Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Die Frauen

Es war Montag nach Palmarum des Jahres 1522. Frühlingswind umschnob den Brandenstein. Der aufgehende Ostervollmond schwamm aus treibendem Gewölk hervor und tauchte wieder hinter große Wolkeninseln. Sein greller Glanz flog über Wälder, Tal, Burg und Höfe hin. Die Hunde im Zwinger bellten wie toll. Heut gabs kein Schlafen im Schloß, weder für Mensch noch Tier. Im Vorhof standen drei gepackte und bespannte Wagen, drängten sich gesattelte Pferde angebunden, wo nur ein Pflock oder Barren übrig war. Es blinkerte von Helmen und Rüstungen. Stimmen waren laut, Reiter und Knechte eilten hin und her, durch Tor und Wehrgasse war lebhaftes Kommen und Gehen.

Unter dem Schloßberg auf den Wiesen, wo einmal turniert worden, hatte sich ein Feldlager ausgebreitet. Zelte schimmerten im Mond, Feuer glommen und rauchten. Ab und zu erscholl ein rauher Landsknechtgesang und von den Hügeln gegen Süden der Ruf der Wachtposten.

Mangold traf auf der Brücke mit seiner Hauswirtin zusammen, die von einigen Mägden gefolgt aus dem Vorhof der Burg zueilte. 377

»Die Wagen können bald abfahren,« sagte sie. »Ist all drauf, das Wert hat, Silber, Leinwand und das bessere Gerät. Aber schick etliche von den alten Knechten mit, denen man vertrauen kann. Die Spießbrüder von da unten, die liegen im Wald und allerwegen herum und machen lange Finger. Möcht ihnen gleich sein, ob das ihres Hauptmanns Gut oder eines andern. Die Mägde fahren auch auf den Wagen und bedürfen Schutz vor den rohen Gesellen und ihrer Gewalt.«

Mangold nickte und gab dem Schau, der eben vorbeikam, die nötigen Befehle. »Und wann ihr die Wagen auf den Steckelberg geleitet habt, kommt allsogleich wieder zurück,« schloß er.

Nun schritt er neben seiner Frau in den inneren Hof. »Wann reitet ihr?« fragte er.

Sie drauf: »Wir – die Frauen meinst du? – Mögen sie reiten, wann sie wollen, ich bleib da.«

Mangold innehaltend: »Du mußt auch weg. Ich hab dir schon gesagt, du kannst nit bleiben.«

Margareta schüttelte kräftig den Kopf. »Ich bleib,« sagte sie sehr entschieden. »Die Frau gehört zum Haus, mag da kommen, was und wer will, der Graf von Wertheim, der Kaiser selbsten oder der Teufel.«

Sie gingen nebeneinander durch den Hof, wo der Wind in den kahlen Bäumen wühlte. Margareta machte rasche Tritte. Mangold hielt sich ihr zur Seite und redete auf sie ein. »Weib,« sagte er, »du mußt fort. Die Burg muß verlassen werden, ich kann das Schloß nit halten, hab keine Leut übrig, und hätt ich ihrer auch genug, die hieltens nit lang, weil wir kein Wasser haben. Ich weiß nit, wies gehen mag, wo wir den von Wertheim fassen, wie langs dauern wird. Und möcht sein, die Fuldischen oder andere, die uns feind, rennen unterweilen das Schloß uns im Rucken an. Ich laß nur ein paar Bauern da. Die müssen Tor und Tür auftun, so ein starker Hauf anruckt, und es übergeben, daß es keinen Schaden leide. Wiederkriegen, wann alles gut gelaufen hat, das wollen wir schon.«

Sie waren ins Haus getreten und gingen die Treppe 378 hinauf. »So laß mir nur zehn, zwölf gute Knecht,« sprach sie, »und ich will dir das Schloß halten wider einen großen Haufen. Ein paar Fässer voll Wasser, die sind uns genug. Da kunnt auch das Vieh bleiben, müßt nit dahin und dorthin in die Dörfer trieben werden.«

»Nein, Frau,« erwiderte er. »Der guten Knecht hab ich nit viel, und die tun mir not unter dem Gesindel, daß ichs zusammenhalt. Und so das Schloß verteidigt wurd, schießen sie mit den Stucken drauf, und ich muß dem Grafen von Hanau den Schaden zahlen.«

Margareta: »Und laßt mans ihnen, so brennen sies nieder.«

Er: »Das dürfen sie nit, es sei dann, sie wollten Streit mit den Hanauern.« Nun waren sie oben in der Halle. »Du mußt fort,« sagte er abermals. »Fingen sie dich, da hätten sie dich als Geisel, und ich könnt nimmer tun, als ich wollt.«

