Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Der Spielmann

Der Pfeifer und der Jörg Dietz saßen oberhalb Gräfendorf am Fuß der Berglehne. In der Flußniederung vor ihnen war das Wasser teilweise über die Wiesen ausgetreten. Man mußte durch eine weite Lache waten, wenn man zum Steg gelangen wollte, dessen Joche kaum aus der Flut hervorsahen und im starken Strömen zu beben schienen. Die Rosse standen hinter den Rastenden in den Büschen angebunden. Mehrmals schon waren sie flußaufwärts geritten, da ihnen ein jenseitig vorspringender Hügel, der die Saale zu einer scharfen Biegung zwang, den Ausblick ins Tal gegen Michelau verwehrte. Schon geraume Zeit war es Tag, aber die Absbergischen Haufen ließen sich nicht blicken. Selbst wenn die Führer sich entschlossen hatten, Reiterei, Geschütz und Troß quer über Höhen und Wälder gegen Wolfsmünster rücken zu lassen, sollte doch das Fußvolk hier über den Steg gehen, und wenn gar alles den andern Weg gezogen war, so hätte der Schau oder der schwarz Hänslein Botschaft gebracht.

Inzwischen hatte im Sinntal der Kampf begonnen. Die Donnerschläge rollten dumpf über die Waldhöhen westwärts hinter Gräfendorf herüber.

»Das Kriegswetter lärmt gut,« sprach der lange Hans, der den Helm ins Genick geschoben hatte und an einem Grashalm kauend mit hohen Knien dahockte. »Und mich daucht, es blitzt und hagelt mehr, dann die Unserigen es gehofft. Horch nur! Es pöldert fast gewaltiglich und Schlag auf Schlag. Das ist kein leichtes Geschütz. Unsere Feldschlangen haben feinere Stimmlein.«

»Mein!« sagte der Jörg, der sehr blaß und übernächtig aussah und zu frieren schien, »mein, wann so eine Kugel herübergeflogen käm!«

Der Pfeifer warf sich zurück und lachte. »Ja, mein Lieber,« 450 rief er, die Arme unters Haupt schiebend und die langen Beine übereinander schlagend, »Krieg ist ein grausamlicher Scherz. Die Kugeln achten nit Stand und Gewerb und sausen blindlings zu, einerlei, ob sie den Streitbaren oder den Friedfertigen treffen. Da magst du dein opus juris vor die Därm halten wie du willst, sie kennen keine Paragraphen und fetzen dir den ganzen Justinianum aus dem Hirn, wanns einschlagt.«

Ein feuchter Windstoß schauerte in die Erlen und Weiden, die voll silberner Kätzchen waren. Der Jörg zog fröstelnd den Mantel um die Schultern. »Der Krieg, der kann mir gestohlen werden,« seufzte er und gähnte. »O wie müd ich bin!«

Mit schmerzlicher Miene rückte er sich im Sitz zurecht und tastete nach seinen Hinterbacken.

Der Pfeifer blickte ihn scharf und boshaft von der Seite an. »Ei, müd bist du?« spottete er. »Ja, das Reiten! – Und die Nacht! – Und der Krieg! – Ja, das Leben und der Wirbel und der Tod! – Du gedachtest drum herum zu kommen auf dem corpus juris als einem sicheren Kaufschiff. Aber da hat dich nun der Strudel und du mußt einen Reuter agieren wohl oder übel. Itzt pfeift der Wind – hui! – und sind Schloßen drin und schlagend Feuer. Hui, das ist ein Leben so zwischen Leben und Sterben! Es gehört ein Herz dazu, und du hast keins. Wie, das bißle, das da unter deinem Wämslein bummert, so du die Helena siehst, das wär ein Herz? – O du Gauch, du trauriger Gauch!«

Er richtete sich auf. »Blau! Die Absbergischen kommen heut nimmer, sie warten, bis wieder Nacht wird – oder . . .?«

Er horchte auf das Schießen im Westen. Ein Windsaus fuhr seltsam singend durch die Wipfel. Der lange Hans sprang in die Höh, lauschte, sah in die Wolken, die mit graubraunen Bäuchen und blendenden Silbersäumen immerzu talüber, waldüber gen Morgen reisten.

