Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Herbstjagd

Die Grafen von Rieneck hatten zu einem Hirschhetzen im Spessart geladen. An der Birkenhainer Straße eine Strecke westlich der Burg Rieneck war das Zusammentreffen. Etwa dreißig Edelleute aus der Umgegend kamen mit jungen Frauen, Fräuleins, Buben und Knechten zu Pferd. Mangold von Eberstein kam und brachte auf besonderes Entbieten des Grafen Eberhard die Odheimerin. Nur schwer und nach langem Zureden hatte sie sich entschließen können, den Zelter der Hausfrau zu besteigen, der zumeist unnütz im Stalle stand; denn Frau Margarete war allem solchen Treiben abhold, blieb an ihrem Platz im Haus und Hof und schalt auf die Eitelkeit der Genossinnen ihres Standes, die Turniere und Jagden besuchten.

Eine große Waldwiese neben der Straße füllte sich nach und nach mit den buntesten Reitergestalten. Es war ein lauer, windiger Sonnentag. Die Luft, von Südwesten 175 streichend, schwoll manchmal zum Sturm an, wühlte in den kupferroten und flammgelben Laubkronen, verführte die Hornklänge ins Brausen der Wipfel, ins Ächzen und Krachen der Äste, riß das gilbe Laub hin und warf es hoch hinaus ins blanke Blau des Himmels, das helle Wolken durchjagten. Fliegende Scheine und Schatten wischten über die bunte Waldlandschaft und das reiterliche Treiben auf der Wiese. Die Federn auf den Hüten, die langen Reitkleider der Damen flatterten, die Junker in grünen und braunen Trachten drängten sich gruppenweise. Rosse aller Farben schnoben und wieherten, Hunde, von spießtragenden Knechten an der Koppel gehalten, bellten und winselten aufgeregt. Graf Eberhard erschien mit seinen finnischen Läufern und geleitete den Grafen Philipp von Rieneck, den Regenten des Hauses, der ein sechzehnjähriges Bürschlein war, schlank, zart, mit einem schmalen, blassen Gesicht in schulterlangem, aschblondem Haar. Auf einem feinen Eisenschimmel arabischen Geblüts heransprengend begrüßte der junge Graf mit überaus zierlicher Hoheit die Gäste und lächelte höflich in die verzückt brennenden Blicke der Damen.

Der Jägermeister trat an ihn heran und meldete, daß ein starker Hirsch eingespürt sei. Graf Eberhard ließ zum Aufsitzen blasen, der Jägermeister und der Rüdenmeister mit dem Leitbracken an der Leine setzten sich an die Spitze des Zuges, und im Augenblick hatte der brausende Wald Hunde, Rosse, Reiter und Hörnerschall verschlungen.

