Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Der Freund

Es war tief in der Nacht. Mangold und Nebukadnezar beim Flackerschein einer dicken, tropfenden Wachskerze saßen in der Wohnstube. Sie hatten Zinnkrüge vor sich auf dem Tisch. Das letzte Fäßlein stand auf einem Stuhl daneben. Der Voit hatte schon viel getrunken. Seine Blicke in den schweren, geröteten Lidern erglommen und erloschen wie Feuer, das durch Rauchgewälz aufschlägt und wieder umnebelt wird. Bisher waren sie sehr schweigsam gewesen. Kaum alle Viertelstunden einmal hatte der oder der was gesprochen. Mangold war oft hinausgegangen, zu schauen, ob die Wachen auf seien. Alle Ställe und Höfe waren voller Pferde. Die Leute lagen zum großen Teil im Freien umher 392 und schliefen. Das Haus nach dem Weggang der Frauen war ganz leer und totenstill. Der Wind umsauste es und heulte in den öden Räumen. Die Mondschatten wuchsen heran und wichen dem bleichen Licht. Die kahlen Baumwipfel brausten. Sie hatten das Fenster offen, um besser zu hören, wenn draußen was vorging. Es ächzte in den Angeln und klappte manchmal. Der Voit, je trunkener er wurde, redete mehr und mehr. Vom Krieg, vom Sickingen, von alten Zeiten, von den Städten und den Weibern. Seine Stimme ging hohl im kahlen Raum, der bis auf die schweren Möbelstücke ausgeräumt war. Kein Silber, kein Zinn mehr auf den entblößten Gestellen. Eine leere Truhe offen. Verlassene Sitze. Und die Erinnerungen vieler Jahre, Tage, Stunden gespenstisch im Schweigen umher. Gestalten waren da und waren nicht mehr da. Worte, einmal gesprochen, hallten unhörbar nach, geisterten flüsternd in der Luft. Erlebtes drängte sich, webte, hauchte unsichtbar, und doch gähnte die Leere, starrte aus toten Augen das Gewesene, das entsetzliche Vorbei. Nebukadnezars Stimme hallte hart und laut, schläfernd in einem trunkenen Tonfall hin.

Mangold fuhr plötzlich auf, erhob sich und begann hin und her zu schreiten. Der Voit, das Haupt in eine Hand gestützt, den andern Arm lang auf den Tisch gelegt und schief auf dem Sessel hängend, lallte fort. Mangold stand vor der Tür und kehrte wieder um. Ihm graute vor dem leeren Haus. Die Hände auf dem Rücken blieb er wieder stehen und sah den Voit an. Der, heftig deutend, sprach eben: »Und sollen sies sehen alle, die geglaubt haben, es – es stünd – nit recht mit dir. Die werdens sehn, wann wir die Wertheimischen – und die Nürnbergischen niedergeschlagen haben – Recht muß Recht bleiben, Gott steht zu uns. Die – Mann – die – holen wir uns – die sollen uns stehn, einer nach dem andern. – Ich weiß sie – die geredet, die geraunt haben – die Schufte. Den und jenen – hab ich gehört – und andere, die weiß ich, die ich nit gehört hab – die es nur dachten. Die wollen wir fragen,« er schlug mit der Faust auf den Tisch, »die müssen mir antworten, wann sie Ritter sein wollen . . .«

»Voit,« sagte Mangold, »Nebukadnezar!« rief er lauter, 393 »hör einmal.« Der andere raffte sich auf, fiel zurück, riß die Augen auf und starrte ihn an.

