sinn und eine tüchtige Hand waren nach seiner Meinung der einzige Zauber, der für kriegerische und friedliche Dinge wirksam angewendet werden konnte. Aber der Herr hatte den Gaukler kommen lassen; so mochte er sein Wesen treiben, damit die arme Seel eine Ruh habe. Wasser gabs ja doch keins auf dem Schloßberg.

Auch die Helena und der Jörg Dietz schauten im obern Hofabsatz stehend ihm zu und schäkerten dabei miteinander. So bemerkten sie nicht, daß jetzt die Herrin mit sehr rotem Gesicht aus der Tür geschossen kam. Erst der im kraftvollen Takt des Schrittes rasselnde Schlüsselbund scheuchte sie auf. Aber da wars zu spät.

»Da steht nun das gnädige Fräuln wieder und laßt sich hofieren,« ward die Helena angefaucht. Und Blitze sprühten dabei die beweglichen Augäpfel, deren starkes Blau wie auf Porzellan gemalt schien. »Schier drei Dutzend Mäuler zu füttern im Haus, Schwein schlachten, Backen, Nähen, Bauen, und in acht Tagen eine Hochzeit dazu, werden einem alle Mägd irr vor Arbeit, und möcht man selber zwölf Händ und Füß haben; aber die Stadtleut feiern und stehn einem noch überall im Weg obendrein. Fort, Jungfer Nichtsnutz, scher dich in die Küch, da kannst du Rüben schaben. Und ihr, Herr Magister . . .«

Die Odheimerin, die still nähend in der Laube an der Stallmauer gesessen hatte, war herzugetreten. »Kann ich Euch was helfen?« fragte sie sanft.

»Ja!« schnob die Hausfrau fort und dem Backhaus zueilend. »Hütet Euer saubers Töchterlein besser.«

Vor der Tür zur Backstube stand just der Quellenfinder. Er hielt die Wünschelrute, jedes Ende behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger, vor der Brust und lächelte geheimnisvoll. »Kein Wasser nirgend,« sprach das verklärte Gesicht. »Esel – so mach eins . . .« fuhr es ihn an. Er taumelte unsanft zur Seite gestoßen, die Rute schnappte nieder, als spüre sie plötzlich gerade da eine Wasserader unter der Erde, und die Herrin rasselte in die Tür. Der Mann sah ihr verwundert nach, schüttelte das Haupt, richtete das Zweiglein 333 wieder auf und traumwandelte geduldig weiter, ohne sich um das Gelächter der herumstehenden Reiter zu kümmern.

Die Odheimerin, nachdem sie ihrer Tochter befohlen hatte, dem Geheiß der Burgfrau zu folgen, ging langsam zur Laube zurück. Müd sah sie zum Nußbaum empor, der welkend in den windstreifigen Himmel starrte und manchmal ein braunes Blatt fallen ließ. Die purpurnen Wildweinranken der Laube, schon gelichtet, bewegten sich leise; Tisch, Bank und Boden waren mit rotem Laub überschüttet. Sie nahm die Arbeit wieder auf, ließ aber oft die Nadel sinken und blickte traurig sinnend hinaus ins herbstliche Tal und zu den bläulichen Waldhöhen hinüber.

Der Jörg Dietz sah mit einem spöttisch betretenen Lächeln der unwirschen Herrin nach und begab sich zur Kaplanei. Im Vorraum der Kapelle blieb er überlegend stehen, trat noch einmal unter die Tür, sah verstohlen in den Hof zurück und wischte dann flugs die kleine Schneckenstiege hinauf. Er klopfte beim Tucher an und schlüpfte, ohne auf das Herein zu warten, in die Stube. Herr Endres saß am Tisch und las in der Bibel. Der Jörg legte den Finger an die Lippen, zog ein gefaltetes Blatt aus dem Wams und reichte es dem Nürnberger. »Schnell!« flüsterte er, »leset und tut es so ins Buch, daß Ihrs verstecken könnt, wann wer kommt. Erwischen sies, so ist alles verloren.« Während der Tucher das Blatt entfaltete, das mit »Copia« bezeichnet war und eilig geschrieben schien, huschte der Jörg wieder auf den Gang hinaus, um aufzupassen. Der Ratsherr las:

»Wir Karl der Funfft von Gottes Gnaden, erwelter Romischer Kayser zu allen Zeiten merer des Reichs usw. in Germanien zu Hispanien baider Sicilien zu jherusalem Hungern Dalmatien Croatien usw. konig, Erzherzog zu Österreich, Hertzog zu Burgund usw., Grave zu Habspurg, Flandern und Tyrol usw. Entbieten unsern und des Reichs erwirdigen andechtigen und durchlauchtigen Kurfursten, Fursten, Ertzbischoven, Pfalzgraven, Markgraven, Bischoven, unsern Graven, Burggraven und Herren, unsern und des Reichs rittern und adel gemeiniglich, den Burgermeistern, rittern und Burgern gemeiniglich der Stet zu Nürnberg, 334 Rottenburg, Bamberg, Wirtzpurg, zu Mainz, zu Frankfurt und sunst allen andern unsern und des Reichs lieben getreuen und undertanen, den dieser Brief gezeiget wirdt, unser gnad und alles gut. Lieben Getrewen, wiewol wir auf jungst abgehaltenen Reichstag zu Worms neben andern die schwinden und aufsetzigen beschuldigungen, raubereyen und plackereyen so hin und wider im heiligen Reich beschwerlich erscheinen, sünderlich betracht wie denen mit notdurftiger ansehung und statthafter abwendung begegnet werden mochte, und darauf unnder andern Fursehungen den gemeinen voraufgerichten und erklerten Landfride sammbt des Reichs Stenden mit etlichen zuesetzen und erweitterungen gebessert von newen aufgericht beslossen und den ernstlich und verstigklich zu halten und zu voltziehen uns gegeneinander verpunden und verpflicht, befohllen und gesetzet; so haben wir doch scheinbarlich befunden, das sollichs unangesehen frevel und aigen gewaltige Tatter auß posser gewonheit und verstopffung Irer ungehorsam Manng. von Eberstein und seine Helfer on underlaß auf unnser und des heiligen Reichs straßen mit angreiffen, Niederwerffen, Rauben, vahen, schetzen enthalten und in ander grausam wege berurtem Landfriden und allen andern Erbarn gesatzen unnd ordnungen straks zuwiderhandlen durch welliche trutzliche schedliche und unleidliche beschwarden sayen wir als Romischer Kayser aus aigenschaft unseres Ambts hochlich geursacht und gedrungen gegen genannten Manngen von Eberstein und seinen Helffern als Landfridbrechern beschedigern und Tattern zu voltziehung desselben unseres voraufgerichten Landfridens ernstliche Execution wie sich geburt furzunehmen. Und tun euch allen und yglichen kund mit diesem brief, daß wir zu acht und aber acht getan haben vorgenannten Mang. von Eberstein und Agathan Odhaimerin und Ire Helffer und haben In genommen alle recht und freiheiten und Sy und ir yglichen gekundet, gesetzet und genommen aus allem frid in allen unfride, aus aller trew in alle untrewe und verbotten iren frunden und iren feinden und sunst allermenigklich erlaubt ir leib und gut von klag wegen Unserer und des Reichs lieber getrewer Stat Nürnberg. Darumb 335 gebieten wir euch allen und ewer yglichen von Romischer kayserlicher macht ernstlich und vestigklich mit diesem Brief und wollen das ir die obgenannte aberechter furbasser weder hauset noch hofet, esset noch trenket, sunder sy meidet und alle die ewern meiden heißet mit aller gemeinschafte kaufen verkaufen oder wie die genannt sei in allen ewern festen steten und gebieten, und wer der oder die weren, der oder die das nit enteten, der oder die weren und teten sehr wider uns und das heylig Reiche und sollten auch in solliche Peen und aberacht verfallen seyn als die obgeschriben aberechter. Auch ist unser meynung wer der egenannten aberechter leib oder gut besampt oder besunnder angriffet leydiget oder bekummert der soll wider uns und das heylig Reich noch wider kein gerichte geistlichs noch weltlichs, landfrid, landgericht, freiheit noch gewonheit nit gefrevelt noch getan haben sunder unnser und des Reichs huld und gnad darmit verdienen.