Sie drauf: »Mögen sie mich köpfen und rädern, das soll dich nit hindern, ihnen zu schaden.«

Er hatte sich auf eine Bank niedergelassen und sah müde vor sich hin. Margareta, eilig hin und wider schreitend, stellte Schüsseln und Kannen zusammen, die noch auf dem Tisch herumstanden, brachte sie in die Küche, wo das Feuer auf dem offenen Herd erloschen war, kam wieder heraus und redete immerzu fort dabei: »Das gute Haus,« sprach sie, »nun solls der Feind haben. So weit ists gekommen. Aber ich habs ja gewußt von Anfang, da du den Handel anhobst, war mir gleich nit gut dabei. Fehden hättst du führen können mit wem immer und so viel es hätten werden mögen, hättst Gut und Geld dabei erworben, als mancher Junker, ders versteht, und ich hätts dir schön zusammengehalten. Aber aufs Geld hast du nie geschaut, da konnt man reden, was man wollt, hast die Kaufleut wieder laufen lassen um nichts, daß Sünd und Schad war, die besten dabei, die uns hätten ein Gulden tausend oder zweitausend lassen müssen. Aber so seid ihr, ihr Ebersteinische. Immer recht fürnehm und groß dahin, als ob ihr Grafen wärt, anschaffen und andere Leut tun lassen, ob sies achten oder verwahrlosen, viel Diener, und jedem Gesicht glauben. und steck der größte Lump dahinter, 379 Geld brauchen, aber keins anfassen wollen, Streit heben als die Leuen, und so einer, der niedergeworfen ward, nur jammert, da ist er schon ledig und lacht euch aus. Die Kaufleut, die fürchten dich ja gar nit; sie wissen, daß du ihnen nichts tust. Und gar wann ein Weib sich dreinschlagt, da ist all euer Grimm dahin.«

Mangold saß vorgebeugt, die Hände zwischen den Knien gefaltet, und schwieg.

Sie machte sich in der Küche nahe der Tür zu schaffen und sprach fort: »Ja die Weiber! Da es mit denen anhob, da hab ich gleich gewußt, daß es nit gut gehen könnt, habs dir auch gesagt. Da mußt' es Turnier, Jagden, Faßnacht haben und immer Faullenzer und Hofierer im Haus, die dir das Deine verzehrten und nichts geholfen haben.«

»Zumal dein Bruder, der Kunz . . .« warf er spöttisch drein.

Sie drauf aus der Küche tretend: »Ach was, der Kunz! Der ist aus unserer Art geschlagen. Aber der Lorenz, hättst du auf den gehört, als wir den Tucher noch hatten und die Stadt den guten Vertrag erbot! Aber da war die Ehr vor, die Ritterehr und die Weiberehr! Und der Tucher ist aus und dahin in all der Unordnung, und von deiner großmächtigen Ehr, da ist all der Stank in der Ritterschaft von worden. Ja, wer eine Weiberhauben aufsetzt, den schlagen die Pferde.«

Er stand auf und sah durchs Fenster hinauf in den Mond, der eben aus Wolken hereinblickte. »Ich bitt dich,« sagte er, »laß das Reden. Es machts nit anders mehr. Es ist zu spät. Du hast recht gehabt je und immer. Recht, Recht, Recht – ich laß es dir! Laß du mir meinen Sinn.«

»Deinen Sinn? Hab ich dir den nit immer gelassen, mag sein mehr dann dir gut gewest? Hab ich dir je was verredt? Hab ich nit immer das Maul gehalten, so du gesagt: Punktum, ich will es! Nur zu viel hab ichs Maul gehalten; hätt ichs nur öfter aufgemacht, wärst du nit ins Unglück gerannt hinter deinem Sinn her.«

»So schweig auch jetzund, ich bitt dich, von den Sachen. Es ist nimmer Zeit, davon zu reden. Laß mir meinen Sinn bis ans End – mag sein, es ist nimmer weit. Laß mich, wanns sein muß, zugrund gehn – nach meinem Sinn.« 380

Sie stand mit verschränkten Armen vor dem leeren Tisch. Er zog den heruntergebrannten Kienspan aus der Klammer und entzündete einen neuen an der Flamme.

