Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Der Tag zu Lohr

Der Rienecksche Amtsschreiber kam eilig die Treppe im Amtshaus zu Lohr heruntergelaufen. Im Gang des ersten Stockwerkes fing ihn Frowin von Hutten auf, der dort ungeduldig wartete.

»Wie stehts? Kommen sie noch zu keinem End?« fragte der Junker besorgt.

Der Schreiber zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. »Erst schien es ganz eben zu gehn,« versetzte er, »die Nürnberger hatten schon alles zugestanden, aber der Herr von Eberstein stellt eine Forderung . . .«

»Was fordert er?« fragte eine Frauenstimme drein. Elisabeth von Lautter, des Amtsmannes Ehewirtin, war aus einer Tür getreten und hatte sich den Männern genähert.

Der Schreiber mit wichtiger Miene: »Das darf ich nit 302 sagen, gnädige Frau, bei Bedroh, darf nichts verlauten, so lieb als mir Leib und Leben.«

Frowin: »Ich kanns mir denken.«

Der Schreiber: »Ich muß schon wieder ein neu Pergament holen. Eins hab ich schon vertan, ein schön, fein Stück, stund schon alles säuberlich drauf geschrieben, was wir aufgesetzt; nun solls wieder nit gelten.«

Er lief weiter treppab.

»Potz Blau – es wird Abend!« seufzte Frowin.

»Ja, wann Junker tagen und gar mit einer Stadt,« meinte die kleine Frau von Lautter, »da mag es morgen abend auch noch werden.«

Sie war zum Fenster gegangen. Frowin lehnte sich halb hinaus und blickte sorgenvoll nach der Sonne, die schon hart überm Saum der Spessarthöhen hing und breite Strahlen in ein fahles Gedünste warf. Es war einer der ersten Juniabende. Das frische Buchengrün der weiten Waldberge streiften bläuliche Schattenwellen. Vom Schloßgraben und der Stadtmauer herauf dufteten blühende Gesträuche. Unten vor dem Tor lungerten wartend Nürnbergische, Ebersteinische, Thüngische und Rosenbergische Reiter. Die Nürnberger hingen rechts, die andern links übers Geländer der Brücke her und wiesen einander als feindliche Parteien die Kehrseiten.

»Kommt doch ein wenig herein und setzt Euch in die Stube, Junker,« sagte Frau Elisabeth, »da ists doch besser als immer auf dem Gang herumstehn.«

Frowin zögerte: »Es muß ja bald ein End haben!« schnob er mit dem Fuß aufstampfend.

Die Frau von Lautter lächelnd: »Ihr habts wohl gar eilig heim?«

Frowin leicht errötend: »Und ob! . . .«

»Ihr habt gefreit, ich hört es.«

»Ja.«

»Das Elslein Voit. Ich kenn sie wohl. Ein gar zierlich Mägdlein und ein gutes und braves dazu. Ich wünsch Euch recht von Herzen Glück.«

»Ich dank Euch, liebe Frau Elsbeth. Ihr könnt Euch denken, daß ich auf Kohlen steh.« 303

»Nun freilich denk ich das. Ist sie noch auf dem Brandenstein?«

»Nein. Da ich um sie beim Oheim geworben hatt, kam sie zu meiner Mutter auf den Steckelberg, weil es sich nit ziemt, daß Braut und Bräutigam unter einem Dach schlafen.«

»So ist der gute, alte Brauch. Doch nun seid Ihr wohl viel über Tag bei ihr?«

»Wie oft und lang es nur immer angeht. Auch heut wollt ich noch hin im Vorbeireiten. Aber die Sonn mag der beste Gaul nimmer errennen.«

»Wann macht Ihr dann schon Hochzeit?«

»Im Herbst. Die Eltern geben uns das feste Haus zu Altengronau. Doch das ist gar verwahrlost und muß erst gericht werden.«

»Frowin!« donnerte Mangolds Stimme vom obern Gang her.

»Ja, Oheim!« Der Gerufene flog die Treppe hinauf.

Der Ebersteiner stand oben mit strengen Stirnfalten und hartem Blick. »Laß satteln!« befahl er barsch.

