Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Burgsommer

Die Odheimerin saß in der Laube oberm Zwinger und stickte. Es war tief still auf dem Brandenstein. Die Reiter ausgeflogen, die Hausfrau mit den Mägden im Feld. Mittaghohe Sonne floß gleißend die steilen Giebel herab und brannte, daß man manchmal glaubte, es knistern zu hören. Die Schatten fielen steil.

Südwärts überm blaudunstenden Spessart reckten sich weiße Wolken auf, seltsame Gestalten mit überlangen Hälsen und Riesenhäuptern, Tier- und Menschengesichter, wilde Wesen versunkener Welten. Weit blickten sie unter finster schattenden Stirnen über die Lande weg in hoher, stummer Schwermut, als sähen sie grause Dinge herankommen.

Auf den Hügelwellen bei gelben Saatstreifen standen die ersten Kornmännlein, blitzten da und dort die Sicheln. Die Wälder dunkelgrün wölbten sich im Vollsaft des Sommers.

Das Haupttor unten stand offen. Der alte Leonhard mit seinem alten Hund saß vor dem Pförtnerhäuschen. Beide schliefen. Ein Schritt nahte die Straße herein. Der Hund hob sich träg und bellte. Der Pförtner wurde wach. Ein bäuerlich gekleideter Mann kam, grüßte ihn und zog Briefe aus der umgehängten Tasche. Sie sprachen mit einander. »Der Herr ist dort im Vorhof,« sagte der Pförtner. Der Bauer ging durch die Wehrgasse weiter. Dann war es wieder still.

Nach einer Weile kam Mangold durch den Hof heraufgeschritten, barhaupt, Wams und Hemd halb offen. Er trat zur Odheimerin.

»Post aus Nürnberg,« sagte er, ein verschlossenes Schreiben vor sie auf das Tischchen legend, während er ein erbrochenes in der Hand behielt. »Man zahlt die Schatzung für den gefangenen Seiler,« fuhr er fort und blickte in den Brief. »Seltsam, das Geld wird auf einen Juden zu Würzburg angeschrieben. Ich acht, der Mann hat ein gut Geschäft, hätten ihn höher schatzen sollen. Und Euch schreibt wohl der Rat wegen des Spruchs vom Kammergericht?«

Die Odheimerin, den Brief betrachtend: »Ist kein Stadtsiegel daran.« 101

Mangold: »Vielleicht geben sie nach, aber so schnell, das sollt mich wundern.«

Er setzte sich halb auf das Mäuerlein und blickte durch die Weinranken hinaus.

Die Odheimerin hatte das Schreiben entfaltet und begann zu lesen. Erst schüttelte sie ein wenig das Haupt, wandte das Blatt um, sah flüchtig nach der Unterschrift, kehrte es wieder und las weiter. In ihre Augen trat ein Schrecken. »Was ist das?« sagte sie leise. Das Schreiben zitterte in ihrer Hand. Dunkle Röte stieg in ihre Stirn. »Was ist das?« rief sie aus, ließ den Brief fallen und wandte sich mit einer entsetzt abwehrenden Handbewegung, als würde sie von einem scheußlichen Tier angekrochen.

Der Ritter war aufgesprungen und sah sie verwundert an. Sie saß zurückgesunken, purpurn im Gesicht bis in den Hals hinein, die Augen voll Tränen, um die bebenden Lippen unaussprechlichen Ekel.

»Ich bitt Euch, leset,« klagte sie. »Ich weiß nicht, was das heißen soll – irgendein Spott –«

Mangold las. Seine Stirnfalten wuchsen finster zusammen, seine Blicke begannen kaltes Feuer zu sprühen.

»Der Teufel . . .!« fuhr er auf.

Er lehnte sich an die Mauer zurück und las fort. Seine Rechte krampfte sich um einen halb gelockerten Stein der Brüstung und hob ihn grimmig zugreifend ganz aus. Er wandte das Blatt, überflog es bis zum Ende und schleuderte es auf den Tisch. Der schwere Mauerstein war in seiner Faust. Er hob ihn und warf ihn mit mächtigem Schwung durch die Ranken in den Zwinger hinab.

»Um Gotteswillen!« schreckte die Odheimerin zusammen, »wenn wer unten ist . . .!«

Mangold kehrte sich ruhig, sah hinab und schüttelte den Kopf. Dann nahm er den Brief und sprach durch die Zähne: »Das soll sie Blut kosten. Ich schatz keinen mehr. Die Köpf hau ich ihnen ab und schick die dem Rat.«

Damit wandte er sich und schritt mächtig in den Hof hinaus.

»Was ist es nur, sagt mir doch, was ist es?« rief die Odheimerin, ihm nacheilend. »Wer hats geschrieben?« 102

Der Junker blieb stehen. »Nürnberg,« sagte er kurz. »Was, das braucht ihr nit zu wissen.«

Er tat ein paar Schritte dem Stall zu.

»Aschmesser! – Schau!« rief er dann. »Ach so, die sind alle fort.« Er stand unschlüssig im Hof bei der Treppe, die Odheimerin vor der Laube.

Da hallten Huftritte im Tor. Er eilte zur Brüstung.

»Ulrich!« rief er hinab. »Du kommst wie gerufen!«

Wieder wollte er hastig in den Hof hinab, besann sich plötzlich, machte kehrt, trat auf die Odheimerin zu, nahm ihre Hand und sprach: »Es soll Euch nit übel ankommen. Ihr habt ja kaum was gelesen. Das Weitere laßt mir über.«

Er zog ihre Hand an seine Lippen und ging dann rasch dem Tor zu.

