Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Alte Geschichten

Die Abendmahlzeit war beendigt. Sie erhoben sich. Der Hausherr sprach ein kurzes Gebet. Dann gingen sie zum Kamin, wo die Echterin dem Feuer zunächst in einem großen, geschnitzten Lehnsessel Platz nahm und die andern einlud, sich um sie auf Bänken und Stühlen niederzulassen.

Die hohe und weite Halle, in der sie sich befanden, wurde von einem durchbrochenen Bogen in zwei Hälften geteilt. In einer war die Herrentafel, in der andern die für das Gesinde aufgestellt. Oben an der weißgetünchten Wand lief um den ganzen Saal herum und am Teilungsbogen quer entlang ein schöngemalter Fries von Schilden und Helmen. Die uralten Zeichen und Sinnbilder deutscher Wappensprache leuchteten da in starken, ungebrochenen Farben hernieder. Sonst trug der Raum keinerlei Schmuck außer den roten Steinträgern der Feuerstätte, deren hoher Windmantel bis fast an die Decke reichte. Am Gesims war gleichfalls in Rotstein gemeißelt das Wappenpaar Echter-Werdenberg mit der Jahrzahl 1505 zu sehen.

Unter den Herren saß auch ein Priester, Johannes Blumenschein mit Namen, ein Kanonikus auf dem Stift zu Aschaffenburg und gelehrter Mann, den man den Knaben zum Präzeptor hielt, daß er sie in der Grammatik und anderem, was sich in diesem Alter gehörte, unterwies. Der Gesindetisch lichtete sich bald. Nur die fremden Reiter blieben mit einigen Echterschen Dienstleuten zurück, dabei auch ein alter 190 Zimmernscher Knecht, Melchior Schenk, der ein lustiges Männle und dem jungen Freiherrn zur Bedienung mitgegeben war. Der trank den Wein über alle Maßen gern. Als nun ein Kellner zu den Herren Krug und Gläser und eine Magd eine Schüssel voll Backwerk brachte, befahl der Hausherr auch Wein für die Reiter und rief dem Melchior zu: »Laßt nur das Becherlein fleißig umgehn. Herren und Knechte sollens gedenken, daß sie zu Mespelbrunn gefangen gelegen.«

Philipp schenkte die Gläser voll und trank der Odheimerin zu. »Ist uns eine hohe Ehr,« sprach er, »eine Frau aus den edlen Geschlechtern der guten und schönen Stadt Nürnberg zu Gast zu haben. Wollt nur, mein Haus wär so schön, als es die Häuser der Reichen dort sind. Ich muß es ohnedem vergrößern lassen, wird schon zu eng nach allen Seiten. Und da ists immer mein Traum, ich wollt etliche Nürnberger Meister kommen lassen, daß sie mir ein fein Stück Nürnberg dahier mitten im Wald sollen zurichten. Aber das kost Geld,« setzte er seufzend hinzu, »da muß noch mancher Groschen erspart und zurückgelegt werden. Mag wohl erst mein Sohn dazu kommen, des Vaters schöne Träume aufzubauen.«

Fritz von Thüngen schnupperte andächtig am Wein, hob das Glas in den Schein des großen Armleuchters, der auf dem Kaminsims stand, und sagte: »Das ist ein edler Tropfen.«

