Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Burgwinter

Herr Andreas Tucher schritt in seinem Gefängnis auf dem Brandenstein unruhvoll hin und her. Es war jene Stube an der Nordseite des Torbaues, aus der ungefähr anderthalb 234 Jahre zuvor der Grübel entkommen war. Nur hatte sie der Burgherr für den patrizischen Häftling so behaglich, als es gehen mochte, richten lassen. Die Wände waren frisch getüncht; statt des offenen Herdes, der früher den einen Winkel geschwärzt und den Raum mit beizendem Geruch durchtränkt hatte, war ein neues Kachelöflein gebracht und aufgemauert worden; ein Spanbett mit hochgeblähtem Pflumit und weichen Kissen stand bereit, den vornehmen Nürnberger wenigstens zur Nacht seiner Sorgen vergessen zu machen; auf dem eichenen Tisch fehlte nebst Schreibpult, Feder, Papier, Tinte und Streusand nicht die Bibel zur Tröstung der Seele und eine wahrhaftige und überaus kurzweilig zu lesende Chronika der hochlöblichen freien Reichsstadt Frankfurt mit ausführlicher Schilderung aller dortorts stattgehabten Erwählungen römischer Könige zur belehrenden und unterhaltenden Vertreibung der langsam kriechenden Stunden, und schließlich ließ es die Burgfrau nicht an Sorge für Reinlichkeit und Bequemlichkeit fehlen, daß nichts von dem ermangelte, was Hans Sachs an ordentlichem Hausrat empfiehlt:

». . . Tisch, Stuhl, Sessel und Bank,
Bankpolster, Küß und ein Faulbett
.   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .
Leuchter, Butzscher und Kerzen viel,
Schach, Karten, Würfel, ein Bretspiel,
ein reisende Uhr, Schirm und Spiegel,
.   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .   .
ein Spannbett muß darinnen stehn
mit Strohsack und ein Federbett,
Polster, Küß und ein Deckbett,
Deck, Prunzscherb, Mundglas und Bettuch . . .«

Nachdem der Tucher sein Wort gegeben hatte, daß er keinen Fluchtversuch und nichts dem Hause Schädliches unternehmen werde, hatte man ihm auch stundenweise freien Umgang im innern Hof und in den Wohnräumen der Kemenate verstattet. Er nahm an den gemeinsamen Mahlzeiten teil wie ein Gast, den man ehrte, und man ließ ihm in allem fast mehr Höflichkeit und Aufmerksamkeit angedeihen, als es sonst Genossen ritterlichen Standes gegenüber des Hauses 235 Gepflogenheit war. Nichts fehlte ihm außer eben die Freiheit.

Und diesen empfindlichsten aller Mängel zum hundertstenmal betrachtend, stand Herr Endres jetzt gerade vor dem Fenster still, aus dem der Grübel entschlüpft war, und das man seither mit einem sehr kräftigen Gitter aus schmiedeeisernen Kantenstäben versehen hatte. Die kleinen, bleigefaßten, achteckigen Scheibchen aus leidlich klarem Glas gestatteten einen Blick auf den verschneiten Hang des gegenüberliegenden Escheberges, und ein ostseitiges Fenster ließ den inneren Burghof übersehen. Winter, Winter, Winter lag und lastete still, weiß und kalt auf dem Brandenstein. Lockerer Schnee, noch keine vierundzwanzig Stunden alt, bedeckte reinlich in zwei Zoll Höhe das Dach der Backstube, bauschte sich wattig über dem Giebel und lag schön gehäuft auf dem hohen Schornstein und den kahlen Ästen der Linde, die im Eck zwischen dem obern und dem untern Hofabsatz stand. Und die karge Sonne, die drüben den Berghang noch umgilbte, wollte von den Hofgebäuden schon wieder wegrücken, und die Schneehauben auf den Dachlucken schatteten blaukalt. Herr Endres trat zum Ofen, betastete die grünverglasten Kacheln und war zufrieden, als er draußen im Gang die schlürfenden Tritte des alten Flor, des Holzsägers und Heizers, vernahm, der nun kam, seine Fracht geräuschvoll vor der Türe ablud, mit einem Schürhaken im Bauch des Ofens herumscharrte und gemächlich ein Scheit nach dem andern in die Feuerhöhlung schob. Dann wurde es wieder sehr still. Ganz selten einmal tappte unten ein Schritt über den verschneiten Hof, und selbst die Stimmen, die dann und wann laut wurden, hatten etwas Verhülltes und dumpf Tappendes. Aber nach einer Weile gab es ein neues Geräusch. Zweierlei Schritte kamen die Schnecke im Turm herauf, ein schwerer und ein leichter, und ein Schlüsselbund rasselte.