»Gut,« hub sie wieder an. »So will ich mit dir reiten und zu Felde ziehn. Ist mir schon das Haus verloren, so will ich dir den Troß in Zucht und Ordnung halten und sorgen, daß ihr zu essen habt.«

»Was dir beikommt!«

»Nu – sollt ich das nit treffen? Ich weiß, wie man mit dem Volk umgeht.«

»Das ist keiner Edelfrau Sach. Unter die wilden Gesellen und ihre Huren, da gehörst du nit hin.«

»Ha, ich wollt sie bald zahm machen, die Mannsleut und das Frauenzimmer! Die sollten bald auf mich warten, besser dann auf den Profosen.«

Er mit flüchtigem Lächeln: »Das glaub ich schon. Allein, ich wills nit haben, es kann nit sein. Nein, Frau, sei kein Landsknecht, sondern ein brav Weib. Geh nach Ginolfs zum Jörg. Das Schloß ist mein Erb und Gut zum Halbteil und mein Haus und deines besser dann dieses da, das ich doch nur in Pfand hab. Da bist du wohlverwahrt, hast es, als es einer Edelfrau ziemt, und bereitest mir eine Ruhstatt, bis ich einer solchen bedürftig wär.«

Sie hatte sich ihm zugekehrt. Der aufbrennende Kienspan beleuchtete ihr Gesicht. »Bin ich nit immer dein brav Weib gewesen?« sprach sie, »hab zu dir gehalten und dein Haus verwahrt und dir treulich geholfen bald zwanzig Jahr?«

Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ja,« versetzte er, »so wars, und Gott lohn dir alle Treu und verzeih mir, daß du Unlust hattest und Leid durch mich. Gutes und Schlimmes haben wir in zwanzig Jahren mitsammen erlebt und wollens nit rechnen gegeneinander. Und täten wirs, es blieb des Guten über. Ich hab nit anders können sein, als mich der Herrgott gemacht, und bin, was ich bin, und bleibs bis zum End – ein Eberstein.«

Sie hatte seine Hand genommen. In ihrem Antlitz war etwas Weiches. Ein Schimmer der einstigen, derbfrischen Jugend umspielte es. »Warst mir auch recht so,« sprach sie, 381 »und wann ich dich je anders gewollt, das war nit meinetwegen, sondern daß es dir selber hätt besser gehn und wohler sein mögen in deiner eigenen Haut. Hab dich auch nie keinem verklagt, keinem Laien und keinem Pfaffen, das kannst mir glauben, und dich niemalen angeflennt, das weißt du. Dann treu sein, Maul halten und dem Mann das Leben nit schwerer machen, als ers hat, das sind die drei Gebote, die ein jed Ehweib soll halten.« Sie zog seinen Kopf herunter, küßte ihn und machte ihm ein Kreuzzeichen auf die Stirn. »Gott behüt dich und sei guten Mutes, mein Liebster. Wir wollen schon wieder heraus kommen aus der Not. Und wie es werden mag, auf mich kannst du bauen; ich helf dir, wie ich kann.«

Er küßte sie wieder und führte ihre rauhe Hand an die Lippen. Sie kehrte sich schnell und eilte in die Schlafkammer, die der Küche gegenüber lag.

Mangold blieb eine Weile mit beiden Fäusten auf den Tisch gestützt stehen und sah traumverloren drein. Dann ging er langsam durch die Halle und stieg die Treppe zum zweiten Stockwerk empor. Oben hastete ihm die Helena entgegen. »Wohin willst du?« fragte der Ritter.

»Ich soll schauen, ob die Wagen noch da sind,« antwortete das Mädchen vorbei und hinunterlaufend.

Er sah ihr nach und verhielt ein paar Augenblicke an der Tür. Der Gang war nur vom Mond erhellt. Nun klopfte er und trat ein.

In dem länglichen Gemach, das eine Kerze dämmerig erleuchtete, stand die Odheimerin an einem Tisch, damit beschäftigt, noch einige Habseligkeiten in eine Truhe zu packen. Der Ritter ging auf sie zu und sagte: »Nun müssen wir Abschied nehmen.«

Sie war bleich und schien geweint zu haben. Ihre Hände, im kleinen Schrein herumtastend, begannen zu zittern. Sie blickte nicht auf. Abermals drangen ihr die Tränen aus den Augen hervor.

»Warum weint Ihr?« sagte er ruhig. »Meine Schwester wird gut mit Euch sein. Ihr werdet es auf dem Steckelberg besser haben als hier.« 382

Sie hielt die Hände vor das Gesicht und wandte sich ab. Er trat näher und sprach sanft: »Seid nicht traurig, Frau Agatha. Es wird sich alles noch zum Guten wenden.«

Sie, immer die Hände vor den Augen, schüttelte das Haupt und erwiderte mühsam: »Es hat sich gewendet. Wir sind am End – alle. Ich hab Euch zugrund gerichtet – und Euer Haus.«

»Ihr?« versetzte er, die Stimme erhebend. »Weder bin ich zugrund gerichtet, noch am allerwenigsten wäret Ihr schuld daran. Es ist kommen, als es kommen sollte – mein Gott! – es war verhängt so.«

Sie in Schluchzen ausbrechend: »Nein, nein, ich weiß es, mein ist die Schuld, und Ihr in Eurer Güte habt Euch damit beladen und geht nun zugrund daran. Der Vertriebenen, Elenden habt Ihr Schutz und Heimstatt gegeben – nun seid Ihr selbst hinausgetrieben in Friedlosigkeit – und Elend – in den Tod vielleicht . . .« Das Weinen erstickte ihre Stimme.

»Seid ruhig, seid ruhig, Frau Agatha,« sprach er beschwichtigend. »Ihr seht die Dinge schlimmer, als sie sind. Ihr seid nit gewohnt, was einem Ritter begegnen mag. Ha! Seit ich reit und mich in der Welt herumschlag, hätt mir solches jeden Tag geschehen mögen. Seht den Götz von Berlichingen an, den Franz, den Ulrich! Was ist Acht und Aberacht? Was will es uns bedeuten, ein Haus verlieren oder zwei auch? Darum haben wir Öffnung auf den Schlössern unserer Freunde, weil uns das streitbare Leben, das unser Leben und unsere Lust ist, immer von einem ins andere jagt. Wir sind als die Adler. Nehmen sie uns einen Horst aus, müssen wir fliegen und einen neuen bauen noch höher wo in den Steinen.«

Sie stand noch immer abgekehrt mit den Händen vor dem Gesicht. Wieder schüttelte sie das Haupt und sagte ruhiger: »Das sprecht Ihr nun wie oft schon, damit ichs glauben sollt, und glaubt es doch selber nicht. Mein ist die Schuld. Sie geht über mir als eine Wolke seit langem, seit ich so bin, daß ich Männern gefallen kann. Ich weiß es, ich fühl den Schatten immer über mir und weiß doch nicht, was es sein mag, warum 383 es über mir hängt. Und wo ich den Fuß hinsetz, wo ich die Hand hintu, da wirds ein Unglück. Und – wer sich mir – freundlich und gütig – naht – der ist – verloren – nur wer mir feind ist – dem gedeihts . . .«

Mangold bemühte sich, heiter zu sein. »Ei, ei!« sagte er. »Ihr sprecht ja schier wie der schlimme Nebukadnezar von den Weibern. Seht, Frau Agatha, das gleiche, das Ihr beklagt, geschieht mir. Genau so fühl ichs, seit mir ein Weib gefallen mag, daß ich es ins Unglück bring, so ich ihm in die Näh komm und mich freundlich sein lasse. Immer als in Eisen sollt ich gehn, immer herrisch und ein grober Schrecken. Da tät ich mancher Schmerz vielleicht, aber keiner Schaden. Nein, schüttelt nicht den Kopf, glaubt mir und seid ruhig. Nicht Ihr habt Schuld an dem, daß es so kam. Habt Ihr mich je geheißen, Krieg zu führen wider Nürnberg? Ha! Ich hätt Streit gehoben mit der Stadt so oder so, hätt Euch wahrlich nit gebraucht dabei. Habt Ihr nit immer und immer wieder Frieden machen wollen? Könnt Ihr dafür, daß ich nit wollen hab?«

»Der Unglücksbrief!« unterbrach sie ihn, »der hat alles zerstört. Und meinethalben ward dieser Brief geschrieben. Seht, das ist das Unheil, das über mir waltet und die verdirbt, die mir helfen wollen.« Aufs neue und leidenschaftlicher begann sie zu weinen.

Er trat noch ein wenig näher, nahm sie sanft beim Arm und sprach: »Faßt Euch, liebe Frau. Der Brief ist ein Bubenstück, und Bubenstücke ergrimmen mich aufs höchste. Wer meine oder der Meinen Ehr anrührt, für den kenn ich kein Verzeihn mehr, der muß auf die Knie vor mir, lebendig oder tot, und alle, die ihm helfen, dazu. Mag sein, mein Zorn ist zu groß in solchen Dingen und stürzt sich auf Schuldige und Unschuldige. Einerlei, ich bin so und kann nit anders, ich wollte dann vor mir selbst zuschanden werden. Nein, Frau Agatha, auch daran habt Ihr keine Schuld. Nicht, wo Ihr hintretet, wird Unheil, nein, wo Ihr seid, da ist Frieden, da wird es licht und warm, da blühen die Blumen. Ist das Eure Schuld? – Kommt, hört auf zu weinen, seid froh und lächelt, daß ichs noch einmal seh, da ichs so gern 384 sah. Kommt, seht mich an –« er zog sie zu sich herum, nahm auch ihren andern Arm und versuchte, ihr sanft die Hände vom Gesicht zu nehmen. »Ich will Euch sagen, was schuld ist, daß ich so hart geworden wider Eure Feinde,« fuhr er mit gedämpfter Stimme und nah zu ihr geneigt fort. »Ich wills Euch sagen,« er setzte einen Augenblick aus und holte Atem. »Ich muß es sagen zu letzter Stund, daß Ihrs wisset und ruhiger seid über Euch und mich. Zu gern hatt ich Euch hier, zu wohl war mir in Eurem Wesen, ich wollt Euch nimmer lassen.« Er flüsterte: »Zu lieb seid Ihr mir geworden, Frau . . .«

