Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Nürnbergs Jugend

Wie die Wettläufer rannten sie eine Strecke auf der Straße fort. Bei den Weberhäuschen erst hatten sie den Merkel eingeholt, hielten schnaufend inne, husteten und lachten aus 59 der Maßen. Dann gingen sie den Ägydienberg hinab der dunkelnden Stadt zu. Der Schürstab nahm den Merkel am Arm, und sie begannen wieder von dem verlorenen Prozeß zu reden. Der Tucher blieb einige Schritte zurück, stand manchmal still und sah um. Die Linden starrten dunkelmassig in den Abend und dufteten süß und schwer. Von der Stadt kam ein verworrenes Summen herauf. Der spät verglimmende Tag dämmerte noch in den Gassen, die sie betraten. Nur wenige Fenster leuchteten. Feierndes Volk war überall vor den Haustüren und am Lustwandeln.

»Teufel!« sprach Erasmus, »da wurd man schier ein armer Tropf. Aber der Totschlag zu Farrnbach, der trifft dich.«

Der Merkel drauf: »Möcht wissen, wo ich die 12 000 Gulden hernähm! Mein Geld, das enthält mir überhaupt noch der Vormund.«

Der Schürstab: »Und ich erst! Hab ich doch schon vom Baren mannigs an meine Gurgel und einesteils an hübsche Mägdlein gewendet. Das holt kein Doktor wieder.«

Der Merkel: »Item, der Drack vermeint, es sei darum noch kein Feuer am Dach. Ein Urteil sei ein Urteil, und sprechen und exekutieren sei zweierlei. Der Rat dahier müßt's exekutieren, und da gäb's noch manch ein Hinterpförtlein, mit güldenem Schlüssel zu erschließen, und manch eine lange, lange Bank, auf die's bei gutem Willen zu schieben wär.«

Der Schürstab, nachdem sie eine Weile in schweigendem Sinnen hingeschritten waren: »Und hör einmal, ich sag dir was: Wir haben Gewalt getan, gut, aber die Odheimerin, was tut die? Ist das etwan nach Recht und Landfriedensordnung, daß sie die fränkischen Heckenreuter auf die Stadt hetzt und Nürnberger läßt niederwerfen und schatzen?«

»Pst!« machte der Merkel. »Halt an dich, daß es keiner hört. Ist ohnedem mannige Ungunst im gemeinen Volk ob unseres Handels.«

Der Schürstab leiser: »Und erschlagen wird wohl auch noch einer dabei. Die Stadt muß eine Rechnung dagegen aufstellen und fordern: erst die bezahlt, dann wird der Spruch exekutiert. Und daß die Rechnung lang wird, länger als 60 unsere Schuld, dafür wollen wir sorgen. Wir haben doch Freund und Vettern genug im Rat.«

Der Merkel: »Dergleichen hat der Doktor auch gesagt. Er meint, die Odheimerin hab' mit dem Landfriedensbruch und dem Feindsbrief, den sie der Stadt hätt' zuschreiben lassen, ihr Recht all verwirkt, und müß itzund der Bann wider sie und ihre Helfer beim Kaiser erlangt werden. Es ging der Stadt an Ehr und Ansehn, die wären dahin, so es eine Bürgerin vermocht, ihre Forderung mit Gewalt der Ritterschaft zu erlangen.«

Der Schürstab: »So seh ichs auch an. Und der Doktor Drack, der muß dahinter sein als hinter seinem eigenen Schäflein. Denn verlieren wir, wer wird ihm die Expensen zahlen?«

Der Merkel: »Da sieh dich vor! Er hat Pfänder genug. Was liegt ihm an uns? Er exekutiert am End den Hof zu Farrnbach heraus und setzt sich hinein. So ein Doktor ist, als mein Oheim sagt, ein Schwert mit zweien Schneiden. Wie er die Sach braucht, so dreht er sie.«

Der Schürstab: »Man muß es ihn halt nit drehen lassen, wie er mag.«

Der Merkel: »Heut hat er schon gar besorglich vor mir getan, als ich ihm gegnete, und hat mirs verzählt und das Kinn gestrichen und den Kopf schief gezogen und die Glasaugen geruckt und all das, damit ich verstünd, daß es noch sehr viel Geld kosten mag.«

Sie waren inzwischen auf den Hauptmarkt gekommen und gingen dem Rathaus entlang der Sebalduskirche zu.

Der Schürstab begann wieder: »Ich sollt doch selbsten meinen Doktor machen, spart uns viel Kosten. Aber die Maidlein, die lassen mich nit zu den Pandekten! – Da fällt mir ein: Heut war ich bei Chajm Wachtel, weil ich Geld gebraucht hab. Da ist just auch eine Handwerkersfrau hinkommen, der haben sie den Mann gefangen und auf dem Brandenstein in Turm gelegt und geschatzt in der Odheimerin Namen. Der Chajm sollt ihrs Geld darstrecken, ich glaub, 300 Gulden. Er wollt aber nit, sie sei ihm nit gut davor. Ihr Mann hat eine kleine Seilerei unten an der Schütt. 61 Sie wimmerte und weinte, bot ihm Haus, Handwerkszeug und War zum Pfand, ihr Leibgeding dazu und alles, was sie hätt. Der Mann hätt geschrieben, er müß sterben, so er nit gelöst wurd, er läg in gar harter Gefängnuß. Ein Bauer hab den Brief bracht, dem müß sie Botenlohn zahlen, und so er in vierzehn Tagen kein Antwort bekäm, müß er zurück, und der Seiler würd es entgelten.«

Der Merkel mußte ihn abermals mahnen, leiser zu sprechen. Es waren hier viel Handwerksleute um sie, Gesellen, die mit den Mädchen spazierten, und Meister, die plaudernd beisammen standen. Mancher Blick folgte aufmerksam den buntseidenen Patriziersöhnen.

Mit gedämpfter Stimme erzählte der Schürstab fort: »Mich, wie ich just da stund und ihres Klageschreis End erharrete, flehte sie nun auch an, ich sollt ihr einen Bürgen stellen, sie sähs an meinem Gewand, daß ich fast reich sei. Das könnt mir beikommen, daß ich auch noch Schatzung in der Odheimerin oder ihrer Raubgesellen Säckel steuerte! Aber so die Frau gewußt hätt, daß ihr Bettgenoß auch meinethalben auf dem Brandenstein schwitzt, es wär mir nit wohl ergangen. Kurzumb, ich zog mich und sagt, ich bräucht selber Geld vom Juden. Da ging sie dann als in Verzweiflung, und wir hörten sie noch die Trepp hinunter flennen.«

Nun waren sie hinter der Sebalduskirche ans untere Ende des Milchmarktes gekommen und blieben stehen, bis der Tucher, der langsam nachschlenderte, sie erreicht hatte.

»Alsodann, wohin solls?« fragte der Schürstab. »Ins gemeine Haus am Neutor oder ins Kolbenhaus oder . . .?«

Drauf der Merkel: »Im gemeinen Haus ist allemal so viel Gesindel, insonderlich Gesellen aller Zünft, Landsknecht und Pilgrime; dem Kolbenhaus hinwider sind die zünftigen Fräuleins gar gram, und hat schon manchesmal Keilerei da geben. Doch weiß ich was sonderlich Feines, als ich euch vorhin gesagt, da wir uns bei den Weberhäuslein trafen, nämlich der Fuchsin Haus hinterm Tiergärtnertor. Ist nur ein klein heimlich Häuslein, aber sauber und hat stets gar lüstliche Jungfern. Und da, wie mir der Klaus Pömer bericht, sei nun ein aus der Maßen schöns Fräulein, so bis vor kurz 62 noch unter den ehrsamen Frauen gegangen, und gar manchem wohl bekannt.«

Der Schürstab: »Wie kommt die hin?«

Der Merkel zuckte die Achseln: »Eine unglückliche Buhlschaft soll sie so weit gebracht haben. Und in das Haus kommt auch heimlich manch eine Wittib und Ehfrau, die der Mann darben läßt.«

»Dann rasch!« mahnte der Schürstab, »daß man uns noch einlaßt. Von Ordnungs wegen sollen nach zehne die Frauenhäuser gesperrt sein. Was ist Endres? Warum guckst du in die Luft? Da oben fliegen die Vöglein nit, so wir annitz schießen wollen.«

Der Tucher fuhr zusammen und starrte sie an. »Wie?« sagte er. »Ins Frauenhaus? – Freilich, das wollten wir ja. Wohlan!«

Er folgte ihnen.

Sie schritten den ansteigenden Milchmarkt hinauf. Der Tucher wandte sich noch einmal seufzend um und sah über die Stadt hin. Der nachtende Himmel wölbte sich sattblau und wasserklar. In der Höhe der Kirchtürme südwärts stand der halbe Mond schimmernd gleich einem Goldstück, das in einen Brunnen gefallen ist. Die Sterne blinkerten, als wollten ihnen funkelnde Tränen entgleiten.

