Hans Freiherrn von Hammerstein
Mangold von Eberstein
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Im Spessart

Regen in Schnüren, Sturm, der ihn schräg peitschte, Wolkengewälz tief über die großen, dunklen Waldhöhen des Spessart herein. Am Mainufer bei Lohr flußaufwärts der Fähre stand ein vollbeladenes Meßschiff, ein Haufen Männer davor im austretenden Wasser herumstiefelnd, flatternde Mäntel oder geteerte Sackfetzen um Haupt und Schultern. Mit viel Geschrei hingen sie an starken Tauen, bemüht, den Schelch vollends auf die halbüberschwemmten Uferwiesen herauszuziehen, wo sechs Vierspänner bereitstanden, die Warenladung aufzunehmen.

Der Fluß, schmutziggelb und gurgelnd hinschießend, führte in der Mitte viel kleines Astwerk und Uferabfall, ein Zeichen steigender Flut. Der stoßende Nordwest heulte in den Wipfeln ein paar hoher Silberweiden, die am Landungsplatz das Häuschen der Fährleute überwölbten.

Ein klobiger Flößer in hohen Wasserstiefeln, einen triefenden Sack als Gugel überm Hut, trat vor ein kleines Männchen hin, das ein wenig abseits an der von der Stadt herunterführenden Straße stand und dem Treiben unschlüssig zuzusehen schien.

»Nu, Herr Eisenbeiß,« sprach der Flößer grob, »wieviel Wagen kriegen wir noch? Neune werdens sein müssen, so es die fassen, und übervoll darf nit geladen sein in Wald nauf.«

Dem Angeredeten, der ohngeachtet seines Namens durchaus nicht den Eindruck eines tapfern Mannes machte, zuckte es um die bartlosen Lippen, und mit einem hilfesuchenden Blick sah er den Weg hinauf nach der Stadt zurück, während er antwortete: »Einen hat der Muffel vorhin schon aufgetrieben. Ein Bauer, zwiespännig, soll von Wombach kommen, zween vierspännig, sagen sie, wären in Sendelbach 120 zu haben. Aber die Fährer mögen nimmer hinüber, das Wasser sei ihnen schon zu stark.«

Der Flößer: »Zwiespännig? Da mögt ihr nit von Rechtenbach die steile Krümm durchs Holz hinauf.«

Der Eisenbeiß jammernd: »Daß der Teufel das Wetter . . .! Aber vielleicht, daß es doch aufhellt bis nach Mittag? Seht nur, da guckt's schon lichter durch die Wolken. Etwan mögen wir doch zu Wasser fort.«

Er zeigte nach einem bläulichen Fleckchen hinter dem Helm des gewaltigen Turmes, der das mainwärtige Stadttor überragte. Auch schien es sich von Osten her, wo der Tag eben erst erstanden war, ein wenig lichter in das ödgraue Geschiebe zu wirken, unter das sich die trübrauchenden Bergrücken duckten. Aber der schwache Hoffnungsschimmer erlosch sogleich in einem neuen Regensturz, der mit Windgebraus nebelnd vom Wald niederstob. Das mauerumfaßte Städtchen, das die wuchtige, ecktürmige Burg wie einen Rammkeil nordostwärts vorschiebend auf der Uferhöhe lag, war im Augenblick wieder von wehenden Schleiern umwoben. Und der Flößer bekräftigte mit einer, jeglichen Trost wegwerfenden Handbewegung: »Wann der Wind so in die Bäum heult, regnets drei Tag, wo nit achte, und wanns drei Tag so geregnet, mag kein Schiff den Main nunter. Und wo es heut auch wieder schöner wurd, da kommen erst die Wasser von der Puechen herab, die Sinn und die Saal, die bringen erst den Strom, und möcht uns den Schelch bei Urfar in der Krümm wider die Felsen tragen und zerwerfen, wo nit früher schon. Wollt ihr vor Sonntag zu Frankfurt sein, müßt ihr auf der Achs weiter und könnt ohnedem von Glück reden, wann ihr hinter Aschenburg durchs platte Land am Main und über die Brucken kommt. Mag schon viel Wasser da haben.«

Der Eisenbeiß, seines Zeichens Tuchhändler zu Nürnberg, zog mit saurem Gesicht den nassen Mantel fester um die Schultern und senkte die Hutkrempe wider den Regenschlag.