Sie schien zu schwanken. Ihre Hände lösten sich. Er sah ihr Antlitz mit den geschlossenen Augen bleich wie die Wand. Sie wollte hintenübersinken. Er fing sie mit beiden Armen auf, und sie sank über ihn. Sie brach zusammen über ihm, wie ein Bau, der in Flammen aufgeht, schwer, glühend, hilf- und haltlos, die Liebe und das Schicksal eines Weibes.

Er hielt sie. Es war kein Schluchzen mehr, das ihren Körper durchschütterte. Es war kein Kuß, daß ihre Lippen und seine aufeinander hafteten. Es war nur eine einzige, ungeheure, steigende Flamme, in der die Welt um sie beide zusammenbrach. Sie sahen nichts mehr als das Feuer und dunkle Nacht umher. Und an ihr inneres Ohr schlug es fern, dumpf, schwer wie Klang eherner, tiefer Glocken eines riesigen Domes. Wer kennt die Glocken? Wer weiß, was sie schlagen? Untergang oder Auferstehung? Tief, schwer tönend und schauernd wunderbar, die Glocken des Geschickes.

Sie lag an ihm. Der Ritter sah auf mit verzweifelndem Blick. »Sei ruhig – faß dich – faß dich!« flehte er leise und streichelte ihr Haar dabei. »So darf uns niemand sehen – so dürft Ihr nicht hinaustreten. Ich bitt dich, sei ruhig und aufrecht . . .«

»Auf!« raunte er dringender. »Ich hör Schritte die Treppe herauf. – Auf! – Du mußt . . .«

Sie riß sich empor, schlug beide Hände vor Stirn und Augen, griff mit der Rechten nach der Lehne eines Sessels, den er hastig herbeizog. »Setzt Euch!« befahl er leise. Sie blieb 385 stehn, Haupt und Nacken tief gebeugt, die Linke vor den Augen, die Rechte am Sessel verkrampft.

»Es ist zu spät,« sprach er dumpf. »Es darf nit sein. Lebt wohl. Es kann nimmer sein. Leb wohl.«

Sie ließ die Hand sinken und starrte mit großen, dunklen Blicken tränenlos vor sich. »Wir dürfen uns nie mehr sehn, – nie mehr,« flüsterte sie.

Noch einmal warf er den Arm um ihre Schulter. Seine Augen funkelten auf. »Was wird nun aus dir?«

Sie schüttelte das Haupt. Er hielt ihre Hand in der seinen. »Laß mich,« sagte sie, »mein Leben ist dahin.«

Er zog sie an sich. Sie entwand sich ihm sanft und ließ ihre Hand sacht über sein Haupt streichen. Dann sich mit Mühe aufrichtend und ihm groß ins Antlitz schauend, sprach sie: »Was mir noch über zu leben, das ist Verlassenheit, Leid – und Liebe – für dich. Du mußt fort, ich muß fort – hätt ichs früher getan!« Sie faltete ringend die Hände, schwere Tropfen quollen ihr aus den Wimpern. »Du lebe – lebe!« schluchzte sie. »Gott, laß mich sterben – daß du leben kannst!«

Er nahm ihre Hand wieder, neigte das Haupt und sagte: »Du wirst leben müssen – mein End ist nah. Ich weiß es. Leb wohl.«

Vom Hof herauf drang Hufschlag und Stimmenlaut. Der Wind stieß an das Fenster. Auf der Treppe wurde es unruhig.

Er hob ihre Hand und preßte sie an die Lippen. Er zog ihren Kopf an sich und küßte sie auf Mund, Augen und Mund. Dann wandte er sich und schritt der Türe zu. Sie sank in den Sessel zusammen und verhüllte das Gesicht. Die Klinke in der Hand kehrte er sich noch einmal, kam noch einmal rasch zurück, legte die Hand auf ihre Schulter und rüttelte sie sanft. »Auf! Es muß sein!« Er legte die Hand auf ihr Haar und bog sich herab. »Gott schütz dich für und für!«

Mit einem plötzlichem Aufraffen umfaßte sie sein Haupt und flüsterte: »Gott und meine Liebe mit dir auf allen Wegen.«

Die Schritte wurden vernehmlicher. Er machte sich los und eilte ohne umzublicken hinaus. Die Helena stand an der Treppe. Es mochte sein, daß sie schon gewartet hatte.