Sie zogen dem Wind entgegen ein Tal hinab, einen Hang hinauf. Der Jägermeister wandte sich und mahnte mit Zeichen zur Stille. Eine Dickung zeigte sich, die teilweise eingelappt und von Bauern als Abwehrern umstellt war. Die Reiter nahmen unterm Wind an der offenen Seite Aufstellung. Die Hunde wurden ab und im weiten Bogen an das Dickicht herangeführt. Der Leitbracke, an gespannter Leine den Rüdenmeister hinter sich herzerrend, umspürte den ganzen Bestand und zeigte an, daß keine Spur herausführte. Jetzt wurde die Koppel gelöst, die Rüden fuhren wie die Teufel ins Holz, und bald schlug vielfaches Geläute an. Die Pferde spitzten die Ohren, stampften, drängten unruhig in die Gebisse. 176 Näher und näher das Gebell. Brechen und Poltern im Dickicht. An einem Flügel schreien die Abwehrer und schlagen mit den Stöcken in die Büsche. Das Geläut schlägt um, der Wind verträgt es. Wieder hallt es heran, tief und hoch, ein Hornruf, ein Pferd bricht vor, die andern sind kaum mehr zu halten. Wo ist der Hirsch? Hunde mit tiefen Nasen jagend erscheinen im hochstämmigen Wald. Dort flitzt er hin, schattenhaft, das Haupt hoch, die breiten Stangen zurückgeworfen. Das Feld stürmt los. Der Jägermeister hat Mühe, vorn zu bleiben. Zwischen den grauen Baumpfeilern, unter den schwankenden Wipfeln, über niederes Buschwerk, Laubstreu und Moos dumpf donnert die Jagd weg. Mulden auf und ab, Sprung über gefallenen Stamm, ein Sturz, ein lediger Rappe vorprellend mit schleifendem Zügel. Dickeres Holz entgegen. Das Feld muß sich zerteilen. Frau Agathas Zelter fängt die Stange, steift den Hals, und tiefen Kopfes hinter dem Rappen her, der wild dahinrast. Sie schreit ein wenig auf. Ein Gesträuch reißt ihr den Hut in den Nacken. Stämme, Büsche, ein jähes Tal, ein Bachlauf. Der Schimmel springt und rast fort eine Lehne schief hinan. Das Lärmen der Jagd rückt weiter ab, der Sturm, in wilderen Stößen aufschwellend, verschlingt es. Die Reiterin lehnt atemlos im Zügel, der kleine Zelter stemmt sich und rennt immer starrnackiger geradezu. Wieder eine Schlucht, Felsen, ein Dickicht. Mit letzter Kraft will sie das Pferd aufreißen und treibt es damit nur noch mehr ins Durchgehn. Zweige, Stämme streifen an, Laub schlägt ihr ins Gesicht. Da, ein mächtiger Sprung hinter, neben ihr. Mangolds Schecke schiebt sich gewaltig galoppierend heran. Eine Hand fällt ihr in den Zügel, reißt ihn aus ihren verkrampften Fingern. Der Schimmel wirft schnaubend den Kopf auf. Ein hundert Klafter sausen beide Pferde miteinander dahin, dann fällt der Scheck in gelassenen, langen Sprung, der Zelter, von Mangolds Linker geführt, läuft beruhigt an seiner Seite. Agatha blickt auf. Im gebräunten, frischfarbigen Gesicht des Ritters, in seinen stahlblauen Augen ein Lächeln. Er nimmt die Hand von ihrem Zügel und spricht: »Laßt ihm nur freien Kopf, so geht er Euch nit davon.« 177

»Wo sind die andern?« fragt sie.

Mangold drauf: »Vom Sturm verweht. Etliche sah ich in den Bach fallen. Dann haben die Hund in den Loden ein Rudel Säu aufgetrieben und hui! da gings hin, alles zum Teufel, teils da, teils dort hinaus, half kein Schreien und Blasen. Der Hirsch hat Luft bekommen, ich kenn das. Es geht noch ein jedesmal so im Holz, und ist kein leichtes Jagen und Reiten dahier in den Wäldern.«

Sie sprengten eine Höhe mit freier Kuppe hinan. Oben hielten sie. Der Sturm fuhr gewaltig heran und schüttelte die Wipfel alter Eichen unter ihnen. Die Sonne aus dem Gewölk hervorfliegend überflutete sie warm und golden.

»Seht, seht!« rief die Odheimerin lebhaft gegen Nordosten zeigend.

Mangold kehrte sich. Überm weiten, weiten Waldgewog im hellen Wolkentreiben standen dunkelblaue Gipfel klar und nah zum Greifen wie eine traumhafte Inselgruppe.

»Die hohe Puechen,« sagte Mangold mit scharfem Blick hinspähend. »Dort ist mein Stamm gewachsen,« fügte er hinzu und sah sie abermals lächelnd an.

Vor ihnen zog eine breite Schneise hinab in ein westlich streichendes Wiesental.

»Halloh! Der Hirsch!« rief Mangold hinunterzeigend.

Die Jagd brach aus dem Waldsaum hervor und querte eilig den Grund. Abgerissenes Hundegebell flog herauf. Doch nur wenige Rüden und Reiter waren hinter dem Wild. Voran Fritz von Thüngen, an der langen Gestalt und dem flotten Sitz kenntlich, der beste Reitersmann in Franken. Er führte jetzt. Hinter ihm kamen die zwei Grafen von Rieneck, deren edle Renner den andern überlegen waren, dann der Pfeifer auf seinem zähen Schimmel und in weitem Abstand einige Jäger und Knechte. Damit war es zu Ende. Das übrige Feld schien sich verloren zu haben.