»Hör mich an,« sprach Mangold, »so du noch hören kannst. Ich hab dir was Wichtiges zu sagen.«

Nebukadnezar fuhr sich über die Stirn, schüttelte den Kopf, machte einen Schluck und sprach ganz klar: »Sprich, ich vernehme jedes Wort und kann dir Antwort stehn.«

Mangold: »Voit, alter Freund, – du glaubst an mich, an meine Unschuld?«

Der andere, ihn groß anschauend: »Was Frage?«

»Du willst kämpfen für mein Recht, meine Ehr?«

»Bis in den Tod.«

Mangold schwieg und sah ihn mit eisig leuchtenden Augen an. Dann sprach er: »Geh weg, sattel dein Roß und reit heim. Ich will nit schuld an deinem Blut sein. Geh weg, spuck aus vor mir oder mach, was du willst. – Ich bin gefallen.«

Nebukadnezar fuhr in die Höh. Der Sessel schlug hinten über. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er ihm ins Gesicht.

Mangold: »Nein, du bist nit trunken. Du hasts gehört: Mangold von Eberstein ist gefallen.«

Der Voit war noch immer sprachlos. Endlich lächelte er, machte eine Bewegung mit dem Finger vor sich hin und sagte: »Das sagst du, weil du mich los sein willst. Aber – aber ich pfeif – aufs Leben. Da hast du's. Es ist – ohnedem nichts wert. Das weißt du.«

»Nein, Voit. Ein Leben noch so schlecht ist zu gut für mich. Geh weg, leb und wisse es: Ich – bin – schuldig.«

»Mit dem Weib?«

»Ja.«

Der Voit drohend: »Mangold! . . . Sprichst du wahr?«

Mangold: »Ich spreche wahr.«

Nebukadnezar wankte. Er ließ sich schwer mit beiden Händen vorfallen und stützte sich an den Tisch. Wohl fünf Minuten lang sahen sich die beiden Männer wortlos in die Augen. Der Wind sang, das Fenster knarrte. Das Haus war totenstill.

Nebukadnezar richtete sich auf, ging langsam auf Mangold zu, stand vor ihm und blickte ihm starr ins Gesicht. Dann 394 sprach er: »Mangold, leicht ists, eines Mannes Freund sein, der hoch steht und rein in Ehren. Wer weiß das, wer weiß, ob einer rein ist? Was hat da vorhin deine Schwester, die reinste aller Frauen, die Heilige, gesagt? Gott ist der Richter. Mangold – wann einer fällt und aus was Ursach – wer weiß das, wer kanns richten, dann der da oben allein? Ich muß dir glauben, weil du nie gelogen und nit lügen kannst. Gut – du bist gefallen. Sei es. Was gehts mich an? Ich weiß es. Ich schweige. – Soll ich dich stehn lassen? Mangold – da fangt der wahre Freund an, wo es schwer wird, ein Freund zu sein. Das ist der Freund, der des Freundes Hand nit fahren laßt, auch wann der andere fällt. Du bist gefallen. Hier hast du meine Hand. Dein Schild hat einen Flecken – Mangolds von Eberstein Schild! – – Hier hast du meinen, ich halt ihn vor dich. Und das weiß ich – ich bin ein Trunkenbold – aber manch einer, der gezweifelt, wird sagen bei sich: er war rein. Nebukadnezar Voit von Rieneck hat für ihn gefochten.«

Die Hände der zwei Ritter umschlossen einander in eisernem Druck. Mangold stand aufrecht und freien Blicks. Er sprach:

»Voit, ich danke dir. Du aber hör weiter. Mein Schild ist getrübt, ja, aber die Frau, die ist rein, rein als das klare Wasser des Himmels. Mein ist die Schuld, mein allein. Ich trag sie auf mir und steh ein dafür vor dir – und vor Gott.«

Nebukadnezar sah ihn lange schweigend an. Es zuckte um seine Lippen. Endlich sagte er: »Mangold – wir sind unter uns – unter uns Männern – unser zwei – nit wahr?«

Mangold nickte.