Philipp Echter drauf: »Ist Hallgartner Schönhell, Rheingauer Gewächs. Da ich noch Domherr zu Mainz gewesen, hatt ich einen Weinzehent zu Hallgarten. Später bin ich dann aus dem geistlichen Stand in den Ehstand getreten und hab auf meine Pfründe resigniert; dabei ging auch der schöne Wein verloren. Aber ein Fuder hab ich mir in der Ablösung von meinem Nachfolger am Domstift, einem von Ehrenberg, ausbedungen; das schickt er mir jedes Jahr auf Weihnachten. Von dem Wein erzählt man zu Hallgarten eine hübsche Geschichte. Vor hundert Jahren etwa da saßen zu Eberbach, das ist ein Kloster der Brüder vom heiligen Bernhard nit gar weit von dort, eines schönen Maienabends der Abt und etliche Brüder, auch etliche Junker aus dem Lande im Garten auf einer Bastion beim Weine. Denn es war den Tag das große Kosten in jener Gegend gewesen, und war manch ein 191 Stück des neuen um gutes Geld verhandelt worden, und gab auch viel gute Räusch, als am Singen und Juchzen in Schenken und Weinbergen männiglich konnt abnehmen, sofern er selber keinen allzu argen hatte. Da saß auch ein jung Mönchlein bei, ein fein, blaß Männlein, der verstand sich gar wohl auf Schnitzen, Gießen und Steinhauen und hatt dem Kloster schon manch gutes Bildwerk gemacht. Wie nun einer der Herren den Wein lobte und das schöne Land, darin er gewachsen, denn es war ein herrlicher Abend und ging die Sonne just unter fern überm Strom in den Ingelheimer Hügeln, da sprach der Abt: Es ist wahrlich dahier als im gelobten Land, und mocht jenes nit schöner und fruchtbarer sein, das der Herr dem Moses und seinem auserwählten Volk verheißen. Wohl, erwiderte ein Ritter, und ich zög vierzig Jahr durch die Wüsten, damit daß ich einen Durst bekäm, der solch eines Tropfens würdig, wenn ich dann auch nur zwanzig Jahr davon weidlich trinken dürft. Und lachten die Herren, geistliche und weltliche, ob dieses wackeren Ritterwortes. Das Mönchlein aber, das hatt schon leuchtende Äuglein und rote Backen, dieweil ihm auch der wohlgeratene Tropfen des Vorjahres das Herz gewärmt, und hub an zu reden und sprach: Solches haben schon die alten Römer gedacht, da sie übern Rhein gekommen, und geht die Sag, sie hätten dahier, wo itzund das Kloster sich hebt, dem Herrn Bacchus und der Frau Venus einen Tempel gebaut. Dann seht nur hin, wie die Sonn über den weiten Rebhügeln spielt und im alten Rhein widerglänzt; der zieht mit seinen Schifflein als ein Strom von eitel Gold, und die Städtlein, Dörflein, Schlößlein in den blühenden Gärten, alles so heiter, als wärs Italia selber und nicht Germania, das Land des Winters und des Waldes. Und wie die Hügel und Gründe lind dahin wellen, und es aufblinkt dort und da, und geht ein Singen durch die Luft, das ist, als zögen noch immer Herr Bacchus und Frau Venus im Land, und von ihrem Goldhaar die Fäden schimmerten an den Weinstöcken. Des ward der Abt böse und sprach: Pfui, Bruder, daß Ihr der abscheulichen Götzin und des rauschigen Saufbruders gedenket. Das kommt davon, weil Ihr so viel im Vergilio und alten heidnischen 192 Geschriften leset. Ich wollt, Ihr läset weniger und würdet dafür mehr der frommen Bildlein bosseln. Zur Buß dafür, daß Ihr die Frau Venus im Rheingau erblicken wolltet, sollt Ihr ein schön Bild von der heiligen Jungfrau machen. Nun ward das Mönchlein gar verlegen; aber während sie noch redeten, ging auf einmal draußen ein Lärmen an und ward heftig an der Pforte geschellt. Alsbald auch kam der Pförtner gelaufen, sagend, es sei ein Hauf Leute da, die wollten den Abt sprechen, und so viel er aus dem wirren Reden verstünd, sollt ein Mirakel mit einem Faß Wein geschehen sein. Hieß der Abt also, die Leut in den Garten lassen. Kamen darauf mehrere Bauern, Winzer, Schröter und was dergleichen Volk mehr, der Buben und Gaffer nit zu gedenken, die allemal bei solchen Dingen mit den Augen und dem größten Maul dabei, zuvoran aber ein Schröter, dem lief der Schweiß von der Stirn und war das Gesicht rot als eine Rübe und konnt vor Blasen kaum reden, so war er gelaufen, und der rief nur immerzu: ein Wunder, Wunder, Wunder! Und der Hauf schrie jedesmal mit: Wunder, Wunder! Hieß der Abt sie ruhig werden, gab dem erhitzten Mann zu trinken, und als er sich gelabt und ein wenig ausgepustet, begann er also: Er sei ein Schröter aus einem Dörflein hinterm Berg und hab es übernommen, ein Stückfaß besten Weins, Hallgartner Schönhell, einem Mann heimzuführen, der es gestern um schwere Gulden von einem Winzer zu Hallgarten erstanden. Wie er nun mit dem Rößlein und Wagen und das volle Faß darauf durch den Ort gefahren und etwan dreihundert Gäng außer dem Dorf zur Stell gekommen, da es das Berglein und die scharfe Krümm hat, da sei – Gott oder der Teufel weiß wie – der Gaul unversehens zu sehr an den Rain getreten, und die Straß sei gar steinicht und uneben, und das eine Rad hab es plötzlich gehoben, und kurz und gut, die Karre fiel um, das Faß herunter, ein Reif springt, die Dauben klaffen, und der köstliche, feine Wein schießt hervor in einem lustigen Brünnlein und macht gleich einen ganzen See in einem Loch, wo vordem wohl eine Pfütze gewest. Der Schröter rauft das Haar, ist ein Bettler, weil er den Wein zahlen muß; sein ganz Gewerb ist dahin, weil ihm so 193 was widerfahren, das einem Schröter nit widerfahren darf, kurzumb ganz irr vor Schreck und Angst fällt er vor der Pfütz, aus der wunderbarlich der Weinduft steigt, in die Knie und ruft: Heilige Jungfrau, heilige Jungfrau! – mehr und anderes geht ihm nimmer über die Lippen. Und sieh! Da kommt eine holdselige Frauengestalt wie von ungefähr den Weg herabgegangen; ist eine ganz schlichte, gemeine Frau, aber lieblich von Angesicht, hat ein Kindlein auf dem linken Arm und hält ein klein irden Krüglein in der Rechten, und lächelt nur, nickt dem verzweifelten Mann zu und beginnt mit der Scherbe den Wein ins Faß zu schöpfen, indes der Strom noch immer lustig durch den Klaff in den Dauben schießt. Dem Schröter will bei all seiner Armut schier das Lachen kommen, und meint, die Frau sei nit recht bei Trost, oder woll sein in allem Unglück noch spotten. Aber sieh da! der Wein hört auf zu rinnen, mit eins ist die Pfütze leer und alles bis aufs letzte Tröpflein wieder im Faß, und die Frau lächelt und nickt wieder und ist verschwunden samt Kind und Scherbe. Der Schröter läßt Gaul, Wagen und Faß stehn und rennt ins Dorf zurück, holt mit Geschrei Leut zusamm, die kommen, sehn das Faß liegen und noch den Reifen herunter und eine der Dauben vom Sturz zersprungen; aber es hält wunderbarlich den Wein und ist auch so voll, als es gewesen. Nun schlagen sie den Reif wieder an, stellen die Karre gerade, heben das Faß hinauf, und mit Alleluja zieht der ganze Troß gen Eberbach, daß man im Stift das Wunder berichte. Also gingen nun auch der Abt, alle Brüder und Junker hin, es zu besehen, und fanden, wie es die Leut verzählt. Zogen darauf allesamt mit Gaul und Faß in die Kirche, und ließ der Abt zur Stund ein Te Deum und Salve Regina singen ob des großen Weinwunders, das geschehn. Der Schröter aber gelobte, an dem Ort eine Kapellen bauen und darin ein Bild von der himmlischen Begebenheit malen zu lassen. Wie das das Mönchlein hört, so vorhin vom Abt der Frau Venus halber gerügt worden, ging ihm ein Leuchten durchs Hirn und übers ganze Gesicht. Und sprach zum Schröter, das Bild wolle er ihm machen um Gotteslohn, und lief sogleich in die Werkstatt und hub an zu bosseln und bosselt wie 194 besessen Tag und Nacht fort, bis daß das Bild in Ton säuberlich gegossen da stand. Dann malt ers noch an mit schönen Farben und rief den Abt, es zu sehn. Der war es hoch zufrieden, ließ auch alle Brüder und Leut aus Eberbach und Hallgarten kommen, und alle, die das Bild sahen, lobten es gar sehr. Es stellt aber eine heilige Jungfrau Maria vor, die hält auf dem linken Arm das Kindlein, das hat ein ganz schalkisch Gesichtlein und spielt mit einer Traube, und in der Rechten hebt sie ein klein irden Krüglein empor. Auf dem Haupt hat sie eine Krone mit Weinblättern, ihr Kleid ist golden, ihr Mantel hellgrün, wie wohl der Rheinwein schimmert, wenn man ein volles Glas so oder so ins Licht hält, und wie die Jungfrau voll Anmut steht und lieblich blickt, das muß man gesehen haben, um es zu verstehen, wenn man sagt, das Bildwerk sei so zart und köstlich, daß man es füglich den Bild gewordenen Duft des Rheinweins nennen mag. Es ward in die Kapelle gebracht und stund da viel verehrt manches Jahr, bis man es in die Kirche zu Hallgarten tragen ließ, weil es draußen zu sehr von Sturm und Regen hätt Schaden nehmen mögen. Und in der Kirche steht es noch, und hab es selbst oft dort betrachtet und mich daran erfreut. Keine schönere Figur der Jungfrau hab ich nirgends gefunden im ganzen deutschen Land, so weit ichs bereist. Die dort nennen sie die Muttergottes mit der Scherbe, auch wohl die schönste Frau vom Rhein oder gar unsere liebe Frau vom Weine. Und ihrer denk ich bei jedem Schluck vom Hallgartner Schönhell.«

»Das ist wahrlich eine hübsche Geschichte,« sagte die Odheimerin, »und Ihr habt sie ganz fein berichtet. Erzählt uns noch mehr dergleichen, Ihr wißt wohl noch welche. Das Schlößlein dahier umwitterts und umwebt es wie hundert alte Geschichten von Wald und Wasser und viel wunderbarlichen Dingen. Sagt, wie es erbaut worden und wann es in Euren Stamm gekommen?«

Philipp Echter drauf: »Um denn vom Wein aufs Wasser zu kommen, der Mespelborn oder Mispelborn, auch Espelborn genannt, ist vor alters ein heiliger Brunnen gewesen. Man sagt von einem Wasserfräulein, das da gewohnt habe, des 195 Bornes geheime Zauberkraft zu behüten, und etliche wollen wissen, es sei die Fey gewesen, die der edle Ritter Peter zum Weibe genommen, wie dann auch Peter nebst Hamann und Philipp die Erbnamen in unserem Stamme sind und immer wiederkommen. Das Liedlein jedoch, das anhebt »Vorüber zieht manch edler Aar, Herr Peter ein treuer Ritter war«, nennt jenen Ritter einen von Stauffenberg. Wie dem auch sei, und welchen Stammes er gewesen, der Rittersmann habe sieben Jahre in heimlicher Ehe und großem Glück mit der Fey gelebt, sei ihr aber gleich dem Stauffenberger im Liede, wiewohl gezwungen und weil er nichts von seiner Liebe hat verraten dürfen, untreu geworden und freilich auch am dritten Tag, nachdem er ein menschlich Weib, eines Grafen Tochter, zur Eh genommen, des Todes verstorben, als ihm die Fey verheißen, da sie sich einander versprochen. Seine und des Wasserfräuleins Kinder, die seien nun die Echten gewesen und hätten sich auch so genannt, also daß man immer nur schlechthin sagte: Der ist ein Echter. Aber es ist in alten Zeiten viel ersonnen und gesungen worden und auch mancher Unfug dabei, und gemeiniglich sind die edlen Geschlechter nit so weit her, als sie gern glauben und glauben machen möchten. Mag auch da so sein, denn so weit man es erweisen kann, kommen wir Echter nicht aus dem Spessart, sondern aus dem Odenwald, wo wir der Schenken zu Erbach Burgmannen gewesen. Und geht eine andere Sag, drei dieser Mannen, Gebrüder, hätten einmal Streit mit ihren Dienstherren gehoben und einen dabei erschlagen. Und in dieser Fehde, wie leicht zu denken, waren die Schenken zu Erbach, ob sie gleich selbst erst Mundschenken des Pfalzgrafen bei Rhein und dessen Diener gewesen, nachmalen aber frei Gut erworben und zu Macht und Ansehn gekommen, die Stärkeren und hatten auch manches mächtigen Herrn Hilfe, also daß die drei Gebrüder ihr Haus und Hof im Odenwald verlassen und Fersengeld geben mußten, und sind ledig mit Roß und Schwert übern Main in den Spessart entronnen. Nun sagt man, davon käm der Nam, weil sie Geächtete waren. Der Spessart aber war dazumal noch ein ganz wüst und dick Gehölz, nur wilde Tiere als Bären, Wölf, Luchse, Urochsen 196 darin, und nur solcher Menschen Unterschleif und Aufenthalt, die Schlimmes draußen getan und sich vor der Oberkeit verbergen müssen. Kurz, die drei Brüder Echter hielten sich da im großen Wald, und da ihnen dennoch die Feinde auch hier auf der Spur gewesen, und sie als drei desto leichter hätten erkannt werden mögen, auch darum, daß nicht alle drei auf einmal sollten gefangen sein, schlug sich ein jeder abseits in andere Gegend und brachte sich durch mit Jagd und Fang auf seine Art. Nur um den halben Mond, da kamen sie immer zusammen an einem bestimmten Ort im Wald. Und der zuerst kam, der rief: Acht! Darauf antworteten die andern zwei wie der Widerhall: Acht, Acht! Nun mußten ihrer zwei rufen: Zwölf! Rief aber eine dritte Stimme Zwölf darein, da wußten sie, daß ein Unrechter dabei war, und ritten wieder fort. Denn dreimal acht ist zweimal zwölf oder vierundzwanzig. Ging es aber richtig aus, dann wagten sie sich herfür, banden ihre Rosse an einen Baum, erzählten einander, was sie erlebt, und berieten, was weiter. Später schlugen sie zum Wahrzeichen einen Pfahl in die Erde und drei Ringe hinein, da banden sie die Gäul dran, und das ist der Echterspfahl, der noch steht, und wo ich Euch, gnädige Herren und liebe Vettern, heut hab durch meinen Förster hinführen lassen, um Euch niederzuwerfen. Von diesem Pfahl nahmen sie die drei Ringe in ihr Wappen, das zuerst ein weißer Strom im blauen Feld gewesen. Drum steht der Pfahl quer im Feld, wo sonst ein Pfahl gerade stehen sollte, weil es eigentlich ein Strom ist, vielleicht das Wasser vom Mespelborn. Denn freilich, es zieht ein Geschlecht oft wunderlich wieder dorthin, wo es herkommen, und so soll auch der eine der drei geächteten Brüder am Mespelborn eine Hofstatt errichtet haben. Vielleicht daß ihm auf Geheiß der Urmutter, der Wasserfey, gute Geister dabei geholfen, denn wo hätt er sonst Leut zum Fällen und Bauen hergenommen? Doch solche Hofstatt ist nachmalen wieder in Verfall gekommen, wie man hören wird. Nachdem nun manches Jahr vorüber, wagte sich einer der Brüder wieder aus dem Wald herfür und hörte, daß ihr größter Feind verstorben und der Handel teils schon vergessen sei. So besuchte 197 er Getreue und Verwandte und ließ den Kurfürsten von Mainz bitten, die Sach gänzlich zu vertragen, was denn auch geschehn. Der Erzbischof aber, da ihm des Spessart ein großer Teil zu Reichslehen geworden, machte gleich die drei Gebrüder Echter zu seinen Förstern darin, da sie nun einmal im wüsten Holz schon gut Bescheid wußten, und gab ihnen Forsthuben und Rodungen zu Lehen. Und nun kommt, wovon wir alle noch gut Wissen haben. Hamann Echter, meines Vaters Großvater, der war hoch in Gnaden bei Johann von Nassau, Erzbischofen und Kurfürsten von Mainz, und sein Forstmeister zu Aschaffenburg. Selbiger Bischof aber war ein gar wilder Jägersmann. Und einmal, da er in diesem Wald jagte und einen weißen Hirsch aufritt, setzte er dem so hitzig nach, daß er das ganze Feld verlor. Allein der getreue Hamann Echter blieb hinter ihm. So wild und hastig war der Bischof geritten, daß ihm der Gaul außer Kräften umfiel und er selbst gleich einem Toten da lag und um Atem rang. Und Wasser! Wasser! rief er, Weh mir! Ich muß verschmachten! Hamann Echter aber sah um im Wald und wußte bald, wo sie waren, hob den gnädigen Herrn auf seinen Rücken und brachte ihn eilends herab zum Mespelborn. Da erlabte er sich an dem wundersamen Quell und ward so frisch und munter, als er sich nie noch befunden, und in seiner Herzens und wiedergewonnenen Lebensfreude gedacht er, seinem Retter eine Gnade zu tun. Und da sie nun ohnweit des Borns eine alte, verfallene Hofstatt fanden und Hamann sagte, das sei seines Vorfahren Haus gewesen, da schenkte ihm der Kurfürst »Wüstung und Hofstatt, genannt der Mespelborn«, wie in der Urkund zu lesen, Datum zu Mainz, den ersten des Monats Mai im Jahre des Heils 1412. Und im Jahre 1415 ward der Turm gebaut, als auf dem Stein in der Mauer zu lesen, und Kemenate und Stallung dabei, und der Mespelborn ward in einen Weiher um das Schlößlein geleitet. So sitzen und leben die Echter, die Echten, itzt wieder gleichsam im heiligen Wasser des Bornes, der ihr Ursprung gewesen, und im Schutz ihrer Stammutter, der Wasserfey, – wenns wahr ist und man die Geschichte glauben mag.« 198

Die Runde hatte aufmerksam gelauscht. Mangold nahm einen Schluck Weines, behielt das Glas in der Hand und sprach nachdenklich: »Glauben, darauf kommts an. Man soll und muß es glauben, und sei es noch so wunderbar. Der Glaube macht ein Ding wahr. Und welcher Mann oder Stamm nicht an seines Herkommens Adel glaubt und in solchem Glauben sich führt, der macht sich selbst unedel.«

Philipp Echter drauf: »So ists. Glaube ruft Gott, als ein alter Spruch sagt. Drum ruf ich gar oft auch dieses Hauses gute Geister und hege die alten Mären als einen heiligen Born, und will, daß meine Nachfahren desgleichen tun.«

Graf Eberhard: »Möcht es das ganze deutsche Volk so halten, dann könnts ihm nie übel ergehn.«

Mangold: »Ich aber heb dies Glas auf die Echten und ihren guten Glauben und auf die Echter zu Mespelbrunn insonders, die ich überall in Krieg oder Frieden als echte deutsche Edelmänner und Rittersleut erfunden.«

Sie tranken alle der Hausfrau und dem Hausherrn zu.

»Rückt nur heran!« rief der Echter zum Gesindetisch hinab, wo schweigsam die Knechte, der Pfeifer und Melchior Schenk saßen und die Ohren spitzten. »Heut soll nach guter alter Art erzählt werden, und jedermann soll hören und miterzählen, so ihm was Rechtes einfällt.«

Nun kamen sie alle herauf, nahmen sich Sitze und ließen sich im Kreis um die Herrschaften nieder.

»Das Männle muß erzählen!« rief der kleine Froben Christof. Er meinte damit seinen Diener Melchior.

»Kinder, Kinder, ihr gehört ins Bett!« sagte die Gräfin.

»Nein, Großmutter – nein, Mutter – noch ein bißle hören – nur heut!« maulten und flehten die zwei Knaben.

Der Kleine kletterte flugs an der Hausfrau empor, setzte sich in ihren Schoß und schlang den Arm um ihren Nacken.

»Ei!« sprach Mangold lächelnd, »wer hören will, muß selber auch erzählen. Der kleine Mann soll uns ein Geschichtlein sagen, dann darf er bleiben.«

»Der ist ganz und gar versessen auf Geschichten,« sagte der Kanonikus Blumenschein. »Da vergißt er auf alles, auf 199 Spiel und Essen selbst und lauscht als ein Waldfink, dem einer was vorpfeift.«

Graf Eberhard: »Aber der Fink schwingt sich dann flugs auf und pfeift selber was. Also, Froben Christoph, mußt du nun auch tun.«

Der junge Erkinger: »Er kanns gar gut und weiß viele Geschichten, und weiß er just keine, so lügt er eine.«

Der Kleine, indem er sich an die Großmutter schmiegte, mit einem schalkischen Blick zum Kanonikus: »Ich wüßt schon eine Geschicht, und die ist auch wahr, und tät sie auch verzählen, wann . . .«

Der geistliche Herr: »Nun – wann . . .?«

Der Kleine: ». . . ich keine Prügel kriegte.« Er streckte kichernd sein Gesicht der Gräfin unter den Arm.

Der Kanonikus: »Was wird das sein, du Schelm?«

Fritz von Thüngen: »Nur Mut! Wann er darob Händel kriegt, so helf ich ihm.«

Der kleine Froben Christoph richtete sich auf und sprach ganz ernsthaft: »Es war ein hochwürdiger Herr Johannes und gar gelahrt und las viel in dicken Büchern; davon mußt er eine große Brille tragen, als eine Eul. Und es fügte sich, daß er die Brill einmal länger dann eine halbe Stund sucht und sie schließlich, als ihn von ungefähr eine Mück in die Nas biß, wieder fand, denn er hätt sie die ganze Zeit über auf der Nas gehabt.«

Flugs verkroch er sich wieder hinter die Großmutter und lachte, und Erkinger klatschte jubelnd in die Hände: »Das ist wahr! Das ist wahr!« riefen beide Knaben. »Wir sind selber bei gewesen!«

Der Kanonikus hob dräuend den Finger. »Es ist wahr,« sagte er lächelnd, »wenigstens so im großen Ganzen, als manche Geschicht, die von boshaften Leuten erzählt wird. Eine ganze halbe Stund hats nicht gedauert, bis daß ich meine Brill auf meiner Nas wieder fand, aber ich hab wirklich hart gesucht, auf und unterm Tisch und in allen Büchern, ob ich sie nicht darin hätt liegen lassen, und zwei schlimme Buben sind dabei gestanden und haben immerzu gelacht, bis daß der Himmel ein Erbarmen hatt und ein Mücklein sandte, 200 und da es stach, griff ich an die Nas und hatt zwar das Mücklein nicht, aber die Brille gefangen. Ja, ja,« fügte er mit einem Seufzer hinzu, »geht es nicht gar oft den Menschen so? Sie suchen ganz närrisch, was sie ohnedem haben, und Gott muß ihnen erst durch einen Stich oder Schlag zeigen, daß sies haben.«

»Das Männle soll erzählen!« bat der kleine Froben Christoph.

Der Kanonikus drauf: »Ja, das Männle hört er weit lieber dann mich. Und was ich mit frommen Mären gut machen will, das macht der Schenk mit unfrommen wieder zuschanden. Wer ist nun eigentlich der Präzeptor?«

Philipp Echter: »Alsdann, Schenk, erzähl.«

Der Angeredete nahm einen tüchtigen Schluck Weines, strich den grauen Bart, blickte mit den kleinen Affenaugen gleichsam tief in sich hinein und begann schmunzelndDiese und die zwei folgenden Erzählungen nach der Chronika derer von Zimmern.: »Ins Schwabenland kam einmal ein Almosensammler, als viele herumreisen, die frumben Seelen abzubrühen, und der kam geschickt von den Mönchen zu Sankt Bernhard und kam auch ins Zimmerische Land und nach Meßkirch, wo wir daheim sind, mein junger Freiherr und ich. Er reiste aber mit einer Reliquia, als das so der Brauch ist. Wie er nun einmal des abends mit seinen Freunden, einer vollen Rotte, gezecht hatt, stahlen ihm die die Reliquia aus dem Sack und steckten dafür Heu hinein. Am andern Morgen predigt der Pfaff, und nach geschehener Ermahnung an das Volk um Almosen zog er das Heu aus dem Sack. Und obwohl er nicht wenig erschrak, so faßte er sich doch gleich und sagte, es sei das Heu, so unseres Herrgotts Esel am Palmsonntag gefressen habe. Davon entstand ein großes Gelächter in der Kirch.«

Auch die Herren lachten, und am allerlautesten lachte der Kanonikus Blumenschein. »Schenk, Schenk!« rief er, »du bist ein schlimmer Gesell, und der Wein macht dich alleweil noch schlimmer.«

Das Männle nahm bedächtig einen Schluck, strich den Bart 201 und sprach trocken: »Daß ich dem Wein hold, da kann ich nichts für; was ließ mich der Himmel einen Schenk werden. Und daß er so schlimme Geschichten zulässet, da bin ich auch nit schuld daran. Ich verzähl nur, was geschehn ist, und geb der Wahrheit die Ehr, dann im Wein ist Wahrheit.«

»Nun aber flugs ins Bett, ihr Kinder, es geht auf zehne,« mahnte neuerlich die Hauswirtin.

»Noch ein bißle, noch ein Stückle,« baten die Knaben. »Großmutter, erzähl von der wilden Jagd!« flehte der Kleine, und Erkinger unterstützte ihn.

Die Gräfin drauf: »Da träumst du wieder davon und schreist im Schlaf.«

»Ich muß für meine jungen Freund und Vettern Fürsprach einlegen,« sagte Graf Philipp von Rieneck. »Laßt sie heut noch ein wenig bei den großen Leuten, liebe Muhme, und erzählt uns von der wilden Jagd.«

Die Gräfin drauf: »Wohldann, weil der Herr Vetter da ist und so schön für euch bittet, sollt ihr euren Willen haben.«

Sie richtete sich ein wenig im Sessel auf. Der Kleine hing sich an ihre Schulter und machte ganz große Augen; der schlanke, feine Erkinger an die Lehne gestützt sah ihr voll Spannung ins Gesicht. Sie begann: »Um das Jahr 1500 hat man das wütende Heer, auch wilde Jagd genannt, zu Meßkirch in der Herrschaft Zimmern gehört. Da ist es in einer Nacht zur Herbstzeit nach zehn Uhr vor dem Bannholz mit großem Ungestüm über die Ablach auf Mönchsgereut gefahren, und als es eine gute Weile dort umhergebraust, kam es die Herdgasse herab und neben dem Siechenhaus und unser Frauen über die Ablachbrücke, dem Bach nach der Stadt, die Katzenstiege hinauf mit einem wunderlichen Getös, lautem Geschrei, Klingeln und Stürmen. Später fuhr es, daß es die Wächter auf den Türmen und die andern in der Stadt wohl hörten, aber der Finsternis und der weiten Entfernung halber nicht sehen konnten, dem Herdlein zu und von dort an Rohrdorf vorbei ins Hardt; und ist auch zur selbigen Nacht gen Veringen an der Lauchard gekommen. Da fuhr es vom alten Burgstall hinab und durch das Städtlein mit gewaltigem Lärm zur großen Furcht der Bürger 202 und Zuhörer. Und ging damals zur Nacht um zwölf etwa ein Wächter auf der Gassen, der hieß Hans Dröscher, der wollt die Stund ausrufen. Indem ging das Geschell an und kam vom alten Schloß herab. Und duckte sich der Mann und hielt sich unter einer Mauer, weil er vermeint, er würde mitgerissen. Jemand auf dem Markt aber rief ihm zu: »Mano! Mano!« Der Wächter aber förcht sich, da er wohl merkte, daß es nicht mit rechten Dingen zugehe, und wollt nicht gleich kommen oder antworten. Der andere aber trieb das Rufen und Schreien so lang, daß der Wächter doch schließlich zu ihm ging. Da stund mitten auf dem Markt ein grausiger Mann, der war gekleidet als ein Kriegsmann, dem war das Haupt in zwei Stücken bis an den Hals gespalten, und lag ihm der eine Teil auf der Achsel. Dieser wunde Mann oder Gespenst bat den Wächter, er solle ihm den Kopf wieder zusammenbinden, damit daß er dem andern Haufen folgen könnt; dabei zog er eine Schnur aus dem Wams oder Ärmel, damit sollt er ihn verbinden. Der gute Wächter erschrak und entschuldigte sich, er könne ihn nicht verbinden, das sei nicht sein Handwerk, doch woll er ihm gern einen Scherer oder Barbier holen. Damit hofft er, ihn los zu werden. Aber der andere wollt es nit zulassen und drängte ihn, so daß ihn der Wächter endlich verbinden mußte. Und indem er ihm die Hälften des Hauptes mit Grausen und Beben zusammenband, sprach der andere und zeigt ihm an, wie er von Veringen gebürtig sei und wie ihm im Krieg das Haupt gespalten worden. Jetzt sei er auf der Reis mit dem wütenden Heer. Dankte ihm auch für das Verbinden und sprach, er solle ihm nit nachsehn, denn es möcht ihm sonst nit glücklich ergehn. Ich weiß nun nicht, ob er ihm nachsah oder nicht. Jedenfalls ging er heim, ward krank und legt sich nieder und lag sechzehn ganze Wochen zu Bett und konnt unterdessen weder viel noch wenig reden. Das ist also gewißlich geschehn, und selbiger Hans Dröscher lebt noch heutigentags zu Veringen.«

»Da weiß ich noch eine andere Geschichte von der wilden Jagd,« hub jetzt Graf Eberhard von Rieneck an. »Es waren zwei von Adel in Frankenland, einer von Seckendorff und der andere des Geschlechts von Erlikom. Die waren einander 203 feind und taten sich viel zu Schaden und Verdruß und wollt einer den andern gern auf den Tod gebracht haben. Ursach, so sagt man, daß der eine mit des andern Weib zu freundlich gewesen. Wie nun einmal der von Seckendorff wider den andern zu Feld lag und in einem großen Holz wollt halten, weil er Kundschaft hätt, der von Erlikom sollt da durchkommen, und im Wald mit dem Pfeil vor der Sehne hinritt, hört er plötzlich ein wunderbarlich Geschrei, Getös, Klingeln, Jammern und Gepolter, als ob alle Bäum im Wald entzwei brächen und umfielen. Und fuhr immer näher herzu, also daß der Seckendorffer auf die Seit und in die Bäume ritt und sein Knecht hinter ihm. Da sah er eine wunderliche Reuterei vorbeikommen; die einen hatten keinen Kopf, die andern nur einen Arm, die Roß etwan nur zween Füß oder auch kein Haupt, und liefen viele zu Fuß mit, da hatt einer nur einen Schenkel, ein anderer nur eine Hand, viele waren ohne Kopf oder halb verbrannt, manche auch hatten bloße Schwerter durch den Leib. Kurz, es war da ein solches seltsames, abenteuriges Gesindel beieinander, dergleichen er sein Lebenlang nie gesehn, nicht zu reden von dem Getös und Gebraus, das in der Luft umher und dem Haufen nachfuhr. Zum allerverwunderlichsten däucht ihm im Haufen ein reisiger Mann, der ritt auf einem weißen, mageren, hinkenden Gaul, trug ein schlecht Kleid und war so verwundt, daß ihm die Därm aus dem Leib drangen und über Kleid und Roß hinab bis fast an den Boden hingen. Als nun das Gefährt ohne Schaden vorüber war, wie man denn sagt, daß einem die vom wilden Heer nichts tun, so man aus dem Weg weicht, ritt er wieder auf die Straße. Da kam noch einer zu Pferd, der gehört in den Haufen, und da er allein war, erkeckt sich der Seckendorffer und fragt ihn, was das für ein Haufen war. Der antwortet ihm, das sei das wütende Heer. Drauf fragt er ihn, wer dann der sei, der das dürre Roß ritte und dem die Därme heraushingen. Sagt drauf der andere, das sei einer von Seckendorff, der sollt von heut an über ein Jahr von einem von Erlikom erschossen werden. Als der Seckendorffer sich so nennen hörte, erschrak er nicht wenig und hätt den Reiter gern noch mehr gefragt. Der aber zog 204 eilig den andern nach. Der Seckendorffer hatt aber nun den Hasen im Busen, ritt heim und dacht, wie er solch jämmerlichem Tod könnt entrinnen. Und gab alle seine Güter den nächsten Freunden, nahm nur ein kleines Badgeld mit sich; damit kam er gen Maulbronn ins Kloster und ward ein Laienbruder, wie man es nennt. Sintemalen er sich aber nicht zu erkennen gab, so wußt auch niemand, wer er war, ging auch nicht aus und hielt sich versteckt, so Fremde kamen. Aber der von Erlikom hatte es wohl vernommen, daß sein Feind ins Kloster sei; deshalb reiste er von einem Kloster zum andern. Und als ein Jahr herum war, da geschah es durch Gottes Fügung, daß er gen Maulbronn geritten kam. Und hatt sich just der Seckendorffer einmal herfür getraut und stund drauß bei den Zimmerleuten, als ein Laienbruder gekleidet, und las Späne. Rannt der von Erlikom auf ihn und schrie, jetzt sei die Stund gekommen, daß er dran müsse. Der Seckendorffer nahm die Flucht dem Kloster zu. Unterwegs sah er ein lediges, weißes, ganz mageres Bauernroß. Darauf sprang er eilends und wollt entkommen. Wie er aber sah, daß es nicht sein konnte, kehrt er das Pferd um und erwischt eine Stange, damit wollt er sich um sein Leben wehren, so gut er konnt. Der andere aber hatt unterweilen gespannt und schoß ihn, und traf der Pfeil ihn so in den Leib, daß ihm gleich die Eingeweide und Därm übern Rock und das Roß herabfielen, als ihm zuvor geweissagt worden. Da fiel der Seckendorffer vom Gaul, starb und ward zu Maulbronn begraben. Der Erlikomer ist entritten.«

»So!« sprach die Hausfrau, indem sie den Kleinen nahm und auf den Boden stellte. »Jetzt habt ihr wieder Gespenster genug auf sechs Wochen, jetzt flugs ins Bettlein.«

»Hast du das wütende Heer auch schon gesehen, Oheim?« fragte der Knabe.

»Freilich,« versetzte Graf Eberhard. »Im Spessart hab ichs gesehn und den Alten mit dem großen Hut und Mantel vornweg und hinter ihm ein wunderlich Gezücht von Gestalten und Tieren, und fuhr alles wie der Teufel dahin mit Geschrei und Getös, daß die Wipfel sich bogen.«

»Erzähl, erzähl! Wo ist das gewesen?« rief der Kleine. 205

Graf Eberhard: »Ein andermal, wann du brav bist und nun der Großmutter folgst.«

Die Knaben zogen sich noch. »Männle, gehst mit?« fragte der kleine Froben Christoph den Schenk. Die Herren lachten.

»Jetzt packt euch nur allein,« befahl Philipp Echter. »Das Männle bleibt da, und ihr schlagt euch schön tapfer als angehende Rittersleut durch die finstern Gäng und Stuben und förcht keine wilde Jagd und Gespenster und gar nichts. Verstanden?«

Die Gräfin küßte sie, machte ihnen lächelnd Kreuzlein auf die Stirn, und nachdem sie allen die Hände gereicht, liefen sie um die Wette hinaus.

Der Hausherr füllte die Gläser nach.

Fritz von Thüngen sagte: »Nun muß uns noch der Pfeifer was erzählen oder singen.«

Mangold von Eberstein drauf: »Schön. Aber nimm dich zusamm, Hans, und richts ein, daß es auch feine Damenohren ertragen mögen.«

Der lange Hans lachend: »Habt keine Sorge, Herr, ich weiß mich zu halten, obs mich gleich immer schwer ankömmt im Erzählen oder Singen. Denn das Kitzlige ist gar so lustig. Aber was soll ich singen in so fürnehmem Kreis? Bin nur einer von der Straßen.«

Philipp Echter sprach: »Der Sänger ist adelig von Gottes Gnaden, und frei darf er treten in jeden Kreis, ob er Fürst sei wie Herzog Ulrich von Württemberg, oder ein Fahrender ohne Nam und Stand. Ruhmvoller als alle Kriegskunst macht es ein edles Geschlecht, so es einen Sänger gebiert, und die Dichtkunst hinwieder öffnet dem schlichten Mann jeglichen Minne- und Fürstenhof. Rück nur herein, du Langer von der Straße, und laß uns was Rechtes hören.«

Der Pfeifer erhob sich, trat zum Kamin und lehnte sich an das Gesims. Er nahm die Laute, die er nie von sich ließ, vor und schlug nachdenklich ein paar Töne. »Nein,« sprach er dann. »Heut will ich erzählen, wenn auch in Reimen. Dies Schloß im See und die Wälder herum, die bringen mir eine seltsame Geschichte zu. Weiß nicht, wo die mag geschehn sein, ob hier, ob anderswo.« Er ließ die Hand mit der Laute 206 sinken, stützte die Stirn in die andere und begann so vor sich hin zu sprechen wie im Traume:

»Es liegt ein Schloß in Wäldern tief,
wo nie des Königs Jagdhorn rief,
umher ein dunkelgrüner See,
da springt der Fisch, da trinkt das Reh.
Herrn Rothers Banner weht vom Turm,
in Gold der rote Feuerwurm.
Wie weit die Falken schwebend schaun,
wie weit die Buchenwälder blaun,
des freien Rother Bann und Zwing
herrscht über Edel und Gering.

Zur Seit ihm blüht die junge Frau
Gertrud mit Augen treu und blau,
umspielt von Kindern goldgehaart
mit hellem Blick nach Falkenart.
Solch starken Degen hochgemut,
solch schönes Paar und edle Brut,
wie weit auch einer zög im Reich,
er fände nimmer diesen gleich.

Den Heerbann auf der König rief.
Manch schneller Bote ritt und lief.
Zum heiligen Lande geht der Zug.
Das Kreuz der König selber trug.
Herr Rother rüstet Schar und Troß,
läßt satteln auch sein bestes Roß,
tritt ernst gehüllt in blanken Stahl
mit Schwert und Kreuz vor sein Gemahl.
Frau Gertrud fleht: »Geliebter Herr,
was tust du mir solch Trauern schwer?
Des Königs Mann, der bist du nicht,
zu folgen ist nicht deine Pflicht.«

»Nicht ists der König, der mirs schuf,
mich bietet auf ein höherer Ruf.
Zum Kampfe ruft der heilige Christ,
der aller Fürsten König ist.
Wo er vergoß sein göttlich Blut,
herrscht frecher Heiden Übermut.«
»Wie mancher zog im Kreuzesheer
und kehrt zur Heimat nimmermehr!
Im Kerker losch sein Augenschein,
im glühen Sand bleicht sein Gebein!« 207

»Verblich ihm auch das Licht der Welt,
hoch strahlt im Himmelsglanz der Held.«
»Zieh nicht! Des Königs Sinn ist arg.
Herr Rother ist zu frei und stark.
Indes er draußen Ruhm erwirbt
und fern im fremden Land verdirbt,
nimmt man ihm Heim und uralt Recht,
macht Rothers Sohn zum Fürstenknecht.
Mich warnt im Traum ein bös Gesicht.
Ein Unheil droht. Verlaß mich nicht.«

Heim schickt Herr Rother Mann und Roß,
prüft alle Wehr, verwahrt das Schloß.
Den Harnisch hat er abgetan
und legt den grünen Weidrock an.
Indes durch Staub und Sonnenbrand
der Heerwurm kriecht gen Morgenland,
tagein, tagaus im grünen Wald
Herrn Rothers Hifthorn lustig schallt.
Frau Gertrud aber frohgesinnt
am Fenster sitzt und sinnt und spinnt.

Herr Rother zieht mit Hund und Speer
so früh wie spät im Forst umher,
und manche schöne Nacht dazu.
Frau Gertrud einsam pflegt der Ruh.
Eins Abends Rother spät heimkehrt
und sieht so trüb und grambeschwert.
Frau Gertrud schließt die Augen kaum,
Herr Rother schläft und spricht im Traum:
»Wie Wald, wie tiefer Wald bist du,
mich ziehts mit dunkler Macht dir zu,
wie grüne Schlucht, wo Flut erbraust,
wie Wipfelweben winddurchsaust.«

Frau Gertrud lauscht, vom Schlaf erwacht.
Draußen flüstert und webt die Nacht.
Waldüber gehn Mondwolken weiß.
Der Wind rührt an die Läden leis.
Unten an Mauern leckt die Flut.
Das Haus in tiefer Stille ruht.
Herr Rother atmet schwer und raunt.
Frau Gertrud horcht und horcht und staunt:
»Dein Auge tief und dunkelklar
lockt wie Geheimnis und Gefahr.
Schön bist du wie die Sternennacht,
voll Graun und Lust wie Wetterpracht. 208
Wie Wald wie tiefer Wald bist du,
mich ziehts mit dunkler Macht dir zu,
mich lockt's und ziehts in dich hinein,
ich möcht in dich verloren sein.«
Herr Rother schläft und atmet lind
und lächelt selig wie ein Kind.
Frau Gertrud offnen Auges wacht
und lauscht dem leisen Ziehn der Nacht.
Grau Tagen überm Wald beginnt,
die Flügel hebt der Morgenwind,
rührt in Wipfeln und regt die Flut.
Gewölb erglimmt in brauner Glut.
Frau Gertrud horcht. Fern, fern ein Lied
Wundersam über die Berge zieht.
Herr Rother aus dem Schlummer fährt,
als hätt ihn Jagdruf aufgestört,
hebt sich leise, schlüpft ins Gewand,
nimmt Weidblatt, Horn und Speer zur Hand,
schleicht hinaus. Es rührt sich im Schloß.
Bellen die Hunde, wiehert ein Roß.
Huftritt geht über die Brücke schnell.
Der Tag wächst in den Himmel hell.

Herr Rother weilt in Wäldern wo.
Es schweigt sein Horn. Sonst rief es froh.
Frau Gertrud still im Fenster spinnt.
Nun stockt das Rad, nun rennts geschwind,
Nun weilt der Faden ihr im Mund,
sie späht hinaus ins Wälderrund.
Der See flüstert. Der Brunnen rauscht,
im Hof murmelts. Frau Gertrud lauscht.
Es raunt im Hof, es raunt im Haus:
Was fährt der Herr zum Weidwerk aus?
Und niemals bringt er Beute heim?
Wer weiß auf solche Jagd den Reim?
Es raunt im Haus, es raunt im Hof,
es flüstert, wispert Knecht und Zof.
Frau Gertrud rasch den Faden zieht,
und ihre blasse Wange glüht.
Das Rädlein tritt ihr Fuß so schnell.
Aus ihren Augen tropft es hell.

Wolken glühn über Wäldern fern.
Wundergroß strahlt der Abendstern,
geht flackernd als ein grün Geflamm
unter im schwarzen Wipfelkamm.
Die Nebelfrau zieht Schleier weiß.
Eulen rufen. Der See schlägt leis. 209

Herr Rother kehrt auf müdem Roß
und ist ein stummer Tischgenoß.
Herr Rother aus tiefem Sinnen fährt,
den besten Wein und Spielleut begehrt.
Läßt den Wein stehn, schickt die Pfeifer fort,
scheucht die Kinder mit hartem Wort,
wirft sich aufs Lager hin zur Ruh,
schließt mit Seufzen die Augen zu.

Die Nacht ist so voll dunklem Wehn
und schwarz, als wollt sie nie vergehn.
Das Lämpchen zuckt in trübem Schein.
Herr Rother liegt so bleich wie Stein.
Er stöhnt und wirft sich hin und her,
als läg ihm auf der Alp so schwer.
Sie zieht ihn sanft an ihre Brust,
und er umarmt sie unbewußt,
raunt süße Worte minniglich,
schreckt auf und blickt verstört um sich.
Sie streicht die schwüle Stirn ihm sacht.
»Dich quält ein Traum schon manche Nacht.«
»Kein Traum, kein Traum,« spricht seufzend er,
»und ich verschweig dirs nimmermehr.
Ich bin einem schönen, wilden Weib
verfallen ganz mit Seel und Leib.
Ein Mägdlein ist es wunderbar,
wie Waldesdämmerung ihr Haar,
ein Mägdlein schlank und wunderbar,
ihr Aug wie Moorflut braun und klar.
Gestaltet als die Tanne jung,
flink als ein Wild in Tritt und Sprung,
wie wildes Wasser rein und frei
und lieblich wie der Wind im Mai,
und Wangen wie der Morgenschein
und Arm und Fuß wie Elfenbein.«
»Weh mir! Weh dir! Eine Hexe schlug
mit bösem Zauber dich und Trug!«
»Nicht lacht ein böses Wesen so,
nicht hat es Blick so warm und froh.
Wer einmal in dies Aug gesehn,
um den ist's immerdar geschehn;
wer einmal in dies Aug gesehn,
der möcht in seinem Grund vergehn:
wer einmal diesen Mund geküßt,
der wollt, daß er dran sterben müßt.
Nicht Zauber ist's, der Liebe Licht
aus ihrem Blick wie Sonne bricht, 210
nicht schlimmer Trug, der Liebe Macht
so dunkelgroß wie Sternennacht,
nicht irrer Wahn: wie Waldesgrün,
wo tief seltsame Blumen glühn,
wo Sonne durch die Blätter spielt
und Wehn aus steilen Schluchten kühlt,
das edle Wild im Dickicht rauscht,
der Luchs im hohlen Baume lauscht,
der Aar um alte Felsen schwebt
und Götterhauch in Wipfeln webt,
so hab ich lieb dies dunkle Kind
wie Wald und Jagd, wie Wild und Wind.«
»Und sprich, wo hast du sie erblickt,
die deine Sinne so berückt?«
»Einst, als ich noch ein Knabe klein,
entlief ich in den Wald allein.
Auf heißem Schlag bebte die Luft
und hauchte würzigen Beerenduft.
Wie ich emsig die roten las
und sie aus vollen Händen aß,
glänzten mich dunkle lockend an
an hohen Stauden wie Kirschen getan.
Schon pflückt ich eine und essen wollt,
da stand ein kleines Mägdlein hold,
sprach: iß die schwarzen Beeren nicht,
da kriegst du Augen wunderlich
und tiefen Schlaf mit Träumen schwer,
aus dem erwachst du nimmermehr.
Und ihre Augen glänzend braun
waren wie die Beeren zu schaun.
Ich küßt sie auf den roten Mund,
mir ward so wohl aus Herzensgrund.
Wir trieben im Walde frohes Spiel,
erzählten uns schöne Dinge viel.
Ich steckt ihr an das Fingerlein
einen goldenen Ring mit grünem Stein,
und sprach: Du liebe Waldesbraut,
nun bin ich dir ewig angetraut
und bleib dir treu in aller Welt
und kämpf um dich als wackrer Held.
Und einmal komm ich auf weißem Roß
und hol dich heim in Vaters Schloß.
Dann herrschst du mir zur Seite gleich
als Herrin weit im Wälderreich.«
Da lachte sie und sang ein Lied,
das zog wie Traum mir ins Gemüt, 211
und küßt mich, da es Abend war,
und lief hinweg. Noch stand sie klar
auf einer Höh gen Untergang,
wandte sich, winkte mir und sang.
Heimkehrte ich zu später Stund;
da suchten mich schon Jäger und Hund,
waren mir Vater und Mutter gram,
und auf die Klosterschul ich kam,
fern an des Herzogs Hof sodann.
Und bis ich war ein Rittersmann,
des Maidleins dacht ich selten mehr,
und war schon alles so lange her.
Im Traum wohl sah ich mich manchmal
schweifen mit ihr im Buchensaal
und fühlt, erwacht zur Dämmerstund,
ihren Kuß so süß auf meinem Mund.
Und oft auch, wenn ich einsam zog
und Sonne sank ins Waldgewog,
war mir, ich hört in Gründen weit
das Lied aus längst versunkner Zeit.
Doch in des Lebens Kampf und Spiel
gingen über mich Wellen viel.

Dich sah ich, und wir liebten einand,
führte dich heim an treuer Hand.
Du wardst mir Weib und Mutter gut,
hieltst Sipp und Haus in Zucht und Hut.
Wir lebten sorglos und in Lust,
war keines Wunsches mir bewußt;
nur daß mich seltsam machtvoll zog
das grüne, tiefe Waldgewog,
nur daß manchmal ein Herzensschrei
mir klang: und wärst du wild und frei!
und oft im Abend wundersam
das alte Lied mich überkam.
Wär ich dem dunklen Zauberton
Weitab in heißen Kampf entflohn!
Mir ahnt es in der Seele leis,
es zog mich in den Zauberkreis.
Das Lied so fernentief und alt
ertönt und sehnt und nahm Gestalt.
Und eines Morgens stand es da,
wie ich's in meiner Kindheit sah.
Sie ist's, sie trägt am Finger fein
den goldnen Reif, den grünen Stein.
Sie ist's nun hoch und götterschön
und wild wie Waldgebraus im Föhn.« 212
»Wie fandsr du sie, wie traf sie dich,
die so viel Gram bringt über mich?«
»Wie oft bei heiter blauem Schein
der Jäger arglos zieht waldein,
streift hin und her und tritt ins Feld,
da steht das Wetter hochgeschwellt
und neigt sich schon im Sturmesstoß
und bricht mit Sturz und Feuer los:
so plötzlich stand die Dunkle da,
und weiß nicht, wie mit uns geschah,
warf uns der wilde Sturm zusamm,
und brach aus beiden jäh die Flamm.«
»So liebt mich Rother nimmermehr
und warf hinweg mir Treu und Ehr!«
»Ich sag es dir und es ist wahr,
ich lieb dich heut und immerdar
und kanns nicht sagen, was mir ward.
Solch wildes Feuer fremder Art
wie Göttermacht mich überkam
und Willen mir und Sinne nahm.«
»Und was hat dir solch edle Magd
von ihrem Haus und Sipp gesagt?«
»Den Vater hat sie nie gekannt,
Schlafsüß ihre Mutter sich genannt
und Traumsüß nannte sie das Kind.
Oft, wenn sich hob der Wetterwind,
sie zeigt ins hohe Wolkenwehn:
Und siehst du dort den Vater gehn?
Und immer wenn der Abend kam,
sang sie ein Lied voll Lust und Gram,
und als das Kind sie groß gebracht,
ist sie verscholln in Wald und Nacht.
Manchmal glaubt es die Mutter zu sehn,
wenn Herbstlaub schaudert, Nebel wehn,
im Dämmern weht Gewand und Haar,
verfliegt, und weiß nicht, was es war.«
»Der Liebe Wahnsinn macht dich blind.
Die Maid ist fahrender Schelme Kind,
oder ein Schwarzalf arg und schlau,
ein Lockegeist, eine Wasserfrau!«
»Und wer sie sei – der Morgen graut.
Hörst du das Lied der Waldesbraut?
Du hältst mich nicht an deiner Brust,
mich faßt so wunderhohe Lust,
mich treibt ein rätselvoll Gebot,
ich muß zu ihr und wärs der Tod!« 213

Herr Rother eilt und steigt zu Roß,
verläßt mit Speer und Hund das Schloß.
Frau Gertrud ringt die Händ und weint,
bis hell der Tag den Wald bescheint,
bis tief der Tag im Wald versinkt
und groß der Wunderstern erblinkt.

Spät kehrt und müd der Herr zurück,
sitzt auf sein Bett mit düsterm Blick.
Die schwüle Nacht ist welk und dumpf.
Die Unken rufen trüb vom Sumpf.
Es wettert fernher übern Wald,
da leuchten Wolken aufgeballt.
Frau Gertrud weint. Herr Rother spricht:
»Sei gram dem schönen Mägdlein nicht.
O kämpft ich fern im heilgen Land!
O läg ich tot im Wüstensand!
Uralt und edel ist mein Schlag,
Göttern entsprossen, geht die Sag.
Mein Ahn, vom starken Karl bedroht,
ward lieber Christ als Knecht. Aus Not
von Väterbrauch und Sinn er wich.
Nun rächt das Blut im Enkel sich.
Nicht groll dem reinen Wälderkind,
wie Schickung kommt's geführt und blind.
Mein eignes Wesen rätselgroß
tritt an mich da und wird mein Los.
Mir wird so dunkel, wetterstill,
weiß nicht, was ist noch werden will.
Nun bin ich hoher Mächte Spiel.
Beug dich, laß ihnen Lauf und Ziel.
Ich muß mich diesem dunklen Graun,
mich dieser Flammen Lust vertraun,
sonst in des Lebens Kern zerstört,
bin ich nicht dir noch selbst mir wert.
Auf sieben Jahre gib mich frei,
So wills die wundersame Fey.
Dann kehr ich und es wird enthüllt,
was mir bestimmt, wenn ichs erfüllt.
Du gönn ihr den verfallnen Mann.
Nur Liebe löst der Liebe Bann.«
»Ein süßes Gift, ein bös Gelüst
hat dir die Hex ins Blut geküßt.
Ich laß dich nicht, ich rette dich
vor ihr, vor dir, für Gott, für mich!«
»Ja, süßes Gift wie Träume tief.
O wer in solchen Träumen schlief!
Aus ihrem Auge blickt stillgroß 214
der Nacht uralter Wunderschoß
und zieht hinab mit Zaubersang.
O süß und tief ist Untergang.«
»Erlosch auch mir der Liebe Glanz,
vergaßest du der Kindlein ganz?«
»Den Kindern bleibt des Vaters Geist,
der seinem Stamm sich treu erweist.
Du wahre mir Geschlecht und Haus,
als zög ich wider Feinde aus.
Bedenke nun, was ich gesagt.
Sei klug, sei gut. Mich ruft's. Es tagt.
Heut Abend kehr ich noch einmal
und hör von deinem Mund die Wahl.«

Herr Rother reitet in den Wald.
Frau Gertrud satteln läßt alsbald.
Zum Kloster reitet sie allein
und heischt den Abt. Man läßt sie ein.
Der Abt, ein strenger, blasser Mann,
hört schweigend ihre Rede an,
seufzt und faltet die hagern Händ,
seufzt abermal und spricht am End:
»Euer Herr war nie im Herzen Christ.
Geschäftig strebt des Teufels List.
Aus unsres Fleisches bösem Trieb
schafft er manch Blendwerk sinnenlieb
und schreckt, erreicht er nicht sein Ziel,
mit grauser Elemente Spiel.
Denn bös aus sich ist die Natur
und gut in Gottes Segen nur.
Opfernd ihr Knecht der Heide ist,
entsagend sie beherrscht der Christ.
Gefangen sein muß jenes Weib,
daß man aus ihr den Teufel treib.
Gottesurteil zeig, wem sie dient.
Durch Feuer sei die Schuld gesühnt.
Auch Ihr habt an der Sünde teil.
Mehr als des Gatten Seelenheil
besorgtet Ihr das eigne Glück,
hieltet vom Kreuzzug ihn zurück.
Im heilgen Kampf sein wilder Mut
hätt ihm gewirkt der Gnade Gut.
Weil Ihr solch Opfer nicht gebracht,
hat Gott mit Prüfung Euch bedacht.
Entrissen sei dem Bösen nun
der edle Herr. Das laßt mich tun.
Die Klage heb ich vorm Gericht.
Ihr betet und verratet's nicht.« 215

Tief in Gedanken Gertrud kehrt.
Langsam schreitet das kleine Pferd,
steht und nimmt Klee vom Wegesrand,
kaum lenkt es ihre weiße Hand.
Nun weilt sie ruhelos im Saal,
bis sinkend fällt der Sonne Strahl.
Ein Wind hat sich erhoben drauß
und saust so eigen um das Haus.
Die Kinder lärmen wild herum,
sie achtet's kaum, sinnt blaß und stumm.
Das kleinste wiegt sie auf dem Arm
und blickt es an voll Lieb und Harm.
Plötzlich Herr Rother rasch tritt ein,
das Haar wild, das Antlitz starr wie Stein.
Er steht, zum Weidwerk angetan,
die Hand am Speer, und blickt sie an.
Die Kinder fliehn ihr zu verschreckt
und halten sich an ihr versteckt.
Was glüht ihr so die Wang verschämt?
Was starrt und schweigt sie wie gelähmt?
Er blickt sie an. Sie spricht kein Wort.
Herr Rother kehrt sich, schreitet fort,
besteigt im Hof sein weißes Roß,
pfeift den Hunden, verläßt das Schloß.
Frau Gertrud rasch zum Fenster eilt
und sieht ihn reiten unverweilt.
Sie ruft mit angstvoll flehndem Blick.
Der Wind wirft ihr den Schrei zurück.
Den Reiter Waldgerausch verschlingt.
Noch einmal fern der Schimmel blinkt.
Frau Gertrud wirft sich auf die Knie,
und lange weint und betet sie.

Versunken ist die Sonne nun.
Der Sturmwind läßt den Wald nicht ruhn.
Er wankt und weht, er wogt und braust.
In Glutgewölken wildzerzaust
aufgeht der große Stern, ertrinkt,
ertaucht, verlöscht, strahlt auf und blinkt.
Die ganze Nacht betet und weint
Gertrud, bis trüb der Morgen scheint.
Ein Tag in Wolken geht grauschwer
und regnend über die Wälder her,
der dämmerblaß in Nacht verrinnt.
Die Burg im See umseufzt der Wind.
Bleich weht der Mond aus Schleiern vor.
Herrn Rothers Hunde heulen am Tor. 216

Herrn Rothers Hunde heulen allein,
kein Roß, kein Reiter im blassen Schein.
Frau Gertrud auf den Tod erschrickt,
zum Wald aus alle Knechte schickt.
Frau Gertrud selbst zu Pferde steigt.
Spürend den Weg die Meute zeigt,
seltsame Wege waldaus, waldein
und weit, bis daß im Morgenschein
ein hohes Moor liegt düster hin
und still ein brauner Weiher drinn
Wacholder starren schwarz und schmal,
Zwergföhren, Baumgerippe fahl.
Ein bleicher Stein blickt in die Flut,
die dunkel spiegelnd reglos ruht.
Die Hunde schnobern um den Ort,
ziehn auf den Fels und bellen dort.
Roßtrappen zeigt der schwarze Grund.
Herrn Rothers alter Lieblingshund
jagt heulend ab und auf den Stein
und stürzt sich in die Flut hinein.
Versunken ist sein Haupt sogleich.
Kaum Wellen wirft der träge Teich.
Des Felsens Bild erzittert schwank
und spiegelt wieder dunkel blank,
und Wolken drum wie mondesbleich
und schwarz und stumm das Totenreich.

Der hohe Saal ist still und leer.
Frau Gertrud hat keine Tränen mehr.
Sie schafft und spinnt, geht aus und ein,
doch schweigend als ein Bild aus Stein.
Der Wald am Moor wird ausgehaun,
sie läßt ein Kloster dort erbaun.
Man rodet weit um in der Rund
und pflügt den feuchten, schwarzen Grund.
Bald steht ein Kirchlein weiß und schlank
und spiegelt sich im Weiher blank.
Der Turm ist auf den Fels gegründt.
Das Glöcklein fleht durch Wald und Wind.
Haus und Gehöfte wächst umher
und Mauer rings gebaut zur Wehr.
Wie Tauben Nonnenhauben gehn
im Garten, wo die Blumen stehn.
Orgel gedämpft und Stundenchor
erklingen sanft in Forst und Moor.

Der junge Gerroth herrscht im Wald,
dem Vater ähnlich an Gestalt, 217
der Mutter gleich an sanftem Mut,
und sorgt für Brüder und Schwestern gut.
Dem König gibt er Schloß und Land
und nimmt's als Lehn aus seiner Hand,
ist ihm ein treuer, tapfrer Held,
und viel Güter und Gnaden erhält.
Gertrud nimmt Schleier und schwarz Gewand
zum Stift Marie im Moos genannt.
Das Glöcklein zieht sie oft im Turm
und läßt es wehn in Nacht und Sturm,
daß es dem Wandrer Führer wird,
der sich in Wald und Moor verirrt.

Und nächtens mancher Wandrer sieht,
wenn Mond aus bleichen Wolken zieht,
einen Schatten wischen übern Grund,
als liefe jagend da ein Hund,
und naht ein Rößlein silberweiß,
das tritt so sacht, das trabt so leis.
Ein hoher Mann im Sattel sitzt,
Am Gurt ein Silberhorn erblitzt.
Er hält vor sich ein schlankes Weib,
das hat umschlungen seinen Leib.
Sein Haupt umweht ihr dunkles Haar.
Sie blickt so groß und wunderbar.

Sie reiten sacht, sie schweben leis.
Das Rößlein schimmert silberweiß.

Im Wolkenziehn der Mond verlischt.
Ein Schatten hat sie weggewischt.«

Er schwieg. Und alle schwiegen umher. Die Gluten im Kamin knisterten verlöschend.

Endlich erhob sich die Gräfin, und die andern taten desgleichen. Die Damen verabschiedeten sich von den Herren, die Hausfrau geleitete die Nürnbergerin hinaus.

Der Pfeifer drückte sich heimlich zu einer Tür, die unmittelbar ins Freie führte. Wie er sie öffnete, wandte er sich noch einmal und sah inmitten der Männer, die noch plaudernd und trinkend umherstanden, Mangold von Eberstein mit verschränkten Armen stehen und in tiefem Sinnen zur Kaminglut hinabstarren.

Er schlüpfte hinaus und stand unter den Säulen im Hof. 218 Der schwindende Mond mit einem halben Gesicht sah über die Wälder. Ein fließender Brunnen murmelte unter den tiefschattenden Bogen.

Er ging zur Pforte neben dem Turm, riegelte sie auf und beugte sich übers Wasser hinaus. Die Flut lag regungslos und war unter ihm grün durchstrahlt, wie das Auge einer Nixe. Lichte Wolken, kaum merklich ziehend, schwammen im reinen, fast sternenlosen Blau und spiegelten aus dem See zurück. Am Ufer um alte, vorgebeugte Bäume webte es wie ein feiner, leichter Rauch hin.

Flimmerte es nicht dort im tiefen Dunkel unter den Waldwipfeln?

»Sie reiten sacht, sie schweben leis.
Das Rößlein schimmert silberweiß.

Im Wolkenziehn der Mond verlischt.
Ein Schatten hat sie weggewischt.« 219

 


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