»Nit wahr,« sagt sie mit einem Blick, der in der 386 Dämmerhelle des schräg auf den Steinfließen und Wänden liegenden Mondlichtes seltsam flimmerte. »Nit wahr, der Jörg Dietz, der reitet mit uns?«

Mangold starrte geistesabwesend auf sie hinab. »Der Jörg Dietz?« sagte er langsam. »Der Jörg? –« Und plötzlich fuhr es ihm barsch heraus: »Der bleibt bei mir, den brauch ich.«

Damit sprang er die Treppe hinab. Als er unten in die Halle trat, standen ihm Ulrich von Hutten und der lange Voit, beide gerüstet vom Kopf bis zum Fuß, gegenüber. Und hinter ihnen saß am Tisch Ottilie von Hutten.

»Ulrich, du reitest mit mir?« rief Mangold freudig erstaunt.

Ulrich, der sehr blaß war, schüttelte ernst den Kopf. Ottilie war aufgestanden und ging auf den Bruder zu. Ein langer, schwarzer Reitmantel umgab ihre hohe Gestalt. Ihr Antlitz, sehr gealtert, trug die strengen Züge tiefen Leidens. Das blonde Haar, wie mit grauer Asche bestreut, sah in schlichter Scheitelung unter der Haube hervor. Mangolds Hand ergreifend und ihm mit einem großen Blick ihrer wunderklaren, sanften Grauaugen kummervoll ins Gesicht schauend, sprach sie: »Bruder, ich bin gekommen, weil mir bang ward, daß du nicht mehr kommen würdest. Du hasts mir zwar versprochen, daß du nicht ohne Abschied von mir ausreiten wolltest; aber da du gestern nicht kamst und heut den ganzen Tag nicht, ward mir so bang.«

»Ich wär noch gekommen,« erwiderte Mangold, »heut nacht oder morgen vor Tag. Es war so viel zu schaffen, wie du denken mochtest.«

Ottilie sah zu Boden und fuhr etwas zögernd fort: »Ich hatt auch Sorge – ich war neulich, da du kamst, um mich zu bitten, wir sollten die Deinigen aufnehmen – da hab ich, mag sein, ein wenig zu bedacht getan. Weißt du, mein Mann war dabei und redte seiner Art nach gar nichts, stand nur auf, da ers hörte, und ging mürrisch hin und her. Das hat mich bedrückt, daß er so war, und hat mir die rechten Worte genommen.«

»Ich habs gespürt, Schwester,« lächelte Mangold, »und bin dir darob nit bös gewest. Ich weiß doch, welchen Sinn 387 du zu mir hast. Was bedarf es vieler Worte? Wie gern hätt ich dem alten Ulrich, dem Grimmbär, solche Beschwernus gespart – und auch dir. Aber – ich kann nimmer anders, du siehst es.« Er hatte die Hand erhoben und fallen lassen und sah zur Erde. Eine Weile schwiegen sie alle. Ulrich und Nebukadnezar hatten sich sacht gegen den Erker unters Fenster zurückgezogen.

Ottilie hob das Gesicht, begann wieder und sprach mit steigender Wärme: »Mangold, ich wollt dirs damals sagen, und es drückte mich so, daß ichs nicht gekonnt, drum bin ich jetzt mit Ulrich herübergeritten – ich will dir sagen, daß ich deine Frauen nicht nur aufnehm, weil es Christen- und Schwesterpflicht, nein, mit offenen Armen und ganzem Herzen sind sie mir willkommen. Ich will ihrer warten und pflegen, als seien es meine Schwestern, mag mein Mann, mag die Ritterschaft, mag die Welt sagen, was sie will. – Was ist mir die Welt! Ich hab sie abgetan – schon lang. In meiner Welt, da hat nur mehr Gott zu sprechen, und der ist der Richter, und der ist die Liebe.«

Sie hielt inne. Mangold stand tief gesenkten Hauptes und drückte ihre Hand.

Sie sprach weiter: »Nun hol ich deine Frauen selbst. Sie dürfen nirgends anders hin dann zu mir. Dem Ulrich, dem hab ich das Ding schon klar gemacht. Ist doch der Steckelberg dein offen Haus nach altem Vertrag.«

»Ja,« unterbrach Mangold, »durch Einkauf unseres Vaters mit Brief vom Jahr 1453.