»Es ist vorbei,« sprach er mit großem, sonderbar hellem und wie in Traumfernen spähendem Blick. »Was zitterst du?« Er sah voll Verachtung und eisiger Kälte auf den Schüler herab. »Hast du den Vogel Tod pfeifen gehört? Er pfeift oft heut, er pfeift manchem – und bald wohl auch dir.« 451

Er ließ sich nieder. Der Jörg mit bebender Stimme und Tränen in den Augen flehte: »Was bist du wieder so schauerlich heut? Just so warst du, da wir uns trafen auf der Landstraß jetzt vor drei Jahren.«

»Ei!« unterbrach ihn der Pfeifer überrascht. »Sinds just drei Jahr her? Wahrhaftig! – Drei Jahr. – Und was ist heut für ein Tag, du Kalendermann?«

»Mittwoch, der sechzehnte des Monats Aprilis,« antwortete der Jörg.

»Mittwoch in der Charwochen der sechzehnte des Monats Aprilis anno Domini funfzehnhundertzweiundzwanzig. Merk dir den Tag, Bursche, mit dem hats eine Bewandtnis. Da dreht sich was. Weiß Gott, wie wir heut abends ausschaun!«

Der Jörg starrte ihn entsetzt an. »Was – was hat – was ist? . . . Warum ists vorbei?«

Der Pfeifer, ein Aug verkneifend: »Ei, der Wind hat mirs gepfiffen. Und der ist mein Vater und hat noch nie gelogen. Wart! – Itzt nähms mich Wunder, so kein Wunder geschäh.«

Es geschah. Um die Flußbiegung vor Hurzfurt schwamm mitten im reißenden Strom ein Kahn heran. Und kniend darin eine Mädchengestalt. Eben hellte es ein wenig im Himmel auf. Ein flüchtiger Schein wischte übers Tal, die Flut und das Boot erleuchtend. Der lange Hans fuhr auf, stand-streckte sich spähend, die Augen weit offen, das Antlitz totenblaß. In mächtigen Sätzen sprang er hinab, sprang durchs Wasser, daß es hoch aufspritzte, rannte in die Mitte des Steges, der heftig zu schwanken begann, kniete nieder und streckte unterm Geländer dem antreibenden Boot, das in den Wirbeln schaukelte und sich drehte, die Hände entgegen.

»Trudel!« schrie er ins Brausen und Sausen der gelben Gewässer.

»Hans!« rief sie, die Arme breitend.

Das Schifflein fuhr an. Der Strom zog es schäumend und gurgelnd unter den Steg. Das Mädchen hing am Hals des Pfeifers. Er hob sie hoch in den Armen empor und lief mit ihr über den schwankenden Steg durchs Schwemmwasser zurück.

Der Kahn hing eine Weile unter den Jochen fest. Die 452 Flut stob unwillig an ihm auf, tauchte, drückte ihn. Der Steg bebte. Das Boot kippte und trieb kieloben im Schuß hinab.

Der Jörg stand am Ufer mit einem Gesicht, so dumm, wie es unter allen Erdenwesen nur der Mensch machen kann. Selbst die Trudel mußte darob lachen, obwohl sie schluchzte. Sie schluchzte und umhalste den Pfeifer, als er sie schon auf den Boden gestellt hatte, und brachte kein Wort hervor. Es war kein Weinen und kein Lachen, das sie tat, es sang wie der Wind, das ganze Mädchen innerlich geschüttelt sang und klang wie ein regenschweres Bäumlein, das der tönende Frühlingswind durchfährt, biegt und schüttelt.

»Sing, mein Vöglein!« jubelte der Pfeifer, »sing! Du bist das Leben, du bist das Lied!«

Und endlich begann sie zu erzählen, mit fliegender Brust, mit schreckgespannten Augen abzuhasten, was sie sagen mußte. »Fort! fort!« flehte, schluchzte, keuchte sie. »Fort! Sie müssen gleich um den Berg kommen.«

»Wer?«

»Die Feinde!«

»Hollah!« rief der Pfeifer. »Wart ein wenig. Jörg, komm mit!«

Er raffte seinen Spieß von der Erde auf und rannte noch einmal zum Fluß und zum Steg hinunter. Der Jörg mit saurer Miene patschte ihm durchs Wasser nach. Der Pfeifer lief auf den Steg, stemmte den Speer in die Fugen des mittleren Streubrettes und hob es aus. Dann lief er weiter ans drübere Ende des Brettes und tat dort desgleich. »Pack an!« rief er dem Jörg zu, den langen Laden mit den Händen aufhebend. Der Schüler ungeschickt und mühsam brachte es schließlich zustande. »Hopp! Fall nit ins Wasser!« Der Pfeifer schleuderte das Brett an seinem Ende übers Geländer in den Fluß. Der Jörg fiel beinah um, fing sich, tauchte nach, und der Laden schwamm davon.

