Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Dämmerung

Novembernebel und kahle, tropfende Bäume. Kein Wald, kein Fluß. Das Dach der Roßmühle verschwamm im dichten Qualm. Es wollte Abend werden. Das Fenster der Wirtsstube glomm.

Die Trudel blaß und schlank wie eine Herbstzeitlose lehnte in der Tür und horchte, denn sie vernahm Pferdegang vom Dorf herunter. Reiter tauchten dunkel, ungewiß und übergroß im Dunst vor dem Gartengitter auf. Sie kamen herein, auf einem dampfschnaubenden Rappen der erste. Und dennoch, es war der Junker vom Brandenstein. Und hinter ihm der Schimmel des Pfeifers und noch fünf oder sechs zu Roß. Die Reiter warfen sich ab. Der lange Hans lachte dem Mädchen zu. Die Trudel schlüpfte hinter die Tür. Der Ebersteiner im Harnisch ging langsam schweren Trittes in das Haus und wandte sich der Stube zu. Eine dürre Katze mit grünglühenden Augen flüchtete zur Küche. Als er die Tür öffnete, fuhr drinnen beim Ofen ein starker, schwarzer Mann von der Bank in die Höh. Er hatte einen Streithammer in der Faust. Es war Hans Thomas von Absberg. Mangold prallte zurück. »Ah – du bists,« sprach der von Absberg. »Nur herein, nur 354 herein.« Er setzte sich wieder hinter seinen Humpen. Seine breiten Zähne, seine dunkel glänzenden Augen lachten. Die Zunge schien ihm ein wenig schwer.

Mangold, ohne ihn recht anzublicken, sagte kühl: »Guten Abend.« Er ließ die Tür hinter sich zufallen und sah in der schmierigen Stube umher. Endlich saß er müde auf die Bank am andern Ende des Tisches nieder und nahm den Helm ab.

Der schwarze Thomas betrachtete ihn lauernd: »Viel umgeritten?« fragte er.

Mangold nickte.

»Kaufleut gefangen?«

Mangold schüttelte den Kopf. Er stand auf, ging zur Tür, öffnete sie halb und rief den Reitern zu, die vor der Küche standen: »Bring mir einer was zu trinken.«

Dann warf er sich wieder hin und streckte die Beine vor sich. Er schloß die Augen. Die Stube war voll dumpfer, stickiger Luft. Die Fliegen summelten um die trübe Öllampe, die von der braunen Balkendecke niederhing. Der Schau kam, stellte eine Kanne vor den Junker und ging wieder. Mangold erhob sich, trat zum Fenster und riß es auf. Die neblige Luft rauchte herein. Nun saß er wieder, tat einen Zug aus der Kanne und schwieg. Auch der andere blieb stumm. Nach einer Weile sagte Mangold: »Was die gereisigen Knecht teuer werden, man sollts nit glauben. Zwölf Gulden fordern sie schon auf den Monat, auch funfzehn.«

Der Absberger: »Brauchst du Reuter?«

Mangold: »Ja, viele. Drum reit ich soviel umher.«

Der Absberger wandte ihm kurz die schwarzen Blicke zu, trank und stützte dann Hände und Kinn auf den Streithammer, den er zwischen den Knien hielt.

Mangold sagte: »Viel reisiges Volk lauft dem Sickingen zu oder andern, die gut zahlen. Ein jeglicher Herr, groß oder klein, kauft heut Soldaten. Und was sich will gebrauchen lassen, das zeucht in die Lande am Rhein.«

Der Absberger mit einem Lächeln: »Sie wittern Krieg und fliegen dahin wie die Raben in Scharen. Die Söldner und die Raben, die wissen schon immer zuvor, wo es Aas geben wird.« 355

Nun schwiegen sie wieder. Ab und zu tat einer einen Trunk. Der Absberger sah den Ebersteiner mehrmals von der Seite an und immer mit einem etwas spöttischen Blick. Mangold schien abgespannt und der Ruhe bedürftig. Er lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und blickte durch halbgeschlossene Lider vor sich hin. Der schwarze Thomas nahm einen Schluck, wischte den Bart und sprach: »Eberstein, dir gehts schlecht.«

Mangold schlug die Augen auf, sah flüchtig zu ihm hinüber und erwiderte nichts. Der von Absberg nickte, lächelte und hob die Kanne mit den Worten: »Und mir gehts gut.«

Mangold musterte ihn. Der Mann war, seit er ihn nicht gesehen hatte, noch schwerer und fetter geworden. Sein Gesicht war gelb und aufgedunsen. An den dicken Fingern der Linken staken zwei Ringe mit großen Steinen.