»Küßt du mich   so küß ich dich,
Röslein auf der Heiden . . .«

Der Endres stand und zauderte. Bilder rollten in seinem schwülen Hirn: der Tuchersche Garten, der dunkelsamtige Rasen, die farbigen Laternchen hängend und schwankend, die bunten Mädchen und Knaben miteinander reihend. Da die blonde Elsbeth Paumgartner im Tanz mit Fritz Fürer. Ihre klaren Grauäuglein blickten über das feingebogene Näschen ihn hoffärtig-spöttisch an. Das stach ihn quer durchs Herz wie eine lange Spicknadel. Er zuckte zusammen und ward mitleidig mit sich selber. Vielleicht hat sie nun doch gemerkt, daß du fort bist, sprach es in ihm. Vielleicht schaut sie suchend um im dunkeln Garten und meint . . .? Sollst du nicht am End zurück? Sie werden nun bald heimgehen – 63 ein gutes Wort gibt sich wohl noch zwischen Tür und Angel. Im geschwätzigen Aufbruch ein Flüstern: Komm – komm heimlich durchs Hinterpförtlein ins Haus meiner Schwester. Ich will dort sein zur Nacht. Sie läßt dich ein und ist dabei mit dem Schwager. In allen Ehren wollen wir ein Stündlein beisammen sein . . .

Aber eine Stimme von der andern Seite: Bist du ein Mann? Willtu dich von einem kleinen Mädchen narren lassen, als ein dummer Junge?

Und: »He, Endres! Wo bleibst du?« rief es oben schon fast vom andern Ende des Milchmarktes herab.

Der Endres machte kurz kehrt und ging raschen, entschlossenen Schrittes den Platz hinauf. Die zwei standen vor einem hohen, schmalen Haus, das am linken Eck ein von kleinem Lämpchen schwach umleuchtetes Marienbild trug.

»Sieh,« sagte der Schürstab, »das war der Odhamerin Haus, das haben wir ihr wegprozessiert, und dann hats der Hans Schütz gekauft.«

Nun gingen sie alle drei weiter beim Wirtshaus zum Schwänlein und dem Tiergärtner-Tor mit dem hoch und dunkel in die Sterne ragenden Turm vorbei und hinterm Haus des Albrecht Dürer ein finsteres Gäßlein an der Stadtmauer hinein. Die hohen Stützbogen gähnten schwarz, oben im Wehrgang hallte der Tritt einer Wache. Sie gingen leise und ohne zu reden, der Merkel voran. Nach einer Strecke hielt er vor einem engen, vorn überhangenden Häuschen, dessen Erker Licht hinter roten Vorhängen zeigte. Der Merkel hob den Türklopfer und ließ ihn zweimal fallen.

Es dauerte eine Weile, bis innen ein leichter Schritt hörbar wurde und eine Weiberstimme am geöffneten Guckloch fragte, wer da sei.

»Gute Kundschaft,« antwortete Erasmus Schürstab, worauf der Balken zurückgeschoben und die Tür vorsichtig geöffnet wurde, nur eben so weit, daß einer hinter dem andern hereinschlüpfen konnte. Sie befanden sich in einem engen, düstern Flur. Hinter der Tür stand ein junges Frauenzimmer, einen Leuchter in der erhobenen Rechten, während sie mit der Linken einen dunklen Mantel über dem halb offen stehenden 64 Nachtkleid zusammengerafft hielt. Ihr gelbes, volles Haar war sorgsam aufgesteckt und mit glitzerndem Flitter verziert. Ein starker Wohlgeruch entströmte ihren Gewändern.

Niemand sprach ein Wort. Das Mädchen schloß und verriegelte die Tür, nahm den Mantel wieder zusammen und ging ihnen dann eine kurze Treppe gegen das Innere des Hauses vorauf. Sie trug sich schön und aufrecht und leuchtete ihnen halb umgewendet mit der schwelenden Wachskerze. Unter dem Mantel sahen ihre nackten Beine in schlappenden Pantoffeln hervor.

Der Merkel wurde zudringlich. »Gebt Ruh!« lachte sie ärgerlich, »sonst laß ich das Licht fallen.«

»Komm, du gefällst mir,« flüsterte der Merkel, sie umfassend. Sie entwand sich ihm. »Ich muß mich erst anziehn. Geht da hinein. Obacht, es hat ein Stüflein hinab.«

Sie deutete gradaus gegen eine Tür, durch die Musik und Gelächter hörbar wurde, und war dann schnell durch eine andere verschwunden.

Der Schürstab öffnete. Sie traten ein und standen in einer Diele, die einer Wirtsstube glich. Ein breiter Mittelpfeiler trug schweres Gewölb weißgetüncht. Bänke mit Kissen belegt längs der Wände und um den Pfeiler herum.

Es scholl und lachte ihnen entgegen. Weiberaugen glänzten sie an, grelle Gewänder und schimmernde Blöße. Von der Wölbung hernieder hing ein geschnitztes Meerfräulein in einem Hirschgeweih, das mit Kerzen besteckt war. Zwei Mädchen tanzten mit Studenten, die wildgeploderte Wämser über breiten Pumphosen und gespornte Stiefel trugen. Andere Dirnen saßen auf den Bänken, lehnten an der dunkeln Holzvertäfelung, oder sahen von einer Galerie herab, die an zwei Seiten in halber Höhe den Raum umlief, und von der verhängte Türen zu Nebenräumen führten. Im Hintergrund ein großer, grüner Kachelofen, davor ein langer Tisch. Da saß ein dritter Student mit zwei Landsknechten, von denen der eine stark betrunken war und eine Dirne auf den Knien schaukelte. Er hatte ihr seinen mächtigen Federhut auf die Zöpfe gestülpt. Sie, ähnlich ihm selber bunt und wüst gekleidet, die Miederverschnürung halb offen, hielt ihn 65 umhalst, hob ihm mit der Rechten einen Humpen an die bärtigen Lippen und lachte dazu.

Die Musik machte ein alter, blinder Mann, der im andern Winkel saß und eine hohe Harfe zwischen den Knien hielt. Sein Kopf war kahl und abgezehrt wie ein Totenschädel, die eingesunkenen Augen starrten ins Leere, ein friedliches Lächeln umspielte den breitgezogenen, blassen Mund.

Die Wirtin trat auf sie zu, ein gewaltiges Weib, das sich stramm und strak hielt, herrisch im Wesen und erbötig zugleich. Das braune Haar schien gefärbt. Ein paar dunkle Augen funkelten herausfordernd. Vom linken Augenwinkel an der Nase vorbei hatte sie eine Schnitt- oder Brandnarbe zum Mund herab. Wenn sie sprach oder lachte, zog das Mal die Oberlippe einseitig hinauf, und die starken Zähne fletschten hervor. Sie war sauber in Blau und Schwarz gekleidet. Am Gürtel trug sie den Schlüsselbund und ein Wetschka, das an Lederriemen lang herniederhing.

»Schönen Abend, Muhme Fuchsin!« schrie Sebastian Merkel. Er nahm sie bei den Händen und schwang sich im Kreis um sie herum, daß sein kecker Strohschopf wippte. »Heut wollen wir deine gelüstigsten Fräuleins haben, zuvoran die neue, schöne, von der die ganze Stadt spricht. Wo ist sie? Zeig sie uns, Potz Zagel! Ich will sie sehen!«

»Nur Geduld, Herr Zagel,« lachte die Frau, sich seiner erwehrend. »Weiß nit, ob ihr die heut zu schauen kriegt, sintemal ein gar fürnehmer Herr bei ihr ist. Sind aber feine Maidleins genug da.« Sie klatschte in die Hände. Von allen Seiten liefen die Mädchen herbei und umschwärmten die Neugekommenen. Es girrte, flatterte, kicherte, duftete um sie. Der Merkel faßte eine in einem gelbseidenen Gewand, die der Musik nachträllernd an ihm vorbeistrich. Fuchsiges Haar und ein blasses Gesicht. Die Augendeckel und Wimpern mit Spießglanz gefärbt, Flimmerblicke zwischen halbgeschlossenen Lidern. Mohnrote Lippen spitzten sich. Er ließ sie fahren. Denn oben auf der Galerie trat aus einer Tür das Mädchen hervor, das ihnen geöffnet hatte. Nun trug sie ein langfließendes Gewand, meergrün mit violetten Schlitzen, das sich oben weit auftat wie ein Blumenkelch, 66 und um die Hüften einen Gürtel aus Silberstickerei, der mit einem langen Ende zwischen den Knieen herabfiel. Sie hielt sich stolz in ihrem prachtvollen Wuchs und schritt schön und langsam die Stufen zur Diele nieder. Der Bastian sprang ihr entgegen und wollte sie umfassen. Sie wich ihm flink aus, ging spöttischen Blicks an ihm vorbei und setzte sich recht mitten in den Glanz der Lichter auf die Bank am Pfeiler, wo sie ihre rosig spiegelnden Fingernägel betrachtete. Der Schürstab mit verschränkten Armen sah um und um und ging durch den wirbelnden Schwarm auf den Tisch zu. »Schaff Wein,« rief er der Wirtin zu, »süßen, schweren Cyperwein oder spanischen, tu Zimmet darein und Rosenblättlein, bring Backwerk für die süßen Mäulchen.«

Der Tucher hielt sich scheu hinter ihm.