Ottilie nickte: »An solchen Brief hab ich ihn erinnert und gesagt, so du wolltest, könntest du mit all deinen Haufen auf das Schloß kommen und dich berennen lassen dortselbst. Wir müßten froh sein, daß du uns schonst. Ja, wir haben ein wenig gezankt miteinander darob. Zum erstenmal im Leben hab ich ihm hart zugesetzt und gesagt, solch altes Recht könnt kein Kaiser und keine Acht abtun, und es stünd die Rittertreue über des Reichs Bann. Und kurz und gut, ich sei deine Schwester und eine Eberstein – und – Mangold – ich bin dir immer wie die Mutter gewesen, nachdem daß sie gestorben und mir auf dem Totenbett befohlen, deiner, als 388 des Jüngsten, zu warten – wie sollt ich dich jetzt verlassen! . . .« Sie schlang einen Arm um seinen Nacken und zog ihn bewegt an sich.

Margareta trat aus der Kammer. Sie hatte eine knappliegende rote Reiterkappe um das Haar gezogen, ein Lederwams angelegt und den Rock aufgeschürzt. An den Füßen trug sie geschnürte Stiefel mit Sporen. Mangold sah etwas mißvergnügt auf. Nachdem die Hausfrau Ottilie und die Männer begrüßt hatte, sagte sie: »So, ich bin reisefertig.«

Ottilie drauf: »Ja, wir wollen bald reiten.«

Margareta mit einem flüchtigen Blick auf Mangold, der an den Tisch getreten war: »Ich geh, die Gäul bestellen.«

Sie schritt die Treppe hinab. Mangold sagte: »Setz dich noch ein wenig, Schwester. Du bist das Reiten ungewohnt und wirst müd sein.«

Sie tat es. Ulrich trat herzu. Der Voit blieb im Erker an die Wand gelehnt stehen und regte sich nicht. Der steigende Mond überleuchtete grünlich seinen Helm und Harnisch, daß er aussah, wie ein Rittergespenst.

»Du also reitest nicht mit uns?« fragte Mangold seinen Neffen.

»Nein,« erwiderte Ulrich. »Mein Weg geht rheinwärts, wie dazumal, da wir uns zuletzt hier gesprochen. Mit großen Hoffnungen zog ich aus dazumal und ward betrogen. Du bliebst zurück, um einen großen Krieg der Ritter wider die Städte aufzurühren, und wardst betrogen. In der Acht sind wir nun beide, du in der offenen, ich in der heimlichen. Sie fahnden nach mir allerwegen. Der Kaiser hat, als mir kund ward, dem Grafen von Wertheim befohlen, auch mich, und mich besonders, zu fangen. Sie meinen, ich wär in deinem Haufen.«

Mangold mit aufleuchtenden Augen: »Nun, Ulrich, sollen sies versuchen, uns zu fangen! Mag sein, wir fangen sie!«

Ulrich das Haupt schüttelnd: »Ich kann nicht mit dir ziehen, Oheim, so gern ichs tät. Meine Tage sind gemessen, mein Leben, was davon über, gehört der großen Sache. Sickingen braucht mich. Ich muß eilends zu ihm zurück auf die Ebernburg. Ich bin nur hergeritten, um von der Mutter Abschied 389 zu nehmen und von dir. Heut abend kam ich auf den Steckelberg und traf – Gottlob! – die Mutter noch just im Wegreiten. Da bin ich mit ihr geritten und hab euch nun beide hier. Und von hier reit ich gen Mainz noch heut nacht.«

Er schwieg. Als Mangold nichts erwiderte, fuhr er fort: »Oheim, in letzter, allerletzter Stunde der alte Rat: Komm mit mir. Laß die Fehde, nimm deinen Heerhaufen und zieh mit mir zum Franz. Wir brauchen dich. Laß den von Wertheim ins Leere stoßen, daß die Bauern sein lachen. Du bist abgezogen – wer weiß, wann ihr euch abermals gegenübersteht, hast du andere Haufen hinter dir, nicht feiles Gesindel von der Straße zusammengeholt und Bauern, die dir mürrisch dienen müssen.«

Mangold hatte mit Kopfschütteln zugehört. »Nein,« sprach er. »Nein, Ulrich – noch nicht. Erst muß ich meinen Krieg führen. Er rollt, ich kann nicht mehr zurück.«

Ulrich: »Laß ihn rollen – aber ohne dich.«

Mangold: »Fritz von Thüngen hält mit dem größten Haufen im Sinntal und harrt meiner.«

Ulrich: »Schick ihm Boten, er soll mit.«

Mangold: »Hans Thum von Absberg harrt mit dem dritten Haufen anderswo. Ich könnt ihn nimmer holen und darf ihn nit im Stich lassen.«

Ulrich: »Oheim! Wann er dich nur nicht im Stich läßt!«

Mangold: »Er ist ein großer Rauber, aber ein Ritter auch. Ich kann nicht.«

Ulrich: »So gehn unsere Wege abermals auseinander, Oheim; ich red offen, heut ist meine Hoffnung fast dahin – mir ist, wir gingen beide sehr schwarzen Wettern entgegen – wir sehn uns nimmermehr. Dazumal im Sommer zog das Wetter vorbei, jetzt kommt es über uns. Wir ziehen beide hinein und können nicht anders.«

Er stützte sich an den Tisch und sah krank und verfallen aus. Seine sonst so glänzenden Blicke waren getrübt. Eine ganze Weile war tiefes Schweigen. Man hörte nur die Windstöße ums Haus und manchmal ihr Heulen in den Kaminen. Der eiserne Voit unterm hohen Fenster leuchtete auf und sank in Dunkel, wie die Wolken vor dem Mond herflogen. 390

Ottilie sprach: »So hab ich euch beide verloren. Ich weine nicht mehr. Ich kann nur mehr beten, beten.«

Wie sie die Hände im Schoß faltete und bleichen Gesichts aufblickte, glich sie der Jungfrau unterm Kreuz. Ulrich sah sie tiefergriffen an. Er trat vor sie hin und legte ihr die Hand auf die Schulter.

»Mutter,« sprach er, »es ist dein Unglück, an der Wende der Zeiten geboren zu haben. Dein Bruder, den du liebst, ein leuchtender Ritter der alten Zeit, geht am Trotz wider die neue zugrund, weil Trotz gegen sie vergebens ist; dein Sohn ist der Herold dieser neuen Zeit geworden. Du dachtest ihn äußerlich glanzvoll im Sinn der alten Zeit, ein hoher Pfaff, ein schimmernder Höfling, ein ruhmvoller Ritter, ein mächtiger Staatsmann, den die Fürsten suchen und ehren – nichts von alledem ist aus ihm geworden. Eigenen Sinns hat er seinen Weg gesucht und erkämpft in der neuen Wissenschaft, im neuen Glauben, im dunklen Kampfgewog der neuen Zeit. Ein Dichter – ein Streiter im Geist – ich habs gewagt! – Nun geht er zugrund, verfolgt, geschmäht, ausgestoßen, innen zerfressen. Ich weiß, du siehst ihn nicht mehr.«

Ottilie, die Hände ringend mit zuckenden Lippen: »Wann ihr zugrund geht, hat dann die Schwester, die Mutter nicht recht gehabt, da sie euch mahnte, warnte, anflehte – mein Gott – mein Gott! . . .«

Ulrich: »Wir gehn zugrund. Aber die nach uns kommen, die werden leben davon, daß wir scheiterten und zerbrachen. Neue Länder werden sie besitzen, die wir erobert haben, neues Wissen, zu dem fallend den Weg wir gebahnt haben. Und du, Mutter, wirst unsterblich sein in deinem Sohn, der dein Schmerz war.

Ja, wir gehn zugrund. Diesem da warst du Mutter als ältere Schwester, und mich Unseligen hast du geboren. Eine deutsche Mutter bist du geworden, das Schwerste, das einem Weib auf Erden verhängt sein mag, und das Größte doch, das es werden kann. Denn wir sind ein Geschlecht des Verhängnisses, ein Volk, das weit über die andern des Erdballes mit den Häuptern emporragt in die Höhen, wo die Götterstürme des Schicksals donnern. Durch Sturm und Wetter, 391 durch Tod und Zerstörung aller Art wächst es kämpfend empor, dunkel in seinem Ringen um die Wahrheit, irr in seinem Streit um Recht, Glaube, Freiheit, hundertmal gestürzt, hundertmal auferstanden, unbeugbar, unbesiegbar in seinem ewigen Hoffen auf das Licht.«

Sie schwiegen lange. Sie hatten es nicht bemerkt, daß unter den letzten Worten die Odheimerin mit Helena in der Treppe herab und Margareta herauf gekommen war. Jetzt sah Ottilie die Nürnbergerin in der Tür stehen, aufrecht aber totenblaß, die Wangen unaufhaltsam von Tränen überflossen. Sie erhob sich, schritt auf sie zu und schloß sie stumm in die Arme.

Margareta raunte Mangold zu, daß die Pferde bereit seien. Er nickte. Ottilie hatte es vernommen. Sie legte ihren Arm um Agathas Nacken und schickte sich an, mit ihr hinabzugehen. Plötzlich wandte sie sich um. Nebukadnezar stand hochaufgerichtet mitten in der Halle. Sie streckte ihm die Hand hin. Er trat mit zwei großen Schritten heran, umfaßte sie mit der seinen. Sie blickten sich in die Augen und sprachen beide kein Wort. Ottilie kehrte sich wieder. Stumm und langsam schritten die Frauen hinunter. Mangold und Ulrich folgten. Der Voit blieb allein zurück.

 


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