»Ja, mir gehts gut,« sagte der Absberger, den Arm an den Tisch und den Bart in die Hand stützend. »Mein Handel wider Nürnberg gedeiht – und der deine nicht.«

Da Mangold nicht antwortete, fuhr er fort: »Ich sollt dir gram sein. Vor drei Jahren schier, da wir uns hier trafen, da seid ihr nit gar freundlich zu mir gewesen – gedenkst du's noch? – Du, der Thüngen und der lange Voit. Aber,« er ließ die Hand auf der Tischplatte spielen, »was schert mich das? Was scherts mich, ob die Leut mich mögen oder nit? Ich leb und ich leb nit schlecht.«

Abermals gab es ein längeres Schweigen. Dann hub der von Absberg wieder an: »Dazumal hast du mich einen Rauber genannt – he? Der bin ich auch. Und du hast keiner sein wollen dazumal, da du den Handel begonnen. Du tätst es des Rechtes halber, das die Frau hätt, sagtest du. Nu – und was hast du itzt davon? – Hättst du mehr aufs Geld geschaut und weniger aufs Recht und die Frau – sie hätt ihr Recht – und du wärst heut ein reicher Mann.«

»Wer hat dir das gesagt?«

»Der Lorenz von Rosenberg.«

»So.«

Beide tranken. Der Absberger sprach weiter: »Itzt aber hast du dich mit der Ritterschaft verzankt und brauchst reisige 356 Leut. Hab ich mich je auf die Ritterschaft verlassen? Ha! – Die hättst du kennen mögen so gut als ich. Dumm als die Gäul sind sie, und wanns zuruckschlagt, da hat jeder bald des Seinigen zu warten.«

Mangold sah vor sich hin und nickte.

»Und itzt hat der römische Kaiser dir auch abgeklagt und dich in die Acht getan?«

»Ja.«

»Ha! An die zehn Jahr bin ich in Acht und Aberacht. Hats mir ein Meit geschadt? Ich sag dir, die Acht, die gibt erst die rechte Freiheit und das rechte Ansehn auf der Bahn. Da wird man erst der rechte Straßenschreck. Hätt ein Kaufmann selbst Waffen, er ist als vorn Kopf geschlagen und regt kein Glied, wann ich da steh und sag, wer ich bin. Sie zahlen, was ich will. Ein kaiserlicher Achtbrief, der ist ein kaiserlicher Zollbrief für alle Straßen des heiligen Reichs. Und als darin steht, es dürft dem Ächter keiner helfen und männiglich schaden, just das Gegenteil hat statt. Dann ein jeglicher denkt: der hat nichts zu verlieren, es sei dann sein Leben, mir aber kann er großen Schaden tun. So hilft dir mancher gern, weil er mehr Angst vor dem Ächter hat dann vor dem Kaiser.«

Der Ebersteiner lachte auf.

»Was lachst du?«

»Weils wahr ist, was du sagst. Armer Kaiser, armes Reich!«

Er tat einen Zug.

Hans Thomas räusperte sich und spuckte auf den Boden. Dann den Ebersteiner von unten her anblinzelnd: »Alsdann, wann es wahr ist, was ich sag – wer hat besser getan seit drei Jahren, ich oder du?«

Mangold achselzuckend und die Mundwinkel herabziehend: »Du.«

Wieder lächelte der Schwarze und sah zu Boden. Mangold tat einen scharfen, hellen Blick über ihn her wie ein Raubvogel. Der Absberger richtete sich auf und wandte ihm die dunklen Augen zu, aber er verkniff sie ein wenig in den schweren Lidern. 357

»Eberstein,« sprach er mit gedämpfter Stimme und wälzte sich näher heran. Sein Atem roch stark nach Wein. »Eberstein, itzt will ich dir abermals wahrsagen: die Raben fliegen, und die wissen warum. Es wird Aas geben, viel Aas am Rhein und anderswo. Wohl dem, der ein gutes Schwert hat, daß er sie füttere, und nit selbst Rabenfutter werde.«

Er trank, setzte den Krug hin, rückte noch näher, hob den Zeigefinger der Rechten und zog mit den Brauen die Augendeckel in die Höh. »Eberstein, mit dem Reiten selbdritt, selbfünft, selbzwölft oder so kleinweis und auf der Bahn liegen, das hat ein End. Dann es ist ein neu Geschlecht aufgestanden und mehrt sich als die Raben, das sind die Landsknecht. Und die fliegen zu, wo Geld ist, und die Städt und die Fürsten, die haben Geld, drum sie auch den Bund miteinander geschlossen haben. Und Geschütz haben sie auch. Der Edelmann aber, der wird weggeputzt. Vordem, wann sie unsereinem zusetzten und ihn jagten, da ist er auf sein Nestlein geflogen, auf ein hart, steil Schloßlein über hohem Stein, und hat ihnen was hinunter geschissen. Jetzt rucken sie mit dem groben Stuck an und scheußen dir den besten Burgstall in Fetzen. Drum ist not . . .«

Mangold: »Daß der Adel zusammenhalte!«

Der von Absberg: »Ha! – Du hast gesehn an dir selber, wie daß der Adel zusammenhalt. Nein, Schwager, not ist, daß einer es wahrnehm und Landsknecht kaufe. Dann siehst du,« er schob sich noch mehr heran, »ein Ritter sein, hui! hui! auf gutem Roß mit langen Sporen an den Beinen und sagen: Da bin ich, da steh ich, wer will was von mir? – das ist vorbei. Heut ist der Hauptmann Trumpf, der Hauptmann über viele Landsknecht. Ein solcher muß man werden, ein Feldhauptmann mit einem Haufen Soldaten hinter ihm und Geschütz darzu, dann hast du das Heft in der Hand. Der Sicking, der hats wahrgenommen, siehst du, der ist heut die Macht im Reich.«

Mangold: »Ich spürs. Ich krieg keine Leut deshalb.«

Der Absberg, mit den fetten Fingern die Bewegung des Zahlens machend: »Da – das ists. Lanz, Lanz – Geld, Geld. Man kriegt sie schon, man muß nur geben.« 358

»Und woher nehmen?«

»Pah! – Von den Bäumen nit – von den Leuten, dies haben.«

»Sagst du doch selber, auf der Bahn liegen, das hätt ein End.«

»Schwager, sind wir beide so arme Hund? Zwo, drei Fähnlein, die stellten wir schon auf miteinander und hielten sie ein paar Monat.«

»Das ist nit viel. Und Geschütz und Reuter dazu.«

»Es kunnt auch leicht mehr sein. Reuter, ein paar hundert, die gehn drein. Wer hälts dann noch mit dir in der Ritterschaft?«

»Nimmer gar viele. Der Fritz hat recht gehabt, es ist kommen, als er gesagt: Mein Handschuh, der liegt still auf dem Schwarzenfels, und hat ihn keiner aufgehoben bis heut, aber daß ich niemands Hilf und Beistand mehr brauch, das hat sich mancher nit zweimal sagen lassen.«

»Ja – die Ritter!« lächelte spöttisch der Schwarze. »Aber ich mein, so du wieder den oder jenen bitten tätst . . .«

»Nein!« fuhr Mangold mit blitzenden Augen auf.