»Ordnung! Ordnung im Namen des hohen Rates!« krächzte es hinter ihnen. Sie wandten sich. Feierlich mit einem langen Stab schritt ein scharlachrot als Narr gekleideter Buckliger einher. Der Stab lief oben in ein Eselsohr aus, und darunter war ein Fuchsschwanz befestigt.

»Rumpelstilzchen – mehr Musik!« rief der eine Landsknecht herüber und warf ihm ein Geldstück zu. Der Bucklige fischte es mit dem Ohr des Stabes wie mit einem Löffel vom Boden auf. »Ein schwarzer Pfennig?« sagte er vornehm geringschätzig. »Das gibt kein schönen Klang.«

»Musik, Musik!« schrie das Mädchen mit dem Soldatenhut. »Wir wollen eins rumtanzen.«

Der Narr schritt ruhevoll auf den Blinden zu, stieß ihn an, lehnte den Stab in den Winkel und nahm statt dessen eine Querpfeife zur Hand. Vereint begannen sie eine neue Tanzweise. Der Bucklige entlockte seinem Instrument quakende und schnarrende Töne und machte ein klägliches Gesicht dazu. Schallendes Gelächter belohnte seine Späße. Die Studenten tanzten mit den Mädchen. Der halbtrunkene Landsknecht ließ sich von seiner Dirne herumzerren, juhute und stampfte mit dem Fuß, daß der Boden staubte. Die übrigen Mädchen tanzten miteinander.

Der andere Landsknecht lehnte am Ofen und sah mit scharf beobachtendem Blick in den Wirbel. Er war ein großer, 67 schöner Mann mit feinen Zügen und Händen, aber sein Antlitz wies die Spuren eines wüsten Lebens. Von einer Gestalt, einem Gesicht zum anderen gingen seine hellen, tiefen Augen lauernd, bannend. Dann wieder zog er die Lider zusammen und zwinkerte, als wolle er nur das Kreisen der bunten Farben einsaugen.

Der Schürstab und der Tucher hatten sich ans andere Ende des Tisches gesetzt. Die Fuchshaarige im gelben Gewand hatte den Merkel umhalst. Es drängte ihn voll und schwer an, die Blicke in den geschwärzten Lidern flimmerten, die mohnfarbenen Lippen blühten. Er ließ sich von ihr niederziehen.

Am Pfeiler stand auf dem Gesims der Vertäfelung eine geschnitzte und bemalte Holzfigur, die eine Göttin Venus darstellte. Davor war eine Schale mit glimmenden Kohlen angebracht. Ab und zu warf eines der Mädchen Rauchwerk in die Pfanne. Knisternd stieg der Qualm auf und breitete süßliche Schwaden durch den Raum hin.

Die Wirtin kam und schenkte dickflüssigen, starkriechenden Wein in bläuliche Gläser. Dann saß sie neben dem Schürstab nieder. »Was macht Ihr für ein mürrisch Gesicht?« sagte sie.

Erasmus lachte. »Sorgen, Sorgen hab ich!« rief er und stürzte das Glas.

Das Weib darauf: »Die wollen wir Euch verjagen. Trinkt und nehmt ein Fräulein. Gefällt Euch keine?«

Der Schürstab zuckte die Achseln. Sie füllte ihm nach. »Den Herrn hab ich, daucht mich, noch nie gesehn dahier,« sagte sie, auf den Tucher weisend.

Der Erasmus drauf: »Der wandelt immer unter den ehrbaren Jungfräulein um und beut denen sein Herzlein, obs keine nehmen möcht, gekauft oder auch geschenkt.«

Die Wirtin: »Bei den ehrsamen Fräuleins hat einer viel Müh um Hungerlohn, und wird auch in den Kommnächten nit so viel verzehrt wie aufgetragen und zur Schau gestellt. Da lob ich mir die Freien, da kann einer doch haben, was ihn freut. Seht nur hin, Junker, ist Euch gewißlich eine zu Paß.«

Da schlüpfte es oben unter einem Vorhang her, huschte 68 vom Geländer herab, flatterte bunt und leicht in die Tanzenden hinein und wirbelte wie ein Kreisel: ein bubenhaftes Ding mit dunklen Knabenlocken und roten Röcken kaum bis ans Knie, mit nackten Beinen und kleinen, goldenen Schuhen. Braune Augen blitzten in einem frischen, runden Gesichtchen, blanke Zähne lachten in roten Lippen. Der Schürstab sprang auf, stob unter die Mädchen, wie der Sperber in den Taubenschwarm, und stieß auf das niedliche Kind los. Sie flüchtete kichernd um den Pfeiler, durch die ganze Stube ging die Jagd, Stühle fielen, und jetzt vor dem Aufgang zur Galerie hatte er die Kleine gehascht und trug sie triumphierend herbei. Er setzte sich auf die Bank und das Dirnlein auf sein Knie. Sie strampelte mit den Beinchen, lachte und begann vom aufgetragenen Honigkuchen zu naschen.

Die Musikanten setzten ab. Die Studenten mit den Mädchen kehrten zum Tisch zurück. Der Landsknecht am Arm der Dirne torkelte gröhlend und lachend, stolperte und stieß einen der hohen Zinnkrüge um. Der rote Wein schwappte über den Tisch und prasselte zu Boden. Die Dirnen fuhren mit Gekreisch und Gelächter auf.

»Weh! Weh!« rief der Narr, »eine Jungfer ist gefallen, und was eine große!«

Einer der Studenten schlug eine Laute an und sang. Die andern johlten und stampften den Kehrreim im Chor mit:

»Es saß eine alte Eul und spannNach einem Volkslied der Uhlandschen Sammlung.
in einem finstern Kämmerlein
    von der Lust, von der Lieb,
    von der Leber-Leberwurst,
die sach mich übel an.«

Die Wirtin zu Erasmus: »Nun – seid Ihr itzt munter?«

Der Schürstab, die kleine Braune, die an seinem Nacken hing, wiegend: »Ei ja, wir wollen munter sein, dieweil wir Pfennig haben.« Er kippte das Glas.

Der Student sang: 69

»Was soll dein Übelsehn?
Und was wir zwei getrieben hand
    mit der Lust, mit der Lieb,
    mit der Leber-Leberwurst,
das ist vor mehr geschehn.«

Die Wirtin: »Wie möcht es Euch je an Pfennig fehlen, so ein schöner, reicher Mann!«

Der Schürstab: »Freilich, schön bin ich und sollt auch so reich sein. Aber ein schlimm Weib will mich um all mein Geld bringen, wie du, du Teufelsbuhle!«

Die Wirtin schlug ein gellendes Lachen auf.

Der Student:

»Es fuhr gut Schiffmann übern Rhein
auf einem Gilgenblättelein,
    mit der Lust, mit der Lieb,
    mit der Leber-Leberwurst,
der sollt mein Schiffmann sein.«

Die Wirtin: »Ist das Weib dann so gar schön, oder hat sie eine schöne Tochter etwa?«

Der Schürstab: »Beides – Potz rem!«

Die Wirtin: »Und da seid Ihr etwan unglücklich verliebt?« Sie lehnte sich vertraulich an ihn und sah ihm unter die Augen.

»Und da ich nüber kam,
Da klappert sich der Storche
    mit der Lust, mit der Lieb,
    mit der Leber-Leberwurst,
da krähet sich der Hahn.«

Der Schürstab: »Verliebt? Potz Zagel, nein! Aber die Tochter, die ist eine schöne, gerade Maid, ich wollt sie wohl hier haben, die wär zu Paß da in dein Haus.«

Die Wirtin: »So bringt sie her, will sie Euch wohl zurichten.«

»Ich kam für Liebchens Tür,
die Tür, die was beschlossen
    mit der Lieb, mit der Lust,
    mit der Leber-Leberwurst,
der Riegel, der was für.« 70

Der Schürstab: »Bastian! Hörst du! Das wär ein Streich so wir der Agatha ihr Schiksel fingen und daher brächten.«

Der Merkel, die Liebkosung der Rothaarigen abschüttelnd: »Hei! Die hätt das Zeug dazu, es spricht ihr aus den Äuglein!«

»Ach feins Lieb, laß mich ein,
ich bin so lang gestanden
    mit der Lieb, mit der Lust,
    mit der Leber-Leberwurst,
ich möcht erfroren sein.«

Der Merkel: »Und ich dächt, so Mutter und Tochter nit so hübsch wären, möchten auch die fränkischen Schnapphähn um ihr Sach nit gar so hitzig reiten.«

Der Schürstab: »Ja, Muhme, ich hört auch schon, die fränkischen Junker kämen zeither, daß die Stadt mit der Odheimerin in Handlung steh, nimmer so fleißig ins Bad und in die offenen Häuser zu Nürnberg.«

»Ich laß dich nit herein,
ich laß dich nit herein,
    mit der Lieb, mit der Lust,
    mit der Leber-Leberwurst,
du nähmst mich dann zur Eh.«

Die Wirtin: »Ist wahr, etwelche von den Herren haben, daucht mich, gar lang nimmer zugesprochen.«

Der Schürstab: »Siehst du! Das ist die Ursach, die Weiber fischen dir alle ritterliche Kundschaft vom Land weg. Du mußt ihnen aufsagen darum, Potz blau!«

»Die Treu gib ich dir nit,
gern will ich dich lieb haben
    mit der Lust, mit der Lieb,
    mit der Leber-Leberwurst,
zur Eh nehm ich dich nit.«

Der Schürstab jubelnd: »Potz! Du mußt ihnen einen Feindsbrief schicken. Bastian, das ist ein Einfall für hundert Gulden! Die Fuchsin schreibt der Odhamerin einen Feindsbrief zu!« 71

Der Merkel, ganz aufgerüttelt: »Bei allen Sonnen, das ist ein trefflicher Streich! Das tut ihr Zorn, daß sie der Tropf schlagt. Wir wollen das Brieflein aufsetzen.«

Der Schürstab: »Muhme, bring Schreibzeug.«

»Der Teufel hol die alte Eul,
Der Teufel hol die Hahnen,
    mit der Lust, mit der Lieb,
    mit der Leber-Leberwurst,
und alle Störch dazu.«

»Und alle Störch dazu!« gröhlte der Landsknecht und wälzte sich mit seiner Schönen im Ofenwinkel.