»Halt!« rief Bastian von Lautter, der ihm nachgeeilt war. »Hutten, du wirst nit satteln lassen. Schwager,« wandte er sich an Mangold, »nimm Vernunft an, du überspannst den Bogen.«

Mangold hatte sich ärgerlich abgewendet. »Soll er brechen!« zischte er zornig. »Ich geb nit nach.« Er begann im Gang gegen das Fenster hin zu schreiten. Der kleine Amtmann von Lohr lief hinter ihm her.

»Schau, so viel Geld bieten sie,« sagte er mahnend.

Mangold fuhr herum. »Geld? Wie oft soll ich noch sagen, um das ists mir nit. Was sie bieten, das ist der Frau ihr Recht, was sie beim Kammergericht erlangt hat, nit ein Pfennig mehr . . .«

Der Amtmann: »Oho! Und die zehntausend . . .?«

Mangold rasch: »Ja, was uns der Handel kost. Glaubst du, die mir geholfen, hättens umsonst getan?«

Der Amtmann: »I freilich! Die Rosenbergischen sind gar teure Söldner.«

Mangold finster: »Wahrlich, wärs nit der Rosenbergischen und meiner Frau halber, ich wollt kein Pfennig drüber.« 304

Dann schwieg er und ging auf und nieder. Sebastian von Lautter benützte seine offensichtliche Verlegenheit. »Und die Schatzungen – he? – Die gehn drein! Und daß ihr mir da oben ins Gleit gefallen und einen Mann verwundt, das ist Luft – he?«

Mangold: »Wir haben deine Leut bezahlt, die haben keinen Schaden davon gehabt. Und kurz und gut – hol euch allesamt der Teufel – ich will, was ich will. Die meine und der Frauen Ehr besudelt haben, die müssen gestraft sein.«

Sebastian: »Aber wie dus haben willst, das ist zu hart, das kann eine Reichsstadt nit annehmen. Du willst die Stadt demütigen, nit bloß die, so deine Ehr angerührt.«

Mangold: »Ja, das will ich.«

Sebastian: »Ich bitt dich, Schwager, mach nit gar so den Nacken steif, es ist unsinnig und eine Schmach, was du forderst.«

Mangold: »Es ist eine Schmach, was sie getan. Sie sollens spüren, was ein Ritter ist, die verfluchten, fetten Geldwänst.«

Sebastian: »Itzt hätten wirs schon so weit, ich hab dir den Tag gericht . . .«

Mangold: »Hab ich dich gebeten drum?«

Sebastian: »Ich hab ihn dir aus Freundschaft gericht – meinst du, das sei eitel Spaß gewest? Meinst du, die Nürnberger hätten mich drum gebeten?«

Mangold: »Ha! Sie haben drum gebeten – wann dich nit, so den Bischof zu Würzburg, und der hat dich beschwatzt.«

Sebastian: »Du weißt, daß ich dir zulängst, da der Handel begonnen, meinen guten, freundwilligen Dienst geboten, auf daß die von Nürnberg zu einem Vertrag mit dir kämen.«

Mangold: »Recht hab ich wollen zulängst von Anfang an, keinen Vertrag. Ich scheiß auf einen Vertrag. Ich will das Recht der Frau und ihre Ehr, die ist meine auch.«

Sebastian: »Schwager, daß dus gar so scharf nimmst mit ihrer Ehr?«

Mangolds Blicke schossen Feuer.

»Du auch?« fuhr er auf. »Dann hat mein Fuß zum letztenmal in deinem Haus gestanden.« Er tat drei mächtige Schritte der Treppe zu.

Sebastian von Lautter sprang ihm in den Weg. »Halt!« 305 rief er. »Halt, so gehst du mir nit davon. Ein so alter Freund, wie ich dir bin, der wird wohl noch was sagen dürfen. Glaub mirs, Mangold, wärst dus nit, nimmermehr hätt ich solche Last und Beschwer mir aufgeladen.«

Mangold stand vor ihm und sah ihn an. »Nun – ich wills dir auch danken, Bastian,« sagte er ruhiger, »aber bei aller alten Freundschaft – Gott erhalt uns die – nachgeben, das kann ich nun und nimmer in der Sach.«

Sebastian nahm ihn beim Arm. »Gut,« sprach er, »bleib dabei. Aber jetzt komm noch einmal herein . . .«

Mangold versuchte, sich los zu machen. »Es hat doch keinen Zweck und kein End mehr.«

Der Amtmann ließ nicht locker. »Du kommst jetzt noch einmal herein, daß wir zumindest ein Protokoll aufsetzen.«

Mangold: »Freilich – daß der Amtmann seine Schrift und Ruh hat.«

Sebastian: »Vielleicht haben sie unterdes nachgegeben. Komm.«

Er zog ihn zur Tür. Weder sahen sie im Eifer, daß der Schreiber längst wartend dagestanden hatte und ihnen nachging, noch achteten sie der verzweifelten Blicke des Frowin von Hutten.