Diese Schritte gehörten dem Vogt Peter und dem Jörgen Dietz. Beide kamen, um nach einem anderen Gefangenen zu sehen, dem es nicht so gut ging, wie dem Herrn Tucher. Er lag im Turmgewölb des ersten Stockwerkes, hieß Rupprecht Züricher und war einmal, als ihn Kunz von Rosenberg 236 gefangen und auf Wiederstallung ledig gelassen hatte, untreu geworden. Danach fingen ihn die Brüder Nisika abermals in der Gegend von Bamberg und brachten ihn auf den Brandenstein, wo er als Wortbrüchiger hart gepeinigt wurde. Daß er ein Österreicher aus Kärnten und Untertan des Erzherzogs Ferdinand war, konnte ihm nichts helfen, denn man wollte wissen, er handle viel mit denen von Nürnberg, habe ein Warenlager dort und halte sich hoch und kostlich. Sie schatzten ihn auf fünfthalbtausend Gulden, jedoch er wollte es nicht zugeben. Erst als man ihn einmal stundenlang im Stock aufgezogen mit einem Eisen um den Hals, das inwendig mit Nägeln versehen war, hatte hängen lassen, war er gefügig geworden und hatte zweitausend Gulden versprochen, wenn er sie aufbringen könne. Nun wurde seinethalben viel hin und her geschrieben, und da er Fürsprecher hatte und sich auch der Bischof von Würzburg für ihn ins Mittel legte, waren manchmal schwierige Brieflein zu lesen und abzufassen, daher man sich des Jörgen Dietz als Schriftgelehrten und angehenden Juristen in dem Handel bediente. Neuestens versuchte man auch noch ein anderes Mittel, um die sagenhaften Reichtümer des Handelsmannes zu erspüren. Der Bader von Schlüchtern, in allerlei geheimen Dingen erfahren, wußte Kräutlein, deren Geruch einschläfern und bewirken sollte, daß der Schlafende im Traum die Wahrheit rede. Nun setzten sich manchmal Junker oder Knechte zum Züricher, taten freundlich zu ihm und spielten mit ihm Brett oder Würfel, wozu sie ihm Geld liehen; dabei wurde auch Wein getrunken. Wenn nun der Kaufmann schläfrig wurde und sich niederlegte, blieben sie bei ihm und belauschten seine Traumreden. So murmelte er im Schlaf einmal was von sechzehntausend Gulden, und das war ihm sehr zu Schaden.

Heute brachte ihm Jörg Dietz eine Schrift des Inhalts, daß er an die von Thüngen und von Rosenberg nichts zu erfordern habe. Die sollte er, Rupprecht Züricher, unterschreiben, daß sie dem Bischof von Würzburg geschickt und diesem damit der Grund genommen werde, sich seiner Sache anzunehmen. Der Vogt Peter, der zugleich Kerkermeister war, schloß die schmale, mit schweren Bändern kreuzweis 237 beschlagene Eisentür auf, und beide betraten das Turmgemach, einen wüsten Raum mit unbeworfenen Quaderwänden und krummem Lehmboden. Die westseitige Fensterluke nebst zwei Schießscharten war mit Stroh und Fetzen verstopft, die ostseitige ließ durch ölgetränktes Papier schwaches Licht herein. In einer Ecke war eine halbverfallene, offene Feuerstätte, auf der angekohlte Holzstücke lagen. Wenn man da heizte, machte es wenig Wärme, aber viel Rauch, der es vorzog, im Gewölb zu bleiben, statt durch den engen, rußtriefenden Schlot längs des ganzen Turmes hinauf zu kriechen und das Freie zu suchen. Der Gefangene lag auf einem Strohsack mit Kotzen und Kleidern bedeckt und hatte einen Wolfspelz zum Kopfpolster. Sein bärtiges Gesicht war erdfahl. Blinzelnd wandte er sich den Eintretenden zu und richtete sich mühsam erst halb, dann ganz auf, daß er auf der Bettstatt saß. Um Haupt und Füße hatte er Haufen schmieriger Fetzen gewickelt.

»Was gibts schon wieder?« fragte er stumpf.

Der Jörg legte den Brief auf einen wackligen Tisch, der in der Mitte des Gemaches stand und Schreibzeug trug. »Das sollst du unterschreiben,« sagte er dazu.

Der Züricher drauf: »I schreib, was wöllts, aber zahlen kann i's net.«

Der Vogt Peter: »Du hast Geld genug und haben des gute Kundschaft. Du wirst auf Posen und Breslau schreiben um das Geld, dann kriegst du eine warme Stuben, wann du das tust.

Jörg Dietz fügte hinzu: »Und der Hans Kürn, dein Knecht, wirds holen.«

Der Züricher drauf: »Der Hans Kürn lugt. Er is mei Knecht net, hab nia kan Knecht nit gehabt, und aft er sagt, i hab a Geld, aft lugt er. Er is a arger Mensch und hat mi verkundschaft, wia ma z'Bayersdorf zammkemman und aft miteinand gritten san. Er ist a groasiger Knecht, woaß net, wem er ghört, i glaub, er is a Rauber, und ös werds scho wissen, was er is. Wanns den um a Geld schickts, der kimmt nimma, hab i nix davo, und ös a nix. Daß i so viel Geld hab, das hat er bloß gsagt, damit er enk zum Gfallen redt, und weil ers selber haben möcht.« 238

Jörg Dietz zuckte die Achseln. Der Peter sprach: »Wird einer mitreiten. Schreib, und es wird dir besser sein.«

Der Züricher wurde lebhafter: »I ghör nit unter Nürnberg, i ghör 'm Herzog Ferdinand von Österreich zu . . .«

Sie hörten nicht mehr auf ihn und verließen den Turm. Der Vogt verschloß die Tür, hinter der der Gefangene fort schimpfte und jammerte, und schickte sich an, die Treppe hinab zu gehen. Jörg Dietz sagte: »Ich geh dort hinunter in meine Stube,« und deutete den Gang entlang, wo neben der Zelle des Tucher eine schmale Wendeltreppe zur Kaplanei hinabführte.

Der Vogt war gegangen. Jörg Dietz stand allein auf dem Gang. Er blickte durch ein Fenster in den Hof. Unten war niemand zu sehen. Dann machte er ein paar hastige Schritte. Sein Auge haftete auf der Stubentür, hinter der er den Tucher auf und ab schreiten hörte. Wieder sprang er zum Fenster, spähte hinab, horchte, huschte leise zur Tür hin, horchte abermals. Der Tucher schien mit sich selbst zu reden. Jörg Dietz stand hart an die Tür gedrückt, hob die Hand, ließ sie sinken, zauderte, hob sie wieder und klopfte. »Tritt ein!« – Jörg Dietz öffnete und steckte den Kopf durch den Spalt. »Habt Ihr gerufen, Herr Tucher?«

Der Nürnberger war stehn geblieben und sah ihn verwundert an: »Ich? – Ich hab nicht gerufen.«

Schon stand der Jörg im Zimmer und hatte die Tür zugedrückt. »So – ich dacht – ich hört Euch reden . . .« Er sah etwas verwirrt und doch nicht ganz unschlau bald zu Boden, bald dem Tucher ins Antlitz.