»Da kommt der Herr Muffel und hat noch zween bei ihm,« sagte der Flößer gegen die Stadt weisend, wo aus dem Tor schreitend drei Gestalten sichtbar wurden, die nun den Weg zur Fähre herunterbogen. 121

Der Tuchhändler ging ihnen eilig entgegen. Sein Genosse Niklas Muffel war ein langer Mann mit dunklem Bart um ein sehr ruhevolles Gesicht. Ihn begleitete der Zollschreiber von Lohr nebst einem Gehilfen. Der Muffel brachte die beruhigende Nachricht, daß er noch drei Wagen aufgetrieben habe, zwar nur zweispännige, aber man müsse sich eben behelfen und allenfalls in Rechtenbach von den Bauern Ochsenvorspann nehmen, die für solche Gelegenheiten, wie er gehört, eingerichtet seien. Unerfreulich aber war das Auftreten des gräflich Rieneckschen Zöllners, der sogleich ein Verhör über Art, Menge, Herkunft und Bestimmung der Waren begann. Der Eisenbeiß zog einen Nürnbergischen Zollbrief hervor und wies ihm den. Der gelte für den Wasserweg. versetzte der Schreiber nach Prüfung der Urkunde. Die Waren gingen aber nun durch Rieneckisch Land, und ob da auch Zollfreiheit oder Nachlaß gewährt werde, sei Sache des Amtmannes. Zu dem müßten sie ohnedies wegen des Geleites, meinte der Muffel. Der Zöllner kümmerte sich nicht weiter um ihre Nöte und ging daran, mit dem Gehilfen die Waren aufzunehmen. Während er zu den Wagen trat und auf einem Täfelchen zu schreiben und zu rechnen begann, sprach der Muffel:

»Laß uns in die Stadt gehn um das Gleit und um Reitpferde für uns zwei. Dann die Wagen werden übervoll, und ist nit gut sitzen drauf, und zu Fuß laufen bis in die Nacht bei dem Wetter ist kein Spaß. Auch wolln wir uns mit einem Frühmahl stärken. Dahier mag der Faktor den Rest besorgen.«

So gab er ihren Leuten die nötigen Weisungen und machte mit den Schiffern aus, daß der leere Schelch bei abfließendem Wasser nach Frankfurt gebracht werde, von wo aus er nach der Messe mit eingehandelter rheinischer und niederländischer Ware durch Schiffsreuter auf dem Leinpfad wieder stromaufwärts gezogen werden sollte. Dann ging er mit dem Eisenbeiß zur Stadt.

»Gotts Marter!« jammerte dieser, »was uns das Wasser für ein Geld kost! Umschlagen, Zoll, Fuhr und Gleit! Wie viel bleibt da noch an christlichem Vorteil!«

»Freilich,« seufzte der andere mit einem Blick ins ewig 122 rollende und triefende Gewölk. »Der Himmel verwässert uns den Kalkül.«

»Etwan sollten wir dannoch zuwarten?« zweifelte der Eisenbeiß.

Der Muffel schüttelte den Kopf und deutete gen Westen, wo sich vom Hochspessart her eben wieder lange, schwarzgraue Wolkenfahnen im Sturm entrollten.

»Bis die Flut abrinnt, wär leichtlich die Meß auch abgeronnen,« meinte er.