»So,« sprach der Pfeifer befriedigt, das bodenlose Gerüst betrachtend, unter dem die offene Flut hinschoß. »Itzt mag einer hinübergehn.«

Der Jörg sehr verwundert: »Aber wie kommst du nun zurück?« 453

»Sagt ich dir nit, daß ich seiltanzen kann?« lachte er, nahm den Spieß auf, und im Nu war er auf den Seitenbalken herübergeturnt.

Sie eilten wieder zur Trudel. »Jetzt rösch auf die Gäul,« sagte der Pfeifer, »und im Donner zum Aschmesser hinab, der hält bei Wolfsmünster!«

»Nit hinab! Nit hinab!« schrie die Trudel, sich mit Gewalt an seinen Arm hängend, da er schon zu den Pferden laufen wollte. »Sie lassen dir sagen, der Schau und der schwarz Hänslein lassen dir sagen, du sollst nit hinab, da ist überall schon der Feind!«

Der Pfeifer sich kehrend: »So. Alsdann hätten wir Zeit. Itzund erzähl einmal.«

Das Mädchen plapperte in einer Hast und Verwirrung, häufig durch Weinen unterbrochen, herunter, was sie seit Mitternacht erlebt hatte.

»Alsdann,« sagte der lange Hans, »so viel wüßten wir nun. Der Absberger ist hin. Und heut, grad heut zum erstenmal, seit er lebte, ist schad um ihn. Aber er hat seinen schwarzen Kopf dem Juden und seine schwarze Seel dem Teufel lassen müssen. Das kommt davon. Und die Nürnbergischen und Fuldischen sind schon bei Wolfsmünster über die Bruck, und so die der Aschmesser nit zur Zeit hat wahrgenommen, da gehts den Ebersteinischen schlecht. Gar gut gehts ihnen gewiß nimmer. Armer Herr, armer Herr!«

Er stand eine Weile sinnend. »Also, es hat schief gegangen,« fuhr er dann fort. »Ich dacht mirs ohnedem. Ich habs gespürt. Und der Vater Wind hat mirs auch gesagt. Vorbei!« seufzte er – »vorbei! – Hast du's vernommen, Jörg? Nein, du verstehst den Wind und die Vögel nit. Du bist nie gescheit gewesen und hast dich vollends dumm studiert. – Sieh, da kommt der Feind!« Er deutete hinüber, wo um die Wegwende Reiter auftauchten. Ihnen folgte ein langer Haufe waffenloser Gefangener, den Spießknechte beiderseits begleiteten und ein zweiter Reitertrupp schloß.

»Genau genommen Feind und Freund,« sagte der Pfeifer, »Wie gut, daß wir nit dabei sind!«

Die Trudel drauf: »Ja, das sind die, so bei Michelau 454 stunden, da ich vorbeifuhr im Fluß, und mich anschrien und lachten, und einer hat sogar nach mir einen Pfeil geschossen.«

Der Trupp rückte heran. Sie kümmerten sich weder um den Steg, noch achteten sie der drei Leute am Ufer drüben und zogen langsam unterm Berg her und vorüber.

»Die ziehn als die Wallfahrer,« sagte der Pfeifer. »Die fürchten keinen Feind mehr. Da muß schon viel vorn sein.«

Sie blickten dem Zug schweigend nach, bis er um die nächste Hügelbiegung verschwand.

»Ja, ja, es ist aus und vorbei,« begann der Pfeifer von neuem. »Und nun wollen wir Gericht halten. Mädel, setz dich da nieder, wo die Himmelschlüßlein stehn. Jörg Dietz, – des römischen Rechts Beflissener, tritt vor mich hin.«

Der lange Hans stand mit dem Spieß in der Rechten und dem Schwert umgürtet und machte ein feierliches Gesicht. Der Jörg hielt es für Spaß und lachte fast ausgelassen, weil doch nun alles vorbei war.