Herr Endres betrachtete den aufgeschossenen Burschen mit dem blassen, schwammigen Gesicht und den unklaren Augen, die halb furchtsam, halb listig dreinblickten und jetzt ein wenig wässerig wurden.

»Gut,« sagte er. »Wenn du schon einmal da bist, bleib. Ich möcht schon lang mit dir reden.«

Jörg trat rasch zwei Schritte auf ihn zu, machte eine wichtige Miene und legte den Finger auf die Lippen. »Aber leise, leise, Herr Endres!« flüsterte er. »Hier haben alle Wände Ohren.« 239

Der Tucher sah ihn von oben bis unten an und schmunzelte ein wenig. »Hätten wir dann solche Geheimnisse?« sagte er und begann wieder, die Hände auf dem Rücken, hin und her zu schreiten. Der Jörg trat an die Tür zurück.

»Du bist ein Nürnberger?« begann Herr Endres.

Jörg: »Ja. Des bürgerlichen Färbermeisters Matthes Dietzen Sohn.«

Der Tucher: »So. Den kenn ich nit. Wo sitzt er?«

Jörg: »In der neuen Gassen.«

Der Tucher, immer hin und her schreitend: »In der neuen Gassen . . . Und du bist deinen Eltern entlaufen?«

Jörg: »Nicht eigentlich, aber dem Kloster, darein sie mich steckten.«

Der Tucher: »Aus was Ursach?«

Jörg: »Seht, Herr Endres, das kam so. Ich bin meiner Eltern drittes Kind, der zweite Sohn. Da ich klein war, hatt ich die Fraisen und kam einmal schier an den Tod davon. Da gelobt meine Mutter, wann ich am Leben blieb, sollt ich ein Barfüßer werden. Denkt doch nur! Ein Barfüßermönch – immer in einer kalten Zelle hausen, und steinerner Boden und auf einem Brett schlafen und kein Fleisch – und überhaupt ein Mönch! Ich kam auf die Klosterschul und hatt Lust am Studieren und merkt wohl auch, daß ich nit ganz ungeschickt dazu wäre.« Er blickte selbstbewußt lächelnd auf. »Das Latein gar, das lernt ich gar schnell und gern, und des Publii Ovidii Nasonis fünfzehn Bücher der Metamorphosen, die wurden mein Leibbuch. Und da steht allerlei Hübsches darin, das nicht in Klöstern vorkommt, und kurz, ich dacht, eh du Pfaff wirst, siehst du dir einmal das Leben an, wie es sein mag. Und da war noch einer, mit dem war ich gut, der wollt auch hinaus. Da gingen wir zusammen. Dem andern aber, da wir kaum die Stadtmauer hinter uns hatten, wurd angst und bange, und er lief zurück. Ich aber schlug mich weiter als ein fahrender Schüler und kam recht gut bis hinter Schweinfurt. Da traf ich den langen Knecht da, den Pfeifer . . .«

Der Tucher: »Und der brachte dich unter die Schnapphähne?« 240

Jörg: »Ja. Er ließ sich anwerben vom Herrn Mangold für einen gereisigen Knecht, und ich ward als ein Schreiber aufgenommen.«

Der Tucher: »Hm. Und so kamst du hieher?«

Jörg: »Ja.«

Der Tucher: »Und – und was hast du dir dabei gedacht?«

Jörg: »Recht eigentlich zuerst gar nichts. Ich hatt nur viel Angst. Aber dann, als ich sah, es geh mir nit ans Leben und würd recht gut da gehalten, da dacht ich mir, ich wollt die Jura studieren, und die Ritterschaft könnt mir dabei wohl zu Nutz sein, wann ich der diente und den Junkern einen Schreiber abgäb. Gar der Herr Ulrich von Hutten, der ist doch ein großer Mann und hat viel Gunst bei mächtigen Herren und bei den Gelahrten, der hat mir versprochen, er wollt mir Geld schaffen, daß ich studieren könnt auf einer hohen Schul und ein Doktor werden.«

Der Tucher blieb vor dem Fenster stehen und sah hinaus: »Und an deine Eltern, an deine Vaterstadt hast du gar nimmer gedacht?«

Jörg: »Sollt ich meiner Eltern viel denken, da sie mir so wenig Gutes zugedacht? Ich ließ sie gelegenerweis wissen, daß ich leb und daß es mir gut gehe. Erst wenn ich ein Doktor bin, da will ich vor sie hintreten und sagen: Seht, was ich aus eurem Sohn gemacht hab! Früher mag ich ihnen nicht unter die Augen kommen, sie nähmen mich am End und steckten mich wieder ins Kloster. Denn der Vater ist ein gar harter Mann, und die Mutter fromm aus der Maßen und hat guten Zuspruch bei denen Pfaffen.«

Der Tucher sich herumwendend und ihn scharf anblickend: »Und der Stadt Nürnberg, wie willst du der unter die Augen treten, wenn du jahrelang ihren Feinden gedient hast?«