Sie durchschritten das Tor. Der Eisenbeiß blickte an dem riesigen, vierkantigen Turm mit der vorhängenden Pechnase empor. Das Gewölk jagte so hastig obenhin, daß der finstere Quaderbaum sich zu neigen und den ziehenden Schwaden entgegen zu fallen schien. Dem Kaufmann wollte fast schwindlig werden, und er sah schnell wieder auf die Gasse, an der sich die steilen Häuschen regellos mit naßschimmernden Giebeln und begossenen Gesichtern drängten. Die figurenreichen Aushängeschilder schwankten und klapperten im Wind. Einige Leute drückten sich verhüllt und schnell auf den Gangsteigen her. Eben kamen auch die drei noch fehlenden Wagen mit schwerfälligem Gepolter und Peitschenknall über das rauhe Pflaster gerasselt. Die Nürnberger bogen hinter dem Turm über die Brücke, die zum Schloß führte. Eine Schildwache vertrat ihnen den Weg. Auf ihre Frage nach dem Amtmann erwiderte der Soldat, der wohne nicht hier in der Grafenburg, sondern oben im kleinen Schloß, das ehedem den Voiten von Rieneck zugehört. Sei das hohe Haus mit den Ecktürmlein rechter Hand vom obern Tor, dieses sei jetzt das Amtshaus. Also gingen sie wieder in die Hauptgasse zurück, die auf dem Platz vor der Pfarrkirche nordwestwärts gegen die Berge wendete. Das bezeichnete Schloß trat ihnen auffällig genug aus den Häusern entgegen. Sie überschritten auf der Brücke einen ausgemauerten Graben, gingen durchs offenstehende Tor und standen im Torgang, ohne eines Menschen ansichtig zu werden. Der Muffel klopfte schließlich an eine Tür zur linken Hand und öffnete auf ein knurriges Herein. Sie traten in eine große Halle, deren Bogenwölbung durch ein paar mächtige Rundsäulen gestützt wurde. In 123 einer tiefen Fensternische saß bärtig und behäbig ein geharnischter Mann und löffelte seine Morgensuppe. Die Nürnberger traten grüßend auf ihn zu, und der Muffel fragte, ob der Herr Amtmann schon auf sei. Der Mann im Harnisch nahm mit großem Bedacht und ohne sie mehr als nebenbei anzusehen einen weiteren Löffel mit eingebrocktem Brot, kaute und schluckte ihn und meinte dann, auf sei der Junker immer schon gar früh, aber er hätt ihn heute noch nicht erblickt. Sie bedürften eines Geleits, sagte der Eisenbeiß, hätten Waren aus Nürnberg, neun Fuhren zur Frankfurter Meß, das hohe Wasser und so weiter. Der Mann frühstückte eisern fort und goß die Neige des Napfes umständlich in den Löffel. Der Eisenbeiß klagte erzählend in einem hin. Der Geharnischte zog den Löffel durchs Maul, putzte ihn an der Lederhose ab, legte ihn auf das Tischchen und schob mit einem Geräusper den Napf zurück. Dann wischte und zwirbelte er seinen hängenden Schnauzbart, stützte die Fäuste auf die Knie und schwieg. Alle drei schwiegen. Man hörte draußen den Regen aus den Wasserspeiern in den Graben plätschern. Der Muffel wieder, ob sie das Gleit bekämen, ob sie etwan den Herrn Amtmann suchen sollten. Der Mann zuckte die Achseln und schwieg. Endlich wurden in der Torhalle rasche, kurze Schritte vernehmlich, die Tür flog heftig auf, Sebastian von Lautter, klein, graustruppig, mit funkelnden Dunkelaugen, schwarz gekleidet und auf die Stockaxt gestützt, trat ein. »Wo ist der Schreiber?« schrie er. Die Tür flog zu mit Krach, daß der Mörtel von der Wand rieselte. Der Mann im Harnisch war langsam aufgestanden.