Sie betraten einen großen Saal, dessen Wände mit bunten Gestalten und Landschaften bemalt waren. Auch die reiche, gotische Holzdecke leuchtete von gefärbten Schnitzereien und kleinen Wappenschilden. In der Mitte stand ein langer Tisch. Die verhandelnden Parteien, nämlich die Beistände und Helfer des Ebersteiners, Fritz von Thüngen und Lorenz von Rosenberg, und die Gesandten der Stadt Nürnberg, das waren Christoph Kreß und Hans Pfannmuß, hatten, während Mangold und der Amtmann draußen stritten, die Sitze verlassen und sich, durch die ganze Länge des Saales getrennt, in je einer der tiefen Fensternischen niedergelassen, wo sie flüsternd unter sich berieten. Mangold begab sich zu den Seinigen, der Amtmann zu den Nürnbergern ins nordseitige Fenster.

»Nun, beharrt er auf seinem Sinn?« fragte Christoph Kreß mit gedämpfter Stimme. 306

Der Amtmann zuckte die Achseln und nickte. »Es ist nichts zu machen, er bleibt dabei,« sagte er leise.

Der Kreß erhob sich von dem Nischenbänklein, auf dem er gesessen hatte. »Dann hats wohl ein End,« seufzte er, »solch harte Pön, als er verlangt, darf die Stadt nicht auf sich nehmen.«

Hans Pfannmuß: »Wo wir schon alles zugeben, so viel zahlen!«

Sebastian von Lautter: »Ihr Herren müßt verstehn, der Junker von Eberstein ist kein Schnapphahn als mancher, der nur auf Geld und Gut fährt. Die Stadt hat ihn schwer beleidigt. Der Schmachbrief, der hat ihn bös getroffen, und eines Ritters Ehr, die ist ein sonderlich Ding.«

Der Kreß: »Was hat die Stadt mit dem Brief zu tun?«

Der Amtmann: »So wenig und so viel, als mit der Odheimerin und ihrer Vettern Handel. Aber da ist Stadt und dort ist Ritter, und was von einem Ort ausgeht, das ist des Ortes, wann gestritten wird. Hört einmal,« fügte er sinnend hinzu, »könnt ihr dann nimmer der Schuldigen habhaft werden, so den Brief geschrieben, und die in harte Straf ziehn? So wär doch dies böse Ding von dem ganzen Handel abgeschieden und man könnts für sich abtun; würd der Stadt ein großer Vorteil sein und den von Eberstein zufrieden stellen zum wenigsten in dem Punkt.«

Der Kreß und der Pfannmuß sahen einander an. Dann zog der Kreß den Amtmann am Ärmel näher zu sich und flüsterte: »Auf Ritterwort, Herr von Lautter, daß Ihr schweigt wie das Grab.«

Der Amtmann nickte.

Der Kreß fuhr fort: »Wir haben versucht und fürgenommen, was möglich war, die Täter, die Schreiber oder Autores des Briefes zu finden. Es hat zu selbiger Nacht in dem Haus ein Geräuft gegeben und sind etliche von der Stadtwach dabei aufgehoben worden. Aber die Rechten, die hat man fahren lassen, weil –«, er flüsterte sehr leise dem Amtmann ganz nah am Ohr, – »weil des Ratsherrn Endres Tucher leiblicher Sohn dabei gewest.«

Sebastian von Lautter zog die Stirnfalten hoch. 307

Der Kreß fortfahrend: »Das ist der einzige, den der Rottführer gekannt hat von etlichen Stadtjunkern, so zu selbiger Nacht in dem Haus gewesen. Und die Wirtin einvernommen sagt, der Tucher hab an dem Brief nit geschrieben, das könnt sie schwören mit hundert Eiden. Zwei andere aber, so das Schreiben aufgesetzt, die hab sie wohl gekannt, weil sie oftmalen im Haus gewest, aber ihre Namen will sie nit wissen.«