»Halt Euch gut zu mir!« rief Mangold. Schon stürmte sein Scheck den Durchschlag hinab. Frau Agatha ließ den Zelter laufen. Da sie abschnitten, stießen sie unten just hinter die Hunde zu den ersten Reitern hinein. Der junge Graf lachte ihnen zu und schwenkte lustig die Hand. 178

Wieder ging es in den Wald hinauf. Dickes Gehölz verschlang die Hunde, hemmte die Reiter. Sie mußten Trab und Schritt gehen. Die nassen Pferde streckten die Hälse in langen Zügeln und schnoben. Der Jägermeister, der sie erreicht hatte, hob die Hand mit der Peitsche hoch, ritt voraus und führte sie auf Pfaden, die er kannte, jenseits in das gegen Süden umbiegende Tal hinab. Da kamen ihnen Hirsch und Hunde im Grund hinjagend wieder zu Gesicht, und von neuem begann das Rennen. Wipfel und Wolken flogen über sie hin, Wiesenhelle, Walddunkel um sie her, moorige Heiden, Waldsäume, Kohlstätten, einsame Hütten, Schläge und plötzliche Ausblicke in blaue Weiten an ihnen vorüber. Mangold erkannte die gewaltige Eiche an der Lichtung, wo sie mit den gefangenen Kaufleuten gesprochen hatten.

Sie achteten kaum mehr der Jagd und ritten, wie es sich geben wollte, den freiesten Wegen nach. Nur Fritz von Thüngen und der Jägermeister hielten sich, alle Hindernisse kühn überwindend, hartnäckig hinter der Meute. Schon war das Geläut der Rüden fernab im Wald und Wind verloren, da hallte es wieder auf, im Klang verändert und an einem Ort haftend. Es war zu erkennen, daß die Hunde den erschöpften Hirsch gestellt hatten. Graf Eberhard führte, zum letzten Lauf aneifernd, eine struppig mit Buschwerk und einzelnen hohen Bäumen bestandene Höhe hinan. Hornruf, den Standlaut der Hunde übertönend, wies die Richtung. Sie erblickten den Hirsch, wie er sich tiefen Hauptes hin und herstoßend der heißen Rüden zu erwehren suchte. Fritz von Thüngen reichte dem jungen Grafen Philipp, als er heranritt, den Spieß. Der aber winkte ab und rief: »Ihr wart zuerst daran, Euch gebührt der Stoß!« Indem wandte sich, durch die anstürmenden Reiter aufgeschreckt, mit letzter Kraft der Hirsch und flüchtete tiefer in den Wald hinein. Doch die Hunde erreichten ihn und rissen ihn nieder. Der Jägermeister war schnell zur Stelle, schlug die Hunde ab, Fritz sprang aus dem Sattel und gab dem halberstarrten Tier mit weidgerechtem Stoß den Rest.

Die Jäger bliesen fröhliche Fanfaren. Einfallende Windstille ließ mehrstimmiges Echo wach werden. 179

Jäger und Hunde wurden ihrem Werk überlassen mit der Weisung, daß man ihrer nicht mehr bedürfe. Plaudernd ritt die kleine Gesellschaft langsam waldeinwärts, bis die Pferde kühl geworden. Auf einem schönen Platz, wo vielhundertjährige Eichen und Buchen riesenhaft moosigen Grasgrund überwölbten, ward abgesessen und gelagert.

Der Inhalt einiger Packtaschen ergab ein spärliches Mahl, das in heiterster Laune genossen wurde. Die Lüfte immer beruhigter umspielten und wiegten in flüsternden Wellenschlägen die uralten Wipfel. Das reinste Blau über ihnen, die weißesten Wolken darin ziehend. Sonne goldig im goldschimmernden Laub, schwebende Lichtflecke auf grauen Baumpfeilern, Gestrüpp, korallrote Beeren und gilbende Farrnkräuter. Durch die Bäume über sinkenden Grund hin ein Blick auf helle Blöße, ferne Waldsäume, blauende Höhenzüge, und hoch oben ein Falkenschrei.

»Pfeifer, schnall mir den Mantel vom Gaul,« rief Mangold. »Ihr sollt Euch einhüllen, Frau Base,« sprach er zur Odheimerin. »Ihr seid heiß geritten, und die Luft ist kühl.«

Agatha wehrte ab. »Die Luft ist so lind, die Sonne so schön, man vermeint, es müßt bald Ostern sein und nicht Allerheiligen,« versetzte sie, ihr verwirrtes Haar ordnend. Sie hatte den Hut abgenommen. Helle Sonnentaler zitterten auf ihren braunen Zöpfen und geröteten Wangen. Der lange Hans kam und legte ihr den Mantel um die Schultern. »Nehmt ihn nur,« sagte er. »Es ist ein verlogener Frühling, dem lauen Wind ist nit zu trauen. Der tut als eine schöne Frau, itzt voll weicher Schalkerei und Schmeichelei, aber mit eins schlägt er um, pfeift aus dem Eisloch, kehrt das schöne, bunte Laub ab und fährt mit Regen und Schnee der Sonn ins verdutzte Gesicht.«

Die Odheimerin drauf mit lieblichem Lächeln: »So wankeln Sinnes habe ich allemal die Männer befunden und weit stetiger die Frauen.«

Graf Eberhard, der breitspurig vor ihr stand, mit einer Verbeugung: »Man urteilt stets nach dem eigenen Herzen.«

Fritz von Thüngen lachte laut auf. Er lag dürr hingestreckt auf dem Bauch und hielt einen Zinnbecher in der Faust. 180 »Drum,« sagte er, »hab ich mich immer flugs dazu gehalten, wo der Wind nach Gunst geweht, sei es beim Frauenzimmer, sei es bei mir selber. Dann freilich, auf meine Treu borgt kein Jud einen Batzen.«

Der Pfeifer seufzend mit einem Augenaufschlag: »Ja, Lieb ist wie Wind: geht er nit, so ist er nit. Was können wir davor?«

Die Odheimerin: »Wahrlich, das sind schlimme Sprüch für die jungen Ohren des gnädigen Herrn.«

Graf Philipp sie allerliebst anlächelnd: »Seid unbesorgt. Was die Minne angeht, da will ich nur bei schönen Frauen in die Schule gehn, und soll mir allein gelten, was die sagen.«

Fritz, den Becher schwingend: »Heil Euch! So werdet Ihr bei unserer Weisheit enden, und mög es Euch nit gar zu viel Lehrgeld kosten!«

Graf Eberhard sich niederlassend: »Item, nach Fritzens Lehre wollen wir nun des lauen Windes und der lieben Sonne genießen. Sag mir einer, wo ist's schöner, dann im freien Wald?« Er streckte die Arme, seine braunen Augen blitzten fröhlich.

Fritz richtete sich auf und rief: »Langer Hans! Ein Liedlein!«

Der Pfeifer sang:

»Im grünen, grünen Walde
zur schönen Sommerszeit
spaziert es sich gar schön allein,
doch schöner noch zu zweit.«

Fritz: »Nun aber ists Herbst, und ich rieche nichts dann Blätterfall.«

Graf Eberhard: »So wollen wir Frühling spielen, als es der Herbst heute tut.«

Der Pfeifer: »Wohl, und unser junger Graf, der soll Prinz Frühling sein und sich mit Gunsten erweisen. Wir alle aber wollen ihm dienen.«

Fritz: »Gut, so gib einem jeden sein Hofamt.«

Der Pfeifer: »Nein, es soll ein schönes Spiel werden. Frau Agatha, das ist die Frau Sonne, und alle Jahreszeiten müssen um sie streiten.« 181

Mangold: »Da mag wohl der Sommer alle andern aus dem Feld schlagen.«

Der Pfeifer: »Das wollen wir sehn. Ein rechter Winter kann auch was:

›O Sommer, du sollst mir nichts gewinnen,
ein frischen Schnee will ich dir bringen,
    all ihr Herren mein
    der Winter ist fein!‹

Singt drauf der Sommer:

›So bin ich der Sommer also fein,
zu meinen Zeiten da wächst der Wem.‹

Und drauf der Winter:

›So bin ich der Winter also jung,
zu meinen Zeiten find man manch kühlen Trunk.‹«

Fritz: »Brav, das heiß ich wohl gesungen. So will ich gern der Winter sein und halt mich zum kühlen, jungen Wein.«

Der Pfeifer: »Und Ihr, Graf Eberhard, seht mir dem Sommer gleich. Euer ist des Waldes grünes, weites, freies Reich.«

Graf Eberhard: »Ich bins zufrieden. Und mög nur immer die liebe Sonne auf meine Wipfel scheinen und recht schalkisch durch die Blättlein in die Gründe lugen.«

Mangold: »So bleibt mir wohl nur noch der Herbst.«

Der Pfeifer: »Von dem ihr ein rechtes Bild seid, wie ihr da steht.«

Mangold lachend: »Ein verlogener Frühling?«

Der Pfeifer: »Mit nichten!

Der Junker Herbst, ein strenger Mann,
er blast uns frisch von Morgen an,
hat Wangen rot und Augen blau,
hüt dich, hüt dich, schöne Jungfrau!

Er reit ein Rößlein scheckenbunt,
sein Horn schweift über Höh und Grund.
Er wirft das Netz wohl übern Busch,
da springt ein Hirsch herfür husch! husch! 182

Das ist kein Hirschlein weiß oder braun,
das ist ein schlankes Maidlein traun!
Du schwarzbraune Hexe, dich kenne ich wohl!
Meine schnellen Hunde, die sollen dich holn.

Deine schnellen Hunde die holen mich nicht,
sie wissen meine hohen, weiten Sprünge noch nicht.
Mein Roß, das hat noch weitern Sprung;
du mußt heut sterben, so schön und jung.

Ich weiß nit, wie es weiter geht.
Mir wird so weh, es ist schon spät.
Der Winter kommt mit weißer Ruh,
deckt Herbst und Jagd und alles zu.«

Graf Eberhard: »Ich weiß wohl, wies weiter geht:

Drei Lilien wuchsen auf ihrem Grab,
die wollt ein Reuter wohl brechen ab.«

Mangold:

»Ach Reuter, und laß die Lilien stahn,
die soll ein junger, frischer Jäger han.«

Fritz: »Und du, langer Hans, was bist du, in unserem Spiel?«

Der Pfeifer: »Ich will der Junker Sturm sein und euch alle durcheinand wirbeln, daß ihr nimmer wißt, wer ihr gewesen seid. Hui! hui! Husch! Husch!«

Er sprang mit einem Satz über Fritz von Thüngen und Graf Philipp weg in ein Gesträuch, daß die Blätter stoben. Da fuhr etwas geräuschvoll aus den Büschen und flüchtete in den Wald hin. Alle sprangen auf.

»Hui! Was ist das gewesen?« rief Fritz.

Graf Philipp: »Die schwarzbraune Hexe!«

Graf Eberhard: »Ein Hirsch!«

Mangold: »Ein Schwein!«

Der Pfeifer: »Viel Lärm um ein paar lange Ohren! Ein Hase – da rennt er um sein liebes Leben!«

Sie lachten und blickten dem hastig flüchtenden Lampe nach.

.,Seht!« rief Fritz und sprang vor. »Dort halten zwei Reuter! Jetzt trachten sie eilends hinten ins Holz hinab!« 183

Der Pfeifer: »Traun! Das sind keine von uns.«

Mangold hatte den Spieß ergriffen. »Es wird besser sein, sich vorzusehn.«

Graf Eberhard umschauend: »Wahrlich – ich weiß nit, wo wir sind. Wir könnten leicht schon in fremdem Gau sein. Vorhin schon im Reiten einmal wars mir, ich hätt einen Kurmainzischen Markstein gesehn.«

Der Pfeifer: »Das will ich bald haben, wo wir sind.«

Mit großer Behendigkeit schwang er sich am wegragenden Ast einer Eiche empor und kletterte wie eine Wildkatze von Zweig zu Zweig in den Wipfel.

Fritz rief ihm zu: »Nun – was siehst du?«

Der Pfeifer oben: »Gen Abend fern eine lange blaue Höh, die muß schon mainüber sein.«

Graf Eberhard: »Das ist der Odenwald.«

Der Pfeifer kehrte sich. Mangold rief hinauf: »Siehst du die hohe Puechen im Osten?«

Der Pfeifer: »Nichts, – nur Wald, Wald, Wald, daß einem das Herz wogt.«

Mangold: »Steig herab. Wir müssen reiten,« wandte er sich zu den andern. »Wir sind weit abgekommen. Die Sonne geht schon in die Neige. Es ist Zeit, so wir vor Nacht in Rieneck sein wollen. Zieht die Gurten an!« rief er den Knechten zu.

Nachdem die Pferde herangeführt worden, hob Mangold die Odheimerin mit Sorgfalt in den Sattel. Dann saßen sie alle auf. Fritz von Thüngen und der Pfeifer ritten voraus, einen Weg zu suchen. Sie kamen zu einer Kohlstatt. Der Köhler sagte, daß sie sich nicht weit von Roßbrunn befänden, und wies einen Weg, der zur Aschaffenburger Straße führte. Von da aus könnten sie sich zurecht finden. Nach einer Strecke teilten sich aber die Wege, und sie begannen zu streiten, welcher der rechte sei. Fritz schlug vor, einfach waldein, die Sonne im Rücken, zu reiten, so müßten sie schließlich die quer durch den Wald führende Heerstraße erreichen. Aber Graf Eberhard widerriet es und meinte, es sei da viel wildes, dickes Holz, das sie umreiten müßten, da würden sie die Richtung wieder verlieren. Während sie noch redeten und eben in 184 den Weg nach Norden einbiegen wollten, kam von ungefähr ein Mann gegangen, der einem Waldhüter glich. Der sagte auf ihre Frage, das sei der falsche Weg, den sie eingeschlagen, sie müßten westwärts. Mangold schüttelte den Kopf. Er fragte den Mann, wem er diene. Dem Kurfürsten, war die Antwort. So folgten sie seiner Weisung. Als aber Mangold sich umwandte, war es ihm, als hätte er in der anscheinend so treuherzigen Miene des Grünrockes ein verschmitztes Lächeln bemerkt. Er ritt voraus zu Fritz von Thüngen und raunte ihm zu: »Hab Achtung. Mich bedäucht, man will uns in eine Falle führen.«

Aber der Mann mochte doch gut geraten haben. Denn bald schien es licht durch die Bäume, und sie kamen auf einen freien, von dichtem Buschwerk umgebenen Platz, wo eine Straße mit einem Saumpfad zusammentraf. In der Kreuzung stand ein verwitterter Pfahl, in den drei rostige Ringe eingeschlagen waren.

»Traun!« rief Graf Eberhard, »das ist der Echterspfahl.« Und kaum hatte er das Wort gesprochen, rauschte es rundum in den Sträuchern, und sie sahen sich von Männern mit Spießen und Hunden umstellt. Einer zu Pferd kam auf sie zugeritten. Er hatte ein blasses Gesicht in ergrautem Bart und tiefliegende Augen, die düster blickten.

Mangold und Fritz, die schon ihre Spieße zur Wehr gestellt hatten, ließen sie sinken und riefen zugleich ganz heiter: »Philipp Echter! Grüß Gott, Schwager!« Der Angeredete aber achtete ihrer nicht, ritt auf die zwei Grafen von Rieneck los, rührte an den Hut und sprach ernst: »Liebe, gnädige Herren, Ihr müßt gefangen sein.«

Graf Eberhard lachte. »Echter, was fällt dir ein!« rief er, »Seit wann haben wir Feindschaft?«

»Seit mehr dann hundert Jahren,« erwiderte Philipp Echter. »Die Grafen zu Rieneck haben ein gar schlecht Gedächtnis, die Echter ein um so besseres dafür. Es steht mit Blut geschrieben, daß mein Urahn von denen zu Rieneck, da er versehentlich in ihren Wildbann geritten, niedergeworfen und vom Leben zum Tod gebracht worden. Heut bereitet uns Gott den Tag der Vergeltung. Ihr steht in meinem Bann, 185 darum gebt euch gefangen mit Euren Jagdgenossen. Ihr seht, unser sind dreimal so viele. Es mag Euch wenig helfen, so Ihr Euch zur Wehr setzen wollt.«

Und nun wandte er sich zur Odheimerin mit den Worten: »Verzeiht, edle Frau, daß Euch Krieg und Ungemach empfangen muß. Jedoch, da ich Euch nit allein entreiten lassen kann, bitt ich Euch, mein und meiner Frauen viellieber Gast zu sein, bis daß unser Handel so oder so vertragen wird.«

»Potz tausend!« rief Fritz von Thüngen, »da hoff ich auch für uns auf ein ritterliche Haft, alter Feldbruder! Als wir uns, Mangold, du und ich, zum letztenmal gesehn, nahmen wir mit Götz von Berlichingen Umstatt ein, da Franz von Sickingen für Darmstadt lag, und hatten gar gute Freundschaft dazumal miteinander!«

Philipp Echter drauf: »Ich gedenk es wohl, lieber Vetter, und soll Euch nit schlimmer ergehn, als Ihr es darum verdient, daß Ihr heut meiner Feinde Jagdbrüder seid.« Zum Grafen gewendet fügte er hinzu: »Ich will Euch weder Wort noch Waffen abnehmen. Es sei genug, daß wir Ritter sind und wissen, was der Brauch ist.« Damit lud er durch eine sehr höfliche Bewegung den jungen Grafen Philipp ein, an seiner Rechten zu reiten, und winkte zweien Knechten zu Pferd, daß sie den Zug anführen sollten.

Schweigend ritten sie alle von der Straße ab und auf dem Saumpfad im hohen Wald hinunter. Bei einer neuen Wegverzweigung befahl der Echter den Reitern, die geradaus fortwollten, linker Hand an halber Lehne zu bleiben. Die Knechte hielten an und blickten etwas verwundert, folgten aber sogleich seinem Wink.

 


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