»Der Schreiber, der ist zum Main nunter,« sagte er. »Ein Meßschiff ist da, gehört diesen da zu,« zeigte er mit dem Daumen auf die Kaufleute.

Der Muffel trat vor. Sie bäten um Geleit durch den Wald. Der Eisenbeiß dreinredend: Das hohe Wasser, Umschlagen, neun Fuhren und so weiter.

»Einen Geleitsbrief?« sagte Sebastian von Lautter, »den könnt ihr haben.«

Der Muffel: »Den Brief mögt Ihr uns geben, Herr, doch bitten wir auch um ein bewaffnet Gleit dazu, dieweil der Wald . . .« 124

Der kleine Amtmann warf im Ruck den Kopf auf und ab und funkelte die Nürnberger an. »Potz blau!« schrie er. »Wann der Sommer zu End geht, hätt einer nichts anders mehr zu tun, dann Meßführen auf Frankfurt. Will jeder ein Gleit haben, und ist ihm der Brief nit gnug, müssen Reuter und Fußknecht mit, daß der Graf einen Heerhaufen halten möcht denen Pfeffersäcken zu Schutz und Schirm.«

Der Muffel drauf trocken: »Ei, Herr Amtmann, die Sonn wär uns lieber, dann das gräflich Gleit.«

Der Eisenbeiß jammernd: »Ja, so wir zu Schiff hinabkunnten, wär uns weit lieber. Der dicke Wald und so viel gute War! Zehn Reuter oder zwölfe und noch einmal so viel zu Fuß, die reichen grad hin.«

»Daß Euch dieser und jener!« schnob der grimme Bastian. »Ein ganz Fähnlein! Da müßt ich umreiten drei Tag bei den Junkern, bis daß ich so viel Reisige aufbrächt, und die Spießbürger dahier, die haben auch Besseres zu tun, dann durchn Wald mitlaufen bei Meßfuhren nebenher. Vier Pferd kriegt ihr und acht Fußknecht.«

Der Eisenbeiß, die Hände zusammenschlagend: »Bei neun Wagen!«

Der Amtmann, sich der gegenüberliegenden Türe zu in Bewegung setzend: »So bleibt liegen, bis die Flut abrinnt.«

Der Muffel, ihm nacheilend: »Da möcht die Frankfurter Meß auch abrinnen derweil und kunnten liegen bis auf Ostern.«

Der Amtmann: »Verdirbt Euch die War?«

Beide: »Aber das Geschäft!«

Der Muffel: »Wohlan, gebt uns die zwölf Mann, wir wollen in Gottes Namen zufahren.«

Der Amtmann: »Welche Straß fahrt Ihr?«

Der Muffel: »Auf Aschenburg.«

Der Amtmann: »Gut, das Gleit geht mit bis Rothenbuch. Da mögt Ihr kurmainzisch Gleit nehmen.«

Der Eisenbeiß die Hände ringend: »Heiliger Gott! Mitten im Wald laßt ihr uns stehen!«

Der Amtmann: »Bis Rothenbuch, keine Viertelmeil weiter.«

Der Muffel: »Ei, Herr, Amtmann, bis Aschenburg laßt 125 Ihr uns das Gleit, da mögen wir umschauen um ein andres. Aber vorher im öden Holz, da möchten wir nur Füchs und Wölf zum Gleit dingen oder gleich ein paar Schnapphähn.«

Der Amtmann nach kurzem Besinnen sehr unwirsch: »Meinethalben – bis Waldaschaff. Und vor den Reuter zahlt ihr zwei Gulden, vor den Spießknecht einen und einen halben.«

Der Eisenbeiß: »Das ist gar viel.«

Sebastian von Lautter blitzte ihn überzwerch an. »So holt Euch Gleit, wo Ihr wollt, Ihr Nürnberger Filz!« schrie er, stieß die Stockspitze in die Fließen, daß es funkte, und schritt aus. Wieder lief ihm der Muffel nach: »Laßt's gut sein, gnädiger Herr . . .«