Geben in unser und des reichs stat Nürnberg am funften Tag des monats Oktober nach Christi geburd funfzehnhundert und im ain und zwanzigsten unser Reiche des Romischen im dritten und der andern aller im siebenden Jare.«

Der Tucher hatte noch nicht zu Ende gelesen, als Jörg wieder hereinschloff. Herr Endres legte das Blatt bedächtig zusammen und gab es ihm zurück. Jörg ließ es rasch im Wams verschwinden, seine Hände zitterten dabei, sein Antlitz war blaß, und einige Schweißperlen hingen an seiner Nase. Der Tucher stand auf und trat mit den Händen auf dem Rücken zum Fenster. »Woher hast du das?« fragte er.

Jörg flüsternd: »Die Nürnberger habens geschickt. Die Post so ich eingericht, geht fürtrefflich.«

Der Tucher begann hin und her zu schreiten. Der Schüler sprach hastig fort: »Das kaiserliche Verdikt ist noch nicht ausgangen, es weiß no gar niemand davon. Es ist Zeit, Herr Tucher, daß Ihr Euch aufmacht und entflieht. Ich hab alles bereitet.« Er öffnete die Tür auf einen Spalt, lugte hinaus, horchte und schloß sie wieder. »Zu Schlüchtern,« fuhr er fort, »werden zwei Nürnbergische Kaufleut mit ihren Knechten, bewaffnet alle, auf Euch warten. Die bringen Euch auf 336 Gelnhausen, wo mehrere noch liegen und harren werden. Von da geht Ihr mit sicherem Geleit bis Frankfurt; dort seid Ihr schon unter Freunden und mögt das Weitere abwarten oder bei guter Gelegenheit und mit großem Geleit auf Nürnberg reisen.«

Der Tucher: »Schön. Und wie komm ich hier heraus?«

Der Jörg: »Ich weiß einen Bauern namens Reschhaber, der hat viel Gunst hier im Schloß, ist aber der Salpeterer einer und dem Joß Fritz, auch dem Leutpriester zu Hutten gut freund. Den Joß Fritz hat er schon oft bei sich beherbergt. Von dem Reschhaber kriegt Ihr einen Kittel, Schuh und Hut, die bring ich Euch heut oder morgen zur Nacht herauf. Dann müßt Ihr Euch den Bart scheren und auf ein Zeichen, so Euch der Reschhaber wird geben, kommt Ihr herab, wann es Abend wird, und geht mit den Bauern, so itzt an den Mauern und Brunnen arbeiten, hinaus. Es merkts niemand; nicht einmal die, mit denen Ihr gehen werdet, könnens merken, daß ein Fremder dabei, weil schier jeden Tag andere Leut zur Arbeit kommen.« Abermals lugte und lauschte er auf den Gang hinaus. Dann raunte er weiter: »Der Vogt Peter, vor dem müssen wir uns hüten, und so der noch gesund wär, wurd uns die Flucht schwer ankommen. Aber der ist hin, und wann es Abend wird insonderlich, da kriegt er allemal das Fieber und kanns nimmer schaffen mit dem Aufpassen bei so vielen Leuten. Auch ist ein anderer da, der uns helfen will, der Hans Kürn, den sie des Züricher Knecht nennen. Das hat er aber nur gesagt, daß er Geld kriegt. Er ist ein schlimmer Gesell und hält da oder dorthin, wo Geld herausschaut. Der will für guten Lohn – zehn oder funfzehn Gulden – uns dienen. Er reitet oft aus in Sachen des Züricher und wird Euch sein Pferd leihen und auf Euch bei Elm in der Nähe warten.«

Herr Endres hatte, nah vor dem Dietz stehend, aufmerksam zugehört. Nun tat er wieder ein paar Schritte auf und ab und strich sinnend den Bart. »Schön,« sprach er, »alles sehr schön und fein ausgedacht. Und – es könnt auch schief gehn trotzdem. Aber . . .« er wandte sich herum und blickte dem Jörg scharf in die Augen, »aber eines hast du vergessen: 337 mein Wort, das ich dem Ritter gegeben, daß ich nicht trachten würde zu entfliehen. Und das will ich halten, zu allererst weil ein Wort ein Wort ist, und dann justament, weil die Junker immer sagen, eines Kaufmanns Wort sei keines, und hab noch kein Nürnberger insonderlich Wort gehalten.«

In des Jörg Dietzen wässerigen Augen leuchtete sieghaft die Schläue auf. Er lächelte und drückte die Hand auf jene Stelle der Brust, wo der Achtbrief stak. »Herr Endres,« sprach er und neigte fast neckisch den Kopf zur Seite, »alle Ehr Eurer festen Treue, ob ich sie gleich für übel angewendet acht in solchem Handel. Aber Ihr mögt außer Sorge sein. Euer Wort ist nichtig und dahin. Habt Ihrs nit gelesen, was des römischen Kaisers Majestät setzet und gebietet? Der Ebersteiner und die Odheimerin hat er gesetzet und genommen aus allem Fried in allen Unfrieden, aus aller Treu in alle Untreue . . .«

Der Tucher trat überrascht einen Schritt zurück und schwieg. Dann musterte er den Jörg vom Kopf bis zum Fuß und vom Fuß bis zum Kopf wohl dreimal und sagte: »Potztausend! Du bist ein trefflicher – römischer Jurist! Glück wünsch ich allen deinen Klienten.«

Er wandte sich kurz und ging etwas schneller hin und her.

Der Jörg spähte wieder hinaus. »Nun?« sagte er dann, die Tür zudrückend.

Herr Endres blieb stehen und seufzte: »Eine schwere Sach.«

Der Jörg drauf: »Bedenket, nun gilts die Stadt Nürnberg, unsre Vaterstadt.«

Der andere: »Ich wills bedenken.« Irgend etwas zuckte über sein Gesicht. Er kehrte sich. »Und du? – fliehst du mit mir?«

Der Jörg runzelte die Stirn ein wenig. »Das weiß ich noch nit recht, wie wir das machen wollen,« sagte er fast verlegen. »Werd ich erwischt, dann gehts mir schlimm. Ich dacht, ich sollt unterweilen auf den Steckelberg gehn. Es ist dort dermalen ein großer Doktor des Rechts, der soll mich prüfen, was ich gelernt hätt . . .«

»Viel, viel,« unterbrach ihn sein lächelnd der Tucher, »summa cum laude schrieb ich dir ins Attest – ein Römer ganz und gar.« 338

Der Jörg erfreut: »Nit wahr, ich hab das Zeug dazu!«

Der Ratsherr: »Wahrlich, das hast du.«

Der Jörg fuhr lebhafter fort: »Ja, und das wär, daucht mich, gut, wann ich auf den Steckelberg ging. Hier ist alles eingericht und lauft von selber. Mehr kann ich Euch doch nit helfen, stünd eher im Weg dabei, und blieb ich zurück, bin ich der erste, auf den sie Verdacht haben und den sie fassen. So war ich weit davon, hab gar nichts gewußt und kann mir keiner was nachweisen. Ich aber,« nun machte er eine ganz schlaue Miene, »bleib dann weiter unter den Feinden der Stadt und kann ihr noch viel nützen, versteht Ihr?«

Der Tucher: »Wohl, ich versteh, und es daucht mich gut so.«

Der Jörg: »Also geschwind nochmals rekapitulieret: Ich schaff Euch die Kleider heut Nacht, die versteckt Ihr gut in der Truh. Morgen dann geh ich auf den Steckelberg. Acht oder zehn Tag mögen darüber verstreichen. Es muß ein Tag sein, wo der Herr fort ist, auf länger womöglich. Der Reschhaber wird einen solchen ersehen, tut es Euch zu wissen und hilft Euch heraus, und der Hans Kürn hilft Euch weiter. Erst wann Ihr in Frankfurt und sicher seid, wird der Achtbrief ausgehn an alle, die ihn lesen sollen. So ward es ausgemacht auf meinen Rat, damit daß der Ritter noch sorglos sei und nit am End das Schloß und Euch darin schärfer verwahre. Aber länger dürfen wir auch nit warten, es möcht die Acht doch sonst allenthalben kund werden, und müßt auch das Regiment zu Nürnberg das Verdikt ausgehn lassen, könnts der Rat dort nimmer aufhalten.«

Der Tucher nickte.

»Also,« meinte der Jörg, »habt Ihr alles wohl verstanden und seid einig damit?«

Herr Endres stand zweifelnd. »Ich wills beschlafen,« sagte er dann. »Morgen abend sollst du Bescheid kriegen.«

»Wohl,« versetzte der Schüler. »Und,« fügte er mit einem listigen Zögern hinzu, »und Herr Endres – nit wahr – mit solchem Dienst hätt ich mich dann der Stadt Nürnberg treu erwiesen – und – Ihr legt dort ein gut Wörtlein für mich ein . . .« 339

»Freilich, freilich,« sagte der Ratsherr, »das sollst du haben. Davor besorg dich nit.«

Der Jörg war noch nicht zu Ende. »Und,« begann er wieder, wobei ihm eine Röte über Stirn und Wangen flog, »und meine Sach mit – mit der Helena – da helft Ihr mir auch, so es not täte . . .«

Der Tucher lachend: »Ei, da mußt du wohl selber dazu sehn. Ein Amorle, das kann ich dir schlecht machen. Bei den Herzen der Mägdleins, da gilt kein alter Ratsherr, aber ein hübscher, junger Bursche.«

Der Jörg zuversichtlich und stolz: »Ihr Herz – was das angeht, das hab ich. Unser Verlöbnis ist getan und besiegelt. Hier,« er zog ein Ringlein aus der Herzgegend und hielt es stolz empor, »hier diesen Reifen hat sie mir zum Zeichen ihrer Treu und wie sies meine selbst an den Finger gesteckt.«

Der Ring mochte einstmals im Barte des Kunz von Rosenberg gehangen haben.

»Gut, gut,« lächelte Herr Endres, »ich wünsch dir recht viel Glück dazu. Wann ihr so weit seid, was brauchst du da noch meinen Beistand?«

Der Jörg: »Aber Lieb lebt nit von Honig allein, es gehört auch das Brot dazu, und ein Ehstand, der muß sich auf ein gutes Hauswesen gründen. So hätt ich halt gebeten, der Herr Tucher möcht mir dann helfen, was an ihm läg, und wo er Macht hätt als Herr im hohen Rat, daß wir unsern Prozeß gewinnen und einen guten Vertrag mit der Stadt und das Unsere zurück kriegen, das uns die Merkel und Schürstabe enthalten. Hat doch das Reichskammergericht schon so gesprochen, und liegt es noch an der Stadt allein. Und dann . . .«

Der Tucher: »Nu – und dann?«

Der Jörg: »Daß ich etwan eine gute Bestallung bekäm als ein Schreiber beim Rat oder so.«

»Gut, gut,« nickte der Tucher. »Zu allererst aber, mein Lieber, müssen wir da heraus sein. Dann, die Nürnberger henken keinen nicht, es sei dann, sie hätten ihn, und umgekehrt, wann es schief und krumm geht mit unserem Vorhaben, dann henken uns am End die Junker. Also, wann wir uns 340 heil und froh zu Nürnberg auf dem Markt wiederfinden, da soll geschehen, was freundschaftshalber geschehen kann. Des magst du gewiß sein.«

Er reichte ihm die Hand. Der Jörg hatte die Tür schon ein wenig geöffnet. Vom Hof drang Lärm und Hufschlag herauf. Die Hunde bollen erregt. Schnell schüttelte er die Rechte des Herrn Endres und wischte hinaus.

Er lief die Treppe hinunter und trat in den Hof, als käm er eben aus seiner Stube. Mangold in Helm und Harnisch war zurückgekehrt und stieg aus dem Sattel. Von allen Seiten drangen die auf ihn ein, die seiner geharrt hatten, der Vogt, Boten, Handwerker, und alle diese schob seine Ehewirtin kräftig beiseite und stand vor ihm mit unabweislichen und dringlichen Anliegen.

Der Ritter streckte nur abwehrend die Hände aus. »Laßt mich,« sagte er, »ich muß allsogleich weiter. Schau, sattel den neuen Rappen,« rief er zum Stall hin.

»Und wohin mußt du schon wieder?« fragte ärgerlich die Hausfrau.

Mangold erwiderte: »Mein Bruder hat mir Post geschickt, ich soll unversäumt auf den Schwarzenfels kommen; es sei da ein Tag von mehreren der Ritterschaft in meinen Sachen, und ich müßt dabei sein.«

Margareta: »Gut. Bis gesattelt ist, hast du Zeit und kannst mit mir kommen.«

Der Junker: »Bis gesattelt ist, hab ich keine Zeit und muß mit dem Peter beraten, was die Leut arbeiten sollen.«

Er kehrte ihr den Rücken. »Komm,« sprach er zum Vogt. »Wie stehts? Hat der Mann Wasser gefunden?«

Der andere schüttelte das Haupt. »Jetzt sucht er im Graben und im Hundezwinger,« sagte er. Sie gingen durchs Tor zum Vorhof hinaus. Auf der Brücke blieben sie stehen und blickten in den Grabenteil gegen das Fallgatter hinab. Der Rutengänger war auf einer langen Leiter hinunter gestiegen. Die Hunde im andern Grabenteil, der unter der Brücke durch einen Zaun abgeschlossen war, vollführten ob des Mannes, der in ihrer Nachbarschaft auftauchte, einen grausamen Lärm. Alle hingen sie am Gitter und bollen und jappten 341 außer sich vor Wut durch die Stäbe hinaus. Der Quellensucher stand mit gesenkter Rute unten und rief etwas, das man in dem Gekläff und Geheul nicht verstehen konnte.

»Hast du Wasser?« schrie der Ritter.

Der Mann nickte mit verklärtem Gesicht und deutete lebhaft nach abwärts. Dann trat er zurück, hob die Zwiesel, ging der Stelle noch einmal zu und zeigte, wie die Rute plötzlich niedergezogen wurde. Mangold winkte ihm, herauf zu kommen. Der Vogt schüttelte das Haupt. »Was soll uns das Wasser im Graben, so überhaupt eins da ist?«

»Besser dort als gar nirgends,« sagte der Junker. »Laß graben da auf jeden Fall.«

»Herr, das geht in den Stein, das dauert etliche Wochen, bis man da einen Klafter nur aushebt.«

»Wir haben Zeit. Wie tief mag der Born liegen?« wandte er sich an den Rutengänger, der inzwischen heraufgestiegen war und auf sie zukam.

Der Mann zog den Kopf schief und machte ein wichtiges Gesicht. »Sechs, sieben Klafter gewiß,« sprach er dann und lächelte.

Der Vogt Peter hätte beinahe zu einer Maulschelle ausgeholt.

»Das hätt ich auch mit meiner Nasen gefunden, daß da Wasser rinnt,« fuhr er los. »Das ist der gleiche Quell, der da unten beim Eselsbrunn herfürkommt. Der mag wohl in einem Zweig durchn Berg gehn, du Esel. Bis wir den ergraben, dauerts zehn Jahr.«

»Zu Nürnberg,« sagte betreten der Mann, »zu Nürnberg haben sie einen Brunnen auf der Burg, der ist 174 Fuß tief.«

Der Vogt wollte zornig erwidern, aber ein Hustenanfall verschlug ihm die Rede. Er mußte sich an die Brückenmauer lehnen.

»Kann es nit sein, daß der Quell höher liegt?« fragte der Junker.

Der Mann schüttelte das Haupt. »Das spür ich, wie es niederzieht, daß es sehr tief ist,« sagte er.

Der Junker wandte sich ärgerlich ab und nahm mit dem Vogt andere Leute vor, hörte Botschaften an, erteilte 342 Aufträge und besichtigte eine Stelle der westlichen Vorwerke, die verstärkt werden sollte. Dann schuf er zwei Knechten, daß sie satteln und ihn begleiten sollten, und ging in den Herrenhof zurück. Dort führte der Schau einen aufgeregt schnaubenden, kohlschwarzen Hengsten gesattelt herum. Mangold sah die Odheimerin an dem Treppchen im oberen Hofabschnitt stehen, ging zu ihr und begrüßte sie. Plaudernd schritten sie langsam der Laube zu, wo sie sich setzten. Der herbe Geruch welkender Blätter erfüllte die Luft.

»Um Euch ists immer ruhig,« sagte der Junker mit einem Seufzer. »Ich möcht einmal eine Woch Ruh haben.«

Frau Agatha drauf: »Die möcht ich euch vergönnen und mehr, so viel an mir läg.« Sie hielt eine Weinranke mit fünf rosenrot leuchtenden Blättern in der Hand und drehte sie spielend, bis die Blätter abfielen. Er hatte ihr sinnend zugesehn. Nun sprang er wieder auf. »Aber es ist nit Zeit zu ruhen. Es muß geschafft werden. Itzt geht es um den Rest. Wie gefällt Euch mein neuer Rapp?«

»Ein bös Pferd.«

»Bös Pferd – gut Pferd, – ein alter Reiterspruch. Ich hab ihn zu Gemünden von einem Roßkamm erhandelt.«

»Warum reitet Ihr den Schecken nit fürder?«

»Der halts nimmer aus, der wird dämpfig – wie der Vogt. Ich muß fort. Kommt, schaut Euch den Rappen an.«

Sie gingen in den unteren Hof hinab. Der Hengst schnob und tänzelte unruhig und rollte die Augen, die so schwarz waren, daß selbst der weiße Ring um den Apfel einen dunklen Schimmer hatte. Und das glänzende Haar spiegelte in der Sonne bläulich.

»Mein Leben hab ich an einem Pferd keine solchen Augen gesehn,« meinte die Odheimerin.

»Er schaut drein wie der Hans Thum von Absberg,« lachte der Ritter. Er ließ den Rappen vor den Stein ans Tor führen und schwang sich in den Sattel. Kaum hatte der Schau den Zügel fahren lassen, so stieg der Gaul und versuchte wilde Sprünge, daß die Eisen auf dem Pflaster rutschten und knirschten. Die Knechte stoben auseinander, die Odheimerin schrie auf. Einen Augenblick schien es, Roß und Reiter müßten 343 sich überschlagen. Aber Mangold zwang den Rappen nieder und durchs Tor. Mit dröhnendem Gepolter ging es über die Brücke, die Knechte schlossen sich an, die Hunde heulten, und rasch waren sie alle durch die Wehrgasse hinaus.

Sie ritten von der Kreuzung beim Escheberg den Weg ostwärts hinab zur Brandensteiner Mühle. Der Müller, ein kurzes, breites Männchen mit tief zwischen den Schultern sitzendem Kopf, trat an die Reiter heran und deutete, daß er was zu sagen habe. Der Junker hielt und sah ihm etwas belustigt in das Gesicht, das freilich seltsam genug war. Denn unter Brauen, so stark und borstig wie Bürsten, blinzelte ein Paar tiefer, kleiner Affenaugen, der linke Nasenflügel war zu einem unförmlichen, blauen Wulst aufgeschwollen, und ein grauer Stoppelbart starrte um das überlange Kinn, das den Bruder Nickels, des Eseltreibers, verriet.

»Heut morche seind zween Reuter dagewese,« erzählte der Müller, »die have allerhand wisse wolle, wie viel daß Leut obe im Schloß lieche, ob Gefangene da lieche und mehr so.«

Mangold: »Nu, und was hast du ihnen geantwort?«

DerMüller: »Nix han i gsacht. Nauf sollns gehen und drobe frache, han i gsacht. Da han sie si dumm aagschaut und seind wieder wech gridde.«

Der Junker: »Wohin?«

Der Müller südwärts deutend: »Da auf Herolz nüber. Und auf der Höh, da seins noch a Weil gstanne und have naufgschaut zum Schloß.«

Der Junker: »Was Farb hatten sie im Ärmel oder an den Kappen?«

Der Müller an den Fingern zählend: »Bla, gel, rott Farb im Ärmel und rott Kabbe.«

Der Junker nachdenklich: »Das ist wertheimisch. Sonst haben sie nichts gesagt?«

Der Müller: »Nee.«

Der Junker: »Du hättst gleich herauf kommen sollen und sagen, daß sie dagewesen.«

Der Müller sich hinterm Ohr kratzend: »Hätts ohnedem wolle, awer ich konnt nit wech von der Mühl, und mei Alte, die is zu dumm, und da seins aach scho so schwind wechgwese.« 344

Mangold: »Ist gut. Aber so wieder welche kommen, dann schick mir deine Alte nauf, und die soll sagen, daß sie da sind. Das wird sie wohl treffen.«

Der Müller nickte bedachtsam. Die Reiter setzten ihren Weg fort.

In der Sattelhöhe zwischen Elm und Vollmerz blieb der Junker stehn. Im Feld ragte da ein roter Grenzstein, dreieckig behauen, der auf der einen Seite das Hanausche Wappen, auf der andern gegen Norden das Fuldische, auf der östlichen das Huttische trug. Mangold kehrte sich und blickte gegen den Brandenstein zurück, der sich hier auf dem steil abfallenden Höhenrücken mit dem schroffen Bau der Kemenate nach vorn recht stattlich zeigte. Aber die Gegend umher sah kahl und kühl im gelblichen Herbstlicht. Der Escheberg hatte schon viel Laub gelassen, und die Fluren waren vom Hauch der Öde umwoben. Der Rapp wollte nicht halten, schlug mit dem Kopf, schnob und tanzte. Mangold ließ ihn weitergehn. Zwischen roten Feldstreifen, Hutweiden mit Wacholderstauden, bunten Eichengehölzen und Gruppen von Hainbuchen mit dem Blick auf freundliche Talmulden, einzelne Gehöfte und Mühlen im buschigen Grund an der Kinzig ritten sie hinab, und unten auf den Wiesen hinterm Dörfchen Vollmerz gab der Junker dem übermütigen Hengst die Zügel frei und galoppierte, bis dem Roß der helle Schaum am schwarzen Hals stand. Zur Linken schwand Ramholz vorüber und der Steckelberg, der hinter vortretende Waldhügel tauchte, zur Rechten Sannerz und Weiperts. Nun ritten sie auf Sterbfritz zu und durch den Ort mit dem festen Sitz des gleichnamigen Rittergeschlechts, dann die kahlen Höhen hinan, die eine Brücke zwischen den Ausläufern des Spessart und den Vorbergen der Rhön und die Wasserscheide zwischen der Kinzig und der schmalen Sinn bilden.

Die Sonne halbverschleiert neigte sich abwärts. Lange, fein ausgekämmte Wolkenstreifen überzogen den ganzen Himmel. Von Osten fuhr der Bergwind scharf über die Höhe herein und tat manchmal unwirsche Stöße. Aus dem Wipfel einer uralten, breiten Buche, die in der Sattelung nächst der Straße stand, stob das gilbe Laub und ein Schwarm 345 von Krähen den Reitern entgegen. Und nun waren sie im Anblick einer steileren Wälder- und Gebirgswelt. Ihnen gegenüber durch einen tiefen Talschnitt getrennt hob sich auf einem felsigen Vorsprung am obersten Drittel eines hohen Kegels Schwarzenfels, die starke Burg der Grafen von Hanau. Ein Dorf drängte sich schirmbedürftig an den Abhang unter die Schloßmauern. Langsam ritten sie in den Grund zur schmalen Sinn und jenseits den steinigen Weg empor, dann oben in einer Wendung von Osten her durch die enge, schmierige Dorfgasse der Brücke und dem Tor des Schlosses zu.

Im weiten Vorhof saßen sie ab. Mehrere Knechte mit Handpferden gingen da umher. Aus dem Amtshaus an der Südseite des Hofes trat ihnen Philipp von Eberstein entgegen. Die Brüder begrüßten einander mit einem stummen Händereichen. Philipp war gleich Mangold ein hoher Mann, doch ging er gebeugter und versonnenen Blickes. Das Haar an seinen Schläfen und der kurze Vollbart waren stark ergraut.