Der Jörg sah erst etwas verdutzt. Doch faßte er sich schnell und erwiderte schlau lächelnd: »Je nun! Es geschieht wohl manchem in sothanen schweren Zeitläuften, daß er unversehens wider seine Vaterstadt dienen muß. Und dächt, ein guter Doktor könnt der Stadt Nürnberg allemal zu Paß sein, ob er sich nun auf der oder jener Seiten die Sporen im römischen Recht verdient hätt.« 241

Der Tucher wieder im Schreiten: »Ja freilich, mein Lieber, auf die Sporen kommts an. Aber die verdient sich ein junger Gelehrter des Rechts nicht in Raubhäusern und Strauchhändeln, sondern beim Kammergericht. Und beim Kammergericht, da haben des Reichs Städte was zu sagen, insonderheit die Stadt Nürnberg, wo das Reichsregiment sitzet. Und was glaubst du, wann ein hoher Herr den Nürnbergischen Assessor frägt, wer ist dieser junge Doktor Georgius Dietz Norimbergensis? Und der Assessor zuckt die Achseln und sagt, er wüßt nit viel von besagtem Dietzen, außer daß er Nürnbergs Feinden gedient, was meinst du, heißt das ein guter Leumund?«

Jörg sah den Tucher erschrocken an. »Aber der Herr Ulrich von Hutten,« sagte er dann »und des Reichs Ritterschaft . . .«

»Der Herr von Hutten,« unterbrach ihn der Tucher, »und die Ritterschaft, die haben freilich auch was zu sagen – für jetzt. Aber ob sie gleich den Endres Tucher gefangen halten und nun etwa gar groß tun, ich mein halt, die Stadt Nürnberg wär doch fester gegründt, als der Herr von Hutten und der von Sickingen und Eberstein und manche andere gegründt sich glauben mögen. Denn, mein Lieber, die Stadt Nürnberg hat noch viel Geld, und die Ritter haben nit gar viel, und das Geld singt allemal das längste Lied in der Welt und hat die letzte Strophen, weil es den längsten Atem hat.«

Der Jörg schwieg. Der Tucher fuhr fort: »Drum, mein bester Georgius doctorandus, rat ich dir, der Stadt Nürnberg nit ganz zu vergessen – hm? . . .«

Jörg zögernd. »Wann halt der Herr Endres einmal – ich möcht ihm schon gern zu Diensten sein –«

Der Tucher: »Der Endres, der sitzt jetzt in der Mausefalle und kann gar nichts. Aber er wird schon wieder einmal frei reden, und wollt Gott, bald. Dann –«

Der Jörg rasch: »Wann ich wüßt, wie ich helfen könnt . . .«

Der Tucher: »Still! Jetzt kannst du gar nichts helfen. Halts Maul und sei auf der Hut. Es mag Gelegenheit kommen, daß du gut machen kannst, was du etwa wider die Stadt Schlimmes zu tun geholfen, und vielleicht solche, daß du der Stadt großen Dienst tun magst.« 242

Der Jörg eifrig: »Den will ich tun.«

Der Tucher: »Nur Geduld. Ich verlang noch keinen Dienst von dir, aber bedenks, was ich dir gesagt.«

Sie schwiegen eine Weile alle beide. Dann sagte der Tucher: »Es wird wohl viel geschrieben meinethalben?«

Jörg: »Ja. Es wird viel geschrieben.«

Der Tucher: »Wüßt gar gern, was die Nürnberger schreiben, besorg, sie möchten nachgeben.«

Jörg: »So viel ich weiß, haben sie rechte Not um den Herrn Endres.«

Der Tucher: »Könnt ich die Stadt nur wissen lassen, daß sie nit nachgeben soll meinetwegen! Was liegt an mir! Und wenns mir auch viel schlechter ging, und sie mich mit Pein angriffen, was liegt daran – nur nit nachgeben! Will gern leiden für Nürnbergs Ehre und, wenns sein muß, den Tod.«

Jörg: »Vielleicht – man könnts der Stadt schreiben –«

Der Tucher: »Bei Gott, nein! Käms auf, dann gings dir an den Kragen. Es wird schon die Zeit kommen. Wollen Acht haben.«

Wieder schwiegen sie. Dann blieb der Tucher stehn und sah den Jörg lächelnd an: »Die jung Helena, was, die gefällt dir gut?«

Der Jörg wurde über und über rot.

Der Tucher: »Ist ein zierlich Maidlein und guten Hauses.«

Jörg: »Ja, ihretwegen studier ich noch einmal so viel und gern. Daß ichs sag, Herr Tucher, wann ich mit ihrem Prozeß sie selbst gewinnen könnt, das wär mein Glück.«

Der Tucher lachend: »Ei, du hast schon gelernt von den Rittern und möchtest, als man sagen könnt, ein Schnapphähnlein unter den Juristen werden.«

Jörg eifrig: »So ists. Ich sag ihr auch immer, mit den Schnapphähnen wär nichts zu richten wider Nürnberg, aber mit einem guten Doktor, da läßt sich jeder Handel gewinnen.«

Der Tucher: »Freilich, wenn das Herz hinterm Recht ist, da hat der Prozeß guten Wind. Laß nur den blasen. Und jetzt geh, es möcht sonst einer merken, daß wir beisammen gesteckt haben. Sei auf der Hut. Und so du dich wieder einmal 243 eines halben oder viertel Stündleins versiehst, komm wieder herauf.«

Der Jörg verneigte sich tief, schlüpfte hinaus, horchte den Gang hinauf und lief die kleine Schneckentreppe ab, die so eng war, daß man mit den Schultern die Mauern streifte. Unten im steilgewölbten Vorraum zwischen der Kapelle und seinem Stübchen, hinter dem der brummige Kaplan hauste, putzte er sich den Ziegelstaub vom Wams, eilte dann hinaus und sprang wie ein junges Füllen im Schnee über den Hof hin zur Kemenate.

Als er im Treppenturm hinauf rannte, kam ihm von oben schlank an die Mauer gedrückt die Helena entgegen. Der Jörg blieb stehen und verspreizte die Arme von Wand zu Wand. »Halt! Hie gib Zoll!« lachte er.

Die Helena innehaltend machte sich noch stracker und dünner und sah ihn seltsamlich an. Das heißt, sie sah nie jemand an, sondern immer rund um einen herum. Ihr Blick war wie ein Wesen mit langen Beinen und Fühlern, die tasten, und mit einem kitzlig stechenden Rüsselchen, das bohrt und saugt. Sie stand flach an der Mauer mit einem schillernden Lächeln und sagte nichts.

»Unser Sach steht gut,« flüsterte der Jörg, indem er sich nah zu ihr hinbeugte. Und mit einer flinken Wendung wollte er dem Mädchen einen Kuß aufhalsen. Aber blitzartig hatte sie die Hand erhoben, und seine Lippen trafen nur ihre abwehrend gestreckten Finger. Zugleich drückte sie sich, um unter seinem Arm her zu entwischen. Doch er fing sie um die schlanken Hüften.

»Gefangen!« kicherte der Jörg. »Ein Küßlein Schatzung, damit mag sie sich lösen, sonst spann ich ihr die Finger in Stock oder meß ihr spanische Handschuh an.«

Sie ließ sich küssen.

Unten im Eingang machte sich wer vernehmlich, der pustete und lärmvoll den Schnee von bespornten Stiefeln stampfte.

Die zwei schossen auseinander wie die Eichhörnchen, er hinauf, sie hinunter im Wendelgang der Treppe. Und unten flog sie dem Kunz von Rosenberg unversehens in die Arme, die allsogleich zuschlugen wie eine Falle und das Mädchen 244 packten und flugs in den halbdunklen Winkel hinter der Treppe beförderten. Und da küßten die dicken Lippen des Junkers hin, wo es nur treffen wollte, und griffen seine Pranken umher, wo Männerhände nichts zu suchen haben. Sie kicherte, »ich schrei ich schrei ich schrei!« Aber sie schrie nicht. »Wann kommst du wieder in mein Stüblein?« flüsterte er. »Ich bleib heut da zur Nacht.« Sie drauf hastig und leise: »Die Mutter spannt was und paßt so auf. Ich kann nit weg, und tät ichs noch so heimlich. Aber gen Morgen, da schläft sie fest, und wann ich dann früher auf und weg bin, kann ich sagen, ich hätt schon den Mägden geholfen.«

Das Tor ging. Mangold kam übern Hof herein. Die Helena schlüpfte windschnell die Treppe hinauf. Kunz blieb breit in der Tür stehen und erwartete den Ritter.

Oben in der Stube an der Sonnenseite saß das Elslein vor dem Fenster, und neben ihr an die Nischenwand gelehnt stand Frowin von Hutten. Das Elslein flickte Wämser und Hosen. Denn nach uraltem deutschem Hausbrauch war es Pflicht der Herrin, die Kleidungsstücke aller Hausgenossen auszubessern, und Margareta, die Tüchtige, die mit der Sorge für die Nahrung so vieler Insassen und Durchzügler überladen war, hatte ihre adelige Schülerin für solche Arbeit eingespannt. Das Elslein tat sie geschickt, wenn auch manchmal mit Nasenrümpfen, denn die Gewandung der Reitersknechte ließ an sauberer Haltung oft viel zu wünschen übrig. Im Wams des Schau war sogar einmal eine Laus gefunden worden, und er, über Tisch darob verhört, hatte sich auf den Narren ausgeredet, von dem er sie offenbar im Verlauf einer Balgerei geerbt haben müsse. Doch der Pfeifer hatte sogleich eingeworfen, er wisse schon, wo man Läuse erbe, und man müsse sich eben die Nachtquartiere zuvor ein wenig besehen.

Das Elslein flickte, und Frowin allerlei plaudernd stand dabei und sah auf ihre Finger herab, deren Zartheit und feine Gestaltung durch die Arbeit an so grobem Zeug noch auffälliger hervortrat. Überhaupt war es angenehm, über sie hinzusehen, wie sie leicht vorgebeugt saß und die Sonnenstrahlen in den goldbraunen Löckchen am Saum ihres schlanken 245 Nackens spielten. Sie hatten das Fenster geöffnet. Die Luft spielte ganz mild und lenzlich herein. Der Schnee tröpfelte vom steilen Dach, und manchmal schob eine ganze Lawine hernieder und fiel mit dumpfem Gepolter unten in den Zwinger. Die Spatzen hielten einen Tag im alten Nußbaum ab, auf welchem anscheinend fast ebensoviel gestritten wurde wie auf einem der fränkischen Ritterschaft, und durch das kahle Geäst schimmerten die weißen Hügel herein, über denen die fernen Waldhöhen des Spessart ganz besonders blau und nah sich hinzogen, als sollt es warmen Wind und Tauwetter geben. Die Sonne, so tief sie schon im kurzen Bogen stand, den ihr der Winter verstattete, legte über die Schneelandschaft jenen sanften Gelbschein, der das zarte Lächeln des neugeborenen und hoffnungsvoll wachsenden Lichtes ist, und die Glocken des Klosters zu Schlüchtern, die eben ihre Stimme erhoben, klangen so nah und klar, wie die blauen Wälder blickten, und zeigten damit zweierlei an: daß die Luft, ob sich auch noch kein Ästlein regte, von Südwesten strich, und daß der kommende Tag Septuagesima genannt sei und die Vorfastenzeit einleite, die von der Christenheit gemeiniglich dazu benützt wird, dem Fleische aller Art noch ausgiebig und mit rechter Inbrunst Lebewohl zu sagen.

Wenn das Elslein einen neuen Faden aufnahm und durch die Lippen zog, sah es den jungen Frowin mit ihren Rotkäppchenaugen freundlich an. Er plauderte immer eifriger, und sie sagte gar nichts, lächelte nur manchmal beim Einfädeln oder lachte sogar, wenn er gerade was recht Kurzweiliges aus seinem jungen Reiterleben erzählte. Heut war ihm pudelwohl, denn Adelhart von Miltitz, den er für einen gefährlichen Nebenbuhler achtete, war weit über Land geschickt worden. Sein überlegener Spott verschlug ihm sonst immer die Rede, und der Miltitz war um ein ganzes Jahr älter und größer und schöner, und gegen seine Zierlichkeit im Umgang mit Damen, seinen Vorsprung an Erfahrung, seine Gewandtheit in artigen Bemerkungen war einfach nicht aufzukommen. Aber auch das Elslein schien den braunlockigen Adelhart keineswegs zu vermissen. Frowins hübsches Gesicht mit dem schlichtfallenden Blondhaar mochte ihr ganz 246 gut gefallen. Und wenn seine blauen Augen, die sehr an jene seines Oheims Mangold erinnerten und nichts vom flackernden Geist seines Bruders Ulrich hatten, ihrem Blick begegneten, dann geschah immer im Zusammentreffen ein Aufleuchten, wie es geschieht, wenn ein schweifender Sonnenschimmer auf spiegelnde Flächen trifft. Er war kleiner als Mangold, aber schlank und vornehm gewachsen, und sein Wesen hatte viel von der sanften Güte und leuchtenden Reinheit der Mutter, an deren Stimme auch die seine im angenehmen Ton gemahnte, ob sie gleich schon ganz männlich klang und mehr Reife vermuten ließ als der kaum noch sichtbare Bartflaum der Oberlippe.

So unterhielten sich die zwei auf ihre Art und bemerkten es kaum, daß der Burgherr, der ausgewesen, mit Kunz von Rosenberg zurückgeritten kam, und daß sonst mancherlei, wenn auch nichts Ungewöhnliches, in Hof und Haus vorging. Erst als die Tür zum Nebenraum einmal knarrte und sich ein Huschen, ein Kichern vernehmen ließ, dann ein Tritt und ein Räuspern, das des Jörg Dietzen Stimme verriet, runzelte Frowin die Stirn und sagte: »Der Schüler und die kleine Nürnbergische, die treibens heut wieder miteinander.« Das Elslein drauf: »Ich glaub, er freit wirklich um sie.«

Frowin: »Ja, ja. Sie hat ihn fein am Haken und zieht ihn hin und her, wie sie mag. Solch ein Karpf, denkt sie wohl dabei, laßt sich aufheben für alle Fälle.«

Das Elslein: »Ob das wohl der Frau Agatha recht ist?«

Frowin: »Der mag manches nit recht sein an ihrem Töchterlein, kommt ihr aber nit bei. Der Federfuchser wird überhaupt kecker von Tag zu Tag. Wir müssen ihn wieder einmal tauchen, ihm einen Tort antun, der Miltitz und ich.«

Das Elslein: »So wie neulich, da ich ihm auf euer Geheiß Wams und Hosen vernähen mußt.«

Frowin: »Horch! Was soll das geben?« Er bog sich schnell zum Fenster hinaus. Ein heftiges Blasen von Reitertrompeten kam über den Berg heran auf das Schloß zu. Aber es klang wahrlich nicht schön, sondern schrill und schneidend falsch durcheinander, ähnlich dem Geschrei einer Gänseschar. Auch das Elslein hatte sich hinausgelehnt, und das schmale Fenster 247 ließ es nicht anders zu, als daß beide hart aneinander lagen, und sein Arm auf ihrer Schulter ruhte.

Jetzt wurden die Bläser im Torweg sichtbar und näherten sich der Burg. Drei Reiter waren es, und in was für wunderlichem Aufzug! Der eine grellgrün, der andere grellrot, der dritte grellgelb gekleidet, und auf solchem Grund ließ es keiner von ihnen an mehrerem Farbengeschrei fehlen, so daß man nicht wußte, tat ihr Blasen mehr den Ohren, ihr Anblick mehr den Augen weh. Gleicherweise waren ihre Gäule mit den tollsten Schabracken behängt, und auf den Köpfen trugen Mann wie Roß Pfauenwedel und Federbüsche, daß es schillerte und flimmerte in der Sonne, und überdem waren Mützen und Decken mit Schellen behängt, die bei jedem Schritt klingelten.

Der alte Torwart stürzte mit dem Hund aus seinem Häuschen hervor und stand verblüfft in der offenen Nebenpforte. Die Reiter hielten und setzten die Fanfaren ab. Einer verkündete was mit erhobener Stimme, wovon man mehrmals den Namen des Grafen von Rieneck verstand; ein anderer wies eine große Schrift vor. Mehrere Knechte kamen durch die Wehrgasse herbeigelaufen. Es gab ein Gelächter. Der Hund bellte wie verrückt. Der alte Leonhard öffnete das große Tor und ließ die närrischen Herolde ein. Die ganze Burg wurde aufgestört. Was Beine hatte, rannte zusammen, was Hälse hatte, streckte sie zum Fenster hinaus; die Hunde im Zwinger wußten sich nicht mehr zu fassen, aus jedem Gebäude, wo die bunten Bläser vorbeikamen, schlossen sich Gaffer und Begleiter an, so daß schließlich im Binnenhof vom Burgherrn bis zum Kaplan und Eseltreiber alles zu Hauf um die Reiter stand und aus der Kemenate das gesamte Frauenzimmer dazuströmte. Die Herolde aber, nachdem sie mit großer Feierlichkeit und gräßlichen Mißtönen, so daß alle die Ohren zuhielten und schrieen und lachten, ein neues Signal geblasen hatten, setzten die Trompeten auf die Knie, und der mittlere begann aus einer großen Schrift mit lauter Stimme zu lesen:

»Wir Eberhard von Gottes Gnaden des heiligen römischen Reichs Graf zu Rieneck entbieten allen Fürsten, Grafen, 248 Edlen, Freien, Herren, Rittern und Knechten, ingleichen allen edlen und schönen Frauen und Jungfrauen unsern Gruß zuvor. Als sich zu dieser Frist die Zeit anhebet, wo männiglich sich bereit auf das große, harte und trauervolle Fasten und Kasteien des sündhaften Leibes; ehdann man sich jedoch zu solch schwerer und wohlverdienter Buß anschicket, Leib und Seel für selbige will stark und dauerhaft machen, auf daß hinfüro ein jeglicher die mageren Wochen desto baß zu ertragen und mit größerem Verdienst und Kräften zu erleiden geschickt und imstand sei; darum allem nutzbaren Getier als Ochsen, Schweinen, Kapaunen, Hühnern, Gänsen, Enten, Fischen und sonst appetitlichen Wesen an Leib rücket und es zu verzehren bereitet mit Schmaus, Trunk, Tanz, Pfeifen, Zymbeln, Geigen und allerlei fröhlicher Manier; darbei aber auch aller menschlichen Narrheit und Torheit Zwang, Drang, Fessel, Kerker, Ketten, Sitten und jegliche Hinderung nach uraltem Brauch wird abgehoben, auf daß sie frei und ledig einhergehe in aller Unschämigkeit als ihr beliebt und zukömmt, und sich zu Tod tanze, tobe und falle und nimmer des Leibs und der Seele nachfolgender Buß und Heiligung im Weg sei: Also haben wir solcher Frist und uralten Brauchs gedenkend einen großen Narrenteiding auf Herrenfaßnacht ausgeschrieben nach der guten, unserer lieben und getreuen Stadt Gemünden, zwischen Main, Sinn und Saal gelegen, wo die zusammenfließen, und laden hiemit alle des heiligen römischen Reichs deutscher Nation und des Landes zu Franken insonders Narren beiderlei Geschlechts auf solchen Tag, und möge kommen und bringen und zur Schau tragen jeglicher und jegliche die Narrheit, so ihnen ererbt, erworben, zu Lehn oder eigen, und sollen sich allda versammeln, teidigen und tagen die Narren aller Art, hohe und niedere, edle und gemeine, Stadtnarren, Landnarren, Haus-, Hof-, Dorf-, Schloßnarren, Roßnarren, Hundenarren, Jagdnarren, Sauf- und Raufnarren, Adelsnarren, Wappennarren, Stammbaumnarren, grobe und feine Narren, freudige, leidige, neidige Narren, dumme und frumme Narren, Redenarren, stumme Narren, fahrende und sitzende Narren, Kleidernarren, Schneidernarren, Hosennarren, Stiefelnarren, 249 Büchernarren, Betnarren, Lästernarren, Maulnarren, faule Narren, Freßnarren, Hungernarren, arme Narren, Geldnarren, Narren zu Hauf und Einödnarren, verliebte und betrübte Narren, grimme, schlimme, wilde und milde Narren, gute Narren, traurige und schaurige Narren, Hansnarren, Klausnarren, Kunznarren, Allerweltsnarren. Und soll ein solcher Narrenreichstag küren siebenmal sieben Narren-Kurfürsten geistlichen und weltlichen Stands, und sollen solche Kurfürsten sein die fürnehmsten an Narrheit und küren den allergroßmächtigsten, durch und durch finstersten, allernärrischesten Narren zu einem Narrenkönig deutscher Nation und krönen zum Narrenkaiser aller Welt, auf daß er herrsche und regiere in glänzender, großmächtiger, fürstlicher Narrenpracht drei Tag und drei Nächt bis an den grauen Mittwoch der Aschen früh. Sintemal aber kein rechter Narr kann ohne Närrin sein, und eines jeglichen Narren Narrheit wird gedoppelt, gedreifacht, gezehnfacht, gehundertfacht durch die Närrin seiner Narrheit, also soll ein jeglicher Narrenmann bringen oder nehmen seines Herzens Narrenweib, und soll auch der König nehmen eine Narrenkönigin, und soll ihm zugricht sein eine große Narrenhochzeit und Heimführung und Mummerei, Narrenhof, Narrenstechen, Narrenstechhof, Narrenreihen mit Fressen, Saufen, Klingen und Springen drei Nächt und drei Tag. Auf solchen Narrentag, Narrenteiding, Narrenhochzeit, Narrentanz zu Herrenfaßnacht wollen wir laden und bitten, und sollt ihr Narren allesamt kommen nach Gemünden, der närrischen Stadt, zu Roß, zu Wagen, zu Schiff, zu Fuß, auf Händen, auf dem Kopf, auf dem Hintern, allwie es euch beliebt und gemäß. Und soll ein jeglicher Narr; der solchem Heerbann nit folgt, bedroht sein mit harter Straf und Pön; ein jeglicher aber, der getreu ist und folget, soll belohnet sein mit Essen, Trinken, Tanzen, Narrenlust und Narrenfreiheit aller Art.