Der Bastian barsch abwehrend: »Bin kein gnädiger Herr, bin ein Rittersmann.«

Der Muffel: »Laßt's gut sein, Euer Gestrengen, wir zahlen, was es kosten mag.«

Der Bastian mit raschem Kehrt: »Und den Zoll – bald hätt ich vergessen.«

Der Eisenbeiß suchte flugs den Zollbrief hervor und reichte ihm bebend das Dokument. Der Amtmann las es. »Der ist für War zu Schiff,« und gab ihn zurück. »War zu Land gibt Zoll . . .«

Der Eisenbeiß schwach: »Auch Meßwar?«

Der Amtmann, ihn nachäffend: »Auch Meßwar. Zahlt und leckt mich . . .«

Er wandte sich kurz und ging im Stechschritt auf die Nebentür los, die bei ihrer Öffnung eine Kanzlei durchblicken ließ. Der Eisenbeiß hätte gern noch was gejammert, aber sein Genoß nahm ihn beim Arm und deutete, still zu sein. Die Kanzleitür flog hinterm Amtmann zu.

»Wo dann soll das Gleit stellig sein?« fragte jetzt der geharnischte Mann.

»Beim Hirschen, da haben wir genächtigt,« versetzte der Muffel.

»Und wie lang mags dauern?«

Der Mann den Bart streichend und die Schultern hebend mit einem schiefen Blick: »Zwo Stund. – Weiß nit, wieviel 126 Pferd daheim, und muß die Bürger fordern. Bis die sich anlegen . . .«

Der Muffel: »Ei, bei dem Wetter mag wohl alles daheim sein. Du sorgst wohl, daß sie flugs machen, und kommst dann auf ein Schöpplein oder zwei in den Hirschen. Ja, und zween Gäul für uns zum Reiten, die leiht uns der Herr Amtmann wohl auch noch. Mag ihn nimmer eigens bitten drum.«

Der Mann, der inzwischen langsam die Eisenhaube aufgestülpt und den angelehnten Spieß genommen hatte, wiegte sehr zweifelhaft das bärtige Haupt. Der Muffel drückte ihm schnell ein Geldstück in die Rechte.

»Will sehen,« knurrte der Soldat. Er ging zur Tür, öffnete und ließ die Kaufleute austreten. Währenddem machte er die Hand auf und sah das Geldstück an.

»Nun geht nur zum Hirschen,« sagte er. »Ich stell Euch dort das Gleit und die Gäul.« Damit wandte er sich einwärts dem Hof zu, während die Nürnberger hinaus über die Brücke schritten.

Der Muffel sprach zum Eisenbeiß: »Du mußt nit so winseln, das macht die Leut wild und kost bloß noch mehr.«

Der Eisenbeiß: »Mein Gott – solch ein geringes Gleit! Wie mag es uns ergehen!«

Der Muffel: »Unserer Ballenbinder sechse tragen auch Harnisch und Spieß, und wir zwei, wanns not tut, schlagen auch drein.«

Der andere: »Da sei Gott vor, daß es so weit käm!«

Der Muffel: »I wo. Bin schon an die dreißig Mal durchn Spessart gezogen und niemalen angerannt worden.«

Der Eisenbeiß: »Du wirst sehen. Heut kommt noch was. Die ganze Reis hat einen schlimmen Stern. Da wir zu Bamberg zu Schiff gingen, bin ich ausglitten und hingefallen.«

Der Muffel lachend: »Weil eine zertretene Zwetschke da lag. Komm, itzt wollen wir uns stärken.«

Sie waren in die Hauptgasse gebogen und gingen dem Frankfurter Tor zu, vor dem eine Strecke stadteinwärts das Wirtshaus zum Hirschen lag, durch ein mächtiges Hirschhaupt ober der Tür kenntlich. Der Regen strömte unablässig. