Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Mespelbrunn

In dichtem Holz engte sich der Pfad. Sie mußten hintereinander reiten, voran die zwei Jäger, von denen der eine ein großes, geschwungenes Horn trug, dann der junge Graf, dem die Odheimerin folgte, dann Philipp Echter vor den übrigen Gefangenen und hinten die Echterschen Knechte 186 zu Roß und zu Fuß mit den Hunden. Es wäre ein Leichtes gewesen, in den Wald auszubrechen und zu entkommen. Niemand sprach ein Wort. Sie kamen auf einen Durchschlag. Die Führer querten ihn ohne Aufenthalt. Graf Philipp aber mit einem lauten Ausruf der Verwunderung hielt sein Pferd an und blickte ins Tal hinab. Da zeigte der Ausblick, den die Schneise öffnete, unten tief im einsamen Schoß der Wälder einen kleinen, grünen See und klar gespiegelt mitten darin ein Schlößlein mit hohem, rundem Turm Über den sanften Höhen, die im Abend dem Auslauf des schmalen Tales entgegen standen, brach eben die Sonne sinkend durch die verklärten Gewölke und breitete Strahlenfächer hoch in den Himmel hinauf und weit über die goldenen Forste hin. Frau Agatha, dem jungen Grafen zur Seite haltend, erging sich gleich diesem in erstaunten Fragen. Philipp Echter ritt ihnen auf und sagte: »Das ist Mespelbrunn, mein Haus.« Ein leichtes Schmunzeln schien über seine ernste Miene zu huschen. »Mir ist als im Traum,« versetzte Graf Philipp. »Ward mir schon an der Wiegen erzählt und gesungen von dem wundersamen Schlößlein im Spessart, aber nicht, daß ich sollt darin gefangen liegen.« Der Echter drauf: »Wollet weiterreiten, Euer Gnaden.«

Sie setzten sich in Bewegung und tauchten abermals in hohen Wald. Ein breiterer Weg mit lehmigen Radspuren nahm den Saumpfad auf und führte sie allmählich bergab. Als in der Talsohle die mächtigen Buchen zurücktretend sich auftaten, lag das Schloß hart vor ihnen. Der Waldweiher, bis in den tiefsten Grund klar wie ein geschliffener Smaragd, doppelte in heiterer Spiegelung die hellen Mauern und roten Giebel verkehrt in sich hinein; dort und da schnellte eine Forelle silbern in den schrägen Strahl der Abendsonne. Der Vorreiter hatte das Horn erhoben und blies lustig die Weise:

»Es trägt ein Jäger ein grünen Hut,
er trägt drei Federn auf seinem Hut,
Juchey, Rassey!
Husasa, Faldrida!
Er trägt drei Federn auf seinem Hut!« 187

Und die Hunde hoben vielstimmig ein erregtes Gebell. Da ging wie von selber zwischen zwei kurzen Halbtürmen die Brücke in rasselnden Ketten nieder und legte sich an den Steinbogen, der ihr vom Ufer aus entgegenstrebte. Mit Gepolter, Gewieher und Gekläff zog die Schar ein und durch den Torgang in einen geräumigen Hof. Linker Hand gen Westen starrte da gewaltig der runde Turm auf, den ein gezinnter Wehrgang mit den torseitigen Vorbauten verband, während er nordseits an die Kemenate stieß, ein stockhohes Haus mit offenem, von Rotsandsteinsäulen getragenem Laubengang zu ebener Erde. Vielfach über Toren und Türen und auch am Turm zeigte sich das Echtersche Wappen, die drei Ringe auf dem Querbalken im blauen Feld. Zwei schlanke Knaben sprangen den Ankommenden mit erstaunten Blicken entgegen.

Nachdem sie abgesessen waren, trat Herr Philipp Echter mit großer Höflichkeit vor die zwei Grafen von Rieneck hin und sprach sein lächelnd: »Liebe, gnädige Herren, nun heiß ich Euch recht willkommen zu Mespelbrunn und bitt Euch und die Euch folgen, meine Gäste zu sein, so lang es Euch mag halten. Der alte Streit sei vertragen und begraben an Ort und Statt zu dieser Stund.«

Einer der Knaben, dem Philipp schon vom Pferd aus einen Wink gegeben hatte, lief aus der Kemenate eilig mit einem schöngeschnitzten, elfenbeinernen Trinkhorn herbei, das der Hausherr jetzt der Odheimerin und den Herren kredenzte. Und nachdem alle getrunken hatten, schüttelten sie einander in großer Heiterkeit die Hände und gingen dem Haus zu.