»Etliche halten ja noch zu mir,« fügte er nach einer Weile ruhig hinzu. »Der Fritz von Thüngen, der Voit, mein Vetter zu Ginolfs, Philipp von Rüdickheim, Heinz Kottwitz, Wilhelm Fuchs, die Brüder Nisika, die sagten mir, oder ließen mir sagen, ich könnt mich ihrer und ihrer Hilf wohl versehen wie vordem. Die Rosenbergischen – die bleiben mir auch. Aber Zeisolf hat sich schon vordem sickingisch gemacht und wirbt für den Franz.«

Der Absberger nach einigem Sinnen: »Gut, da wären wir sieben oder achte. Zehn, zwölf Pferd hat ein jeder leicht, außer dem Voit, dem einspannigen. Geschütz hab ich etwelches . . .«

»Ich auch.«

»Und die Rosenbergischen haben zu Poxberg schwere Stuck. Und das Geld, das schaffen wir, – du und ich.«

»Woher?«

»Vom Juden.«

Mangold schwieg und blickte gegen die Wand. 359

Der andere fuhr fort: »Mit zwanzigtausend Gulden zuvörderst langen wir. Vier Gulden die Lanz, das macht für zweitausend Spieß auf den Monat achttausend Gulden. Zehn Gulden die Muskete, zehn bis zwölf auf das Fähnlein, zwölf der Feldwaibel, zwanzig der Fähndrich, Hauptleut sind wir selber. Zweihundert Reuter zu funfzehn einer sind dreitausend Gulden auf den Monat, der Stuckmeister zwölf oder funfzehn Gulden – das geht.«

»Und so viel Geld gibt uns der – der Jud?«

»Ha! Davor bist du ihm gut allein. Du bist fast reich und hast den Tucher.«

»Den hab ich nimmer.«

»Wie? Hast du den ledig gelassen oder etwan zur Höll geschickt?«

»Er ist mir entronnen.«

Der Schwarze fuhr zurück. »Potz Leichnam! Wie ist das geschehn?«

»Wüßt ichs, es wär mir lieb. Aber ich habs bis heut nit erforschen mögen. Kurz, er ist weg.«

»Ist dann dein Schloß so schlecht verwahrt?«

Mangold zuckte die Achseln. »Ich hatt zuletzt viel Leut auf dem Schloß, Bauern und Handwerker. Und mein guter Vogt, der war mir gar krank worden und konnt nimmer so aufpassen. Und ich bin viel auf der Bahn. Vor acht Tagen etwa, da ich heimkam, war der Tucher fort. Den Vogt, den hat das so darniedergeworfen, daß er mir versturb noch in selbiger Nacht. War ein guter, treuer Gesell, Gott sei ihm gnädig.«

»Und weiß keiner, wie der Tucher auskommen?«

»Keiner. Das Gitter am Fenster ist heil, und durchs Tor will ihn niemand haben entwischen sehn. Es muß Verrat dabei sein. Ein Nürnberger, der Schreiber ist bei mir, auf den haben wir Verdacht zuvörderst. Aber der war auf dem Steckelberg zur Zeit, und ist ihm keine Schuld zu erweisen. Trotzdem, ich halt ihn scharf seitdem. Ein anderer Fremder, eines Gefangenen Knecht, Hans Kürn mit Namen, der ist fortgeritten, zween Tag zuvor, daß der Tucher entfloh, und nimmer kommen zeither. Und beide sind so gar verschollen, 360 daß keine Nacheil keine Spur mehr konnt finden. Ich acht, er sei über Gelnhausen auf Frankfurt und halt sich da verborgen. Soviel Reuter wir haben, die liegen itzt auf den Straßen zwischen Frankfurt und dem Spessart und passen ihm für. Mag aber auch sein, er ist in Fulda. Mit dem Abt hab ich Feindschaft, und der bringt ihn vielleicht weiter nach Eisenach und Leipzig.«

Der Absberger war aufgestanden und schritt hin und her. »Das ist ein schwerer Schaden,« sagte er.

»Ja,« versetzte Mangold. Dann sah er ihn spöttisch von der Seite an und sagte: »Itzt ist dir wohl die Lust vergangen, mit mir einen Haufen zu werben?«

Der schwarze Thomas wandte sich breit herum. Sein dunkler Blick begegnete voll dem hellen, scharfen des Ebersteiners. So mögen sich ein Kolkrabe und ein Habicht anblicken, wenn sie über einer Beute einander treffen.