»Komm,« sagte er, »sie sind schon eine Weile oben versammelt und warten deiner.«

»Was wollen sie?« fragte Mangold, während sie dem Schloß zuschritten, das als ein stattliches, reichverziertes Bauwerk mit einem runden Bergfried zur Rechten auf einer felsigen Erhebung im Westen den Hof überhöhte.

»Davon soll ich nichts sagen,« erwiderte Philipp. »Sieh dich vor, sie werden dir, daucht mich, scharf zusetzen.«

»Mögen sie,« versetzte Mangold kühl.

Wortlos gingen sie die Doppeltreppe zum zweiten Tor hinauf, unter der ein schön mit Bildhauerarbeit und Wappen verzierter Steinbrunnen an den Fels gebaut war. Nun empfing sie ein enger, zwischen Turm, Befestigungswerken und Pallas gelegener Binnenhof. Sie schritten im schönen Pallasbau eine Treppe empor und betraten einen südseitigen, hellen Saal, in dem viele Junker versammelt waren. Der alte Neidhard von Thüngen saß mitten an einem langen Tisch im hohen Lehnsessel. Hinter ihm stand eine Tür auf den Söller offen, von dem ein unendlicher Hochblick auf die großgeschwungene Waldwoge des Spessart im Westen, die Höhen um Sinn, Saale und Main im Mittag und die 346 Rhöngipfel mit dem Dreistelz im Osten war. Einige der Ritter lehnten plaudernd draußen an der Brüstung und kamen nun auf einen Wink des Amtmanns herein. Von den Thüngens sah man Fritz, Joachim, Sigmund, Bernhard, Götz und Hansjörg. Ferner waren erschienen Wolf, Joachim und Wilhelm von der Tann, Ulrich von Hutten der Alte, Dietrich Behaim, Lorenz von Schaumburg, Philipp Geyer, der Domherr Truchseß, Hans und Philipp von Sterbfritz, Dietrich Mörle, Georg und Fritz von Deiningen, Fritz Zobel und andere mehr. Die Begrüßung war befangen. Mangold, der Helm und Harnisch nicht abgelegt hatte, reichte nur jenen die Hand, die es zuerst taten, und blieb, als alle sich gesetzt hatten, dem Neidhard von Thüngen gegenüber auf die Lehne eines Sessels gestützt stehen.

Der alte Neidhard saß greisenhaft und eingesunken. Seine hageren Hände mit bläulich angelaufenen Nägeln ruhten übereinandergelegt auf dem Griff eines Krückstockes, den er zwischen den Knien hielt. Das verfallene Antlitz hatte einen müden, leidenden Zug. Um die blassen Lippen zuckte es häufig. Mit bösen Augen blickte er jetzt den Tisch hinauf und hinab und wartete, bis alles Rücken, Räuspern, Murmeln und Flüstern sich gelegt hatte. Dann begann er: »Herr Mangold von Eberstein, wir haben dich geladen . . .«

Mangold unterbrechend: »Mir ward keine Ladung. Mein Bruder hat mir sagen lassen, ihr hieltet einen Tag und wünschtet mich dabei. So bin ich gekommen.«

Dem Alten vom Sodenberg zog es Augenbrauen und Mundwinkel hinauf. Nach kurzem Schweigen begann er von neuem: »Die Ritterschaft Cantons Steigerwald und Cantons auf dem Gebürg hat sich versammelt, daß sie berate über deine Handlung wider Nürnberg . . .«

Mangold: »Also ein Gericht?«

Neidhard: »Nein.«

Mangold: »Ist mir lieb zu hören. Sonst wär ich wieder gegangen. Dann ich kenn kein Gericht über meine Handlung, es sei dann, ich hätt eines angerufen, und das tat ich nicht.«

Neidhards Hände tasteten an der Krücke des Stockes. Er hob nochmals an: »Es ist uns kund worden, das kaiserliche 347 Reichsregiment zu Nürnberg hab deine Handlung wider die Stadt der Agatha Odheimerin halber für ungerecht und ohne Ursach befunden . . .«

Mangold: »Seit wann spricht das Reichsregiment Urteil über Fehden der Ritterschaft?«

Fritz von Thüngen scharf: »Das wollt ich auch fragen!«

Es entstand eine Unruhe. Einige nickten Fritz von Thüngen zu und gaben durch Rufe oder Murmeln ihre Zustimmung kund.

Mangold fuhr fort: »Das Reichskammergericht hat die Forderung der Frau Agatha Odheimerin wider die Stadt Nürnberg für gerecht befunden. Die Stadt mißachtet solchen Spruch und enthält ihr gleichwohl fürder das Ihre . . .«

»Das ists«, unterbrach ihn Neidhard. »Die Stadt hat der Frau das Ihre alles erboten, so ihr das Kammergericht zugesprochen, aber du, Mangold von Eberstein, hast es abgelehnt und von der Stadt solche Demütigung erfordert, die zu gestatten dem Rat unmöglich.«

Mangold: »Das ist wahr. Und weiß die Ritterschaft, warum ich solches verlangt?«

Neidhard: »Wir wissen es. Auch dem Reichsregiment ist wissend, was und aus was Ursach du solches erfordert. Darum hat es gesprochen, daß solche Ursach keine sei, um Fehde wider die Stadt zu führen und ihr tätlich Abbruch zu tun.«

Fritz: »Sieh da! Das kaiserliche Reichsregiment sagt hiemit, es gäb doch ein Fehderecht! Wie reimt sich das auf den ewigen Landfrieden des Kaisers Karl des Fünften?«

Noch größere Unruhe, ja sogar schlecht verhaltenes Lachen wurde laut. Dem alten Thüngen zog es das Antlitz in unzählige Falten alle der scharfen Hackennase zu. Er sah aus wie ein grimmiger Habicht. Zugleich schien ihn ein heftiger Schmerz zu durchfahren. Er wurde fahl und lehnte sich mit eingekniffenen Augen zurück. Dann richtete er sich mühsam wieder auf und sprach finster: »Es ist wahrhaftig unmöglich, in der Ritterschaft über eine Sach, was immer es sei, zu raten. Der Zänker sind so viele, daß weder Rat noch Schluß geschehen kann.«

Mangold zur ganzen Runde: »Auch das ist wahr. Drum 348 bitt ich euch, liebe Vettern, Schwäger und Freunde, redet nichts weiter, und auch ich will schweigen. Wir wollen dem alten Herrn Neidhard, den wir hoch ehren, das Wort lassen ungestört und unwidersprochen, bis er gesagt, was ihm zu sagen daucht.«

Als nun Ruhe geworden, setzte Neidhard seine Rede fort, und Mangold blickte aufmerksam hörend über ihn weg durch die Söllertür ins ungeheure Wälderland hinaus, das der sinkende Tag tiefer und tiefer erblauen ließ, während über den fernsten, hellsten Bergwellen die Wolkenstreifen gelber sich neigten, und der Wind seltsam, als käm er aus anderen Welten, um das hohe Bergschloß raunte und sauste.