Der Schürstab, das Glas hebend: »Vivat bursa et taberna!«

Die Studenten: »Vivat, crescat, floreat! ex!«

Der Schürstab leerte das Glas und warf es an den Pfeiler, daß die Scherben spritzten, und kniff die kleine Braune, daß sie schrie.

Der Narr umherhüpfend: »Adone! Der Wein schlägt aus! Mädchen, nehmt euren Frühling wahr!«

Die Wirtin: »Laßt mir mein Geschirr und meine Fräuleins ganz, sonst müßt Ihr sie zahlen.«

Der Schürstab: »Zahlst du mirs Geschirr, so ichs mir an deiner Sonnen einer verbronnen hätt? – Wo ist das Schreibzeug? Du mußt uns ein Brieflein schreiben.«

Die Wirtin: »Ich kann nit schreiben.«

Der Merkel: »Macht nichts, wir schreibens schon, du setzt nur Nam und Insiegel darunter.«

Die Wirtin: »Einen Fehdebrief an fränkische Junker? Da möcht mir groß Unlust von werden, kommen ein paar und schlagen mir die ganze Bude zusamm.«

Der Schürstab: »I wo! Von denen kommt keiner in die Stadt, es sei dann gefangen, daß man ihn henke. Mach uns den Spaß. Ich gebe dir einen Gulden.«

Sie stand auf, um das Verlangte zu holen. Der Schürstab setzte das braune Mädchen neben sich auf die Bank und winkte seinem Vetter. Sie rückten zusammen und fingen mit vielem Geflüster und Gekicher an zu beraten.

»Musik – Tanz!« schrie einer der Studenten. Alle drei 72 tranken dem Schürstab zu, der dreimal mit dem Vollen erwiederte.

Der Narr und der Blinde begannen eine neue Weise. Die Studenten hoben sich mit ihren Mädchen und tanzten. Auch der Schürstab und der Merkel unterbrachen ihre Beratung und stürzten sich in den Wirbel, jener mit der Braunen, dieser mit der Fuchshaarigen. Nur Endres Tucher blieb sitzen. Der trunkene Landsknecht, eines sicheren Trittes kaum mehr fähig, wurde von der Dirne abermals in den Reigen gezogen. Er wankte und fuhr umher, alle andern stoßend, und trampelte schwerfällig den Takt, den der Bucklige mit der Querpfeife in schrillen Tönen unterstrich. Die Dirne hing dem Soldaten im Arm, warf sich rücklingsüber und lachte unmäßig. Die übrigen Mädchen, teils einzeln, teils paarweise, umkreisten und umsprangen die beiden.

Der andere Landsknecht lehnte wieder am Ofen und sah ins Getrieb. Plötzlich sprang er auf die Bank, zog einen breiten Kohlestift aus dem Wams und begann, in den Mauerbogen zu zeichnen. Rasch wuchs in wenigen, seltsam gewirbelten Strichen die wilde Gestalt eines Kriegers hervor. Eben kam die Wirtin zurück und hielt das Schreibzeug hoch, daß es von den Tanzenden nicht umgestoßen werde.

»Was beschmierst du die Wänd?« rief sie. »Vor drei Wochen erst hab ich weißigen lassen!«

Der Landsknecht ließ sich in seiner Kunst nicht stören. Einige der Tanzenden, durch das Geschrei der Wirtin aufmerksam gemacht, hielten inne. Die eilte zum Tisch, setzte Tintenfaß, Feder, Streusandbüchse und Papier hin und packte den ungebetenen Maler an der Ploderhose, um ihn von der Bank zu zerren. Ein Student fiel ihr in den Arm. »Laß ihn zeichnen« rief er, »das ist mehr wert als deine ganze Bude, wann der Urs Graf dir ein Bildlein hineinmalt!«

Die Wirtin: »Ist mir gleich, wie er heißen mag, ich will meine Stub sauber halten.«

Urs Graf hatte sich umgewendet und blickte die Frau spöttisch an. Nun stand schon der ganze Landsknecht an der Wand, ein wüster Gesell, trutzig, aufgeplustert, händelsüchtig und geil, wie die Art leibte und lebte; man glaubte, die 73 schreienden Farben seiner Tracht zu schauen, und es waren nur ein paar hingeschmissene Züge. Alles lief zusammen und staunte. Urs Graf kehrte sich wieder und zeichnete fort.

»Seht,« rief ein Mädchen, »itzt malt er eine Krönerin dazu!«

»Die Grete wirds! Die Grete wirds!« schrien mehrere und drängten herzu.

Der Maler ließ neben dem Krieger ein Weib aufwachsen, das, die Hände an den Hüften, zu tanzen und, ihm halb zugewendet, mit Gebärde und Miene zu locken schien. Traun, es war die Dirne mit dem Soldatenhut, jeder mußte sie erkennen. Derb und drall trat sie Strich um Strich aus der Mauer hervor. Die Zuschauer schrien und lachten durcheinander. »Mich auch! Mich auch!« riefen die Mädchen. Urs Graf stand breitspurig, sah manchmal scharf um und zog mit sicherer Hand seine Striche. Aber kein Mädchen wurde die dritte Gestalt, die er dem Soldaten zur Linken setzte. Aus Zügen und Zirkeln klärte sich das Antlitz des blinden Harfenspielers. Und wenn der schon, wie er da still und lächelnd vor seiner Harfe saß, ein Verstorbener zu sein schien, hier im Bilde ward es ein grauenhaft Verwester, ein wahrhaftiger Tod mit schwarzen Augenhöhlen und ein paar abfallenden Haarsträhnen um den kahlen Schädel, mit bleckenden Zähnen und dürren Knochenfingern, die gespenstisch in die Saiten griffen.

Das Gelächter verstummte. »Pfui!« rief die kleine Braune, »wisch das greuliche Geripp fort!« Sie hing sich dem Erasmus an den Hals. Urs Graf holte noch einmal mächtig aus und ließ über der Gruppe einen Baum erstehen, der verdreht und mit wirr ausgerenkten Ästen den Wipfel in Sturm hob, daß er hinflatterte wie Wolkenfetzen.

Da ward an einer der Türen auf der Galerie der Teppich rasch aufgehoben. Ein langer, düsterer Gesell trat hervor, ganz in Schwarz gekleidet, einen kurzen Radmantel über die linke Schulter geworfen, mit engen Hosen, gestiefelt, gespornt, einen Korbdegen an der Seite, einen kleinen Hut mit schwarzen Straußfedern ins Gesicht gedrückt, das schwarze stechende Augen, scharfe Nase und ein gespitztes Bärtlein um Lippen und Kinn hatte. Einen Augenblick stand er, den Vorhang mit steifem Arm emporhaltend, in der Tür, wandte 74 sich kurz zurück, trat kurz und schnell heraus, der Vorhang fiel, er stand, kam dann mit raschen, stelzenden Tritten in die Diele herab und blieb bei einem leeren Tisch ihnen gegenüber wieder stehen. Mit einer heftigen Bewegung warf er zwei funkelnde Münzen auf die Tischplatte, wandte sich herum, musterte scharf die jungen Leute, machte mehr mit der Hand als mit dem Kopf eine herablassende Grußbewegung nach der Wirtin und den Mädchen hin und deutete, daß man ihn hinausgeleiten möge. Ein Mädchen schickte sich an, es zu tun. Der Narr aber kam ihr noch zuvor, und nun schritten sie feierlich gegen den Ausgang, erst der Bucklige, den Eselsstab gewichtig aufsetzend, dann der schwarze Kavalier, hinten die Dirne, die sich heimlich zerlachen wollte. An der Tür ließ sie der Ritter mit höflicher Bewegung voraustreten, und als die sich hinter dem Zug geschlossen hatte, brach ein schallendes Gelächter in der ganzen Stube los.

Die Wirtin aber hatte die Goldstücke vom Tisch geholt und betrachtete sie unterm Licht. »Potztausend!« sagte sie erfreut, »was mögen die gelten? Solche hab ich nie gesehen.«

Sie kam heran und zeigte sie dem Schürstab. Der legte eins auf die flache Hand. »Ein Frauenkopf,« sagte er. Dann las er die Umschrift: »Johanna Castil. Arag. Neap. Reg. Ein spanischer Goldreal. Der gilt soviel als ein Dukat. Wer ist das gewesen?«

Die Wirtin: »Soll ein spanischer Herr von der Gesandtschaft beim Reichsregiment sein. Ein hoher Herr gewiß, er zahlt gut.«

»So stell ich mir den Gottseibeiuns vor,« meinte die Rote. »Ein hübscher Mann!«

Sie seufzte mit einem flimmernden Augenaufschlag, lachte und küßte den Merkel hinters Ohr.

»Wer ist die Frau auf dem Dukaten?« fragte die Wirtin. »Seht, sie hat einen Schleier um als eine Wittib.«

»Die Königin von Hispanien,« versetzte der Schürstab, »des neuen Kaisers Mutter. Die ist wahnsinnig gewest, zog im Land umher und führt ihren toten Gemahl, den schönen Philipp, in einem gläsernen Sarg mit ihr.«

Die kleine Dunkle schaukelte auf des Erasmus Knie und schüttelte sich schaudernd. 75

»Das war wohl der Herr, so bei deinem neuen Fräulein gewesen,« sagte Sebastian Merkel. »Will hoffen, wir sehn sie nun bald.«

Die Wirtin schob die Geldstücke ins Wetschka. »Ich will sie holen,« sagte sie und ging zur Galerie hinauf.

»Komm, Bastian,« rief der Schürstab, »wir wollen das Brieflein schreiben.«

Aber der Merkel schielte immerzu nach der schönen Blonden, die wieder allein am Pfeiler saß und ihn durch ihr abweisendes Benehmen reizte. Er trank aus. Die Kanne fand sich leer, als ihm die Rote nachgießen wollte. »Geh, hol Wein!« sagte er. Und kaum war sie fort, hüpfte er zur Blonden hin. Sie kehrte ihm den Rücken. Er beugte sich ihr nah über die blanke Schulter und sprach. Sie schlug ein Bein übers andere, daß sich die Seide des Rockes knisternd straffte, drehte einen blitzenden Ring am Finger und lächelte in sich hinein.

Wieder hob sich der Vorhang an der Tür, aus der der Spanier gekommen war. Die Wirtin erschien. »Dummes Kind!« schalt sie halblaut und zerrte ein Frauenzimmer, das sich heftig dagegen wehrte, auf die Galerie hervor. Nun stand sie oben; ein schlankes, blondes Wesen in einem Gewand von der Farbe der Herbstzeitlose. Ihr schönes Antlitz war blaß. Unter halbgeschlossenen Lidern, die lang bewimpert waren und bläulich durchschienen, blickte sie müd zur Seite auf den Boden. An einem Arm ließ sie sich von der Gebieterin nachziehen, der andere hing ihr schlaff herunter. Ihre zarten Schultern waren ermattet vorgesunken.

»Komm jetzt!« fuhr sie die Wirtin noch einmal an und zog sie vollends auf die Diele herab. Dann ließ sie ihre Hand los, blieb, den feisten Arm in die Hüfte gestemmt, neben ihr stehen und musterte sie von unten nach oben, wobei die Lust, eine Peitsche zu schwingen, ihr deutlich aus dem zornfunkelnden Auge sprach. Das Mädchen trat schleppenden Schrittes zu einem Tischchen, das hinter dem Pfeiler stand, sank auf einen Stuhl hin und legte das Gesicht in die überschränkten Arme.

Endres Tucher war aufgesprungen und eilte zu ihr. Er machte eine förmliche Verbeugung, ließ sich neben ihr nieder und begann leise auf sie einzureden. 76

Der Merkel hatte bei der Blonden nichts ausgerichtet und sah nun ärgerlich die langerwartete neue Erscheinung vom Tucher vorweggenommen. Trotzdem ging er hin und nahte sich mit Scherzen dem Mädchen, das sein blasses Antlitz erhoben hatte und traurig vor sich hin blickte, während der Endres sprach. Der fuhr den Genossen nicht übel an. Mit gezwungenem Lachen wandte sich der Bastian und kehrte, ein paar Töne zwischen den Zähnen, zum Tisch zurück, wo die Rote indessen aus gefüllter Kanne in die Gläser nachgoß.

Der Schürstab hatte das Papier aufgerollt und den Kiel geputzt. Nun besprachen der Merkel und er unter vielem Gewieher, was sie schreiben sollten. Bald hatte der eine, bald der andere den besseren Einfall. Die dicke Fuchsin, über den Tisch gelehnt, hörte aufmerksam zu. Die Rothaarige hing dem Merkel an der Schulter und gähnte. Urs Graf betrachtete sein Werk und besserte dort und da ein Strichlein. Die Studenten brüllten, die Weiber krähten:

»Mit Demmen und Schlemmen tut auf sich ein Tag,
mit Raufen und Saufen der abscheiden mag.
Die Nacht sei ertränket im Wein und in Bier.
Ihr Weibsen herschwenket, wir leben allhier!«

Der Merkel schrieb:

»Frundlichen zunfftigen Grus zuvor, Agatha Odhamerin, ich hab vernummen, du hest itz auff eim schloßlein das is der Prandenstein genenndt ein fraun hauß ufgethan und hätt auch gutten zuspruch von denen edelleuten und schnaphänlein undt farrent volck männiglich im landt zu Franken also das . . .«

Neben ihnen dröhnte und gellte der Chor:

»Wölln fressen und saufen, was rennt und was rinnt,
und sieben groben Pauren einschlagen den Grind.
Dann bringt uns hinwieder manch junge, dralle Maid,
Da stecken wir herwieder den Degen in die Scheid.«

Der Endres Tucher redete eindringlich dem Mädchen zu, das den Kopf aufgestützt und müde hingelehnt neben ihm saß.

»Wie bist du herkommen?« fragte er, ihre schmale, blasse Hand streichelnd. 77

Sie schüttelte das Haupt.

Der Schürstab schrieb: ». . . also das gutten leuden, so solichs Gewerb erbar undt gerecht treiben dahier zu Nürmberg undt haben vill unkosten unnt steur darvon merklich gros schaden geschicht von deiner fuscherey, diweil du . . .«

Der Blinde hatte die Weise eines Liedchens begonnen: »Braun Ännelein soll singen!« rief Urs Graf. »Sing und tanz das Liedchen, das du gestern gesungen!«

Die kleine Braune hüpfte vor den Pfeiler und sang:

»Ein Mägdlein spielt im Garten,
ein Mägdlein spielt im Gras,
sie spielte mit vier Kügelein
aus weißem, glattem Elfenbein
:: zwei kleinen und vier großen ::
und einem venedischen Glas.«

»Ich veracht dich nit, ich will dir gut sein,« flüsterte der Endres, die Hand des Mädchens in der seinen.

»Laß mich, ich bin doch verloren,« seufzte sie abgewendet.

Die Kleine sang:

»Ein Knab schaut über die Mauer
wohl über die Mauer herab.
Ei, laß mich spieln, liebs Mägdelein,
mit deinen hübschen Spielerein,
:: Dieweil ich bin gar arme ::
und nichts zum Spielen hab.«

Der Endres streichelte das helle Haar des Mädchens und raunte ihr ins Ohr: »Ich will dem Weib Geld geben, ich kauf dich ihr ab. Meine alte Amme, die hat ein Häuslein drauß für der Stadt. Da bring ich dich hin, es weiß keiner davon.«

Sie legte den Kopf an seine Schulter, blickte ihn an und lächelte ein wenig, wobei ihre Mauszähnchen in den geschürzten Lippen niedlich zum Vorschein kamen.

»So spring in meinen Garten,
so hüpf ins weiche Gras.
Mit allem darfst du spielen hier,
der weißen Küglein hab ich vier,
:: doch rühr mir nit und stoß nit ::
an mein venedisch Glas.« 78

Der Schürstab hatte geschrieben: »Diweil du ohne fug und recht solich gewerb treibest undt hast vill nuz undt pfennig darvon, des ich gut wissen hab, und der herr Mangolt so dir zuhält hätt fast guten zoll dabei, undt tust kein steuer nit zahln, weder du noch dein herr unt tust mir groß schaden dweill die junkherr auß Frankenlandt und reißlauffer so gutte kundschafft gewest alleweil dohier zeither nimmer so gar fleisig zugesprochen weillen ihr dennen zu willen seit, als wir woll wissen, du undt dein dochter Elena, die ist eine schone gerade maid.«

»Da spielten sie im Garten
und freuten sich darbei.
Er wiegt die Küglein in der Hand,
er rollt sie hin in Gras und Sand,
:: er stößt ans feine Gläslein ::
und kling! da ists entzwei.«

Der Endres wollte das Mädchen küssen. Sie wehrte ihn ab. »Laß das, meine Lippen sind giftig!« Wie in Verzweiflung wühlte sie das Gesicht in die Hände. Er zog sie an sich. »Sag mir, was dir geschehn ist,« raunte er, »ich will dich lieb haben und dir helfen.«

»O Mutter, liebe Mutter,
mein Glas ist brochen gar!
Nun helf dir Gott, du dumme Dirn,
das flickt dir weder Leim noch Zwirn.
:: Ein Tuch aus gelber Seiden, ::
das bind dir nun ums Haar.«

Sie schüttelte wild den Kopf, warf ihn zurück und stemmte sich mit den zarten Armen vom Tisch ab. Ihr Haar war aufgegangen und hing in einem goldigen Strähn über die Sessellehne herunter.

»Das Gläslein, das ist brochen
und kauft kein Mann von Ehr.
Nun stell dich dar in Gass und Zeil
und halte deine Küglein feil,
:: die leiht wohl mancher Knabe ::
auf ein Spiel oder mehr.« 79

Der Feindsbrief gedieh weiter:

»Also nachdem du mit solichem gewerb zum Prandenstein gros unfug getan undt schaden denen gerechtsamen undt zunfftigen häusern dohier, allso will ich dir mit diessem brieflein zugeschriem haben dir und dein Tochter undt dem von Eberstein, unnt solltu wissen, das ich ewer feint wil sein und alle fraunhalder und halderinnen zu Nürmberg darzu und wen ich auff ewern schaden bringen kann, das soll geschehn . . .«

Der Endres hatte Wein kommen lassen. Das Mädchen trank hastig zwei Becher hintereinander.

»Sie trägt ein gelbes Tüchlein,
weil ihr das Glas zerbrach.
Sie geht die Gassen auf und ab,
sie trägt ein Röcklein kurz und knapp.
:: Sie raffts und lacht so heimlich, ::
da geht ihr mancher nach.«

Die Kleine hatte das Liedchen allerliebst gesungen und dazu mit großer Geschicklichkeit die gehörigen Bewegungen gemacht. Nun zog sie das Röckchen eng, tänzelte in den goldenen Schuhen über den Boden hin und lachte reizend hinter sich. Die Studenten lohnten ihr mit tosendem Beifall. Der Narr hüpfte ihr nach und äffte sie mit anzüglichen Stellungen und Schwingungen seines Stabes. Die Mädchen und die Männer lachten schallend. Der Landsknecht fuhr vom Busen seiner Schönen, wo er ruhsam geschlummert hatte, auf und stierte mit roten Augen und verworrenem Haar wild umher.

Das Mädchen stürzte abermals einen Becher. »Trinken, trinken, tanzen!« flüsterte sie, den Endres umschlingend. Sie stieß ihn wieder weg und wandte sich ab. »Ich muß mir den Tod trinken, ich muß in den Tod tanzen,« sprach sie mit irrem Blick, die Finger am Tischrand verkrampft.

Die Studenten hatten ein neues Lied begonnen und sangen im Chor:

»Es wollt ein Fuhrmann ins Elsaß fahrenUhland, »Volkslieder«.,
er wollt ein Fuder Wein aufladen,
darzu den aller – Hederle
zum Fitz und Federle!
Darzu den allerbesten.« 80

Das Mädchen sprach: »Besser, ich tanz mich dem Tod in die Arme, als daß er mich herunter ins Grab zieht und zerrt – wie mich – immer wieder – die Alte da in die scheußliche Stube zerrt.« Sie sprang auf. Der Endres faßte sie um die schmalen Lenden und zog sie zurück.

Die Studenten sangen:

»Frau Wirtin, habt ihr nit so viel Gewalt,
daß ihr ein Fuhrmann über Nacht behalt,
vier Roß und einen – Hederle
zum Fitz und Federle!
Vier Roß und einen Wagen?«

»Ich mag dich nit,« sagte das Mädchen, dem Endres widerstrebend. »Nein, nein!« umhalste sie ihn wieder. »Ich hab dich gar lieb – laß mich – hüt dich – du bist so jung, du hast so frische, rote Wangen, die hatt ich auch einmal . . .«

Die Studenten:

»Alsbald der Wirt nun heime kam,
so hat sein Fräulein ein andern Mann,
der Schimpf tät sie zum – Hederle
zum Fitz und Federle!
der Schimpf tät sie gereuen.«

Die kleine Braune kam gesprungen und wisperte eifrig zu dem Mädchen: »Wir sollen tanzen, das, was wir letzthin getanzt, da die Junker hier gewesen. Der Maler möchts auch sehen.«

In den grauen Augen der Blonden blitzte es auf. Rasch trank sie den Becher aus und schnellte in die Höh. »Das ist ein feiner Tanz,« sagte sie zum Tucher. »Du wirst Augen machen. Wir müssen uns aber erst dazu anlegen. Komm, Ännelein.«

Die beiden Mädchen sprangen eilig zur Galerie hinauf und schlüpften hinter eine der Türen.

Die Studenten sangen:

»Die Frau Wirtin war voller List,
sie steckt den Knaben in die Kist
und schub den Schlüssel zwischen die Brüst
zum Fitz und Federle!
und sagt, sie hätt ihn verloren.« 81

Der Schürstab und der Merkel hatten inzwischen weiter aufgesetzt: »Das soll geschehen unt auch alle hurn dohier in der stat so in häusern gehalten oder im bad oder frei gan und treiben gerecht und müsam gwerb und wünschen dir, das dich der rot franzos ankomm, dich unt dein dochter, undt die reutter undt jungher all denen ihr zu willn seit und wußt ich einigen übels mer, das will ich in diesen briff geton haben, damit schlach und schänt dich der teuffel. Geben auff Pfingstag nach San Veitstag im zwantzigsten jar under mein insigel . . .«

»So,« sprach der Schürstab, »itzt mußt du das unterschreiben.«

»Leset es noch einmal,« sagte die Wirtin.

Der Schürstab las es laut vor, oft von großem Gelächter unterbrochen. Dann hielt er der Wirtin die eingetauchte Feder hin. Sie zweifelte. »Daß mir kein Unlust von wird,« sagte sie, »hab Zank und Hader genug mit Weibern, Nachbarn und Bütteln.«

»Ich geb dir ein Gulden,« ermunterte der Schürstab. »Ist mirs wert und Botenlohn brauchst du nit zahlen. Ich schick den Brief durch den Boten, so die Schatzung von der Seilersfrau zu holen kam,« raunte er dem Merkel zu. »Ich verbürg mich beim Wachtel für die Schatzung, der Spaß ists mir wert.«

Er legte einen blanken Goldgulden auf den Tisch.

Die Wirtin nahm die Feder und schrieb: »Barbara Fuchsin.« Und »Bürgerliche frauenhalderin zu Nürmberg am newen tor«, schrieb der Merkel dazu.

»Wer siegelt?« meinte er dann.

Der Schürstab lachte. »Ich hab ein feins Siegelstöcklein daheim,« sagte er. »Ein Doktor hat mirs geschenkt, der bracht es aus Italien. Ist ein römisch Siegel und haben es ausgegraben. Es zeigt,« er flüsterte dem Merkel ins Ohr und beide lachten sehr.

»Halt!« sagte der Bastian, indem er den Streusand vom Papier abklopfte. »Es muß noch ein postscriptum darunter, das schaut dann noch echter aus, und mir ist auch noch was Gutes eingefallen.«

So berieten sie sich wieder, lachten und schrieben zum Schluß:

»Unnd das las ich dich wissen, das du zu mir kommen magst 82 so du dein ungerecht gwerb farren lasest, du undt dein dochter, da khombt nur zu mir in mein hauß, undt ich will euch wol halden undt zu verdienen geben, so ihr mein kunden gutt bedient, unt eich sauber halt, dweil ich einsteils gar fürnehme kuntschafft hab von alders unndt vill edelleut aus dem Landt zu Franken darbei, so du mir apspennstisch gemacht, das dir der Tewffel lohnn.

Der briff sol in der Agada Odharmin ihr hant.«

Die Studenten klatschten. Der Blinde griff ein paar starke Akkorde, der Hausnarr blies mit voller Backe eine kriegerische Weise auf der Pfeife. Es schrillte, klirrte und klang. Sie blickten auf. Die zwei Mädchen, wunderlich bunt, sprangen von der Galerie herunter und flogen wirbelnd wie Schmetterlinge umeinander, hintereinander her. Sie trugen zwiefarbene Wappenröcke, wie sie die Ritter zuweilen übern Harnisch anlegten, kaselartige Stofflappen, mit schmalen Streifen an den Schultern hängend und durch einen Gurt um die Hüften gehalten, der Oberteil vielfach aufgeschlitzt, der Unterteil ganz in Bänder und Zungen zerschnitten. Solcher Hemden hatten sie zwei verschiedenfarbige aus leichter Seide übereinander geworfen, die Dunkle schwarz und purpurn, die Blonde grün und scharlochrot. Mit jeder Bewegung trieben die Farben ein weselndes, flatterndes Spiel um das Schimmern der Gestalten. Am linken Arm hatte jede einen Schild mit ihren Farben auf Metallgrund, in dessen Rand rasselnde Schellen eingefügt waren. Den hielt sie vor oder schwang ihn überm Haupt, während sie in der Rechten einen Kolben führte, mit dem sie den Schild der Gegnerin im Vorbeitanzen schlug. So liefen und schwebten die schlanken Kinder umher, drehten sich, beugten sich, trafen, entwischten einander in steigender Wildheit, sprangen, schlugen im Takt und schlangen die zierlichsten Figuren, ein reizendes Spiel lustvollen Kampfes, berauschter Schönheit, entfesselter Jugend. Im Kreis standen die andern umher, klatschten, stampften im Takt, sangen, jauchzten, riefen die Tänzerinnen zu immer wilderer Tollheit auf.