»Mädel,« hub der Pfeifer an, »besieh dir das Nürnbergerlein hier, das Schülerlein da. Es ist schuld daran, daß der Krieg verloren ging und daß wir beide, du und ich, heut auf ein Haar ums Leben gekommen wären.«

Der Jörg erblaßte und sah ihm bestürzt ins Gesicht.

»Ja, du ausgemachter Schelm,« fuhr der Pfeifer fort, »so klein, so dumm, so nichtsnutz du bist, solch ein arger Poswicht und treuloser Schuft bist du, wie eben alle, die es auf Erden zu was bringen wollen. Schweig, ich weiß alles. Gib den Brief her, den du im Busen hast.«

Der Jörg stammelnd: »Ich – ich – einen Brief . . .«

Der Pfeifer: »Ich seh dich durch und durch. Her mit dem Geleitsbrief für deine Lebensreis zu Glück und Ehr.«

Der Jörg tastete mit zitternder Hand ins Wams und zog endlich aus irgendeiner versteckten Tiefe ein säuberlich gefaltetes Schreiben hervor. Der Pfeifer nahm es ihm ab. Der Jörg verfiel ganz und gar. Er ließ den Kopf sinken und starrte vor sich hin. Hinter den Ohren stieg ihm eine dunkle Röte auf. Seine Augen wurden wässerig.

Der Pfeifer las und nickte: »Ich, Andres Tucher, Ratsherr zu Nürnberg – so, so – empfiehlt Jürgen Dietz, dieweil 455 er ihm und der Stadt großen, treulichen Dienst getan – wissen wir – und so weiter – hm? gesiegelt und eigene Hand . . . Also,« sagte er, nachdem er mit dem Lesen fertig war. »Die Schuld ist klar am Tag. Schweig, Memme! Du hast kein Wort mehr zu reden. Herr Mangold von Eberstein hat mir Gericht über dein Leben gegeben. Und ich spreche, daß du des Todes sein mußt. Ja, knie nur hin und heul. So bist du der, der du eigentlich bist.« Er wandte sich zur Trudel, die in der Verlegenheit ein Sträußchen Primeln zu pflücken begonnen hatte.

»Nach altem, deutschem Recht,« fuhr er fort, »wird der Verräter bei lebendigem Leibe begraben. Aber solche Müh ist der Hund nit wert. Einen ehrlichen Tod durch Schwert oder Spieß ist er noch minder wert. So wollen wir ihm den Tod des Feigen antun und ihn tränken. Der Himmel hat uns dafür Wasser genug geschickt.«

Der Jörg kniete im Gras und brachte weder Wort noch Tränen mehr hervor. Hilflos wie ein Tier, das in die Enge getrieben ist, ließ er seine Augen umher gehen, die nur mehr Furcht und Schreck waren.

Aber die Trudel warf sich auch auf die Knie und streckte ihre Hand mit dem goldgelben Sträußchen zum Pfeifer empor.

»Kein Blut – kein Tod heut mehr!« flehte sie schaudernd und mit Tränen im Blick. »Ich bitt dich um des barmherzigen Himmels willen, der uns wunderbar gerettet hat, laß ihn leben, üb Gnade, nimm ihn gefangen, aber bring ihn nit um!«

Der Pfeifer dachte nach. Eben flog vom Tal herauf ein Windstoß und ein Sonnenblick. Das lenzende Land schimmerte, die Silberkätzchen der Weiden glänzten an den bewegten Zweigen.