Der Voit fuhr fort: »Unser zwei – du und ich – das sind nit zwei als andere zwei – – du – und – ich – verstehst du?«

»Ich versteh.«

»Und der dritte – der da –,« er deutete hinauf. »Den können wir nit wegschicken – und mag ers hören.«

»Mag er.«

»Mangold . . . itzt schlag mich tot, wann du willst – du hast mir viel gesagt – ich sag dir auch, was dir kein Mann 395 sonst sagen dürft: daß einer die Schuld hat – bei einem Weib – Mangold – das muß jeder Mann sagen. Und daß sie rein ist – das muß ein Mann sagen – mit dem Mund – mit dem Schwert – mit dem Leben – mit Ehr und Eid sogar – schlag mich tot, ich steh still, Mangold – das muß er sagen – auch dann – wanns gelogen ist . . .«

»Nebukadnezar – Freund – Mann! Es ist wahr – sie ist rein!«

»Du sagst es?«

»Ich sag es.«

»Gut. Ich glaub es – dir. Ich glaub es und schlag jedem den Schädel ein, ders nit glauben mag.«

»Das tu. Ich dank dir abermals und mehr von Herzen noch, wanns möglich wär.«

Wieder schwiegen sie eine Weile. Dann begann der Voit: »Aber Mangold, itzt sag, sag alles. Es ist so spät. Es hört uns nur mehr der Tod, der ist stumm, und Gott, der schweigt. Mangold, wie dann bist du schuldig?«

»Weil ich sie lieb hatte und sie nit ließ, da mir inne ward klar und hell, daß sie mir lieb war.«

»Ja, Mangold, das ist die Schuld. Was weiter wird und sein mag, das ist ein Ding – wen gehts was an! Du sagst es und ich seh es: Du bist schuldig. Aber ich bleib bei dir. Du wirst mich nit los. Nein. Mangold. Wir hauen beide drein für deine Ehr und ihre Ehr – und gehn wir drauf dabei – dann sind wir draufgegangen. Früher oder später ists doch einmal und – Mangold – ich glaub, es wird jetzt sein.«

»Ich auch.«

Sie standen noch eine Zeit. Mangold ging wieder nachdenklich hin und her. Dann setzte sich der Voit, und der andere folgte. Sie tranken und sprachen sehr lange nichts.

Endlich begann der Voit: »So ist Mangold von Eberstein schuldig geworden. – Gott schütz uns vor den Weibern! – Hab ichs dir nit gesagt? Freund, wer kennt die Weiber? Wer kennt sich?«

Mangold erwiderte nichts und ließ Wein in beide Krüge vom Faß nachfließen. 396

Der Voit sprach: »So bist auch du zugrund gegangen – am Weib – auch du. Ich sagt es dir voraus dahier, wo ich gesessen an dieser Statt. – Ja, Spinnweb! Man siehts nit, man hörts nit, man spürt's erst kaum. Es ist da und ist nit da. Man kanns nit fassen – es ist so nichts, Mangold – wie deine Schuld – und doch – und doch – es ist ungeheuer wie die Welt und zu schwer, daß einer es trage.«

»Aber Voit, muß dann, muß dann ein jeder Mann am Weib zugrund gehen?«

»Ja, Freund – das ist die Frag – wer die stellen dürft – und wer die Antwort wüßt! Mangold, wie stellst du dir den Herrgott vor, der das Weib geschaffen – und den Baum verboten? – Sagen die Pfaffen nit so, haben sie's uns nit so gelehrt? Und daran gehn wir zugrund – Mann und Weib. Und Er wirds richten einmal, Mangold, Er – kein Pfaff – Gott sei Dank!«

»So muß es sein – glaubst du?«

»Es muß sein. Es ist verhängt. Und das ist die Frag. Wer ist ein Mann? Wer wird ein Mann? – Keiner, der feig ist. – Wer ist ein Mann? – Wer wird ein Held? – Keiner, er hätte dann ein Herz in der Brust. Und wer kennt sein Herz? – Wer kennt Gott? . . .«

»Und die Weiber?«

»Freund, die ein rechtes Weib ist, die ein Herz hat, die geht auch drauf im Leben. Nur die keins haben – die bleiben schön und klug – so wie die Männer glücklich sind auf Erden – und übergescheit und reich und nie arm – die keins haben. Aber das sag ich dir: Gott – Gott wird sie verwerfen. Da drüben, da sind sie nicht mehr.«

Mangold stand auf und begann wieder hin und her zu schreiten.

»Voit,« sagte er, »doch ists furchtbar zu denken. Muß dann ein jeder und jede zugrund gehn dabei? Schau, Voit, da haben wir ein jung Paar, das ist uns lieb, dir und mir – der Frowin und das Elslein. Seit etlichen Wochen haben sie sich und sind so selig darob, daß es leuchtet, wo sie gehn. Sag, meinst du, auch die – –?«

Nebukadnezar hob die Schultern. »Was ist ein 397 Menschenleben? Was sind zwei – zwei, die sich verknüpfen gar? – Mangold, wir haben was erlebt mit den Frauen – du und ich. Sag, was ist's, wann der Schaum verbraust ist, wann die Blüten ab sind? Die Frucht ist immer bitter, bis daß sie reift.«

Mangold: »Nun – und die Frucht, was ist das?«

Der Voit hob abermals die Schultern und sah ihn mehrere Augenblicke schweigend an. »Mangold,« sagte er endlich mit steilem Finger auf ihn deutend, »solch eine Frucht, die hättest du – und man heißt sie Treue. Ja, eins dem andern ein treuer Genoß sein in aller Not, das am End und mit Gottes Hilf ist die Frucht, die bleibt von allem jungen Braus und Minnetraum.«

Mangold nachdenklich: »Ei, mich daucht, es stünd dafür.«

Nebukadnezar: »Es steht dafür, wanns werden mag. Aber daß es werde, davor muß viel sterben, davon gesagt und gesungen wird, daß es schön und köstlich sei. Und solch ein Sterben ist bitter. Eine gute Eh ist, worin es still geschieht, adlig und ohne Klag, daß eins dem andern sich opfert. Gehts gut, dann halten sie zusammen darüber hinaus und verdienen sich den Himmel miteinand. Gehts schlimm, dann ists als eine faule Frucht, die häßlich ist und stinkt weithin. Pfui Teufel! Nichts scheußlicher dann ein Menschenpaar, das auseinanderfault in Haß und Gezänk.«

»Ja. Ich hab das auch gesehn. Und es sind mehr faule Früchte dann gute, und ist mehr Gezänk dann Schweigen. Aber die zwei da drüben in Altengronau – Gott segne sie! – die zwei sind adlig und gut und werden einen guten, stillen Weg miteinander zum Himmel gehn.«

»Gott segne sie! Mangold – auf ihr Glück!«

Er hob den Humpen. Beide tranken aus. Nebukadnezar sprach fort: »Ja, die gehn den guten Weg und – vielleicht einen, der lauter Sonn ist trotz aller Schatten, so die Dinge werfen, Dinge, die halt kommen und da sind, weil die Welt da ist, und niemand allein mit der Sonn und dem Weib auf der Erde. Das war das Paradeis – und die ersten Zwei, die sind hinausgegangen ins Elend, um der Menschen elend Geschlecht zur Welt zu bringen. Und ist das nicht immer, 398 immer wieder? Haben nicht jegliche zwei ihr Paradeis und gehn ins Elend, weil sie vom Baum essen – weil sie essen müssen vom Baum, um den die Schlange hängt? Aber die zwei da drüben, mag sein, die gehn einen sonnigen Weg, Gott gebs – auch das geschieht – doch es gehört zum Seltsamen. Aber sag, Mangold, die zwei, der Frowin und das Elslein, hattens die nit besser als viele, viele? Als ihre Blüte aufging, da standen zwei Männer, zwei Ritter um sie – du und ich – die hielten Schild und Schwert davor und sprachen: Weh dem, der dran rührt! Keine Weiberzunge, keine Hochzeitmacher durften dran rühren, bis ihre Blüte strahlte und duftete, daß jeder sie sah und sie kein Aug mehr scheute. Freund, mag sein, es wird einmal anders im Menschengeschlecht. Der Ulrich hat vorhin gesprochen: Wir gehn zugrund, aber die nach uns kommen, die werden leben davon, daß wir zerbrachen. Mag sein, der Menschen Geschlecht wird einmal über vielen Leichen so adlig und frei, daß es auch glücklich bestehen kann in der Liebe. Aber ich kanns nit glauben. Es wär wider die Welt und ihren Sinn. Und adlig und frei, das können immer nur die Wenigen sein. Ich glaub, da drüben erst, da wird es sein, und hier ist es so, damit daß es drüben anders sei und daß wir es verdienen durch Untergang.«

Mangold blieb stehen und sah ihn groß an: »Ja, Voit, das ist mein Glaube auch. Drum: die Blume, die wir nicht gebrochen auf Erden, die wird uns drüben zu eigen sein, blühend auf ewig. Und die Treue, die hier bittere Früchte schweigend aß, die wird Liebe sein und Glück und Licht rein durch und durch. Voit! Und Liebe wird nimmer gegen Liebe stehn, Weib nimmer gegen Weib. Das ists, Voit, das ists, was den Mann, der ein Herz hat, hier zerstört.«

Nebukadnezar nickte mehrmals langsam und starrte in den Becher. Nach einem Schweigen fuhr Mangold hin und her schreitend fort: »Mein Gott! – Sag, Voit, haben dann alle das Herz so voll und so schwer, als wir Deutsche? Mich daucht, die andern, die hättens leichter – weil sies leichter nehmen . . .«

Der Voit aufspringend, daß die Kanne umfiel und der 399 Wein über den Tisch hinschoß und zu Boden prasselte: »Mangold!« er hob den Finger, »weil sie kein solches Herz haben, als wir – die Wälschen, die andern, ja die habens leichter – ich kenn sie – ein furchtbar Ding, solch ein schwer Herz – ein furchtbar Verhängnis, ein Deutscher zu sein.«

Er blieb stehen und lehnte sich müde an die Wand. Mangold trat zum Fenster und sah hinaus. Der Mond hatte sich geneigt. Stieg schon der Tag im Osten? Helle und Helle wob sich seltsam ineinander. Die Schatten geisterten ungewiß. Es war totenstill. Nur irgendwo fern, fern ein dumpfes Sausen. Und im Wehrgang der Schritt einer Wache jetzt. Unten im Tal verglimmende Feuer bei den Zelten. Und drüben von der Höhe der Ruf eines Posten.

Wieder sprachen sie lange nichts. Mangold, die Hände auf dem Rücken, das Haupt gesenkt, schritt hin und her. Die rote Kerze brannte tief in tropfenden Wachsperlen und flackerte. Sein Schatten zog groß an der kahlen Mauer hin.

Plötzlich begann der Voit zu reden. Erst hörte Mangold gar nicht auf ihn. Aber Nebukadnezar sprach in seltsamem Ton, lallte, murmelte, rief: »Die Deutschen . . . die Deutschen – Mangold! – Siehst du die Deutschen? . . .«

Er wandte sich herum. Der Voit stand an der Mauer, schwankte und deutete irr mit schwankender Hand herum. Er stand ohne Helm, die schwarze Kappe mit den rotweißen Zwickeln ins Genick gestreift, im Harnisch, das Schwert zur Seite. Die grauen Haarsträhne auf seinem schütteren Scheitel waren emporgesträubt, die Augen weit aufgerissen glommen. Der Mund hing ihm lallend herab. Er atmete schwer. Die Worte kamen abgebrochen, wie gurgelnd hervor. Mangold erschrak und trat eilig vor ihn. Er schien ihn nicht zu sehen. Er blickte wie in weite, weite Fernen hinab.

»Mangold,« sprach er irr, »siehst du – die Kron? – Sie ist aufgestiegen – aus dem Strom, – es ist der Rhein – die Kron – uralt. Lauteres Gold – tief aus der Tiefe. – Ein Mann hat sie erhoben – ein Herr hat sich erhoben – die Kron auf dem Haupt – hoch als ein Berg – ich seh ihn sitzen auf dem Berg – das Antlitz wie Stein – das Haar kurz und weiß – der Bart weiß – Augen grau wie Eis – 400 siehst du ihn? – Die Kron wirft weiten Schein – in dunkle Lande – weit über Lande – Meere hin. Völker wandern – Völker wogen – helle – dunkle – Kampf. Mangold – siehst du die Brände? – Sonne – Sonne – die Kron erstrahlt. Burgen steil, – Dome – Städte – Wald, grüner Wald – Tal, Flüsse – viel Reiter. Das Gold! – Das Gold! – Was treiben die Finstern – die Kleinen im Berg? – Was wühlen sie? – Gold, Gold. – Es quillt, fließt – es fließt ins Land – quillt in Städten – sie füllen sich hoch – fließt über – gleißend über Mauern – herab – hinaus . . .«

Mangold starrte ihm entsetzt ins Gesicht. Er murmelte, lallte, schrie weiter, die Augen verglast: »Mangold, siehst du den Berg? – Strom unten, Wiesenhügel, Wälder hinauf, Steine und Gipfel gleißend von Schnee hoch in die Wolken – nein – ist kein Berg – ist ein riesenhaft Gebäu – ein Dom – zwietürmig, jeder Turm anders – golden die Helme– wie Kronen. Du – das ist die alte Kron – des Kaisers Kron – und eine andere daneben, – dreifach – des Papstes Kron. Das Tor steht auf – komm hinein – wie wunderbar! Die hohen Fenster voller Farb und Gestalt – die Säulen – nein, das ist Land, Berg, Wiesen voller Blumen, Wald, Himmel darüber – nein, das ist Bau – Burg – Stadt – Kirche – wie wunderbar! Da unten im Berg – da unten im Gewölb hinter den Säulen – da schläft der Alte. Siehst du die Ritter umher so ernst und streng? Lauter Gräber, steinern alle. Aber die leben, die oben in der Halle, viel tausend Ritter, Bürger, Volk, Scharen und Scharen – viel hunderttausend. Wie wunderbar der Dom über ihnen – Bau und Land – Gewölb und Himmel – Mangold, siehst du unsere Wappen in den Fenstern? – Unsere Burgen auf den Hügeln? – Seltsam, itzt seh ich den Bau – vor mir – und bin doch drin – schau ihn nah – schau ihn fern – hör Orgel und Gesang – oder ists der Sturm im Wald? Ich seh das Volk wallen, Ritter reiten hügelan, hügelab – treppauf, treppnieder – Altar – nein, der Thron und der Kaiser drauf – die Großen umher – nein – es ist Gott – und die Engel und Heiligen umher! – Wie wunderbar! – Warum lauft das Volk in der Stadt? – Warum drängt es 401 sich auf den Plätzen? – Da predigt einer vor dem Dom. – Warum predigt er auf dem Platz und nicht in der Kirche? Was tun die Finstern im Volk? – Ihre Händ sind voll Gold – sie streuen Gold – es schwebt, es hüpft und rollt in der Menge. Laßt es liegen, nehmt das Gold nicht! – Weh – die Goldströme – wie sie glühen im Land! Alle beugen sich zum Strom – Ritter, Pfaffen, – Bürger – Weiber – tauchen die Händ ein – die Händ werden schwarz und rot – sie schöpfen Gold, – wühlen nach Gold – die Dunklen wühlen in den Bergen – Goldbrunnen brechen auf – stürzen ins Land – weh – es brennt, wo sie fließen – Glut und Rauch, wo sie strömen – es zündet, wohin sie dringen. Schöpft das Gold nicht – jagt die Dunklen hinweg aus dem Land – aus dem Dom! – Was predigen die dort auf den Gassen? – Was schaffen die dort im schwarzen Gewölb? – Da flatterts auf – Blätter – Vögel – schwarze Vögel in Scharen – sie fliegen übern Berg – sie hocken auf Giebeln und Türmen – krächzen. – Nehmt das Gold nicht – jagt die Finstern hinaus – scheucht die Raben hinweg! – Weh – sie haben Gold für die Kronen genommen – davon erlischt ihr Glanz. Sieh nur, wie trüb sie glühn – Rauch – Wolken – Rabenschwärme umher. – Wer ist der Kaiser? – Das ist der rechte nicht mehr. Der Alte sitzt im Berg – ich seh ihn – sein Bart lang – lang gewachsen – weiß – er ist nicht tot – er schläft – alles starr umher – Gräber umher – Schweigen – Stein – Schlaf. Wer weckt sie auf? – Wie finster das Land – Sturm drüber her – die roten Ströme nur glühn – Rauch – Brände – Krieg. Was schaffen die Dunklen? – Laßt sie nicht wühlen unter euch! – Nehmt das Gold nicht, nehmt die Weiber nicht! – Weh – Krieg wider Brüder – Helle wider Helle – sie sehn die Finstern nicht. Was predigen sie dort auf den Gassen? – Was rennt das Volk aus dem Dom? – Die Kronen erloschen – Wolken – die Sonn verfinstert von Rauch und Wettern. Brände – siehst du die Brände – es brennt im Land, – es brennt im Dom. Die Dunklen wühlen unterm Dom, die Türme wanken – die Kronen wanken – Pfeiler stürzen – Sturm – Krieg umher – fremde Völker – fremde Heere in Brandsäulen 402 heran. Krieg – Greuel – Leichen – Mord – Tanz – Schmaus und Hurerei. Da flattern die Raben – wer sind die mit den Rabengesichten, den krummen Schnäbeln, schamlosen Augen? – Sie flattern, hocken in Scharen, dicht, schwarz – flattern – schwanken – wie Gelächter ihr Krächzen – hocken auf Leichenfeldern – sitzen auf Grabkreuzen – flattern, lachen – besudeln die Toten – würgen Aas. – Wo ist der Berg? Wo ist der Dom? Alles trüb, Sturm und Gewog – ich seh nichts mehr. Da die Dunkeln – was schaffen – was bauen sie? – Sie türmen einen Berg – ein Riesengebäu himmelauf – Brand innen – riesige Ofen mit Feuermäulern – schwarze Türme hoch in die Wolken – rauchende Türme – schwarzer Rauch übers Land hin. Die Ofen fressen das Land – fressen die Wälder. Was quillt da schwarz aus den Gründen? Schwarzes Gewürm ringelt im Land hin. Was sind das für russige, rauchige Wüsten? Goldströme hindurch trüb glühend, Brand und Rauch umher – Krieg und Empörung – Flammen ringsum heran – Flammen – der Dom stürzt – der Himmel stürzt – die Welt stürzt –«