Da trat ihnen aus der Bogentür des Treppentürmchens eine hohe Frau von gar adligem Aussehen entgegen. Sie trug sich in dunklem Gewand mit weißer Flügelhaube schier klösterlich; die alternden Züge ihres Angesichts waren streng und schön, und um ihre Augen lag es wie gütige Trauer. Das war Frau Agnes Elsbeth Echterin, des Herrn Erasmus Schenken zu Erbach nachgelassene Wittib, eine geborene Gräfin zu Werdenberg und Heiligenberg, Tochter einer Markgräfin in Baden und Enkelin einer aus dem Erzhause Österreich, wovon sie die kühn geschwungene Hakennase haben mochte. 188

Herr Philipp stellte seiner Hauswirtin die Gäste vor und erzählte, wie er sie im Wald aus Schalkerei gefangen. Sie umarmte den jungen Grafen als einen lieben Verwandten und hieß die Odheimerin insonders und alle andern vielmalen willkommen. Auf der Odheimerin Frage, ob die zwei Knaben Herrn Philipps Söhne seien, ward ihr zur Antwort, der größere namens Erkinger, schon fast ein Jüngling, sei sein und der Gräfin Kind, der kleinere aber, der etwa sechs Jahre zählen mochte, sei der junge Freiherr Froben Christoph von Zimmern, Sohn einer Tochter Erbach aus Frau Agnesens erster Ehe, und seinem Stiefgroßvater zur Erziehung übergeben, daß er was Rechtes in ritterlichem Handwerk und im Forstwesen lerne, denn Philipp Echter war kurmainzischer Forstmeister und Vizedom zu Aschaffenburg.

Die Damen, Grafen und Herren begaben sich nun in das Haus; der Pfeifer stellte mit den andern Knechten seinen Schimmel in den Stall und hielt dann seiner Gewohnheit nach Umschau an dem neuen Ort. Es gefiel ihm da gar wohl. Haus und Hof strahlten von Sauberkeit. Feiner, gelber Bachschotter war über den ganzen Hof gestreut. Auf den Steinfliesen unter den schönen romanischen Säulenbogen mochte im Sommer recht kühl spazieren sein. Das Gesinde war allenthalben guter Dinge und fröhlich an der Arbeit. Die Reiter alle trugen Jägertracht und schienen weidliche, gute Gesellen zu sein. Unter den Mägden, die ihr Wesen vor der Küche im ostseitigen Gebäude trieben, hatte er bald eine zierliche mit dunklen Zöpfen entdeckt, die seine Begrüßung nicht unfreundlich erwiderte.

Umherschlendernd kam er unter dem Laubengang zu einem Pförtlein neben dem Turm, wo er die Tür nur angelehnt fand. Er öffnete und stand hart am Wasser. Ein Kahn lag angebunden an der Mauer. Ein Haufen Fische stob in der Flut davon und kehrte sogleich zurück. Es war das gemeine Volk der Weißfische und Barben, die da des Abfalls der Küche harrten. Sie hielten sich an der Oberfläche und starrten ihn mit den runden Äuglein lauernd an, während ein paar schlanke Forellen in der grünen Tiefe vornehm vorüber zogen.

Über den westlichen Höhen blühte ein purpurner Abend. 189 Der Widerschein lag auf der Flut, rötete das graue Gemäuer des alten Turmes und die unendlichen Goldwogen der herbstlichen Buchenwälder umher. Kein Laut, kein Regen in der Runde. Nur hie und da fiel von überhängenden Bäumen ein buntes Blatt in den See. Der lange Hans lehnte träumend im Pförtlein und pfiff vor sich hin:

»Es trägt ein Jäger ein grünen Hut . . .
Juchey – Rassey . . .
Er trägt drei Federn auf seinem Hut . . .«

 


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