Der lange Hans sprach: »Jörg Dietz. des römischen Rechts geübter, nach deutschem Recht schmählichen Endes würdiger, du bist gerichtet. Aber um dieses Mädchens willen sei dir der Tod erspart. Sagt ich dir nit, daß sie das Leben ist? Jörg Dietz, steh auf. Nein – deine Hand mag ich nit. Hör an. Itzt mach ich dir das schlechteste Geschenk, das dir jemand machen kann.« 456

Der Pfeifer sah ihm scharf ins Gesicht. Seine hellen Augen blickten sonderbar, als sähe er durch den jungen Menschen hindurch in die Ferne, seine Lippen umspielte ein teuflisches Lächeln: »Jörg Dietz, ich schenk dir dein Leben. Ja, freu dich nur. Ich sag dir, es kommt der Tag, da wirst du mich verfluchen für dieses Geschenk. Da wirst du dein Hundeelend gern los sein wollen, aber es nit können los werden, dann du bist feig. Itzt häng dich auf den Gaul, den schenk ich dir drauf, dann ich bin ein großer Herr. Hier hast du dein Geleitsbrieflein. So, und itzt reit hinab gen Wolfsmünster, da triffst du deinesgleichen – Nürnberger. Schwenk das weiße Tüchlein, schwenk das Brieflein und umarm recht bald und von Herzen dein Bräutlein, die Helena Odheimerin – und führ sie heim in dein Haus. Das weitere wird schon der und jener besorgen.«

Der Schüler sah ihn töricht an und stammelte: »Pfeifer, hab Dank. So du einmal – gen Nürnberg kämst – ledig oder gefangen – ich will dein Freund sein . . .«

Der lange Hans drauf: »Dein Freund will ich nimmer sein, und deiner Freundschaft bedarf ich nit – nit einmal unterm Galgen. Heb dich hinweg!«

Der Jörg ging gesenkten Hauptes zu seinem Rößlein, band es los und saß auf. Noch einmal wollte er was sagen. Aber der Pfeifer machte eine gebieterische Handbewegung und gab dem Gaul, als der vom andern nicht recht weg wollte, mit seinem langen Bein einen Tritt in den Hintern. Das kleine Pferd warf den Kopf auf, drehte den Schweif und hopste, daß der Reiter sich am Sattelkranz festhalten mußte.

»Husch, husch!« rief der Pfeifer und patschte in die Hände. Da begann das Rößlein zu traben und lief lustig wiehernd den Pfad am Ufer gegen Gräfendorf hinab.

Sie sahen ihm eine Weile nach. »Ich bin zufrieden in meiner Haut,« sagte der Pfeifer, »und dank Gott für selbe, dann sie hält sich gut. Aber so ich wer anderer werden müßt – der da reit, der möcht ich nit sein – Gott bewahr! lieber am Galgen! Trudel, es ist gut, daß wir die Rach dem Himmel überlassen haben. Die wird besser kommen, dann wir sie hätten ausdenken mögen. Zwei Weibern 457 verdankt der sein Leben – seiner Mutter und dir. Die dritte wird ihn dem Teufel und der Höllenpein übergeben, noch ehdann er gestorben ist. So. Nun komm, daß weiter geschehe, was bestimmt ist. Aber erst wart noch ein wenig und steck dich da hinter die Büsch. Ich muß vom Berglein da droben Ausschau halten.« Er band den Schimmel los und saß auf.

»Du kommst aber gleich wieder!« rief die Trudel bang, »du reitst nit weg!«

»Nein, nein, mein liebs Kindlein, hab keine Furcht,« sagte er. »Ich bin gleich wieder da.«

Er galoppierte den Hang hinauf. Sie ungeachtet seines Auftrags lief ihm ein Stück nach und spähte. Er ritt auf die Höhe, die Ausblick weit ins Tal hinunter bot. Eine geraume Zeit hielt er oben, blickte mit der Hand vor den Augen westwärts, dann wieder südwärts, dann wieder westwärts. Endlich kam er herabgetrabt.

»Blau!« sprach er, sich abwerfend, »Reuter sind schon auf der Höh drüberm Schondertal am Wald. Und von Wolfsmünster ruckt es herauf, muß Fußvolk oder Geschütz sein.«

Die Trudel: »Schnell, schnell, ins Holz!«

Er drauf: »Nur ruhig, du Hasenfüßlein. Uns geschieht nichts mehr. Wär es uns verhängt, da stünden wir itzt nit hier, da hätt es uns schon früher erwischt. Horch auf den Wind, der singt nichts dann Leben, Leben!«