Er brach ab und keuchte. Er bog sich vor mit offenem Mund, hob die Hand schwankend, spähte ins Weite: »Heide,« rief er, »Heide seh ich – öde Flur, – Dämmerung. Da reiten viele – viele Ritter – Mangold wohin? – Ulrich wohin? – Da – der Voit – was bedeuten die Feuer auf den Hügeln? – Wer ist der Alte im Mantel vorn? – Er zieht in den Berg – wir alle – wir alle hinter ihm . . .«

Er sank zurück, er schloß die Augen und murmelte: »Es tagt fern – fern – Morgenröte – die Kron erglimmt – die Kron ist noch da. Sie hebt sich. – Stehen die Toten auf? – Kampf – Waffengeblink – Rauch – stehen die Toten auf? – Er tritt aus dem Berg – die Kron über ihm – ich seh ihn – kurzes Haar weiß – Augen grau wie Eis – stark, steinern Antlitz – keine Zier – er trägt ein Kreuz über der Brust – einen weißen Stab in der Faust – ich seh ihn – er ist's!«

Er riß die Augen auf und schrie: »Er ists!« – Hörst du das Gebraus? – der Kaiser! – Die Finstern, die Lichten – 403 die Finstern – sie wimmeln heran – fliehn – fluten heran – Kampf – Mangold – aufs Pferd! Schwert heraus! . . .« Er riß das Schwert aus der Scheide, schwang es hoch, wankte, sank hintenüber. Mangold sprang herzu und fing ihn auf. Er konnte ihn nicht halten, ließ ihn zu Boden gleiten. Da lag er wie ein Toter. Mangold stand vor ihm und sah ihn an. Er nahm ihm sacht das Schwert aus der Hand und lehnte es an die Mauer. Dann suchte er im Gemach umher, sah des Voiten Eisenhaube liegen, nahm sie und schob sie ihm unters Haupt. Der Alte schlief. Sein Gesicht war verfallen und erschöpft. Sein Atem ging tief und schwer.

Er ließ ihn liegen. Der Kerzendocht umgefallen loderte hoch flackernd in einem Brei von zerronnenem Wachs. Der vergossene Wein roch schal. Vom Fenster quoll graue Helle herein. Er wollte die Flamme ausblasen. Sie wehrte sich, wich, schlug zurück, stieg lodernd hoch auf. Er nahm den leeren Krug und setzte ihn auf den Leuchter, daß sie verzischte. Es war grau im Raum. Der Voit schnarchte. Ihn fröstelte. Er trat zum Fenster und lehnte sich hinaus. Die kahle Krone des Nußbaumes schwankte leis. Die Wolken zogen stiller. Der Mond trübrot glühend und verwacht stand tief im Westen. Die Berge dämmerten braun. So seltsam alles. Ein Windhauch harfte weich. Wie seltsam das Zwielicht! Als wär alles Traum. Als wär alles nicht wahr. Als wären die Toten lebendig und die Lebenden lange tot.

Das Haus tot, still, grauenhaft im neuen Tagen.

Jetzt schmetterte unten im Tal eine Trompete grell die Tagwache. Es regte sich um die Zelte. Rufe, Geklirr, Wagengerassel. Im Wehrgang gingen zwei Reiter und redeten laut. Krähen zogen übern Berg hin. Eine Wolke im Osten glomm bräunlich an. Dort lag der Steckelberg.

Es regte sich im Lager. Die Zelte fielen ein, verschwanden. Rufe. Es wimmelte durcheinander. Der Haufe ordnete sich. Trommelschlag. Sie setzten sich in Marsch. Wagen knarrten, Geschütze polterten hinterher. Die Trommeln voran dumpf wirbelnd gegen Morgen hinaus. Jetzt Pfeifen dazu und rauhe Stimmen. Ein Landsknechtchor. Eine seltsame Weise, rauflustig im Takt, schwermütig im Ton: 404

»Ei, werd ich dann erschossen,
erschossen auf breiter Heid,
so trägt man mich auf langen Spießen,
ein Grab ist mir bereit,
so schlägt man mir den Pumerlein Pum,
der ist mir neunmal lieber
dann aller Pfaffen Gebrumm.«

Weiter und weiter rückte das dumpfe Wirbeln, das schrille Schwegeln, der rauhe Kriegschoral und das Räderknarren in den wolkig aufrötenden Tag hinein. Von der Höhe, wo der Grenzstein steht, scholl es noch einmal verworren herüber. Dann versank es in Tal und Wind.

Auf der Burg war es lebendig geworden. Rosse wieherten dem Futter entgegen. Knechte gingen redend und lachend hin und her.

Mangold trat zurück, beugte sich über den Voit herab und rüttelte ihn. Der fuhr in die Höh, sah irr umher.

»Auf!« rief Mangold. »Es tagt. Wir müssen reiten.«

Nebukadnezar erhob sich mühsam, schüttelte sich, nahm schwankend Helm und Schwert und ging mit ihm hinunter.

 


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