»Glaubst du,« sprach der Absberger langsam, »glaubst du, ich sei ein Junker wie mancher und ließ das Jagen sein, weil mir ein fetter Vogel entwischt ist? Ha! Wir können andere fangen. Schad um den Tucher.« Er begann wieder sinnend zu schreiten. Seine Augen gingen unruhig hin und her. »Jedennoch,« fuhr er fort, »auf einen Vogel kommts nimmer an. Wir müssen ein größer Jagen anheben mit vielen Hunden. Schad um den Tucher – freilich. Der Jud hätt viel auf ihn gegeben. Aber – er wirds geben auch so. Und letztlich, was wollen wir machen, Mangold?« Er stand und sah ihn an. »Sie wollen uns jagen mit vielen Hunden, der Kaiser und die Nürnberger.«

Mangold: »Der Graf von Wertheim hat Exekution wider mich und meine Helfer, zuvörderst Fritz von Thüngen und die Rosenberger.«

Der Absberger: »Das weiß ich. Wann wird er anrucken?«

»Ich hab Kundschaft, er wollt den Winter hingehn lassen. Er hat zu wenig Leut.«

»Die müssen wir ihm zuvor abkaufen.«

»Der Bischof zu Würzburg, dem setzt der Kaiser hart zu, er müßt dem Grafen zu Fuß und zu Roß Beistand tun bei seiner Pflicht als ein Fürst des Reichs.« 361

»Ja, ja, Schwager, wir brauchen Landsknecht.«

»Und so wir die hätten, ruckten wir auf Nürnberg?«

»Ha! – daß wir uns die Schädel einrennen. Nein, zuerst rucken wir dem von Wertheim ins Land, verbrennen all seine Dörfer, belägern Stadt und Schloß.«

»Das Schloß ist gar fest. Er baut viel.«

»Wir scheußen ihm die hübschen Erkerlein herunter. Nach ein paar Wochen wird er mürb sein zusamt Schloß und Stadt.«

»Und unser Geld ist hin.«

»Er wird uns funfzig oder sechzigtausend Gulden zahlen, daß wir abziehen oder mehr, so wir das Schloß und ihn kriegen. Mangold, ein Krieg lauft von selber. Um Futter ist mir nit bang. Wir fouragieren – das versteht der Landsknecht.« Er lachte. »Haben wir erst einen Haufen, dann sind wir die Herren. Wir ziehen da und dorthin und machen Rauch und Stank. Man zahlt uns, daß man uns los sei, man zahlt uns, daß man uns habe. Wir legen uns über Main und Spessart, und kein Nürnberger Pfeffersack kommt auf Ostern zur Frankfurter Meß oder zuruck. Geld und Leut laufen uns zu. Wir lassen den Sicking wissen, daß wir ihm zuziehn wollen, wann er auf Trier losgeht. Er streckt uns Geld dar, so es uns ausging. Und am End rucken wir zu ihm und helfen, ihn zum Kurfürsten zu machen oder zum Kaiser gar. Dann was habt ihr nun von eurem Kaiser Karl, daß er hat gewählt sein müssen, sonst wollt die Ritterschaft – ha! – die Kurfürsten erschlagen und einen großen Krieg um des Reichs Ehr gemacht haben? Was habt ihr itzt von dem hispanischen Pfaffenkönig? Die Städt haben ihn im Sack, dieweil er den Bürgern Geld schuldig ist, und der Dank dafür, daß ihn die Ritterschaft zum Kaiser gemacht, das ist der Wurmser Landfrieden und der Krieg wider den Adel.«

Er trank aus und stieß mit dem Streithammer dreimal auf den Boden. Sogleich erschien der Wirt und brachte neuen Wein für beide.

»Schön,« sagte Mangold, als sie wieder allein waren. »Und wanns nit so schön, sondern krumm geht?«

»Schwager, könnt es krümmer gehn, als wann wir warten, bis daß uns der von Wertheim und die Nürnberger jagen 362 mit hellen Haufen? Freund, es rollt, und wer zuvorkommt, der hat gewonnen.«

»So mag es rollen. Du hast recht, es muß gehandelt sein und risch, darin sind wir einer Meinung. Nun sag mir noch, wer soll der öberste Hauptmann sein?«

»Du, weil du viel erfahren bist im Krieg.«

»Wohl dann, so ihr mir vertraut und mich wählt, will ichs führen, so gut als ich kann, und Gott helf mir dabei.«

»So laß uns ein hartes Verbündnis schließen, Eberstein,« sagte der schwarze Thomas ihm die Hand hinstreckend.

Mangold schlug ein.

»Die Not bringt manche in einen Stall,« fügte der Absberger lächelnd hinzu.

Mangold nickte. »Aber das Geld,« sagte er dann.

Der Absberger drauf: »Ich schaff es, so du dich als einen Bürgen stellst.«

»Wie tu ich das?«

»Mein Jud, der Chajm Wachtel, soll heut noch herkommen. Ich hab ihn getagt, dieweil ich ohnedem zu reden hätt mit ihm. Dem bezeugst du, daß du ihm mit mir schuldig sein willst die zwanzigtausend Gulden.«

Mangold schwieg und sah finster vor sich hin. »Muß das sein?« fragte er dann.

Der schwarze Thomas lachte. »Du magst mit dem Juden nit reden?« sagte er. »Ei, noch immer so fürnehm! Wirst's auch lernen. Glaubst du, der Franz, der tut es anders? Auch der hat seine Juden. Ich sag dir, wer Geld frißt, der muß Juden fressen, dann die habens und stecken drin, als die Finnen in der Sau. Wer gäb dir sonst so viel? Etwan ein Kaufmann oder eine Stadt? Ja, der Tucher – aber der ist dahin! Aber der Jud, der gibt diesem und jenem, dem Kaufmann und dem Ritter, und seien sie einander feind erst recht. Dann er lebt vom Hader der Christen und von der Unordnung im Land; die rührt das Geld auf, wo es stecken mag, und bringts durcheinander, die macht Not, und da hat er seinen Wucher dabei.«

Mangold hob seine Kanne und blieb stumm. Der Absberger war nachdenklich hin und her gegangen. »Doch,« fuhr er 363 fort, »du mußt den Juden gar nit sehn, so du nit magst. Laß mir eine Schrift da, worin geschrieben steht, daß du mir bürgst. Und so der Jud noch einen Bürgen will, dann reit ich zum Fritz nach Zeitlofs.«

»Gut,« erwiderte Mangold. »Ich reit heut noch hin und bleib zur Nacht bei ihm. Ich will ihm sagen, was wir beschlossen haben.«

Sie ließen nun Schreibzeug bringen und den Pfeifer holen, der mit der Feder besser umzugehen wußte als die Ritter. Dann wurde eine Urkunde aufgesetzt des Inhalts, daß Herr Mangold von Eberstein und der Herr Thomas von Absberg dem Chajm Wachtel zwanzigtausend Gulden schuldig seien und dafür mit ihrem Hab und Gut haften wollten. Sie gaben ihre Siegel darunter. Mangold verabredete mit dem von Absberg einen weiteren Tag im Zeitlofs bei Fritz von Thüngen, zu dem auch die von Rosenberg, Nebukadnezar Voit, Heinz Kottwitz, Georg von Eberstein und Philipp von Rüdickheim berufen werden sollten. Dann nahm er Abschied, stieg zu Pferd und ritt mit seinen Leuten hinweg.

