Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Nacht

Es hatte am Abend geregnet. Nun dämmerte der Mond blaß durch schweren Wolkengang. Vor der Roßmühle am Gartengitter standen der Müller und der Landsknecht Löschenkohl, als warteten sie auf jemanden. Der Chajm Wachtel, im Lichtschein auftauchend, spähte aus der Tür, verschwand, erschien, spähte wieder und schlich zu den Männern hin: »Kimmt er noch nix?« fragte er mit seltsam bebender Stimme.

Der Wirt verneinte. Der Wachtel murmelte was wie eine Anrufung seines Gottes und lief gegen das Haus zurück. Er trabte, was er sonst nie tat. Auf halbem Weg wandte er sich wieder, trabte zurück und zischte. »Wird er kommen, Jisroel! wird er kommen?«

Der Wirt: »Weiß ichs?«

Der Landsknecht: »Der Ulrich wird ihn bringen, hat er gesagt.«

Der Jude: »Was wird ihm sagen der Ulrich, daß er wird kommen zu steigen?«

Der Landsknecht: »Daß sie Geld haben wölln und daß dus geben wirst.«

Der Wachtel grunzte was, zerrte mit verkrampften Fingern am Bart, kehrte sich, kehrte sich wieder und flüsterte: »Ist bereit der Trank?«

Der Müller unwirsch: »Ja.«

Der Jude: »Ist darinnen das Kraut?«

Der Müller brüllte ihn an: »Ja.«

Der Wachtel fuhr zurück und schwieg eine Weile. Dann flüsterte er noch einmal zitternd: »Ist auch – genug darin – von dem – Gewürz? Aber – macht kan solchen Krach!«

Der Wirt ärgerlich abgewendet: »Ja.«

Der Jude trabte dem Haus zu, blieb stehn, horchte, ging 422 weiter. Er bebte an allen Gliedern. In der von innen beleuchteten Tür der Mühle stand jetzt der fette Böhme, den sie Suppak nannten. Er trat hervor in den dunklen Garten. »Boze moi!« rief er plötzlich, »brennt! – brennt!«

Der Wachtel fiel beinah um. Der Böhme deutete nach Westen, wo eine düstere Röte über den Waldhöhen in die Wolken wuchs. Die Bärbel kam herausgeschossen. »Wo? – Wo?« krächzte sie.

Jetzt standen sie alle fünf beisammen vor der Linde und starrten talab. Auch die Trudel kam aus dem Haus gelaufen.

»Heiliger Himmel! Heiliger Himmel!« jammerte die Bärbel und rang die Hände. »Das ist Gräfendorf!«

»Gans!« fuhr sie der Müller an. »Da möcht man Flammen und Rauch sehn. Das ist viel, viel weiter.«

Der Landsknecht: »Ich acht, es ist bei Burgsinn.«

Der Wirt: »Ja, im Sinntal ists, nähender nit.«

Der Feuerschein stand unbewegt in den Wolken. Der Lauf des hochgehenden Flusses glomm ein wenig in den finstern Ufern auf. Die Waldberge zeichneten sich schwarz gegen die Röte.

»Heilige Nothelfer!« winselte die Alte, »das ist der Krieg, das ist der Krieg! Heiliger Kilian, Sebastian und Florian, halt uns das Spießvolk von Haus, Hof und Leib! Trudel, hast auch den Gänsstall gut zugsperrt? Gib acht mitn Licht. Ich tu heut kein Aug zu.«

Sie kehrte sich und blickte gegen den Sodenberg empor, dessen Turm eben schwarzumrissen vor einem mondhellen Fleck in den Wolken über den Höhen aufdämmerte.

»Da droben stirbts auch,« seufzte sie. »Der alte Herr liegt krank auf den Tod, als heut der Schultheiß im Dorf gesprochen. Sie haben den Pfarr geholt. Mag sein, er ist schon gestorben. – Mein Gott, mein Gott, alles geht zu End in Tod und Grausen!«

So klagend schlürfte sie in die Küche zurück. Die Trudel stand unter der großen Linde und sah in die ferne Brandröte, die nach und nach blässer und kleiner wurde. Ihr Gesicht glomm ungewiß bleich in der Finsternis.