Sebastian: »So faßt den Tucher. Mitgefangen, mitgehangen! Soll er für seine saubern Freundlein büßen. Greift ihn mit Pein an – er wirds schon sagen.«

Der Kreß schüttelte den Kopf. »Was denkt ihr – so das hervorkommt – wie stünd Herr Endres Tucher, wie der ganze Rat, die ganze Stadt da! Und wahrlich, er käm unschuldig dazu und sein Sohn auch. Was würd da der Ebersteiner erst an Schatzung und Pön fordern, wo der den alten Tucher schon gefangen hält.«

Der Amtmann hob die Schultern. »Wann der junge seinen Vater des Briefes halber in Not sieht, wird er die wahren Schuldigen angeben.«

Der Kreß verneinte. »Die Sach hat auch noch einen andern Haken,« sprach er leise. »Was hilfts, wann wir die Schuldigen wissen? So, wie's der Ebersteiner verlangt, können wir nit tun mit ihnen. Das wär dem Rat eine schmachvolle Niederlag, nit vor der Ritterschaft so sehr, als, was weit schlimmer für uns, vor dem gemeinen Volk zu Nürnberg. Was meint Ihr, Herr Amtmann, es sei bei uns besser, dann auf dem platten Lande draußen? Hier um Euch, um die Ritter und Herren, rührt sich der Bauer und dräut und rumort; hinter Nürnbergs Wällen rumort der Gesell, der kleine Mann und das Geschmeiß, das in jeder Stadt weiß Gott wo in Gassen und Kellern steckt und erst aufsteigt wie der Dreck beim Regen und oben schwimmt, wann es Empörung gibt. Raunt es doch immer schon: die Geschlechter, die treiben Handel und haben darob Streit mit der Ritterschaft, der gemeine Mann muß es entgelten. Der wird gefangen, gepeinigt und geschatzt, weil die großen Federhannsen reich sind und zahlen sollen. Und nun stellt Euch vor, wir ließen zu, daß junge Leut unseres Stands öffentlich als schuldig an einer Fehd, die just den 308 kleinen Mann hart getroffen, und schuldig in solch leichtsinniger Art, daß sie öffentlich an Pranger kommen, – stellt Euch das vor! Wahrlich, es könnt der Empörung, die ohnedem mit Müh niedergehalten wird, den letzten Damm einreißen. Kleinweis müssen wir vom Rat ja ohnedem nachgeben, Gesellen zum Stadtregiment zulassen, manchen Mann in die Ratsstub setzen, den wir lieber nit sähen. Aber solch ein Aufruhr, der gäb uns den Rest. Die Sach wär ein solch Fressen für all die heimlichen Umstörer und Prädikanten, wir könntens nimmer halten.«

Sebastian mit dem Fuß aufstampfend: »Eine verzwirnte, eine vertrackte Geschicht! Wo man einen Schlupf sucht, steht eine Mauer vor. Ich seh keinen Ausweg mehr.«

Hans Pfannmuß besorgt: »Ich auch nit. Es bleibt nichts übrig, die Stadt muß es mit großen Kosten zu End führen.«

Christoph Kreß: »Das muß sie, wann solches gefordert wird. Was recht und billig, das will sie erstatten, was drüber ist, das kann sie nit. Auch die Stadt hat ihre Ehr.«

Der Amtmann mit stechendem Blick die dunklen Äuglein hin und her rollend: »Kurzumb, ihr wollt die rechten Täter gar nit wissen. Ich kriegt sie euch schon heraus – ha! Ich legt das Junkerlein auf die Folter und die Hurenwirtin und etliche ihrer Weiber dazu, da wollt ich sehn, ob ihnen die rechten Namen nit von der Zung springen.«

Der Kreß schüttelte abermals den Kopf. Der Pfannmuß flüsterte: »Es hülfe nichts. Als wir achten, haben sich die zwei Rechten aus der Stadt gemacht, da sie spürten, es würd schlimm für sie.«

Sebastian dachte scharf nach. Dann warf er mit einem Ruck den Kopf auf, sah von einem zum andern und sagte: »So tut dem von Eberstein das kund, und sagt, ihr wollt die Täter fassen, so ihr sie kriegtet, und dann bestrafen. Das wär doch ein Aufschub, und man könnt weiter teidigen. So ist Zeit gewonnen, und unterweilen bringt mans vor den Kaiser, und der vielleicht rückt dem Ebersteiner seinen Steinschädel zurecht.«

Christoph Kreß nach einigem Sinnen: »Gut. Wir wollen sagen, was uns zu sagen möglich scheint.« 309

Inzwischen war es auch drüben in der südseitigen Fensternische nicht ganz still geblieben. Lorenz von Rosenberg stand breit und klobig im Harnisch mit grobem, glockenförmig in vielen steifen Falten bis übers Knie reichendem Reitrock vor Mangold und sah mit seinen wasserblauen Augen ruhevoll kalt zu ihm empor.

»Du forderst zu wenig an Geld,« sagte er. »Sie würden das Dreifache leicht geben, so du von der Bestrafung der Briefschreiber ließest oder doch minderes darin verlangtest.«

Mangold unwirsch: »Führ ich den Handel oder führst ihn du?«

Lorenz: »Wir helfen dir.«

Fritz von Thüngen: »Nein, die Bestrafung, das ist der Punkt. Der Stadt muß der Nacken gebrochen werden. Da haben wir sie einmal beim Kopf und Schopf. Die Stadt muß auf die Knie, das ist uns mehr wert als zwanzig- oder dreißigtausend Gulden. Der Ritterschaft muß sich die Stadt beugen; solch ein Sieg ist uns not.«

Mangold: »Ja, das ists, und so mein ichs.«

Dem von Rosenberg huschte es spöttisch über das derbe Bauerngesicht mit dem runden, steifen Blondbart. Die Daumen im Gürtel, die bespornten Beine auseinandergestellt, sah er zum Fenster hinaus und sagte: »Ich dächt, uns wär Geld not, dann das fehlt uns allen. Und mit Geld erwirbt man weitere Siege, weil man Leut wirbt und die zustehn, wo das Geld ist.«

Mangold wandte ihm ärgerlich den Rücken und vertiefte sich in die Betrachtung der Wandmalerei, die vor ihm zwischen den beiden Fensternischen den Bogen füllte. Es war das Bild eines jagenden Edelmannes auf springendem Pferd, der den Falken auf der Faust und vor sich im Sattel eine hübsche junge Frau hielt. Beide wandten unter reich befiederten Hüten die Gesichter dem Beschauer zu und blickten herausfordernd fröhlich. Der Junker trug ein grünes Gewand, die Frau ein rosa Kleid, aus dem hochgeschnürt der Busen halb hervorquoll. Im Hintergrund, der eine lustig stilisierte Landschaft mit phantastischen Bäumen, Bergen und einer hochragenden Burg darstellte, liefen Hunde hinter einem Hirsch. 310

Die drei Junker schwiegen. Fritz und Lorenz sahen zum Fenster hinaus. Mangold, die Hände auf dem Rücken, betrachtete das Bild, bis Sebastian von Lautter mit harten, raschen Tritten an die Stirnseite des Tisches eilte und rief: »Ihr Herren, ich bitt Euch, wollet Euch noch einmal zum Rat bequemen.«

Die zwei Nürnberger, von denen der Kreß auch Harnisch trug und sich in nichts als feinerer Kleidung von den Junkern unterschied, wie er denn auch Ritter und Mitglied des Lindwurmordens war, nahmen ihre Plätze dem Amtmann zur Rechten ein. Die Edelleute wandten sich langsam herum, kamen gemächlich herangeschritten und ließen sich ihnen gegenüber auf den hohen Lehnstühlen zur Linken des Vorsitzers nieder. Der Schreiber setzte sich unten an und putzte den Kiel.

Sebastian von Lautter begann: »Daß es nochmals rekapitulieret sei, was wir in sieben Stunden bishero verhandelt: Die Stadt Nürnberg erbietet einen Frieden dergestalt, daß der Frau Agatha Odheimerin und ihrer Tochter Helene Forderung zu ungeteilter Hand, so wie des Reichskammergerichts Spruch entschieden, und nach allen Tituln und Paragraphen erstattet und bezahlet werde, alles an liegender und fahrender Hab, so zu Unrecht enthalten, von den verpflichteten Schürstabischen Erben herausgeben, dazu ein Wehrgeld für einen erschlagenen Mann gezahlt, und Schadloshaltung für Austrieb der Odheimerin aus Stadt und Gut et cetera, et cetera, wie und in welcher Zahl obbenanntes Urteil fürschreibt.«

Mangold unterbrechend: »Wer zahlts?«

Hans Pfannmuß: »Die Verpflichteten.«

Mangold: »Können die es zahlen?«

Der Pfannmuß: »Die Stadt verbürgt sich.«

Mangold: »Gut. Es sei schriftlich gegeben.«

Der Amtmann: »Überdem und darzu will zahlen des heiligen römischen Reichs freie Stadt Nürnberg dem Herrn Mangolten von Eberstein zum Brandenstein für gehabte Unkosten zehntausend Gulden in Gold und zahlbar zulängst auf Johanni Baptista dahier zu Lohr im Amtshaus . . .« 311

Lorenz von Rosenberg: »Das ist zu wenig.«

Mangold sah ihn eiskalt an, Fritz von Thüngen blickte bös.

Christoph Kreß sprach: »Mag sein, wir zahlen mehr, wann . . .«

Mangold: »Schwager, ich bitt dich, red weiter.«

Sebastian von Lautter: »Dagegen machen Herr Mangold von Eberstein und alle seine Helfer, wer immer es gewesen und keiner ausgenommen, Frieden mit der Stadt Nürnberg, und Herr Andreas Tucher, den Herr Mangold gefänglich enthält, wird frei und ledig gelassen ohne Schatzung, desgleichen der Ruprecht Züricher und andere Bürger oder Verwandte der Stadt Nürnberg, so noch etwan auf des Herrn Mangold oder seiner Helfer Schlösser und Häuser gefangen liegen oder bis heut in dreien Wochen noch gefangen werden, sollen frei und ledig sein, wird aber von bezahlter Schatzung nichts erstattet und kein Schaden gutgemacht, und soll weder die Stadt noch ihrer verpflichten und verwandten Bürger und Untertanen einer weitere Forderung an vorbenannte Frau Agatha Odheimerin und ihre Tochter Helena, Herrn Mangold, seine Genossen und Freunde aus solchem Streit haben, und keine Klag vor keinem Gericht wo immer und wie immer aus solcher abgetanen Sach gehoben werden. Des weiteren aber fordert Herr Mangold von Eberstein . . .«

Mangold: »Das laß mich selber sagen. Ich forder für den Schmachbrief, den Bürger der Stadt Nürnberg meiner Verwandten Agatha Odheimerin und mir zugeschrieben oder haben zuschreiben lassen, des Inhalts wie verlesen und in der Schrift selbst eingesehen worden, daß besagter Frau Agatha, Bürgerin zu Nürnberg, Abbitte geschehe vom Rat öffentlich und feierlich, und soll an dem Tag, da die Frau Odheimerin zur Stadt wieder einzieht, als dem Rat wird kundgegeben werden, der Rat am Tor ihr aufwarten und sie in großen Ehren auf das Rathaus geleiten, und soll ihr dort der versammelte Rat feierlich Abbitte tun für alle Schmach, Ungerechtigkeit und Ungemach, so ihr geschehn, und sie und ihre Tochter Helena feierlich in allen früheren Besitz und Ehren wieder einsetzen. Die aber, so besagten Schmachbrief geschrieben, sollen, als der Rat die Frau Agatha vom Tor einholet, in Ketten voraus einhergeführt werden und darnach 312 in den Schandkäfigen vor allem Volk acht Tag auf dem Markt ausgestellt sein, folgend aber aller bürgerlichen Ehren und Ämter verlustig erklärt und der Stadt auf zehn Jahr verwiesen werden. Und daß solches, als verlangt und von uns vorgeschrieben, in Ordnung geschehe, so sollen ich, Mangold von Eberstein, Fritz von Thüngen und Herr Lorenz von Rosenberg oder zwei andere der Ritterschaft im Land zu Franken mit dreißig Reitern ein jeder unter freiem Geleit in der Stadt Nürnberg einreiten dürfen und bei beschriebenem Vornehmen zugegen sein, acht Tag auf der Stadt Kosten in deren Mauern weilen und darnach ungehindert wieder von dannen gelassen werden, und bis solches geschehen, werden der Herr Andreas Tucher und andere Bürger der Stadt, so gefangen liegen, weiter als Geiseln gefangen gehalten.«

Der Ebersteiner hatte in sehr entschiedenem Ton gesprochen und dabei mehrmals mit dem Finger hart auf den Tisch geschlagen. Nun schwiegen sie alle eine Weile und sahen vor sich hin. Endlich holte Christoph Kreß vernehmlich Atem und sprach: »Als wir schon gesagt, solches kann die Stadt Nürnberg nit zugestehen. Jedennoch . . .«

Mangold erhob sich und sagte scharf: »Dann hab ich kein Wort weiter zu sagen.« Auch Fritz von Thüngen war aufgesprungen.

»Ich bitt Euch,« fiel der Amtmann ein, »setzt Euch noch auf ein Weilchen hin und hört, was die Stadt des weitern sich erbietet.«

Die zwei blieben stehn. Der Kreß sprach: »Die Stadt ist erbötig, nach den Tätern, den Schreibern gedachten Briefes zu fahnden und selbige dann, sofern sie zustand gebracht und vernommen und als die rechten überwiesen, nach der Stadt Ordnung und Gesetz . . .«

Mangold: »Nein, nicht so. Der Stadt Nürnberg Gesetz kümmert uns wenig. Und so die Täter erst gefangen werden . . .«

Hans Pfannmuß: »Die sind uns unbekannt. Es ward geforscht, aber umsonst bisher.«

Mangold: »Das ist mir ein Ding. Der hohe, wohlweise 313 Rat wird wissen, wie er ihrer habhaft werde, und eh dann er sie nit hat und mit ihnen getan, wie ich befohlen . . .«

Christoph Kreß sprang auf: »Wo denkt Ihr hin, Herr von Eberstein! Solche Schmach soll eine freie Stadt des Reichs sich selber tun?«

Mangold mit feuersprühendem Blick: »Ei, aber ihre Bürger und einen Ritter laßt des Reichs freie Stadt mit Unflat beschmeißen. Das ist recht getan nach ihrem Sinn!«

Fritz von Thüngen: »Alle Ritterschaft ist geschmäht in dem Brief, und nur Blut könnt es abwaschen.«

Hans Pfannmuß rief kläglich: »Wo die Stadt schon alles zu zahlen und zu erstatten erbötig . . .«

Mangold: »Was zu erstatten – keinen Heller über das, so der Frau als ihr gut und ehrlich Recht zugesprochen von des Reichs höchstem Gericht, und die Stadt ihr vorenthalten.«

Fritz von Thüngen: »Ist das vielleicht eine Gnade der Stadt Nürnberg?«

Hans Pfannmuß: »Und zehntausend gute Gulden!«

Der Kreß: »Ja, zwanzigtausend, so ihr von solch wahnwitziger Forderung lasset.«

Mangold: »Ich scheiß auf euren Geldsack, den kann ich mir selber holen.«

Der Kreß: »So versucht es!«

Fritz: »Ihr sollt es spüren, bis wir erst einmal mehr der Herren vom Rat und etwan den Herrn Bürgermeister haben . . .«

Mangold: »Bis wir euch Dörfer niederbrennen und die Tore einrennen . . .«

Der Kreß: »Wohlan, wir sind gerüstet.«

Fritz und Mangold zugleich: »Wir auch.«

Der Pfannmuß: »Es gibt einen Kaiser!«

Der Kreß: »Und gerechte Fürsten und einen Städtbund.«

Mangold: »Es gibt Reuter und Landsknecht.«

Fritz: »Der Kaiser, der hat Krieg mit Frankreich.«

Der Kreß: »Da braucht er die Städt.«

Mangold: »Da braucht er die Ritter; wollen sehen, wer ihm mehr von nöten.«

Der kleine Amtmann mit beiden Fäusten auf den Tisch 314 schlagend: »Himmelherrgottschwerenot! Was schreit ihr? Da ist mein Haus und mein Recht zu schreien! Seid still und vertragt euch oder vertragt euch nit, aber gebt mir Gehör zum letzten Wort.«

Es wurde ruhiger. Aber keiner mehr saß nieder. Mangold mit rotem Gesicht schritt auf und ab, Fritz stand rollenden Blicks auf beide Fäuste gestützt.