Der schwarze Thomas hatte ihn bis ans Gartengitter begleitet und sah den Reitern nach, wie sie in Dunst und Dämmerung verschwanden. Der Nebel hatte sich noch schwerer und dichter ins Tal gesenkt. Es tropfte und troff von den nackten Ästen der alten Linde, es rieselte staubfein aus den Schleiern. Das helle Fenster der Wirtsstube warf eine trübe Lichtbahn über den Garten hin. Er wollte ins Haus zurückkehren; da nahte etwas von der Straße her, kroch schleierhaft im Nebelrauch, wuchs dunkel schleichend und schlürfend heran. Der Junker blieb unter der Linde stehen und schärfte den Blick. Die Gestalt hatte einen feuchten Mantel um, ein triefendes Tuch überm Kopf, einen Stab in der Hand, einen Sack auf dem Rücken und schien ein altes Weib. Sie verbeugte sich tief. »Der Herr der Heerscharen segne die Wege des tapfern Ritters, er lasse hinsinken die Feinde vor der Schärfe seines Schwertes. Guten Abend, mein Balmerachem, ich bin gekümmen zu steigen zu dienen meinem großgünstigen Junker.«

»Ei, du bists, Wachtel?« sprach der Junker. »Ich meint, 364 du kämst erst später in der Nacht. Nu, gut daß du da bist. Wie gehn die Geschäfte? Was macht die Wachtel?«

»Wie sollen gehn die Geschäfte? – Schlecht. Was soll machen die Wachtel? Sie singt: Lobe Gott, lobe Gott. Wer sein die Reiter gewesen, die da sind gekommen zu reiten hinaus?«

»Das war der Herr Mangold von Eberstein, derer von Nürnberg abgesagter Feind.«

»Gott über die Welt – der Herr von Eberstein! A scheener Herr, a stolzer Herr. Er macht nix Geschäfte mit mir.«

»Wachtel, willst du ein Geschäft machen mit dem Junker von Eberstein?«

»Haste Frag, ob ich will machen ä Geschäft mit ihm! Bei dem geht doch was im Reitergeschäft, und a Rab hat mehr weiße Federn als Schulden er.«

»So komm herein.«

Er schlüpfte hinter dem Junker ins Haus und in die Stube. Dort warf er Sack und Hülle ab, stellte den Stab in den Winkel und blieb vor dem Tisch stehen, ab dem sich der Absberger niederließ.

»Was will machen der Herr von Eberstein vor a Geschäft?« fragte er sogleich, indem er sich die Nässe aus den Bartlocken wischte.

Der Absberger zog die Schrift aus dem Wams. »Da lies.«

Der Jude trat ans Licht, hielt das Blatt nah vor die Augen und las. Der Junker beobachtete sein Mienenspiel.

»Was soll sein?« sprach der Wachtel enttäuscht und ließ das Schriftstück sinken. »Er will haben zwanzigtausend Gülden?«

Der von Absberg: »Freilich. Die sollst du uns geben.«

Der Jude: »Wie haaßt? So viel Geld?«

Der Junker: »Nu – sind wir dir nicht gut davor?«

Der Jude: »Er – jo.« Noch einmal unterzog er Schrift und Siegel einer genauen Prüfung. Dann dachte er nach und pflügte dabei mit krummen Fingern seinen Bart.

»Nü,« meinte er, »werd ich schauen, werd ich trachten, wo ich schaff zu bringen so viel Geld. Wer weiß, kann ich . . .«

Der Absberger unwirsch: »Du wirst nit lang schauen zu trachten, sondern du wirst es hergeben.« 365

Der Jude noch bedachtsamer den Bart pflügend: »Was will der Herr von Eberstein machen mit dem Geld?«

»Krieg wider Nürnberg.«

»Gott soll hüten! Nürnberg is a starke Stadt mit hohe Mauern.«

»Landsknechte wollen wir werben, wie der Franz von Sickingen, und einen großen Krieg machen wider die Städt. Und viel Junker werden uns helfen dabei.«

»Mboh! . . . Krieg kann sein a sehr gutes Geschäft und a sehr schlechtes. Der Herr von Eberstein hält gefangen den Herrn Endres Tucher?«

»Freilich! Der allein ist zwanzigtausend Gulden Schatzung wert.«

»Mboh, das is er wert. So viel kann der Herr Tucher zahlen vor sein Leben.«

»Also gib das Geld und schnell. Wir brauchen's.«

Der Jude strich den Bart von oben und unten und machte einen schiefen Kopf dazu.

»Viel Geld,« seufzte er dann.