Jetzt vernahm man Hufschlag und Stimmen von der Straße her. Die Männer liefen nach verschiedenen Seiten 423 auseinander. Der Wachtel flüchtete ins Haus. Nur der Roßmüller blieb stehen.

Zwei Reiter kamen und saßen ab. Er nahm ihre Pferde in Empfang und band sie an den Zaun. Hans Thomas von Absberg schritt schwer und sporenklirrend in die Mühle. Seine schwarzen Augen funkelten grimmig. Ihm folgte der Ulrich von Basel, ein baumlanger, hagerer Gesell mit rotem Drosselbart, das linke Auge leer und verkniffen, das rechte fuchsartig lauernd im Blick. Er trug Eisenhaube, Brustharnisch und geflickte Landsknechttracht.

»Wo ist der Jud?« donnerte des Absbergers Stimme im Vorraum. Der Wachtel streckte sein Gesicht zur Tür der Wirtsstube heraus. »Hier ist – zu Diensten –« seine Augendeckel klappten blinzelnd auf und ab, als seien sie eines Schlags gewärtig. »Gott segne . . .« er verschwand. Der Junker mit mächtigem Tritt ging auf die Stube los und stieß die Tür ganz auf, daß sie krachend wider die Wand schlug.

»Ich brauch Geld,« rief er rauh. »Die Hund fordern Löhnung – itzt eh noch irgend was begonnen, die Hurensöhn! Risch, Wachtel, Geld her, tausend Gulden. – Mitternacht ist vorbei, zwo Stund schon sollten wir auf dem Weg sein. Keinen Schritt han sie noch nit getan, die Schwein, die Gartsegler, und tun keinen, sie kriegten dann einen Gulden jeder zuvor. Und han doch ein jeglicher fünf Gulden vom Werber auf die Hand gekriegt, die Straßenfeger!«

Er hatte sich auf die Bank hinter den Tisch gesetzt. Der Ulrich von Basel stand vor ihm und sah ihn verkniffen an.

»Gebt zween Gulden, Junker,« sagte er, »sonst wollen sie morgen wieder einen haben.«

Der Absberger schlug mit der Faust auf den Tisch. »Morgen könnt ihr garten und plündern!« schrie er, »ganz Gemünden, die Stadt mögt ihr plündern und verbrennen, dann die nehmen wir im Sturm, bis daß wir die Wertheimischen gefangen haben.«

Der Ulrich zuckte die Achseln und zwirbelte am Ziegenbart. »Der Teufel weiß, wies gehn mag?« sprach er.

»Wachtel, zweitausend her,« befahl der Junker. »Sie sollen ihren Willen han, das räuberisch Gesindel.« 424

»Wie haißt?« versetzte der Jude, »woher soll ich nehmen zweitausend Gülden in der Nacht? Hab ich schon gegeben zwanzigtausend und nix bekommen zurück.«

Eben trat der Roßmüller ein und brachte einen Krug, den er vor den von Absberg hinstellte. Der Ritter fuhr auf: »Zweitausend müssen her unverzogen. Ich weiß, du hast sie. Gib das Geld – oder –«

»Erbarmung!« klagte der Wachtel, »so wahr lebt Gott, ich hab nix mehr als a paar hundert Gülden do, aber der Wirt, vielleicht hat er.«

Der Müller sah von einem zum andern.

»Mir ein Ding!« herrschte der Junker, »einer muß es geben, sonst zünd ich die Spelunk an und sperr euch hinein.«

Der Müller trat zu ihm und raunte: »Herr, weil Ihrs seid und auf Handschlag, daß ichs wieder krieg . . .«

Der Absberger: »Ich setz dir meinen Kopf zum Pfand.«

Der Müller wich ein wenig zurück: »Jisroel!« entschlüpfte es leise den bleichen Lippen des Juden.

»Ich hab noch ein wenig Geld,« murmelte der Müller fort, »mag sein, es reicht mit dem, das der Wachtel kann geben. Aber,« er flüsterte noch näher am Ohr des Ritters, »ich habs vergraben, ihr müßt ein wenig harren. Trinkt derweil einen Schoppen oder zwei.«

Der Absberger nickte. »Mach schnell,« sagte er und hob den Krug. Plötzlich blähte er die Nüstern und begann das Getränk zu beschnuppern. »Was ist das?« Er warf den Kopf auf und runzelte mißtrauisch die Stirn.

Die Gesichtsfarbe des Müllers war grau von Natur und also keines merklichen Erblassens fähig. Der Jude, im Schatten des langen Ulrich stehend, zuckte ein wenig zusammen. Seine Augen klappten unruhvoll auf und nieder. Seine Finger kribbelten im Bart. Der Ulrich blinzelte unbewegt.

»Wein,« sagte der Wirt ganz ruhig. »Ich hab ihn ein wenig wärmen lassen und Zucker und Zimmet drein geben, wie Ihrs mögt, Herr, so es kühl drauß und zumeist in der Nacht.«

Hans Thomas sah ihn mit seinen Kohlenaugen seltsam an. Es war etwas wie Schreck in seinen gewalttätigen Zügen. 425

»Da – sauf!« Er stellt den Krug hin. Um seine dicken Lippen zuckte es höhnisch. Der Blick, der seine gebietende Handbewegung begleitete, ließ nichts zu deuten übrig.

Der Müller nahm den Krug. »Euer Wohl, Herr von Absberg, und daß Euch baß gelinge,« sprach er und nahm einen Schluck.

Der Junker sah ihn wieder an, lachte dann hart auf, hob die Kanne, die der andere abgesetzt hatte, und trank.

»Bring mir auch so was,« sagte der Ulrich von Basel.

Der Wirt verließ die Stube. Rasch trat er vor die Haustür, spie aus, räusperte sich und spuckte mehrmals. Dann wischte er den Bart und ging zur Küche.

Der Ulrich hatte sich gleichfalls niedergelassen und begann zu trinken, nachdem ihm der Müller von dem Zimmtwein gebracht hatte. Chajm Wachtel ging mit dem Wirt hinaus.

Der Absberger hatte den Helm abgenommen und schimpfte weiter über das Lumpenpack des Kriegsvolkes, das immerzu Geld haben wolle.

»Potz Blau!« sprach er, »es wird Tag, bis wir aufbrechen. Geh hinauf ins Holz, Ulrich, und sag den Hundsföttern, daß ich Geld bring, zween Gulden auf den Mann und das Roß. Zumindest die Reuter und das Geschütz, die sollen abrucken unversäumt, dieweil sie bis Wolfsmünster hinabmüssen zur Bruck. Die sollen traben, wo es gehen mag, da kommen sie noch bei Dunkelheit hinüber. Das Fußvolk, das muß bei Gräfendorf übern Steg.«

Ein mächtiges Gähnen riß ihm den Mund auf. Er blinzelte. »Leichnam!« knurrte er, »mich schläfert. Bin seit gestern früh kaum vom Sattel kommen.«

Der Ulrich trank aus und erhob sich. »Ich will gehn, Herr, und es ihnen sagen,« sprach er.

Der Absberger wieder gähnend: »Ja – und dann komm zurück und vermeld mir, obs geschieht. Der Herr von Rosenberg, der soll die Reuter und die Stuck führen.«

Er trank und stützte schwer das Haupt in die Hand.

Der Ulrich von Basel ging. Der Wachtel, der Wirt, der Löschenkohl und der Böhme sahen aus der Küche hervor. Der Ulrich nickte ihnen zu, trat vor das Haus und machte 426 geräuschvolle Schritte durch das Gärtchen hin. Aber beim Gitter blieb er stehen.

Nach einer Weile betrat die Bärbel die Stube. Der Absberger fuhr auf und starrte sie verschlafen an.

»Hat er – hat er – das Geld noch immer nit?« gähnte er wie ein Löwe. »Wo bleibt der Müller?« Er schüttelte sich.

»Weiß nit, wo er hin ist,« sagte die Alte. »Will der Junker noch einen Wein?«

»Gut,« erwiderte er, »bring noch einen, alte Schlangenköchin.« Er leerte den Krug und hielt ihr den hin. Sie nahm ihn und ging.

Als sie mit der gefüllten Kanne wiederkam, war der Absberger mit dem Gesicht auf den Armen fest eingeschlafen. Das teilte sie den draußen Harrenden mit, unter denen sich auch wieder der Ulrich von Basel befand. Es entstand ein Geflüster. Der Chajm Wachtel rannte in der Küche auf und ab und zerrte an den Bartlocken. Der Böhme hockte mit den Händen vor dem Bauch auf einem Holzbündel hinterm Herd und machte ein dummes, verprügeltes Gesicht.

»Itzt mögt ihrs bald angehn,« flüsterte der Ulrich. »Ich reit derweil ins Holz hinterm Dörfel und lens, ob die Nürnbergischen Boten da sein.«

»Nix fortreiten!« hastete der Jude, »da sennen mer zu wenig, zu überwältigen den wilden Mann.«

»Der Löschenkohl triffts schon,« grinste der Ulrich, »und der Suppak, der is a Boßhart-Fetzer, schlagtn vors Hirn wie an Hornbock.«

»So aber kommt zu reiten der von Rosenberg!« winselte der Chajm. »Wird nix kommen der Rosenberg?«

»Der hält ob Neutzenbrunn im Holz,« beruhigte ihn der Ulrich, »und weiß gar nit, daß der Schwarze da ist.«

Es polterte in der Stube. Die Männer fuhren zusammen und horchten starr. Alles war wieder still.

»Geh einer 'nein,« flüsterte der Ulrich, »und lens, was er hat.«

Aber keiner wollte sich rühren. Endlich schickten sie die Bärbel. Die schlüpfte übern Gang, öffnete behutsam die Tür und spähte. Der Absberger hatte den Krug umgestoßen. 427 Jetzt hob er den Kopf, stierte schlaftrunken mit verdrehten Augen das Weib an, murmelte was und sank wieder vornüber auf die gekreuzten Arme.

Sie sagte es den Männern. Der Ulrich ging. Die andern warteten noch ungefähr eine Viertelstunde. Der Wachtel hatte sich neben den Böhmen hinterm Herd niedergehockt. Manchmal schüttelte es ihn wie Frost und seine Zähne schlugen aneinander, obwohl es da warm vom Ofen war und ihm die Schweißperlen auf der Stirn standen. Der Wirt war zur Stubentür geschlichen und horchte. Nun kam er zurück und winkte. Der Löschenkohl nahm ein breites, scharfgeschliffenes Beil. Der Böhme hob sich und ergriff einen schweren Hammer, der im Winkel lehnte. Der Müller hatte sich mit einem Schweinspieß versehen. Sie gingen auf den Zehenspitzen zur Tür und horchten noch einmal. Der Absberger schnarchte. Sie drückten leise die Klinke auf und traten ein. Der schwarze Thomas lag mit dem Gesicht auf den Händen über den Tisch gebückt. Die Halsberge des Harnischs deckte ihm halb das Genick. Aber zwischen der roten Kappe und dem vorstehenden Eisenrand war der schwarzzottige Nacken auf die Breite von zwei Fingern frei.

Der Löschenkohl stand über ihm und hob mit beiden Händen das Beil. Er wiegte es hin und her und zielte genau. Jetzt hieb er zu. Er hatte nicht gut getroffen und die Halsberge gestreift. Der Absberger fuhr mit schrecklich aufgerissenen Augen in die Höh, sprang auf, taumelte nach dem Schwert greifend. Der Böhme schlug ihn mit dem Hammer auf die Stirn. Der Schwarze tat einen mächtigen Satz, daß der Tisch kippte. Er brüllte auf wie ein Stier, sprang blutüberströmt mit furchtbaren Blicken vor. Das Schwert blitzte in seiner Faust. Die Mörder wichen zur Seite. Der Landsknecht hinter ihm stehend schlug abermals mit dem Beil zu. Der Müller stieß mit dem Speer nach seinem Hals. Tisch, Bank und Sessel stürzten durcheinander. Der Wirt und der Böhme flogen an die Wand. Der Absberger, gräßlich brüllend, stolperte, schlug vornüber, krachte zu Boden wie ein Baum und lag, sich krampfhaft wälzend, auf dem Gesicht in einer Blutlache, die sich schnell verbreitete. Die drei sprangen 428 herbei und hieben blindlings zu. Aber noch einmal raffte er sich hoch, schlug tobend, brüllend, röchelnd um sich. Der Böhme bekam einen Faustschlag, daß ihm das Blut aus der Nase schoß. Den Wirt riß er am Speer vor sich hin und schleuderte ihn auf eine Truhe, daß er aufstöhnend umfiel. Der Löschenkohl von hinten holte aus, das gerötete Metzgerbeil sauste, krachte nieder, der gewaltige Mann brach in die Knie, sank stöhnend vor. Das Blut rieselte von seinem zerhackten Schädel zur Erde wie Wasser aus Regenrinnen. Wieder schlug der Landsknecht mit umgekehrtem Beil auf ihn los. Noch ein furchtbares Zucken durchlief seinen mächtigen Körper, ein gewürgter, gurgelnder Laut preßte sich aus seiner Kehle, dann sank er ganz hin und lag still.

Wände, Tisch, Bänke und Männer waren über und über mit Blut bespritzt. Jetzt machten sie sich an eine grauenhafte Schlächterarbeit. Der Kopf des Juden streckte sich durch die Tür. Er sah sie werken, zog sich befriedigt zurück und trat vor das Haus.

Das Roß des Absbergers stand vor dem Zaun und knabberte am Holz. Jetzt wieherte es. Eiliger Hufschlag näherte sich von Weikersgrüben her. Es war der Ulrich von Basel. Er hielt, saß ab, hing den Gaul an und kam herein.

»Es ist getan,« sprach der Jude.

Der Ulrich nickte. »Die Nürnberger halten oberm Dorf. Seind ihrer vier und auch zween Fuldische bei ihnen, davon ein Edelmann. Die Fuldischen stehn mit zweihundert Reutern unterm Sottenberg, die Nürnberger, sechs Fähnlein zu Fuß und drei zu Pferd, rucken teils schon über Aschenrod und Seyfriedsburg ins Holz ober der Saal bei Wolfsmünster. Es ist alles umstellt.«

Er ging zur Stube und sah hinein. »Bossert hortig!« sprach er. »Ich muß den Kopf bringen, sie warten schon drauf.«

Der Wachtel war ihm nachgegangen. »Ich geh mit,« sagte er.

Der Ulrich wandte sich herum und sah ihn überzwerch an. »Ich reit,« versetzte er kurz.

Der Wachtel etwas spöttisch: »Nur mir werden sie geben 429 das Geld und den Schein, daß sie haben bekommen den Kopf des von Absberg.«

Der Ulrich schritt ärgerlich zur Küche und trank dort einen heißen Wein.

Nun kam der Wirt heraus und holte einen leeren Mehlsack aus der Kammer. Der Wachtel und der Ulrich gingen mit ihm in die Stube und kamen mit dem Sack, der etwas Schweres enthielt und von Blut durchsickert war, zurück. Sie verließen die Mühle.

Nach einer Weile schlich die Trudel auf der Treppe herab. Sie war blaß und zitterte am ganzen Leib. Vorsichtig spähte sie um die Ecke. Die Männer redeten in der Küche, lachten und schienen Wein zu trinken. Die Bärbel wusch und scheuerte in der Stube herum und schimpfte dazu. Auf dem Gang an die Mauer gerollt lag eine große Gestalt mit einem Kotzen verhüllt. Das Mädchen flüchtete hastig wieder hinauf in ihre Kammer und lehnte sich ans Fenster. Sie öffnete es. Der Wolkenhimmel graute überm Wald. Fahles Zwielicht schien mit einem feinen Regen herab zu rieseln und sich dunstig schimmernd über die Gegend zu breiten. Die Saale trüb und breit in den Ufern aufblinkend brauste dumpf.

Nun hörte sie Schritte im Garten und dann Stimmen in der Stube, die bald lauter wurden. Wieder schlich sie hinab und horchte. Der Wachtel keifte, feilschte, jammerte. Der Wirt, der Ulrich von Basel und der Löschenkohl fluchten und schalten drohend auf ihn ein. Es wurde Geld gezählt. Sie vernahm, wie der Löschenkohl mit rauher Stimme sprach: »Babolde, so du uns beschuppen willst, dein Kabas sitzt nit so fest wie der vom Schwarzen da. Potz Zagel! Das war eine Arbeit! Und die Judensau will nit fünfhundert Gulden davor geben.«

»Ja, und die Schweinerei im Haus!« zeterte die Bärbel von der Küche aus drein. »Ich will auch mein Lohn han.«

Sie zankten weiter wie die Raben um das Aas. Der Müller und der Ulrich von Basel verlangten jeder dreitausend Gulden. Der Wachtel jammerte, schwur, psalmodierte.

Die Trudel rannte wieder hinauf und stand am Fenster. Es wurde heller. Ein schauriges Rot flammte im Osten auf, 430 breitete sich brandig in die reisenden Wolken, schwamm wie Blut auf dem braungelben Fluß hinab. Sie sah den Ulrich wegreiten mit dem Roß des Absbergers an der Hand. Unten war es still geworden.

Bald saß das Mädchen zitternd und fröstelnd auf der Bettstatt und starrte mit großen Augen schreckhaft vor sich hin. Bald sprang es auf, horchte in den Gang hinaus, spähte am Fenster.

In den Morgenwolken war's wie eine Schlacht. Riesenhafte Gestalten mit wilden Häuptern reckten sich kämpfend in seltsamen Verdrehungen. Feuerrauch schwang sich hoch in den Himmel, dort und da brach blankes Blau durch das Gewoge und Gewälz.

Die Trudel von Angst gejagt lief wieder in den Gang hinaus und treppab. Sie horchte. Irgendwo war ein Schnarchen vernehmlich. Die Bärbel rumpelte in der Küche herum. Der Landsknecht und der Müller schienen in der Wirtsstube zu sein. Sie schlüpfte hervor, lief um das Haus herum und in den Mühlgang hinunter. Dort wollte sie sich verstecken. Es war dunkel und staubig. Sie tastete umher und schrie auf, denn sie hatte auf Gewand und Haar gegriffen.

»Schickse, halt den Mund,« flüsterte der Chajm Wachtel bebend. Sie rannte hinaus. »Schickse, Mädel,« winselte er ihr nach, »sag nix denen oben, daß ich da bin. Ich geb dir fünf Gülden.«

Sie lief in den Garten. Der Sauhirt war auf und ging mit Futter zum Schweinekobel. Die Trudel drückte sich zitternd an den Stamm der alten Linde.

Plötzlich horchte sie auf. Hufgetrappel näherte sich eilig flußaufwärts. In rasendem Galopp sprengte ein kleiner Reitertrupp heran, hielt am Garten.

Sie erkannte zuvörderst den Schau. Der schrie dem Mädchen zu: »Sind die Mordbuben drin?« Sie bejahte. Im Flug sprangen sechs Reiter ab. Die andern blieben zu Pferd und fingen die hingeworfenen Zügel. Sie erkannte noch den schwarz Hänslein. Aber der Pfeifer war nicht dabei. Lorenz von Rosenberg riß das Schwert aus der Scheide und stürmte in die Mühle. Der Schau, der Lenhart Schupff und noch 431 drei Knechte mit blanken Wehren, Kolben und Spießen hinter ihm drein. Der Müller erschien in der Tür und lief zurück. Ein furchtbarer Tumult brach in der Stube los. Der Böhme mit einem ziegelroten Kopf stürzte schreiend aus dem Haus; der Schau, die blutige Klinge schwingend, sprang ihm nach, hieb auf ihn ein, bis er lag und sich nicht mehr regte. Das Stubenfenster ging klirrend in Scherben. Der Sauhirt, ein angstvolles Gröhlen ausstoßend, flüchtete in großen Sätzen dem Walde zu. In der Stube noch ein Aufbrüllen und ein paar Reiterflüche, dann wars still. Der von Rosenberg trat in den Garten. »Wo ist der Jud?« rief er. Die Trudel, die zu den Reitern an die Straße geeilt war, kehrte sich um und deutete hinab. Der Schau, der mit den andern hinter Lorenz wieder herausgekommen war, verstand das Zeichen. Zwei liefen außen, zwei durchs Haus zum Mühlgang hinab.