Sebastian von Lautter zu den Junkern: »Ihr Herren, mich däucht selber, daß Ihr zu viel verlangt. Die Stadt beut, als ihr gehört, zwanzigtausend Gulden, und daß sie der Täter habhaft werden wolle . . .«

Lorenz von Rosenberg: »Darauf möcht ich eingehn . . .«

Mangold mit einem Ruck herumfahrend: »So laß dich bezahlen und vertragen. Für mich ist Schluß, ich geh.«

Fritz: »Für mich auch.«

Sie wandten sich. Mangold streckte dem Amtmann die Hand hin. »Hab Dank für deine Müh, Schwager.«

Lorenz: »Wann ihrs nit wollt, solls mir auch recht sein. Ich bleib, wo gefochten wird.«

Sebastian, Mangolds Hand haltend: »Schwager, ich bitt dich zu letzter Stund, laß ein wenig nach, es wird dein minderer Schade sein . . .«

Mangold: »Nein.«

Sebastian von Lautter mit einem Seufzer und Achselzucken: »So leb wohl.«

Mangold: »Leb wohl und hab Dank für allen guten Willen.«

Sebastian: »Bleibt doch zu Nacht bei mir, Ihr Herren.«

Mangold: »Ich muß fort.«

Fritz: »Hab Dank, ich kann auch nit bleiben.«

Er schüttelte allen dreien die Hände.

Sie verneigten sich steif gegen die Nürnberger, die ebenso zurück grüßten, und gingen.

»Satteln!« jubelte Frowins Stimme zum Fenster hinaus. Die Sonne war untergegangen. Ein Wetter stand schwülblau überm Spessart. Die Erlen am Stadtgraben bebten und lispelten mit silberflitterndem Laub im Wind.

Frau Elsbeth von Lautter stand unter der Tür. 315

»Kommt doch herein auf einen Trunk und Imbiß, Ihr Herren,« sagte sie.

»Angenommen,« meinte Fritz von Thüngen, »bis die Gäul gesattelt sind.«

Frowin: »Gleich werden sie da sein.«

Sie traten in die Stube, wo Wein und Speisen auf dem Tisch standen.

Den Thüngen und den Rosenberg nannte die Hausfrau Vetter. Sie sprachen von der Verhandlung. Mangold stand schweigsam mit einem Glas am Fenster und sah hinaus.

Elisabeth trat zu ihm. »Es gibt ein Wetter,« sagte sie.

Mangold: »Der Wind wirds vertreiben.«

Frowin sprang herein: »Die Gäul sind da.«

Elisabeth lächelnd: »Nun kommt Ihr endlich heim.«

Mangold sich kehrend: »Heim? Nein, ich muß nach Urspringen.«

Dem Frowin fiel das Kinn herab, und fast traten ihm die Tränen in die Augen.

Die Hausfrau: »Wie, Ihr wollt gar nit heim, und Euren Junker da reißt es schon so gar erbärmlich zu seinem Bräutlein?«

Mangold: »Du Esel, was bist du nit losgeritten schon längst?«

Frowin: »Oheim, du sagtest doch, ich sollt warten.«

Mangold: »Wer dacht, daß es so lang dauern sollt? Nun scher dich und laß den Klepper rennen, aber renn ihn nit zuschanden.«

Fritz klopfte dem Hutten auf die Schulter: »Das heiß ich einen braven Reutersmann. Was ihm geschafft ist, das tut er und da steht er, und zögen zwei Bräut an seinen Beinen.«

Die Hausfrau: »Nun reitet und grüßt mir das Elslein recht. Und Gott segne Euren Ehstand.«

»Mit vielen, vielen Kindern,« ergänzte Fritz. »Sie fangen früh genug an, so mags auf anderthalb Dutzend geraten. Nur zu, wir brauchen viel junge Ritter.«

Frowin war schon hinausgeschlüpft. Die Junker folgten ihm bald. Eben wie sie hinausgingen, kam der Amtmann mit den Nürnbergern die Treppe herab. Sie grüßten noch einmal und eilten zum Tor. 316

Die drei Junker saßen auf und ritten von ihren Knechten gefolgt durch die Stadt dem Main zu. Der Wind fuhr in Stößen durch die Gassen, in hohen Säulen lief der Staub einher, die Hausschilder schwankten und klapperten, der gewaltige Torturm starrte düster in die fliegenden Wolkenfetzen des Dämmerhimmels. Leute, die ihre Hüte und Röcke hielten, wirbelten über den Platz, Kinder lärmten, und von den Wäldern und Gärten schlugen die Nachtigallen herein.

Es warf ein paar Tropfen. Der Sturm wühlte in den hohen Silberweiden am Fährplatz, aber weiter tat es nichts. Die Reiter wurden über den Main gesetzt und ritten gegen das Kloster Mariabuchen ins sommergrüne Waldtal und Nachtigallengeschmetter hinein.

 


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