Er zog mit dem Roß und dem Mädchen seitab in ein liebliches Bachgründlein, das von den Wäldern herunter zum Tal mündete. Da blühten die Frühlingsersten, die blauen Leberblümchen, die goldenen Butterblumen, das rötliche Lungenkraut und die Buschwindröschen, die lichten Osterboten. Das Bächlein murmelte unter Blättern und Steinen, die Vögel sangen, durch die knospenden, grünenden Wipfel harfte der Wind, und oben zogen die weichen, graublauen Wolken mit den grellen Silbersäumen. An einer uralten Buche hielt er still. In der Linken den Zügel des Rosses, die Rechte auf den Reiterspieß gestützt, begann er zu reden und sprach:

»Es ist Auferstehung. Vielen pfeift heut der Vogel Tod, 458 uns zweien schlägt die Nachtigall. Manche, die wir lieb haben, kommen zu End, und über ihren Gräbern steht der Frühling auf, blüht die Welt und klingt das ewige Lied des Lebens. Deutsche sterben, Deutschland stirbt nicht.«

Er schwieg eine Weile und fuhr dann fort: »Mädel, itzt, wollt ich ein Held sein, stieg ich zu Roß und ritt spornstreichs dahinüber, wo die Stücke so grob reden, und risch frisch in den großen Strudel hinein, der die verschlingt, denen ich drei Jahr gern, treulich und in vielen Freuden als ein Reuter gedient hab.«

Die Trudel warf sich an seine Brust und umschlang ihn.

»Hab keine Sorg, Mädel,« sprach er, »mich ruft's anders. Heut ist Auferstehung. Der Pfeifer steht auf, des Windes Sohn. Er pfeift auf Held und Welt, um dem treu zu sein, das ihm zuinnerst wohnt und ewig ist, als der Frühling. Sieh! Den Reuter tu ich ab, ich sags, nit ohne Leid. Gern trug ich ihn. Und was zu unterst heraus kommt, das ist der Spielmann, der sei dein, und der Narr, der ist Gottes.«

Er legte den Helm ab, band Schienen und Harnisch los. Die Trudel mit feuchtglänzenden Augen lachend half ihm dabei. Jetzt stand er in seinem kurzen braunen Wams mit roten Hosen und roter Kappe da. Auch die Sporen nahm er ab. Und nun begann er ein Reiterlied pfeifend aus dem ganzen Rüstzeug mit Hilfe von Riemen, Halfterstrick, Habersäcken, Ästen, die er abbrach, Gras, das er ausriß, einen Popanz, ein Reiterschemen zusammen zu fügen und haltbar Glied an Glied zu befestigen. Als der Kerl fertig war, band er ihm das Schwert um, steckte ihm den Spieß in die Rechte und band den mit einer Schnur fest. Dann hob er die Vogelscheuche aufs Pferd, verknotete sie mit den Riemen des Aftergereits am Sattel, schnallte die Beinschienen an die Bügelriemen und die Sporen an die Bügel und endlich die Zügel an den linken Arm des hohlen Reiters. Die Trudel sah ihm schweigend zu und half da und dort. Noch wurde stellenweise einiges verbessert und versichert, dann trat er zurück, musterte sein Werk und sprach zum Pferd: »Lieber, guter, treuer Schimmel. Du hast mich brav getragen manchen Tag und manche Nacht durch ein windiges frisches Reuterleben, zwischen 459 Raub, Rad, Galgen, Wein, Würfel, Lied und Lieb, zwischen Tod und Leben her, und oft wars nur ein schmaler Steg, wo wir übern Abgrund ritten. Itzt muß es geschieden sein. Dann was ein rechter Spielmann ist, der lauft zu Fuß durch die Welt, so hat er nur für die eigenen Beine zu sorgen, und säet nit Korn und Hafer und erntet nur, als die freien Vögel in der Luft, und blüht sorglos als Gottes Lilien im Feld. Leb wohl, guter, alter Trappert. Hab Dank für deine weiten Sprüng und dein treues, allzeit fröhliches Gemüt. Such dir einen guten Herrn auf deine alten Tag, einen reichen Bauern oder einen tüchtigen Reuter. Und der dir nit gefällt, dem schlag die Hinterhüf in die Zähn oder setz ihn ab kopfüber in den Dreck. Gott bescher dir alleweil Hafer, Heu und Streu.«

Er schlang die Arme um den Hals des Gauls und küßte ihn auf die fleckige Schnauze. Die Trudel hatte geschwind einen Strauß Blumen gerissen und geknüpft. Er hob das Mädchen empor. Sie steckte dem Schimmel die Blumen unters Stirnband, und er wackelte mit dem linken Ohr dazu. Auch die Trudel umarmte und küßte ihn und sagte ihm ins Ohr: »Hab Dank, Schimmel, daß du mir den Hans so oft bracht hast.«

Jetzt nahm der Pfeifer die Laute vom Sattel, wo sie hing, ergriff den Zügel, wandte das Pferd und führte es wieder auf den Weg hinaus. Die Trudel ging mit. Draußen im Tal ließ er den Schimmel los, gab ihm einen Schlag und ermunterte ihn zum Laufen. Der Gaul sah erst verwundert um. Der klappernde Reiter auf ihm war leicht, aber er ritt nicht gut. Wie das Pferd sich rührte, klopfte er ihm mit den Sporen in den Bauch, als es eben ein schlechter Reiter tut. Der Schimmel hüpfte ein wenig und begann zu traben. Der Popanz rasselte und spornte. Der Schimmel fetzte aus, der Popanz fiel ihm auf den Hals und schlug ihm den Spieß zwischen die Ohren. Der Schimmel stieg, der Reiter fiel klappernd zurück und riß ihn im Maul. Jetzt ward der Schimmel bös. Er fing die Stange und fuhr los in einem Donnerbraus das Tal hinab gen Gräfendorf.

Der lange Hans und die Trudel sahen hinter ihm her und 460 lachten, bis er, häufig noch mit den Hinterbeinen und blitzenden Eisen winkend, verschwunden war.

»Was wird der nun alles anrichten?« sagte der Pfeifer. »Im Dorf überrennt er Mensch und Tier und macht die Gäul scheu. Den Jörgen Dietz überholt er. Der kleine Braune erkennt seinen Kameraden, wiehert und rast mit. Sie rasen saalab bis Wolfsmünster. Da ruckt eben der Feind durch den Ort, Fußvolk, Troß und schweres Geschütz. Der verrückte Reuter braust herein, die Rosse scheuen, die Wagen schmeißen um, die Knechte fluchen, die Weiber kreischen, alles brüllt – Feind! und reißt aus Hals über Kopf. Mein gewestes Rüstzeug schlägt noch ein ganz Heer in die Flucht. Solch ein Mann bin ich!«

Die Trudel wollte sich zerlachen. Sie hing an seinem Arm, und beide schritten in die Wälder hinauf. Bei einem schönen Ausblick ins liebliche Saaletal blieb der Pfeifer stehn, sah hinaus und dann das Mädchen an und sagte: »Was wird nun sein?«

Die Trudel sprang an ihm hinauf und küßte ihn: »Was soll sein?« flüsterte sie mit strahlenden Lichtaugen. »Ich bin bei dir.«

Er streichelte lächelnd ihr helles Haar. »Wohlan,« sprach er, »laß uns wandern mitsammen den Weg, den uns Gott unter die Füß schiebt. Die Vögel werden überall um uns singen in Luft und Bäumen, die Blumen werden blühen am Weg. Ich schreit aus und sing, du läufst mit, und bist du müd, so ruhen wir. Du bist bei mir, mein Blümlein, mein Herz, mein Lied. Ich bin geblieben, der ich bin. Die drei Jahr haben mich nit anders gemacht. Nur um dich bin ich mehr geworden.«

»Und wirst du mir nun treu sein?«

»Ja. Dann du hast mich erworben. Die Treue ist der Liebe Tod, aber die Liebe ist der Treue Samen. Es wird Frühling, es geht eine neue Blum auf. Die blüht ewig und trägt keine Frucht. Das ist die Lieb, die keiner Treu bedarf und nichts will, drum muß ihr alles werden.«

Sie zogen am Wald hin. Blumen blühten, Vögel sangen. Wolken zogen, Scheine und Schatten flogen übers 461 Frankenland. Es war so still. Auch der ferne Donner des Kampfes schwieg nun.

Sie wanderten. Der lange Hans griff manchmal träumend in die Saiten. Die Trudel hing an seinem Arm und trabte nebenher. Keines sprach ein Wort.

 


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