Urs Graf, der neben der Wirtin am Pfeiler zuschauend lehnte, sprach: »Traun – jetzt gedenk ichs: Das ist der Tanz, 83 so beim letzten Reichstag dahier von den hundert schönsten Stadtjungfern zur Ergötzung der Fürstlichkeiten nach dem Turnier auf dem Markt aufgeführt ward.«

Die Wirtin nickte: »War ein schön Spiel, seind von mir zwo Maidlein dabeigewest, und der Kaiser, dem es so gar wohl gefallen, hat einer jeden zehn neue Dukaten geben lassen. Ja, das war ein Fest! Da waren die Gassen zum Frauenviertel herauf mit Blumen bestreut und des Nachts hell erleucht, und mocht ein jeglicher vom kaiserlichen Hoflager und von der Fürsten Gefolg sich gütlich tun als des Rates Gast. Sind auch bei viertausend Fräuleins zusamm kommen, und waren ihrer doch noch weit zu wenige.«

»Ich entsinn es mir wohl,« sagte der Maler, »bin dazumal mit dem Schweizer Fähnlein zum Reichstag heraufgezogen.«

Ein Mädchen kam vom Eingang gelaufen und flüsterte der Wirtin hastig zu. »Es kommen drei wüste Brüder, sind als trunken.«

Die Wirtin herumfahrend: »Warum hast du sie eingelassen?«

Die Dirne: »Sie pochten und riefen: Aufgetan! Die Rund ist da! Und als ich ein wenig auftat zu schauen, da stießen sie schon herein als wie die Stiere. Da sind sie schon!«

Die Wirtin kehrte sich mit gerunzelter Stirn. Drei Handwerker traten ein. Voran ein hochgewachsener Kerl mit breit vorhängenden Schultern, langen Armen und gewaltigen Händen, der seines Gewerbs ein Schröter oder Schiffzieher sein mochte. Die Fuchsin zur Blonden im grünen Kleid und einigen der umstehenden Mädchen: »Seht zu, daß ihr sie ab und in die Kammern bringt! Gebt ihnen nichts mehr zu trinken!«

Die Blonde machte sich schnell davon, aber nicht, um den Eintretenden entgegen zu gehen, sondern sie beeilte sich hinten herum dem Merkel zur Seite zu kommen, dem sie flugs einen Arm um den Hals legte. Sie flüsterte ihm ins Ohr und lachte dabei.

Die Wirtin bösen Blicks trat an die drei Gesellen heran: »Was wollt ihr da?« zischte sie. »Da kosts zwei gute Gulden.«

Der Schröter, der stark nach Branntwein roch, sah sie mit roten Augen von oben her an. »Wir zahlen auch drei,« 84 sprach er. »Unser Geld ist so gut als das der Herrlein.« Er trat hinter den Kreis der Zuschauer und musterte mit düsterem Lächeln die Dirnen, die Gäste und die Tanzenden.

Die Wirtin, ihm nacheilend: »Und bezahlt wird vorher!« Der Schröter griff mit der Linken ins Wetschka, warf zwei Goldstücke auf die Bank und stellte sich breit mit verschränkten Armen hin.

Die Blonde im grünen Gewand hatte den Merkel an der Hand genommen. Nun ging sie mit ihm hinter dem Rücken der Wirtin und der drei Neugekommenen schnell dem Aufgang zu. Die Rote schoß ihr einen bösen Blick nach. Von der Treppe wandte sie sich noch einmal stolz und spöttisch um. Sie führte den Bastian, wie man ein Knäblein führt, und beide verschwanden in einer der Türen.

Die Musik verklang. Der Tanz hatte ein Ende. Die kleine Braune kam schellenschwingend zum Schürstab gelaufen, schreckte vor den wüsten Gesellen zurück und hing sich dem Erasmus an den Hals. Die Blonde, als ob sie vom Tanz besessen wäre, drehte sich noch mit geschlossenem Auge fort. Die bunten Bänder flogen hoch und umwirbelten sie, daß sie wie in Flammen stand.

Der Schröter drängte sich durch die Mädchen und ging mit großen Schritten auf sie los. Er faßte sie jäh bei der Hand. Sie schrak zusammen, stieß einen gellenden Schrei aus und ließ Becken und Schlegel fallen. Mit einem Satz war der Tucher bei ihr.

»Laß das Mädel in Ruh!« fuhr er den Handwerker an.

»Die ist so gut meine wie deine,« schrie der Mann. »Ich hab sie bezahlt und mir gehört sie.«

Die Wirtin funkelnden Blicks kam angeschossen: »Laß die Maid aus, pack nit so grob zu, du Wasserhengst; glaubst, du bist im gemeinen Haus oder in der Schelmenkneipe? Holt Euch Wallrutscher, Ihr Lümmel, so Ihr brünstig seid.«

Der Schröter: »Ei, so schreib an deinen Laden, daß du Muschen nur vor die Ratsfähigen feil hältst. Ich bin herin, hab gezahlt und kann wählen.«

Ein anderer der Gesellen mischte sich drein: »Da gehts wie überall. Die Ratsherrnsöhnlein wolln das Beste schnappen. 85 Aber was Hur wird, ist gemein Gut, wir wollens ihnen lehren, so sies noch nit wissen.«

Die Wirtin: »Der Herr hat sie zuerst genommen, ihm steht sie zu.«

Der Schröter: »Hat er sie genommen, was laßt er sie herumspringen und die Bein werfen? Jetzt hab ich sie, will sehn, wer sie mir nimmt.«

Urs Graf, der Schürstab und die Studenten, für den Tucher Partei nehmend, umringten ihm Das blonde Mädchen war zu Boden gesunken. Der Tucher hielt sie an einer, der Schröter an der andern Hand. Mit gesenktem Kopf und bösen Augen stand er wie ein wildes Schwein unter den Rüden. Jetzt riß er das Mädchen auf und schlug mit der Faust aus, um sich Platz zu schaffen. Der Tucher zog den Dolch: »Ausgelassen, oder du bist kalt!« schrie er bleich vor Wut. Der trunkene Landsknecht riß sich los und schleppte die Dirne, die ihn schreiend umfaßt hielt, hinter sich her. »Da wird gefochten, da muß ich wem den Grind einschlagen!« röhrte er, das kurze Schwert entblößend. Nun zogen auch die Studenten und der Schürstab vom Leder. Die Handwerker, da ihnen der Rat das Waffentragen verboten hatte, waren im Nachteil. Sie stürzten sich auf die Stühle und erhoben sie. Der Schröter packte einen kleinen Tisch, hielt ihn als Schild vor sich und stürmte wider die Studenten. Der Landsknecht schlug hin. Die Weiber kreischten wie gescheuchte Gänse und flohen gegen die Galerie. Die Wirtin zeterte. Der Narr, den Stab schwingend, sprang zum Ausgang und schrie: »Skart! Skart!« Er ließ die Tür offen. »Mordioh!« hörte man es im Vorhaus gellen.

Ein Sessel flog. Der Schürstab wehrte ihn mit vorgehaltenem Arm ab und blutete an der Stirn. Eine Studentenklinge schnellte dem Schröter über den Scheitel, daß die Borsten stoben. Urs Graf hatte mächtig einen der Gesellen untergefaßt, rang mit ihm und schleuderte ihn wider die Galerie, daß es krachte. Dem Landsknecht, der sich wutschnaubend erhoben hatte, fielen ein paar Dirnen heulend in den Arm. Der Schröter, dem das Blut über die Backe schoß, rannte mit dem Tisch blindlings in den Haufen, der Landsknecht, ein 86 Student, eine Dirne stürzten übereinander, der Schröter samt den Tische stolperte und fiel in den Knäuel. Die Studenten hieben mit flachen Klingen auf sein Hinterteil. Urs Graf balgte mit den zwei andern Handwerkern. Der große Tisch wankte, Kannen und Gläser stürzten. Die Wirtin fluchend leerte einen Krug über die Raufenden aus. Das blonde Mädchen, nachdem der Schröter es losgelassen hatte, war dem Tucher in den Arm gesunken. Er drückte sich abseits an die Wand, indem er die halb Ohnmächtige mühsam aufrecht hielt und mit vorgehaltener Waffe dem Drang und Toben der Streitenden wehrte.

In großen Sätzen sprang der Bucklige wieder herein. »Ordnung, Ordnung im Namen des hohen Rats!« schrie er, mit dem Stab in die am Boden sich herum Wälzenden stoßend. »Der Skart ist da, die Rund ist da!« Tritte Gewappneter dröhnten. Es blinkerte stählern auf im Eingang. Ein Rottmeister mit vier Stadtknechten erschien. Sogleich griffen die Knechte zu, zogen, zerrten den Knäuel an Armen und Beinen auseinander und hoben zuerst den blutenden Schröter aus der Verwicklung empor. »Hab ich Euch!« rief der Rottmeister. »Im Rössel, wo Ihr rumort, seid Ihr mir ausgewischt. Dacht ich doch gleich, die sind ins Frauengäßle herauf!«

Der Schröter mit blutunterlaufenen Augen funkelnd lag auf den Knien und schnaufte wie ein niedergerungener Stier. Jetzt fuhr er auf, daß die zwei Knechte, die ihn an den breiten Schultern hielten, auseinander flogen, und wollte neuerdings auf die Studenten losstürzen. Aber flugs schnellte ihm ein Strick um Hals, Arme und Beine, und er fiel wie ein Klotz den Knechten in die eisengeschienten Arme zurück. Pfauchend, fletschend und schäumend vor Wut stieß er sich hin und her und stemmte wider die Fesseln, daß er blau im Gesicht ward. Der Rottmeister hatte inzwischen den Urs Graf von hinten beim Kragen gepackt und von seinen Gegnern getrennt. »Ei, auch ein alter Freund, daucht mich,« sagte er, ihn herumdrehend. »Bist du nit der Maler, der alleweil mit den Landsknechten zieht?«

»Freilich,« keuchte jener außer Atem, »bin der Urs Graf 87 aus Zürich, Schweizer Eidgenoß, du laßt mich aus und in Frieden.«

Der Rottmeister: »Schon gut, wo dann ein Schweizer Frieden hält zuvor. Es wär nit das erstemal, daß du zu Nürnberg im Stockhaus quartierst. Findst noch die Bildlein darin, so du zuletzt gemalt.«

Urs Graf: »Die haben angefangen!«

Die Handwerker: »Gelogen! Die haben angefangen!« auf den Tucher weisend: »Der hat angefangen, der hat scharf gemacht! Feige Poswichter – wehrlose Gesellen anfallen!«

Der eine vorspringend und zeternd: »Der Handwerker solls Bad ausgießen, die Junker gehn frei! Das ist die Gerechtigkeit dahier zu Nürnberg!«

»Dreingeschlagen! Dreingeschlagen!« gröhlte der trunkene Lanzknecht, »haut sie in Stück, die Gaisböck, die Ballenschieber . . .«

»Maul gehalten!« donnerte der eiserne Hüter nächtlicher Ruhe. »Weg, besoffener Gartvogel!« Er stieß den Landsknecht zurück und ging auf den Tucher los, der noch mit gezücktem Dolchmesser da stand. Das Mädchen schlug die Augen auf, sah die Soldaten entsetzt an, riß sich mit einem Schrei los und rannte zur Galerie hinauf, wo sie hinterm Vorhang verschwand.

»Guck!« sprach der Rottmeister spöttisch zum Tucher. »Was eine Freud hätt Euer Herr Vater, so er Euch da säh!«

Der Endres bis hinter die Ohren erglühend suchte zu erklären, wie alles sich zugetragen. Die Studenten, die Mädchen, die Wirtin traten voll Eifer für ihn ein. Der Soldat mußte sich erst wieder Ruhe schaffen.

»Da kann ich Euch nit helfen, Junkerlein,« sprach er. »Mitgefangen, mitgehangen! Ihr werdet morgen mit denen da im spanischen Kragen oder in der Schandlarven übern offenen Markt geführt werden. Das wird ein Spaß! Jetzt kommt nur gleich mit!«

Er winkte einem der Knechte. Der Schürstab trat vor: »Ich bin sein Genoß, ich laß ihn nit allein,« sagte er.

Der Rottmeister: »Gut. Führ zuvoran die zwei Herren aufs Stockhaus. Ich pfeif derweil noch ein paar Knecht 88 von der Stadtmauer herbei. Und ihr da bewacht nur die Gesellschaft da. Gebt die Waffen her!«

Sie nahmen den Studenten, dem Maler und dem Landsknecht die Wehren ab.

Der Tucher und der Schürstab beglichen der Wirtin die Zeche. »Dem andern, wo er kein Geld bei sich hätt,« raunte Erasmus, »magst du den Rock pfänden, soll er im Hemd heimgehen.«

Der Endres wollte noch mit der Wirtin reden, aber der Rottmeister zog sie fort. Der Narr schritt ihnen wieder feierlich zur Tür vorauf. Draußen im Gang sprach der Tucher leise zum Oberbüttel: »Laß mich los, ich geb dir ein Gulden.«

Jener drauf lachend: »Junkerlein, da kommt Ihr zu spät. Dann zween Gulden hat uns schon Euer alter Herr versprochen, so ihm einer einmal das lieb Söhnlein beim Nachtschwärmen erwischt und an der langen Stangen heimliefert.«

Der Endres: »Hier hast du zwei.«

Der Soldat, die Stirn aufziehend und lächelnd: »Meine Linke braucht nit wissen, was die Rechte nimmt. Aber vier Groschen, für jeden meiner Männer einen, legt noch dazu.«

Der Endres tat es. »So,« sprach der Rottmeister, »darvon wölln wir uns am Samstag einen feuchten Abend machen, aber geschickter, als Ihrs getan. Du,« flüsterte er dem Knecht zu, »du führst die Herrn itzt gegens Rathaus hinab, und wo sie dir auswischen mögen, da lauf nit gar stark nach. Ich verzieh eine Weil drinn, als ob ich noch den Handel verhören wollt, und bring dann die andern nach dem Stockhaus.«

Der Narr stand an der offenen Haustür mit einer Laterne und seinem Stab aufgepflanzt wie ein Hellebardier der kaiserlichen Leibwache.

»Ist mir gar leid, Ihr guten Herrn,« näselte er, »daß Euch harte Büttel zu Bett bringen statt linder Maidlein. Hoffen, Ihr kehrt bald wieder zu, daß wirs von Herzen gut machen können.«

Sie gaben ihm jeder ein Goldstück. »Grüß das braun Ännelein,« sprach der Schürstab, »und sie soll morgen meiner warten. Ich käm, daß sie mir die Beul verbinde, die mir der Kerl geschmissen.« 89

Sie traten unter den kühlen Sternenhimmel hinaus. Der Wachführer legte die Finger in den Mund und tat zwei scharfe Pfiffe. Sogleich polterten Schritte oben im Wehrgang der Stadtmauer. Ein Soldat sah über die Holzbrüstung herab. »Was gibts?«

Der Rottmeister: »Ein Hurengeräuft. Kommt Euer zween oder drei herab. Sind gar starke Burschen dabei und möchten unser leicht zu wenig sein.«

Er grüßte und kehrte ins Haus zurück.

Die beiden gingen weiter mit dem Knecht, der für ein Schenk bald bewogen ward, von seinem unerbetenen Geleite abzulassen.

Stumm schritten sie den Weg, den sie gekommen waren.

Der Endres blieb stehen und fuhr sich über die Stirn: »Bin ich trunken gewesen?«

Der Schürstab lachend: »Trunken vielleicht und gewißlich verliebt: das aber ist unangebracht in einem Frauenhaus.«

Der Tucher, indem er langsam weiterging: »Das arme, schöne Kind! . . . Ich muß sie retten!«

Erasmus: »Du Narr! Was willst du tun?«

Endres: »Sie aus dem Haus befreien . . .«

Erasmus: »Und in deines nehmen, daß sie dir draus einen Taubenschlag mache? Laß die, wo sie hingangen. Glaubs: eines Mannes wegen ist noch keine ein Hur worden.«

Sie schritten schweigend den Milchmarkt hinab den dunkeln Giebeln und Türmen unter flackernden Sternen zu.

Der Tucher: »Wärs möglich, ein so lieblich Wesen, und soll vom Gift zerfressen werden?«

Der Schürstab: »Warum?«

Der Tucher: »Sie sagt es mir.«

Der Schürstab: »Da sei froh, daß du heil draus bist.«

Der Tucher: »Drum eben. Wahrlich, ich stand am Abgrund heut. Sie selbst hat mich gerettet.«

Der Schürstab: »Und du sie – wenigstens heut – vor Prügeln.«

Der Tucher: »Ich darf sie nit zugrund gehn lassen.«

Der Schürstab: »Du heilloser Schwärmer! Wer weiß, 90 ist all der Jammer wahr, den sie dir vorgemacht. Hurentränen, Säckelzieher. Laß die Finger davon, hüt dich vor ihr.«

Wieder gingen sie schweigend eine Strecke fort. Beim Rathaus trennten sich ihre Wege. Zum Abschied sagte der Schürstab: »Jetzt schlaf dich fröhlich und gescheit, und so du wieder ins Frauenhaus gehst, laß dein Herzlein daheim, daß es nit unter die Huren fall. Das kost Geld und Gesundheit.«

Sie schüttelten einander die Hände und eilten davon, jeder scheu und an die Mauer gedrückt, wie heimgejagte Hunde.

 


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