Solches zu verordnen und kundzutun haben wir ausgesandt unsern lieben und getreuen Junker David Truchsaß von Rieneck, Ritter, mit diesem Brief, geben zu unserer Narrenburg Rieneck vorm Spessart auf Lichtmeß a. d. 1521 unter unser Insiegel.«

Nun setzten die dreie wieder ihre Fanfaren mit den 250 herabhängenden Wappenstandarten an die Lippen und bliesen einen neuen grausamen Tusch, in den Menschen und Hunde mit ungeheurem Lärm einstimmten. Dann saßen sie ab und wurden in großen Ehren ins Haus geleitet. Mangold rief dem Tucher, der auch beim Fenster herabgesehen hatte, zu, daß er kommen möge, und während der Verlesung des Sendschreibens waren hinten im Tor noch Fritz von Thüngen und Reinhard von Nisika erschienen.

Das einzige bitterböse Gesicht im ganzen Hof machte der Burgpfaffe, der unter der Tür zum Vorraum der Kapelle stand und hinter der Brille gewaltig die dicken Augen rollte. Als Mangold auch ihn aufforderte, sich in die Kemenate zu begeben, kehrte sich der geistliche Herr nur mit kurzem Brummen um und verschwand in seiner Höhle gleich einem Dachs, der zu Lichtmeß seinen Schatten gesehn hat und wieder auf sechs Wochen schlafen geht.

Alsbald war oben in der Halle ein lustiges Schmausen und Bechern im Gang. David Truchseß wiederholte die Faßnachtsladung persönlich und einzeln an jede der Damen insonders, wobei er von der Hausfrau sogleich eine unwirsche Absage erhielt. Was der Graf wohl dächte, sie sei doch noch nit närrisch geworden auf ihre alten Tag, man möge sie als Hausnärrin gelten und zu Hause lassen und so weiter. So wandte sich der Herold an Frau Agatha, was einen zwar anderen, aber nicht besseren Erfolg hatte. Denn die Odheimerin sagte freundlich aber entschieden, daß solche Mummerei und Lustbarkeit ihr nicht zieme. Dem entgegen erwiderte sofort der Pfeifer, das Unziemliche zu tun als sei es das Ziemliche, darin bestehe eben die Narrenfreiheit und der Sinn der Faßnacht, und kurz und gut, es sei jedes vernünftigen Menschen Pflicht, zu Faßnacht der Narrheit seinen Zoll zu geben. Auch Mangold, der sehr heiter und aufgeräumt war, redete der Odheimerin zu und sagte, er wolle selbst nach Gemünden ziehn und ein Narr werden. Am meisten aber bestürmten sie, von ihren Verehrern unterstützt, das Elslein und die Helena, da sie fürchteten, sonst nicht mitgenommen zu werden. So mußte Frau Agatha schließlich halb und halb nachgeben. 251

Herr Endres Tucher stand vor der Tür zum Saal und blickte lächelnd in das geräuschvolle Treiben um den Tisch.

»Nun, wie behagts Euch unter den Junkern?« fragte ihn Fritz von Thüngen.

Der Tucher schüttelte den Kopf. »So möcht ich nit leben, wie ihr es tut,« sagte er. »Den Tag in Nacht, die Nacht in Tag verkehren, jetzt reiten, jetzt jagen, jetzt einfallen bei einem Freund und Schwager und ihm das Seine in Küch und Keller ausrotten als der ägyptische Heuschreckenschwarm, um für den andern Tag im eigenen Haus sich des gleichen versehen, jetzt Schlägerei und blutiger Ernst, und gäh daran Schimpf, Kurzweil, Mummerei – ihr seid wahrlich die ewigen Faßnachtsnarren, und wär die Welt nit so ernsthaft, es möcht euch hingehn. So aber seid ihr aller Ordnung ewige Zerstörer und alles Kriegs Aufrührer und könnt ohne Wirrwarr nit sein. Und nie werdet ihrs zu Wohlstand bringen und andere Leut dazu bringen lassen.«

»Ecce civem!« sprach der Pfeifer, der in der Nähe stand. »Und sagt mir, Herr Tucher, zu welchem End bedarf es in der Welt des Wohlstandes?«

Herr Endres sah ihn verwundert an. »Wahrlich!« sagte er, »solche Frage könnt ich Euch nur zur Faßnacht beantworten. Ein ordentlicher Mensch, däucht mich, strebt nach Wohlstand, und Wohlstand macht ordentliche Menschen.«

Der Pfeifer drauf: »So ist es, und drum ist der Wohlstand aller Tugenden Ende, macht feig und faul, tötet das Herz und den Geist. Und darum hat Gott in seiner Weisheit denen Bürgern die Reuter auf den Nacken gesetzet, auf daß der Wohlstand nicht die ganze Welt überwachse und alles tapfere Leben darunter ersticke, als in einem Sumpf. Ich sag Euch, Herr Tucher, es gibt im Leben keine größere Versuchung als die, ein ordentlicher Mensch zu werden. Wohlhabend sein oder werden, in einer ordentlichen Werkstatt arbeiten, und dann mit Weib und Kind auf der Feierbank hocken, das ist so einfach. Aber das Geld für Mist achten, es nehmen wies kommt und wo mans braucht, und sei es von Leuten, um es wieder dahin rollen zu lassen, ein Reuter und Schnapphahn sein, zwischen Rad 252 und Galgen hart mitten durch, daß oft die Wamsfetzen hängen bleiben, das ist Mut, und Mut ist aller Tugenden Vater und Anbeginn.«

»Brav, Pfeifer! Das ist nach meinem Herzen gesprochen!« rief Fritz von Thüngen.

Der Tucher strich den Bart und sagte: »Ein jeder siehts mit den Augen, die er hat.«

Der Pfeifer drauf: »Drum däucht ihm die Welt voller Narren, und er der Kluge darin.«

 


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