Hutten war im Vorhof eben abgesessen und gab dem Vogt Peter die Zügel seines Pferdes. Er war in Harnisch und Helm.

»Ich trete eine lange Reise an,« rief er Mangold lebhaft entgegen, »bin nur geschwind herauf gekommen, dir Lebwohl zu sagen, Oheim. Meine Knechte sind schon voraus nach Elm und warten unten auf mich.«

Mangold begrüßte ihn kurz. »Ein halb Stündlein wirst du noch Weil haben,« sagte er. »Ich hätt was gar Schlimmes mit dir zu bereden.«

Sie gingen nebeneinander über die Brücke in den inneren Hof.

»Ich reise nach den Niederlanden,« begann Ulrich mit neuem Eifer. »Zum Erzherzog Ferdinand reis' ich, der dort der Ankunft des Kaisers harrt. Du weißt, ihm hab ich im Frühjahr die alte Schrift gewidmet, die ich in der Bibliothek zu Fulda gefunden und neu ans Licht gebracht, die Schrift, die ein für seine Zeit erstaunlich tapferer Mann für Kaiser Heinrich IV. wider den Papst Hildebrand und die römischen Einmischungen in weltliche Dinge geschrieben. Ferdinand hat sie wohl aufgenommen, und nun reis' ich zu ihm, auf daß ich ihn selbst noch mit lebendigem Wort für Deutschlands Kampf gegen Rom begeistere und der deutschen Sache an 103 diesem weisen und umsichtigen Fürsten einen Fürsprecher beim jungen Kaiser gewinne.«

Sie waren in den Hof gekommen. Mangold sah nach der Laube. Die Odheimerin war weggegangen.

Ulrich mit steigender Lebhaftigkeit fortfahrend: »Die besten Geister Deutschlands begleiten meine Fahrt mit großen Hoffnungen. Melanchthon wünscht mir Glück und Segen zu dem kühnen Unternehmen, das der Freiheit einen Weg bahnen soll durch die größten Fürsten. Crotus und Luther hoffen, mich demnächst an Ferdinands Hof zum Vorteil der guten Sache angestellt zu sehen. Stromer nennt mich schon des Erzherzogs Rat. Aber ich weiß wohl, wie langsam der Erfolg kriecht, indes Hoffnung und Erwartung mit frohen Schwingen schon die halbe Erde umkreist haben.«

Im oberen Absatz des Hofes war Mangold sinnend stehn geblieben. Er machte ein paar Schritte der Laube zu, trat an die Mauer und blickte in den Torweg hinab.

Ulrich ging ihm nach und fuhr fort: »Es ist eine große Stunde, eine Stunde voller Verhängnis. Nie vielleicht hat dem Reich eine wichtigere geschlagen. Luther in den Bann getan – hast du's schon gehört? – Eck, vom Papst mit Geld und Pfründen beschenkt – auf Deutschlands Kosten natürlich – kehrt von Rom zurück. Alles rennt um die Wette dem neuen Kaiser entgegen, um ihn zu beschwätzen, ihn für diese oder jene Sache zu gewinnen. Derweil mag Rom, das überall hinzukommen weiß, ihn schon auf der Meerfahrt von Spanien her bearbeiten lassen. Geb Gott ihm Einsicht und Kraft, ein deutscher König zu sein! Ich fürchte sehr ob seines fremden Blutes.«

Mangold hatte sich umgesehn. »Komm lieber in die Stube hinauf,« sagte er und ging zum Treppenturm voraus. Während sie die Stiege empor schritten, sprach Ulrich immerzu weiter, wovon ihm das Herz voll war. Mangold sah grimmig vor sich in die Stufen und hielt den Brief halbzerknittert in der Faust. Oben führte er den redelustigen Neffen durch die Halle und den Vorraum in die vertäfelte Stube am Südwesteck des Gebäudes. Alle Türen schloß er sorgfältig hinter sich und blickte auch noch prüfend in den nebenan liegenden 104 Saal. Dann schob er Ulrich einen Sessel zu. »Da lies,« sagte er, den Brief auf den Tisch werfend. Ulrich, indem er das Blatt nahm und es glatt strich: »Von Nürnberg? In der Odheimerin Sach? – Nun,« sagte er aufblickend, »bist du nicht zufrieden mit dem Spruch des Kammergerichtes, den ich durch meinen Kurfürsten erwirkt hab?«

Mangold: »Der kommt nun zu spät. Dabei können wir uns nimmer bescheiden. Lies, sag ich dir.«

Ulrich, im Sessel lehnend, begann das Schreiben zu entziffern. Mangold stand am Ofen und beobachtete scharf seine Miene. Ulrich las, schmunzelte, blickte nach der Unterschrift, las weiter, lächelte und lachte schließlich laut heraus.

»Du kannst lachen?« sprach der Ebersteiner dumpf und verfinstert.

»Warum nicht?« versetzte Hutten. »Es ist kein übler Scherz, nicht ohne Witz verfaßt.«

Mangold langsam und eisig: »Scherz? – So mag es wohl dem Schreiber der Dunkelmännerbriefe scheinen.«

Ulrich halb ärgerlich: »Die sind freilich besser.« Mit gerunzelter Stirn und spöttisch zuckenden Lippen las er weiter.

Mangold: »Ein Scherz. Gut. Aber was die Stadt Nürnberg dafür wird zahlen müssen, das soll ihr kein Scherz sein.«

Ulrich, den Brief hinwerfend: »Die Stadt, Oheim? Was hat die Stadt damit zu tun? Das haben ein paar überlustige Burschen beim Wein geschrieben.«

Mangold: »Ist mir gleich. Nürnberger sinds und nürnbergisch, echt nürnbergisch ist der Brief.«

Ulrich, das Siegel betrachtend: »Potztausend, ein seltsam Petschier. Das muß ein altrömischer Fund sein. Wo mag er den herhaben?« Er schmunzelte. »Hast du's angeschaut?«

Mangold nickte mit grimmigem Blick. »Vielleicht eines römischen Doktors Wappen,« sprach er höhnisch. »Solcher Unflat stünd ihm zu. Unflat alles,« fuhr er auf. »Schweinerei und Schmach das ganze Ding.« Er tat einen mächtigen Schritt dem Fenster zu und hob die Faust. »Das schwör ich, ehedann nicht ein paar Ratsherrn da unten im Gewölb liegen und ehdann sie nicht dort auf den Bäumen hängen, eh steig ich nicht aus dem Sattel. Heut noch schick ich Boten aus zu 105 allen Freunden und Schwägern und reit selbst und bring auf, was in Franken an Roß, Rüstung und Geschütz zu kriegen, und spräng mein letzter Pfennig dafür ausm Sack, und müßt ich Haus und Hof verpfänden. Die Stadt muß mir ihre Tore auftun, auf den Knien werden sies abbitten, was sie der Frau und mir getan.«

Ulrich, indem er sich mit kräftigem Ruck vom Tisch wegschob: »Oheim, welch ein Wahnsinn! Und wann du fünfzig Reuter und drei oder viermal so viel Reislaufer aufbringst, glaubst du, du wirst die Stadt Nürnberg zwingen, die sich so manches großen Fürsten zu seinem Schaden erwehrt hat?«

Mangold, die Hände auf dem Rücken, die Lippen zusammengepreßt, mit eisgrauen Blicken stand vor dem offenen Fenster und sah zur Ferne.

»Ich ruh und rast nit,« sprach er vor sich hin. »Es muß ein Krieg werden, wie Nürnberg noch keinen ertragen.«

Ulrich sprang auf. »Oheim!« rief er, »bedenks, was du tun willst! Meinst du, dieses Fetzens wegen wird die Ritterschaft geschlossen Krieg führen wider Nürnberg?«

Mangold, sich wendend: »Ei, wann Ulrich von Hutten eine Schrift ausgehn ließ, da wurd mancher uns zustehn. Itzt laß einmal deine Feder laufen, zeig, was du kannst. Die Sach ists wert.«

Ulrich ernst: »Die Sach ists nicht wert. Ich hab besseres zu tun, und du, Oheim,« er trat auf ihn zu und nahm ihn beim Arm, »du auch! Ich sags dir, wirf den Schmähbrief in den Ofen, wirf den ganzen Handel von dir. Die Frau hat ihr Recht erlangt beim höchsten Gericht, was willst du mehr?«

Mangold: »Das wird sich erst weisen, ob sie ihr das Ihre nun herausgeben. Wie ich die Nürnberger kenn, die pfeifen aufs Reichskammergericht so gut – als es die Ritter tun. Und wie dem immer sei: jetzt ists zu spät, jetzt geb ich nimmer nach.«

Ulrich: »Daß sie den Spruch befolgen, dafür laß mich sorgen. Ich komm zum Erzherzog, ich komm zum Kaiser. In Antwerpen sind Nürnberger genug von den reichen 106 Handelsherren und Räten. Ich wills dir durchsetzen, daß die Frau alles erhält bis auf Heller und Pfennig.«

Mangold: »Und ihre Ehr und meine Ehr?«

Ulrich: »Können dir ein paar Buben deine Ehr nehmen?«

Mangold hart lachend: »Sie sollens versuchen. Sie habens versucht, und das werden sie mit dem Leben bezahlen.«

Ulrich begütigend: »Oheim, hab ein Einsehen. Du rennst wider die stärksten Mauern in Deutschland.«

Mangold, den Kopf schüttelnd: »Sie oder ich.«

Ulrich in steigendem Eifer: »Noch einmal, zum hundertsten Mal sag ichs dir: Was wendest du deine Kraft an solche Dinge jetzt, wo jedes deutschen Ritters Kraft und Schwert not wäre zu großen Taten? Das sag ich dir. Wir stehn an der Schwelle gewaltiger Geschehnisse. Wahrlich, es ist keine Zeit, mit Städten um Recht oder Unrecht eines Bürgers zu raufen und Kaufleute zu fangen. Luther im Bann! – Hast du erfaßt, was das bedeutet? Rom, so frech, so herrsch- und habsüchtig, so hoffärtig und unverschämt wie noch nie, erhebt sein Haupt, erhebt den Fuß, um Deutschlands Freiheit ein für allemal in den Kot zu treten. Ein Deutscher hat es gewagt, Rom zu sagen, was es ist. Und das ist die Antwort: der Bannfluch! – Nicht nach dem kleinen Nürnberg, nach dem großen Rom sieh hinUlrich v. Hutten: »Vadiscus oder die römische Dreifaltigkeit«. Nach D. F. Strauß., sieh die große Scheune des Erdkreises, in welche zusammengeschleppt wird, was in allen Landen geraubt und genommen worden, in deren Mitte jener unersättliche Kornwurm sitzt, der ungeheure Haufen Frucht verschlingt, umgeben von seinen zahlreichen Mitfressern, die uns zuerst das Blut ausgesogen, dann das Fleisch abgenagt haben, jetzt aber an das Mark gekommen sind, uns die innersten Gebeine zerbrechen und alles, was noch übrig ist, zermalmen. Werden nicht endlich jetzt die Deutschen zu den Waffen greifen, nicht mit Feuer und Schwert anstürmen? Fünfhundert Jahre schon leben die Plünderer zu Rom vom Blut und Schweiß der weltbeherrschenden Nation, nähren ihre Wollust mit unseren Eingeweiden, halten sich für unser 107 Gold ihre Pferde, Hunde, Lustdirnen und Lustknaben. Und verlachen uns dafür als die Barbaren, als die größten Tölpel des Erdkreises. Erst durch Schöntun, Lügen und Trügen haben sie uns Geld und Gut abgelockt; jetzt, wo einmal, endlich einmal ein deutscher Mund sich auftut und deutsch redet, jetzt greifen sie zu Schrecken, Drohung und Gewalt. Aber der Tag ist angebrochen, und die Nacht hat sich geneigt. Luthers deutsches Wort ist der Donner, vor dem Babylon erzittert. Das deutsche Evangelium, das ists, was sie nicht hören können. Die Lüge zerfällt, die Wahrheit leuchtet auf wie der Blitz, geht auf wie die Sonne, und der Trug, den sie um unsere Augen gesponnen, zerrinnt vor Gottes eigenem Wort. Oheim, glaub mirs, es kommt ein großes Auspeitschen der Wechsler aus dem Tempel, und Christus selber führt uns an. Er führt die Deutschen an, die berufen sind, das Evangelium in seiner Reinheit wieder herzustellen, und jedes deutschen Ritters Schwert muß in seinem Heerbann leuchten!«

Totenblaß stand Ulrich vor dem Oheim, der ihn um Haupteslänge überragte, und hielt bebend seine beiden Arme fest. Mangold sah kühl auf ihn herab. »So hab ich dich schon oft gehört,« sprach er ruhig. »Du schwärmst immer ins Meilenweite. Das, was vor uns liegt, das müssen wir tun. Der Feind, der vor einem steht, der muß geschlagen werden, so soll es ein rechter Kriegsmann halten. Denn laßt du den leben, so zwingst du auch die nicht, die dahinter kommen.«

Ulrich, die Hände zusammenschlagend: »Das ists! Da haben wirs. Immer nur das sehen, was einem vor den Augen steht, und nichts dahinter! Das ist deutsch! So bist du, so ist der Sickingen, so sind sie alle! Der Franz, der sieht ein wenig mehr. Der geht auf die geistlichen Fürsten los, wie du auf die Stadt. Der will den Trierer Bischof zermalmen, als wär der der Papst und der Teufel in Deutschland.«

Mangold: »Nun, und hat er nicht recht? Denk an die Wahlstube zu Frankfurt, da haben wirs gesehn und vernommen, du und ich.«

Ulrich: »Wahr. Der Richard Greiffenklau wollte Deutschland verraten an Frankreich. Wir habens ihm und den andern 108 verdorben. Aber, Oheim, wer weiß, ob wir damit für Deutschland ein Glück gemacht? Wer weiß, hätten die Kurfürsten damals den Fremden gewählt, es stünd vielleicht besser jetzt mit uns. Oheim, im Vertrauen, ist Karl ein Glück fürs Reich? Wo sind seine Versprechen, wo sind die Hoffnungen, die Deutschland auf ihn gesetzt? Jetzt, ein Jahr nach der Wahl, ist er noch nicht im Land. Er hat die Krone, die deutsche Krone, die heiligste, mächtigste des Erdkreises, genommen, wie man einen Sonntagshut nimmt, der einem gebührt, und um Deutschlands Leiden schert er sich den Teufel. Spanien, Niederlande, Amerika, Neapel, das sind seine Sorgen.«

Mangold: »Laß ihn doch erst kommen; hat er doch noch gar nit Zeit gehabt zu zeigen, wie ers meint.«

Ulrich: »Meint ers gut, er ließ sich nit so viel Zeit, es zu zeigen. Nein, Oheim, auch dieser Kaiser wird eine welke Hoffnung sein, und wollt Gott, es wär anders gekommen, wir hätten die Kurfürsten wählen lassen nach dem Geld, das sie empfangen und . . .«

Mangold: »Und – – –?«

Ulrich: »– – der Aufruhr wär in heller Flamme aufgeschlagen, der Sturm wär losgebrochen, und hätt sie alle hinweggefegt, den falschen Kaiser und die falschen Fürsten und die Pfaffen dazu.«

Mangold: »Und Deutschland läg in Krieg und Empörung, Frankreichs Heere von Westen, der Türk von Osten her über ihm.«

Ulrich mit blitzendem Auge: »Und in Deutschland gäbs kein Schwert? Die tausend und abertausend Ritter, Frundsberg mit seinen Landsknechten, ja die Bauern mit ihren Knütteln und Sternen, wären sie vom Erdboden verschwunden? Oder schlügen sie nicht unter einem Führer wie Sickingen hier den Franzen, da den Türken, daß beide hinstöben wie die Wolken vor dem Sturm? Der Deutsche ist der erste Krieger der Welt, der gefürchtetste, und in keinem Land der Erde stehn so viele Männer in Waffen, wie heut in Deutschland. Aber will man einen Reisigen haben, nur einen für die große Sach, da haben sie alle zu tun, als die Geladenen beim 109 Festmahl im Evangelium. Der Mangold muß Nürnberg zerstören eines Weibs halber, der Sickingen den Kurfürsten von Trier vertilgen. Und die Reichsstädt haben Kolonien in Westindien zu gründen, und die Fürsten kuppeln Heiraten und schachern mit Ländlein. Ich sag dir, ich machs auch noch wie der Gastgeber, ich geh auf die Straßen und hol mir meine Krieger von den Hecken und Zäunen. Bei Gott, der gemeine Mann, der weiß noch am besten, was die deutsche Not ist.«

Mangold spottend: »Das wurd ein stattlich Heer!«

Ulrich mit drohender Gebärde: »Nehmt euch in acht, ihr Edlen und Reichen! Es geschehen Zeichen und Wunder. Ihr wollt ihrer nicht wahr haben, ihr zankt euch herum um Eitelkeit und Gewinn, und die große Flut, die ihr noch, jetzt noch lenken könntet wider die Feinde des Reichs, die wird losbrechen und euch zuerst wegschwemmen.«

Mangold mit weiten Tritten auf und ab schreitend: »Und wer hat Schuld an all der drohenden Empörung?«

Ulrich: »Die Stadt etwa?«

Mangold stehend: »Jawohl, die Stadt.«

Ulrich: »Und der Junker, der den Bauern preßt.«

Mangold: »Warum preßt er ihn? Wer lehrt ihn, sein Geld vertun? Wer lehrt ihn fremden Brauch und Üppigkeit, auf daß der Handel blühe? Wer leiht ihm Geld auf Wucherzins und kauft die Güter aus?«

Ulrich: »Und wo blühn Künste und Wissenschaften? Etwan im Dorf? Etwan in den Burgen zwischen Roß- und Schweineställen?«

Mangold: »Und wer hat den Kaiser gemacht, der euch mißfällt? Das Kurkollegium oder der Fuggersche Dukat?«

Ulrich aufbrausend: »Da sagst du es! Wer hätt die Sickingschen Reiter, die Frundsbergischen Söldner bezahlt, so es nicht reiche Bürger in den Städten gäb?«

Mangold, weiterschreitend: »Das weiß die Stadt gar gut. Sie will alles feil machen. Sie kauft den Bauern, den Ritter, den Fürsten und den Kaiser zuletzt. Einen Kaiser von Mammons Gnaden, den will sie.«

Ulrich: »Wer sich kaufen läßt . . .« 110

Mangold: »Ich nicht. Drum bekrieg ich die Stadt.«

Ulrich: »Dir ist nicht zu helfen.«

Mangold: »Ich helf mir selber.«

Ulrich: »Wird dir auch keiner helfen in der Sach.« Er sah zum Fenster hinaus.

Mangold: »Wir wollen sehn. Es gibt noch Ritter, die wissen, was Ehr ist, und für Ehr das Schwert ziehn.«

Ulrich, rasch herumgewendet: »Ehr? – Da hüt nur die deine vor allem, Oheim. Du reitst drauf los und hörst es nit, was in den Sträuchern wispert.«

Mangold blieb stehen und sah ihn scharf an: »Was wispert?«

Ulrich: »Nun – der reitet um eine schöne Frau – die hat er bei ihm aufm Schloß . . .«

Mangold vorfahrend mit sprühendem Blick: »Den nenne mir, der so raunt, und ich wills ihm mit dem Hammer auf den Schädel zusagen, wofür ich reit.«

Ulrich: »Schlag du nach bösen Zungen.«

Mangold steil aufgerichtet: »Mögen sie geifern, ich reit. Erst recht. Versuchen will ich, wer an mich glaubt, und wem's noch dafür steht, um eines Ritters Ehr zu streiten und die einer Frau.«

Ulrich: »Wahrlich, jetzt gäbs größere Dinge, wofür die Ritterschaft streiten müßt, dann um Ehrenhändel.«

Mangold mit verschränkten Armen sah ihn eine Weile schweigend an. Dann sprach er: »Ulrich, du bist kein Ritter mehr.«

Hutten, den Blick aufreißend und raschen Schritts an ihn herantretend: »Nein!« Dann mit bebenden Lippen sich wieder abwendend: »Ein Ritter, wie ihr es meint, der bin ich nimmer. Es ist ein neuer Adel, der aufsteigt, ein Adel des Geistes . . .«

Mangold kalt spöttisch: »Und des Gänsekiels, des römischen Rechts . . .«

Hutten: »So ists, der Wissenschaft und der Künste.«

Mangold: »Hat sondere Ehr, macht und nimmt sie mit Tinte.«

Hutten abermals auf ihn zutretend: »Ja. Mit Wappen und Ahnen ists nimmer getan, das sag ich Euch. Und so der 111 alte Adel dem neuen nicht vorangeht im Geist, dann ists auch um ihn getan. Das Volk braucht neue Führer.«

Mangold: »Gott bewahr es vor denen.«

Ulrich mit erhobenem Finger: »Gott bewahr euch vor den Erwachenden, ihr, die ihr schlafet.«

Eine geraume Weile schwiegen sie und schritten durch den Tisch getrennt gegeneinander hin und her.

Ulrich begann wieder und sprach in herzlichem Ton: »Oheim, ich glaub an deine Ehr, aber ich reit nit mit dir wider Nürnberg, ich hab Größeres zu tun. Hör auf mich: schmeiß den Wisch in den Ofen, so strafst du am besten, die ihn geschrieben. Laß den Handel.«

Mangold am Fenster, die Hände auf dem Rücken: »Wir verstehn uns nimmer.«

Wieder trat eine Stille ein. Ulrich, hinter dem Oheim stehend, sah ihn lange an. Dann trat er ihm zur Seite und sprach abermals mit Wärme: »So laß ein Weil drüber hingehn. Reit mit mir zum Erzherzog, trag es ihm vor. Er hat viel Macht. Wir brauchen Männer, wie du einer bist. Ich steh dir dafür, er macht dich zum Hauptmann und Rat, da hast du mehr Ehr davon, als du in Nürnberg holen magst, und werden die von Nürnberg geschwind nachgeben.«

Mangold eisern: »Ich brauch keine Ehr, dann meine eigene. Die haben sie mir besudelt. Ich muß sie waschen in Blut.«

Ulrich mit einem müden Seufzer, ihm die Hand hinstreckend: »So leb wohl. Wer weiß, wo und ob wir uns wiedersehn.«

Mangold seine Hand ergreifend: »Warum sollen wir uns nit wiedersehn?«

Ulrich: »Die Römischen trachten mir arg nach dem Leben. Der Papst hat sogar meinen Erzbischof geheißen, er sollt mich gefangen nach Rom liefern. Doch der hats abgewiesen als ein wackerer deutscher Fürst. Siehst du Roms Klauen? – Aber du siehst ja nur Nürnberg, die gute, deutsche Stadt. Gedenkst du nimmer unseres Abends in dem schönen Nürnberger Haus?«

Mangold: »Wohl gedenk ich der Pracht und Üppigkeit, 112 der Weiber und der Gaukler. Wo solches blüt, da ist Sumpf.«

Ulrich: »Lassen wirs. Vielleicht, wenn ich wiederkehr, find ich dich beim Sickingen.«

Mangolds Stirn verfinsterte sich. Dann schüttelte er das Haupt.

Ulrich: »Wie? – Auch den Sickingen verwirfst du jetzt?«

Mangold leicht lachend: »Ach nein! – eine Dummheit! Jetzt, wie du Sickingen sagtest – ich hatt letzthin einmal einen Traum, da ich zur Nacht im Wald lag, als ich mit Philipp von Rüdickheim auf Wagen aus Frankfurt gehalten, da träumt mir vom Franz, daß wir zusammen ritten, und verloren den Weg und suchten den um einen Berg, er hinauf, ich hinunter. Und da zogs mich durch Gestrüpp und Geschling immer tiefer hinab in dunklen Grund. Ich will das Roß aufnehmen, da hat es ein Maul wie Stein und hängt als ein Fels im Zügel, ich will dem Franz rufen, da hab ich keine Stimme mehr; ich will absitzen, da bin ich festgewachsen; es geht schneller und schneller hinab – ein Schwung – und ich bin wach und lieg unter Wipfeln und Sternen. Ich saß auf und holt Atem. Das war ein Traum, keinen dümmern hatt ich nie! Das Gefühl für einen Reuter, es nimmer regieren, was man reit . . . das soll der Teufel holen.«

Ulrich sehr nachdenklich mit dunklem Blick vor sich hinsehend: »Ja, wir vermeinen zu reiten, und es fährt mit uns dahin.« Er streckte und schüttelte sich. »Weg mit Träumen! – Es ist nit Sattelhenkens mehr, ich muß fort.«

Mangold hinausblickend: »Es will ein Wetter kommen. Bleib da zur Nacht.«

Ulrich: »Mich darf kein Wetter halten. Leb wohl, Oheim. Gott schenk uns ein Wiedersehen. Horch! Da kommen schon meine Knecht herauf, mich holen. Die haben lange Weil gekriegt, oder denken wohl, ich hätt überm Reden meiner und ihrer vergessen, wie das öfter geschieht.«

Er war zum Fenster getreten und sah in die Wehrgasse hinab. »Potz rem!« rief er. »Das ist der Nebukadnezar – und – ich bitt dich! schnell! – der 113 Gottschützeuchvordenweibern mit – bin ich träumend oder trunken? – mit einem Frauenzimmer, und ein jungs und schöns dazu!«

Mangold neben ihm am Fenster: »Wahrhaftig! Und drei Knechte hinter ihnen, ein ganzer Heerbann für den Voit!«

Ulrich: »Risch hinunter! Was soll das geben?«

Er eilte voraus. Mangold ging ihm gemessener nach und die Treppe hinab. Als sie unten waren, kam schon der Voit mit seiner Begleitung durch den hallenden Torgang in den inneren Hof geritten. Ihm zur Seite hielt nun auf einem stämmigem kleinen Schimmel ein Fräulein von etwa siebzehn Jahren und schlanker, lieblicher Gestalt. Der Voit hob das lange Bein über, saß ab, überließ seinen Klepper den Knechten und ging sehr aufrecht und festen Schrittes um das Pferd herum. Er trat vor die jugendliche Reiterin, hob sie mit einer Behutsamkeit, als wäre sie ganz von kostbarem Glas, aus dem Sattel und stellte sie auf den Boden. Dann fuhr er mit seiner Hand ihr zart und liebevoll über Stirn und Wange und fragte, ob sie recht müde sei, was sie lächelnd verneinte. Nun gab er ihr ritterlich den Arm und führte sie den beiden Junkern entgegen, die eilig über das Treppchen vom obern Hofabsatz herunter kamen.

»Das ist meine Muhme, das Elslein,« sagte er, und das reizende Kind gab den Rittern die Hand mit einem Lächeln, das ein Himmel voller Morgensonne war. Ulrich betrachtete sie erstaunt. Holderes war ihm nie begegnet. Unter hellbraunem Haar neigte sie ein blasses Gesichtchen. Die Augen, ein wenig schief gestellt, waren golden wie ein herbstlicher Wald. Das Figürchen im grünen Reitkleid hätte Peter Vischer nicht zierlicher und vollkommener in Erz bilden können.