Der Alte sprach: »Ich bin hoch bei Jahren und krank dazu. Es ist wohl das letztemal, daß ich zu euch, liebe Schwäger, reden kann. Müh genug hab ichs mich kosten lassen, daher zu reiten, wohin ich gebeten und geladen alle, so meine Botschaft ereilen konnt. Leider sind eurer viel weniger gekommen, als ich erhofft. Dann unser gnädiger Herr und Hauptmann Graf Jörg von Wertheim hat mir verordnet, solchen Tag zu halten und an seiner Statt ihm vorzustehen. Herr Mangold von Eberstein, lieber Freund und Vetter, als ich gesagt, das Reichsregiment hat deine Handlung wider die Stadt Nürnberg in solcher Sach zu Unrecht befunden, nachdem Gesandte des Rates auf einem Tag zu Lohr, so Bastian von Lautter mit dir und ihnen dort gehalten, dir und der Frau Odheimerin erboten, was zu erbieten von Rechts und Urteils wegen sie verpflichtet gewesen. Was du mehr darüber hast gefordert, dasselbig ward zu Unrecht erklärt vom Regiment auf Anrufung des Rats zu Nürnberg, und will auch uns unrecht und übermäßig dünken, als allenthalben in der Ritterschaft auf gesetzten Tagen oder, so von ungefähr unser mehrere zusammen kommen sind, gesprochen worden. Also haben wir auf Geheiß unseres Hauptmannes des vorbenannten Grafen Jörg von Wertheim uns versammelt und wollen dir raten, daß du von solcher Handlung und gewaltigen Taten wider die Stadt Nürnberg lassest, weil die zuvörderst und überhaupt gegen des Kaisers Willen und neu errichteten Landfrieden sind, wo dem aber von der 349 Ritterschaft aus Gewohnheit alter, wiewohl abgetaner und verbotener Freiheit etliche oder viele sich widersetzen wollten, auch darum, weil das Reichsregiment sotane Fehd und Feindschaft für ungerecht befunden, also daß du dir mit fürderer tätlicher Handlung des Reichs Acht und Aberacht zuziehen möchtest.«

Fritz von Thüngen lachte auf. Mangold sah ihn mißbilligend an. Neidhard, ohne dessen zu achten, sprach fort: »Des weiteren aber – und mag es dir gar beschwerlich zu hören sein, so bitt ich dich dannoch, du wollest es ohne Zorn anhören und später sagen, was dir dawider zu sagen daucht – des weiteren wird in der Ritterschaft viel gesprochen und solcher Meinung Wort gegeben, daß dein Handel wider eines Ritters Ehr und unwürdig sei, dieweil du einer Frau halben, so weder dein ehelich Gemahl noch Schwester noch nahe Gesippte und Mage noch iure feodi dir verpflichtet oder sonst untertan sei, solche Handlung führst und nicht davon lässest, wiewohl von Feinds Seite erboten worden, was von rechtswegen und billig erboten hat werden können, und harten Nackens auf solcher Feindschaft mit übermäßiger Forderung bestehst, also daß es vielen bedünken will, es sei dir nicht um jener Frauen Recht, dann mehr um jene Frauen selber zu tun; solches aber wär gegen Ehre, Sitt und geistlich und weltlich Gesetz, weil du in rechtmäßiger Eh einer Frauensperson aus ritterlichem Stand verbunden. Indem solches allenthalben gesprochen worden, haben wir, um dergleichen Gered, ob es Ursach habe oder Unfug sei, deiner und der Ritterschaft Ehr halber, damit es klar würde und abgetan sei und ein jeglicher wisse, was er ehrenhalber reden dürfe, heutigen Tag verordnet und dich dazu berufen, auf daß du an Ort und Statt vernehmest, was darüber geredet, geraten und beschlossen würde, und selbst Wort habest, dich zu rechtfertigen. Demnach wollen wir heut und dahier beraten und beschließen, ob dir von ritterlicher Übung und Herkommen wegen, des Landfriedens ohngeachtet und unbeschadet, in deiner Fehde fürder zu folgen und zu helfen sei durch Handlung oder daß wir sie vertragen, wie das möglich sei. Zu allererst nun rede du und sag, was zu sagen dich not und nützlich daucht.« 350

Mangold hatte mit eiserner Ruhe zugehört. Nun richtete er sich steil auf, drehte mit raschem Griff den Sessel weg, der vor ihm stand, trat ganz an den Tisch heran und sprach mit einem Antlitz, das durchaus wie in Stein gehauen schien: »Liebe Schwäger und Freunde. Ich hab vernommen, was Herr Neidhard von Thüngen in des Hauptmanns Grafen Jörg von Wertheim Namen vor versammelter Ritterschaft gesprochen. Und dem antworte ich und sage zuvörderst: Ich weiß kein Gericht, dem ich Rechtens zugesteh, über meine und meiner Handlungen Ehr oder Unehr zu sprechen. Meine Ehre und die einer ehrsamen Frauen, so sich in meinen Schutz begeben, ward von Bürgern oder Untertanen der Stadt Nürnberg besudelt. Was zur Reinigung dieser Ehr geschehen soll und muß, das,« er schlug schwer mit der eisenbehandschuhten Faust auf die Tischkante, »setz ich und sonst keiner. Daucht es einen gut und nach Ehr, der helfe mir dabei, daucht es einem anders, der laß es bleiben. Ich will nicht, daß ihr beratet und beschließet in einer Sach, die meine Sach ist und sonst niemands, und die ich beraten und beschlossen hab als ein Ritter und ein Mann. Und daß ihr itzt und fürder solchen Rates und Schlusses überhoben seid, sag ichs euch und bitt euch, es allen Rittern und Edelleuten zu sagen, so ihr heut und fürder in Schlössern, auf den Straßen und wo immer begegnen mögt: ich, Mangold von Eberstein, brauch eure Hilfe nicht, weder zu tatlicher Handlung weder zu einem Vertrag. Ich führ meine Handlung fürder allein. Wer mir bis heut geholfen, dem sag ich ritterlichen Dank. So er was an mich zu erfordern habe, möge er es erfordern. Hätt ich an ihn noch was zu erfordern, das lösch ich hiemit aus und ab, des sollt ihr alle Zeugen sein. Und weiter sag ich, Mangold von Eberstein, heut und hier aller Ritterschaft des Landes zu Franken, ob solche hier zugegen sei oder nicht, und bitt euch, die ihr zugegen seid, es allen zu sagen mit Fleiß und als von mir selber: Wen immer bedünken mag, mein Gehaben, Tun und Handeln sei wider eines Ritters Ehr und Brauch, der,« er zog den linken Handschuh ab und warf ihn mitten auf den Tisch, daß es klirrte, »nehm diesen Handschuh auf und mach es mit mir aus nach uraltem, rechtem, ritterlichem 351 und deutschem Brauch. Ich steh ihm, wo er mag, und dieser mein Handschuh bleibt liegen dahier bei meinem Herrn Bruder Philipp von Eberstein, Amtmann zu Schwarzenfels, und mag ihn nehmen ein jeglicher, der will und wann immer es ihm beliebt bis an meines Lebens Ende. Und somit befehl ich euch Gott und seiner Gnade allesamt und sag euch lebet wohl.«