»Ich bitt dich,« flehte die Trudel mit aufgehobenen Händen und Tränen in den Augen den schwarz Hänslein an, der im Sattel geblieben war und zwei Pferde hielt, »ich bitt dich, sag mir, wo ist der Hans, der Pfeifer?«

»Der Pfeifer, Mädel,« sprach jener hastig, »der Pfeifer, potz blau! der steht bei Gräfendorf am Steg. Dem konnten wir nimmer Botschaft schicken. Renn, was du kannst, renn hinab und sag ihm, er soll nit saalab gen Wolfsmünster trachten, dort ist schon der Feind überall. Wir haben nur mehr daher durch können, und sie sind uns auf dem Fuß.«

Die Trudel weinend: »Sag, was ist geschehn? Was ist los?«

Der Knecht: »Verrat, Mädel, Verrat um und um. Auf einmal sind fremde Reiter kommen mit einer weißen Fahn und dem blutigen Kopf des Absbergers. Da hat das Gesindel die Waffen weggeworfen und . . .«

Sie zerrten den Wachtel vom Mühlgang herauf. Der Schau schleifte ihn vorn am Bart, der Hampas zog ihn am übergeschlagenen Kaftan, daß die elenden, krummen Judenbeine in schmutzigen Hosen hervorsahen. »Einen Halfterstrick!« rief Lorenz von Rosenberg. Und schon wirbelte einer durch die Luft in den Garten herein. Der Schau fing ihn 432 auf. »Risch! Risch!« rief einer der Knechte, der die Straße hinabsah. »Mich daucht, sie kommen.« Der Wachtel schrie und flehte nicht mehr. Nur ein gurgelndes Gekrächz kam ihm aus dem Hals, den jetzt die Schlinge umschnürte. Und hopp! ward er von sechs Armen aufgehoben, das freie Ende des Stricks schnellte über den Lindenast – er hing. Und ruck! zogen sie an seinen Beinen, daß ein Tropfensturz aus dem Wipfel niederprasselte. Und hui! waren die Reiter auf den Gäulen. »Fahr übern Fluß, renn nit auf der Straß hinab!« schrien der Schau und der schwarz Hänslein dem Mädchen zu. »Rösch, wart auf mich!« rief Lorenz von Rosenberg. »Unterm Holz am Fluß hinauf! Wir müssen bei Arnstein über die Bruck!«

Schon stoben sie dahin, nicht gegen das Dorf, sondern hinab über die Wiese, setzten über den Bach und rasten die Saale entlang dem Wald am Fuß des Sodenberges zu.

Die Trudel sah talabwärts an der Höhe, die sich gegen Michelau vorschiebt, kleine, dunkle Gestalten zur Straße herabkommen. Fern im Westen dröhnten dumpfe Kanonenschläge. Der Widerhall rollte von Wand zu Wand in den Bergen hinauf. Sie kehrte sich und wollte zum Stall. Da hing der Jude am Lindenast. Sie rannte in die Mühle. In der Tür zur Stube lag der Roßmüller auf dem Rücken, einen roten Klaff über der Stirn, die Augen schreckvoll aufgerissen, die Zunge blau zwischen den Zähnen, die Hände halb vorgestreckt und die Finger zu Krallen gebogen. Drinnen stand die Bärbel, raffte einen Haufen blinkender Münzen in ein Tuch und lachte wie wahnsinnig dabei. Die Beine des Löschenkohl starrten steif über den umgestürzten Tisch empor.

Die Trudel rannte durch den Mühlgang hinab und zum Fluß. Da lag der Kahn angebunden und schaukelte im gelben, wirbelnden Wasser. Mit fliegenden Händen löste sie die Kette vom Pflock, sprang ins Boot, ergriff das Ruder und stieß ab. Der scharfe Schuß des Hochwassers packte das Schifflein. Sie ruderte keuchend. Die Flut schoß und brauste. Ihr verging Hören und Sehen. Der Kahn wurde über das Ruder gedrängt. Sie stemmte sich dagegen, hielt es mit beiden Händen fest. Das Boot wollte kippen. Sie 433 ließ das Ruder fahren, versuchte, es auf der andern Seite zu haschen. Da wirbelte es schon klafterweit hin. Sie fiel im Boot auf die Knie und hob die Hände zum Himmel. Der rasende Strom riß Kahn und Mädchen talab.

 


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