»Risch, Wachtel,« drängte der schwarze Thomas. »Sonst mach ich das Geschäft mit dem Schlojm Isaak.«

»Der Isaak is a Nebbich, der bringt nix auf kane fünftausend Gülden. Werd ich bringen das Geld, gemacht. Werd ich fahren zu kommen nach Nürnberg und holen das Geld.«

»Nicht nach Nürnberg wirst du fahren, gleich wirst du es geben.«

»Ojweh! Jisroel! Woher nehm ich zu geben? Trag ich zwanzigtausend schwere Gülden mit mir im Sack wie Hadern?«

»Du mußt nicht nach Nürnberg fahren darum.«

»Gott! Soll ichs kratzen aus der Erd im Wald? Soll ichs schöpfen aus der Saal?«

»Wachtel, zu Brückenau ist eine Judengemeinde, die hat viel Geld, und ich weiß, dort holst du, so viel du willst.«

»Zu Brückenau haben sie nix so viel.«

»Die Juden zu Brückenau haben sich bauen lassen ein schönes Bethaus und habens sein kunterbunt lassen malen innen und außen. Die haben Geld genug.«

Der Chajm zögernd: »Güt. Wann mein Balmerachem 366 befiehlt, werd ich gehen zu steigen nach Brückenau und fragen, ob sie mir geben so viel Geld.«

»Und ich werde gehen zu steigen mit dir, mein lieber Wachtel. Heut noch wollen wir reiten in der Nacht.«

»Gott soll uns beschützen!«

»Er wird. Ich hab zwölf Reuter drauß im Holz liegen.«

»Ich kann nix reiten. A Pferd is Gefahr.«

»Ich setz dich vor einen guten Knecht auf ein fromm Rößlein. Wirst du den Brief hergeben!«

Der Jude hatte die Urkunde unvermerkt in seinem Rock verschwinden lassen. Nun zog er sie wieder hervor und betrachtete sie noch einmal. »Auf an Schuldbrief sollen stehen drei,« sagte er.

»Gut,« versetzte der Absberger, »so kann der Wirt noch seinen Namen dazugeben. Er ist unser Freund.«

Der Wachtel geringschätzig: »Wie haißt, der Wirt, der Chammer? Auf an Schuldbrief von an Junker sollen stehn drei Edelmänner.«

Der von Absberg ihm die Schrift wegnehmend: »Es wird noch einer unterschreiben, wann du willst.«

Der Jude: »Und wann sie zu Brückenau nix haben das Geld?«

Der Absberger: »Dann ruf ich den Herrn von Thüngen herbei, dem ist Brückenau zur Halbscheid untertan. Er wird kommen zu steigen mit vielen Reutern, und die Jüden werden geben das Geld.«

»Wird der Herr von Thüngen setzen seine Handschrift und Siegel unter den Brief?«

»Das wird er.«

»Hat der Herr von Eberstein sicher im Turm den Herrn Endres?«

»Er hat ihn.«

»Hat er ihn noch nix verkauft zurück an die Stadt?«

»Nein.«

»Ich möcht lieber holen das Geld von Würzburg, dort hab ich bessere Freund, die was haben mehr Geld und gebens billiger.«

»Wachtel, Wachtel!« drohte der Absberger. »Ich hab zu 367 Absberg einen tiefen Turm. Da leg ich dich hinein, wann du zu Brückenau keine Freunde hast.«

Der Chajm schlug einen bösen Blick unter sich und lachte dazu. »Wird mich mein Balmerachem nix werfen in Turm,« grinste er. »Werden wir kriegen Geld in Brückenau. Aber werden wir müssen zahlen zwölf vom Hundert.«

»Das ist uns gleich. Alsodann gibst du das Geld?«

Der Jude hob die Schultern. »Nü – werd ich geben – muß ich geben. Würd ich geben leichter, wann ich könnt sehen zu schauen den Herrn Tucher von Angesicht zu Angesicht, ob er ist am Leben und schaut gut aus.«

Der schwarze Thomas lachte unmäßig. »Vielleicht, wann du das Geld gebracht hast, wird dir zeigen der Herr von Eberstein den Tucher,« sagte er. »Und itzt wollen wir essen.«

 


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