Er wandte sich kurz und wollte hinausschreiten. »Halt!« rief Fritz von Thüngen ihn ereilend und haltend. »Halt, Vetter! Ob du magst oder nit, ich, Fritz von Thüngen, halt mit dir in deiner Handlung wider Nürnberg wie bis zu diesem Tag so fürder und bis wir erlangt haben, was du gefordert.«

Der alte Neidhard richtete sich mühsam an der Krücke auf. Er sah seinen Bruder grimmig an und rief: »Was die von Thüngen angeht, die werden tun, als ich, des Stammes Ältester, werde sprechen, nachdem ich mit dem Bischof zu Würzburg und den drei Ältesten und Fürnehmsten unseres Hauses beraten und für gut befunden.«

Fritz, blau im Gesicht, fuhr zum Tisch her. Hart schlug er mit der Faust auf die Platte und schrie: »Was? Einen Hauptmann und hohen Rat, seiens Ritter oder Pfaffen, im eigenen Haus soll ich fragen, ob ich reiten und raufen darf oder nit? Das möcht mir fehlen! Hab nie keinen gefragt, weder Kaiser noch Papst, und schlag drein, wo, wann, wie und so viel ich will. Und wer dawider sein will, Bruder, Vetter oder wer immer es sei, hier, da liegt auch mein Handschuh, der nehm ihn auf.«

Damit riß er seinen Handschuh ab und schleuderte ihn seinem Bruder zu, daß er über den ganzen Tisch hinfahrend zu Boden fiel.

Die Thüngischen begannen zu hadern. Einer war für, einer gegen den Ältesten des streitbaren Geschlechtes. Aber Hansjörg trat auf Mangold zu, reichte ihm, der schon an der Tür stand, die Hand und sprach: »Du hast gesprochen, was in meinem Sinn und eines Ritters ist. Und hätt ich nit einem Sterbenden geschworen, ich wollt das Schwert nur mehr ziehen wider des Reichs und der Christenheit Feinde, ich 352 wollt dir helfen und zustehen, als ichs vordem getan.« Mangold schüttelte ihm die Rechte. Ohne das Ende des Tumultes, der unter und um die Thüngens entstanden war, abzuwarten, schritt er hinaus. Sein Bruder folgte ihm. Schweigend gingen sie treppab.

Unten im Hof sprach Philipp: »Bruder, du weißt, ich bin ein Mann des strengen Rechts und halt mich aus Händeln, so viel ich kann. Gar verschieden sind unsere Wege gegangen. Aber so du mich brauchst, ich bin unserer Eltern Sohn, und mein Haus steht dir offen.«

Sie drückten einander mit einem stummen Blick die Hände. Mangold stieg in den Sattel und ritt mit den Knechten durchs Tor. Auf der Brücke wandte er sich noch einmal und winkte dem Amtmann zu.

Sie waren kaum am Ende des Dorfes, wo der Weg nach Westen umbiegt und unterm Schloß her steil zu Tal führt, als Fritz von Thüngen schon eilends nachgetrabt kam.

»Potz Blau!« schnob er noch immer rot im Gesicht und mit bösen Augen, »der Neidhard wird ganz wirr und wunderlich auf seine alten Tag, möcht König unter den Thüngens sein!«

Mangold lachte laut auf. »Wahrlich,« sagte er, »da wär ich noch lieber der deutsche König, trotz aller Kurfürsten und Stände, das daucht mich leichter.«

Sie ritten langsam nebeneinander hinab. Der Rapphengst sprang, stieg und blies. Mangold klopfte ihn auf den gebogenen Hals und blickte nach dem Schloß empor. Eben traten einige der Junker auf den Söller hinaus, die sich lebhaft bewegten und so laut sprachen, daß man ihre Stimmen vernahm.

»Hast du gemerkt,« sagte Fritz, »daß von unsern besten Freunden und Genossen keiner da gewesen? Nicht der Voit, der Rosenbergischen keiner, nicht mein Vetter Stachus, noch Heinz Kottwitz, Wilhelm Fuchs oder Philipp von Rüdickheim. Das hat der Alte mit Fleiß getan, hat ihnen keine Botschaft geschickt oder so spät, daß sie nimmer kommen konnten.«

Mangold achselzuckend: »Sie werdens erfahren.« 353

Unten vor der Sinnbrücke schieden ihre Wege. »Itzt wirds scharfe Luft haben um uns,« sagte Fritz. »Viele werdens nimmer sein, die dazu halten. Den Handschuh nimmt keiner, da wett ich fünf Finger, aber dein Wort, daß du keinen Helfer brauchst, das wird manchem recht gelegen sein, um sich draus zu machen – mit Ehre.«

Mangold drauf: »Einer, der sich gern draus macht, hilft auch nit viel. Ich komm die Tag zu dir, da wollen wir beraten, wie wirs weiter machen.«

Sie trennten sich mit kurzem Gruß. Fritz ritt südwärts am Fluß hinab, Mangold gegen Westen die Höhen hinauf. Im kahlen Sattel reckte die alte Buche ihre stark gelichteten Äste dunkel gegen tiefgelbes Abendlicht. Ein langer Krähenzug ruderte vor den Wolken her.

 


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