»Ja,« sprach Nebukadnezar, »das Elslein, meines seligen Bruders Tochter. Sie war zeither zu Aschenburg im Kloster. Nun soll sie auf ein gutes Schloß, daß sie lerne, wie eine Edelfrau wirtschaftet. In Urspringen aber bei den Oheimen Schlingdiewurst und Seltennüchtern ists zu wüst. Ihr könnt Gurten nachlassen,« wandte er sich an die Knechte zurück. Dann zu Mangold: »Der Schwager wird uns eine Rast und einen Imbiß gönnen. Wir sind tüchtig geritten. Komm, Elslein, setz dich da in die Laube. Ja, Mangold, hättst du nit 114 so viel Weiber im Haus, ich wollt sie dir da lassen. Bei deiner Frau hätt sie eine gute Schul.«

Sie waren alle in den oberen Hof hinauf gegangen. »Nun bring ich sie auf den Steckelberg,« fuhr Nebukadnezar fort, »bei der Frau Ottilia wird sie wohl aufgehoben sein. Wo ist deine Hauswirtin?«

»Alles im Feld,« erwiderte Mangold, »nit eine Magd daheim, bin in Not, wie wir dem Fräulein aufwarten sollen. Frau Base,« rief er hinauf, da eben die Odheimerin am hofseitigen Fenster ihrer Stube erschienen war, »ich bitt Euch, habt die Lieb und kommt herab. Es ist ein Besuch da, und keine Frau im Haus.«

Die Odheimerin nickte beim Fenster hinaus und rief mit ihrer freundlichen Stimme: »Ich komm allsogleich.«

Der Voit hatte aufgeblickt, sah Mangold an und dann wie unschlüssig und etwas düster umher. Aber Mangolds Augen begegneten ihm so geradezu und klar in ihrer stählernen Bläue, daß nichts gegen sie aufkommen konnte.

Sie taten ein paar gleichgültige Sprüche vom Sommer und von der Ernte, bis die Odheimerin in der Haustür erschien. Sie kam heran. Mangold erklärte ihr die neue Erscheinung. Sie streckte dem Mädchen die Hand hin. Die Kleine jedoch mit ihrem aufgehenden Sonnenlächeln drängte ihr so zutraulich entgegen, daß die Arme der Nürnbergerin sich wie von selbst öffneten und das liebliche Kind umschlossen. Sogleich ward das Elslein, das bis dahin ein wenig scheu zwischen den Rittern gestanden hatte, ganz aufgeräumt, bewegte sich wie ein glitzerndes Fischlein, dem das Wasser wiedergewonnen ist, und begann mit Frau Agatha, die sie nach der Laube zog, eifrig zu plaudern.

»Seht,« sprach sie, »das Gewölk wird unter sich ganz dunkel. Vorhin hat einmal der Wetterlöw gemurrt. Da – itzt tut ers wieder.«

»Eine Mahnung, daß ich in den Sattel muß,« sprach Ulrich von Hutten, an die Frauen herantretend.

»Das Wetter wird dich überkommen,« sprach Mangold. »Bleib hier, ich laß deine Knechte holen, und ihr reitet morgen weiter.« 115

»Es zieht am Main hinauf, wie zumeist,« erwiderte Ulrich. »Nicht alles bricht los, was grollt, und wo blieb ein Reutersmann, so er sich von jedem Wetter verscheuchen ließe? Lebt wohl, ihr edlen Damen.« Er küßte der Odheimerin die Hand und hielt die feine, zarte des Mädchens etwas länger in der seinen, während sein Blick dunkel und fast traurig an ihren Zügen hing. »Grüßt mir die Mutter,« fügte er lächelnd hinzu, »und sagt ihr, ich nähm es als ein glücklich Zeichen, daß mir ein lichter Sonnenblick den Anfang meines langen und gefährlichen Weges beschienen.«

Dann kehrte er sich schnell. »Komm, Voit, ich hab dir was zu sagen,« sprach er, den Angeredeten unter den Arm nehmend und beiseite ziehend. Sie gingen in den Hof hinaus und standen eine Weile murmelnd beisammen. Ulrich sah währenddem noch einige Male zu den Frauen hinüber. Jetzt schüttelte er dem Voit die Hand, grüßte abermals mit höfischer Verbeugung zur Laube und schritt durchs Tor hinaus.

»Wer ist das?« fragte das Elslein die Odheimerin.

»Herr Ulrich von Hutten,« versetzte sie.

»Ei, das ist ein Dichter!« meinte das Mädchen mit erwecktem Aufblick. »Was hat er für eine heiße Hand, als wär das Fieber in ihm!«

Sie bog sich über die Mauer vor und sah hinab, als Hutten durch die Wehrgasse ritt. Er winkte herauf. Die Odheimerin erwiderte mit lächelndem Neigen. Das Elslein hob die kleine Hand und blickte ihm sinnend nach.

Die Frauen blieben plaudernd in der Laube. Mangold sprach: »Ich will dem Weib des Vogten heißen, daß sie ein Weniges zur Erfrischung schaffe. Komm mit mir,« forderte er den Nebukadnezar auf.

Sie gingen in den äußeren Hof, wo der Vogt Peter mit einem Stallburschen beschäftigt war, Riemzeug zu mustern. Der Burgherr sprach mit ihm. Der Vogt ließ die Arbeit und ging nach seiner Wohnung. Mangold saß mit Nebukadnezar auf der Mauer oberm Hundezwinger nieder. Er zog aus dem Wams den Brief und gab ihm den. Nebukadnezar nickte und begann zu lesen.

Die Linde im Hof starrte, kein Blättlein rührend. Die 116 Wolken hochgereckt sahen mit grellen Scheiteln über die Stallgiebel herein. Ein dumpfes Grollen zog fern am Spessart hin.

Der Junker Voit lehnte eingeknickt und die langen Beine wegstemmend am Mäuerlein und las mit angestrengtem Bedacht. Mangold umgekehrt stützte sich auf die Brüstung und sah zu den Hunden hinab. Die lagen faul im Mauerschatten des Grabens unter der Brücke zwischen abgenagten Knochen und verschmutzten Wasserschalen umher. Die alte Hündin saß und äugelte winselnd zum Herrn herauf.

Der Voit hatte den Brief gelesen, aber er wandte das Blatt noch einmal und las einzelne Stellen wiederholt. Dann ließ er die Hand mit dem Papier auf den Schenkel sinken, nickte abermals und starrte auf die Hühner, die vor der Stalltür herumpickten. Mangold sah ihn an: »Nun?« fragte er nach einer Weile, als Nebukadnezar immer noch nichts vernehmen ließ.

Der Voit nickte wieder langsam und schwer bedächtig. Dann mit einem tiefen Seufzer sprach er: »Ein bös Ding.«

Mangold, ihm lauernd ins Aug spähend: »Das fordert Blut.«

Nebukadnezar nickend und langsam: »Weiber fordern Blut.«

Mangold: »Was tätest du?«

Nebukadnezar erhob sich und sah nachdenklich hinaus. »Das kann ich so nit sagen,« sprach er dann, »da muß ich erst mit dem Wein zu Rate gehn.«

Mangold aufgerichtet: »Ich brauch nit Ratschlagens mehr. Ich weiß, was geschehen muß.«

Sie standen schweigend vor der Brücke, Nebukadnezar zur Erde, Mangold in die Wolken schauend. Der Vogt kam aus dem Schloß, sagte, daß seine Frau für das Nötige sorgen werde, und ging wieder an die Arbeit.

Nebukadnezar wandte sich an den Ebersteiner. »Hör,« sprach er zögernd, »die Kleine, mich bedünkt, es gefallt ihr dahier. Ich ließ sie dir gern da, . . .«

Mangold mit aufleuchtendem Blick: »Laß sie da. Du machst meinem Weib eine große Freud. Sie wird ihrer gut warten und erzieht gar gern.« 117

Der Voit: »Wie man mit Reutern umgeht und wie man tut in einem kriegerischen Hauswesen, das kann sie gut bei ihr lernen, und muß doch ein Fräulein wissen. Das andere nach dem Gröberen, das mag sie dann deiner Schwester absehen.«

Mangold: »Du magst sie uns ruhig in die Händ geben; wir werden sie halten, als es einer Jungfer von Adel ziemt, und soll ihr nichts Grobes widerfahren.«

Der Voit, ein paar Schritte hin und her gehend: »Dir schon und deiner Hauswirtin. Da hätt ich keine Sorg. Aber – das Mädel aus Nürnberg, das ist keine gute Gesellschaft.«

Mangold: »Hab keine Angst, da paßt die Mutter schon selber auf.«

Nebukadnezar: »Und der Kunz.«

Mangold hart lachend: »Der hüt sich wohl vor meiner Faust.«

Nebukadnezar: »Ja, ja. Und anderswo sind auch nit lauter Engel. Aber die ist ein Englein, verstehst du, die hab ich lieber als mein Aug.«

Mangold, ihm die Hand hinstreckend: »Schlag ein, alter Bruder: dein Aug ist nirgends sicherer als in dieser Hand.«

Nebukadnezar nahm seine Rechte und sah ihn lächelnd an: »Gut dann. Du haftest mir als ein Edelmann.«

Mangold: »Das will ich tun, wie für mein eigen Kind.«

Nebukadnezar: »So will ich sie dalassen und heut allein auf den Steckelberg reiten, daß ichs deiner Schwester sag, sie käm später, weil ich sie hab wissen lassen, daß ich das Mädel brächt.«

Sie gingen miteinander in den Burghof zurück.

»Ihr könnt absatteln und einstellen,« sagte der Voit zu zweien der Knechte. »Auch der Zelter bleibt da. Wir zwei, Kater, reiten noch zum Steckelberg hinüber. Zieh die Gurten an.«

Der so angeredete Knecht war Nebukadnezars unzertrennlicher Begleiter. Er hatte ein rundes, trauriges Gesicht mit einem gesträubten, grauen Schnauzbart, war sehr schweigsam und gemessen in allen Bewegungen und befliß sich im Gegensatz zu seinem Herrn unentwegter Nüchternheit, daher ihm der Name Kater aufgekommen war. 118

Die Frauen saßen in der Laube. Die Vogtin brachte eben Wein, Brot und Früchte aus dem Haus. Die Junker traten zu ihnen, und Nebukadnezar sprach zu dem Mädchen:

»Nun, mein Elslein, behagt es dir dahier auf dem Brandenstein?«

»Gar gut, Oheim,« lachte die Kleine.

»Und magst du eine Zeit hier bleiben?«

»Ich mag schon.«

»Nun, dann bleib da und mach mir Ehr. Ihr seht mir wohl auch ein wenig auf das Kind,« fügte er zur Odheimerin gewendet hinzu.

»Das will ich gerne tun. Wir sind schon gar gut miteinander,« lächelte Frau Agatha, dem Elslein die Hand aufs Knie legend.

»So behüt dich Gott. Ich komm bald wieder,« sagte der Voit und küßte sein Mühmchen auf die klare Stirn.

Dann ging er zu den Pferden zurück. Mangold begleitete ihn.

Der Knecht Kater hatte des Voiten hohen Braunen am Tor vor einen Stein geführt, der da lag, daß man besser aufsitzen konnte. Er trug eingehauen die Jahreszahl 1419.

Nebukadnezar trat auf den Stein und schwang sich in den Sattel. Auch der Knecht saß auf. Sie wandten die Pferde und ritten in die Torwölbung. Mangold ging heiter plaudernd neben dem Voit her über die Brücke und durch den Hof bis zum Schnellgatter an der zweiten Brücke. Dort schüttelte er ihm nochmals die Hand und sah den Reitern nach, wie sie die Wehrgasse hinauszogen. 119

 


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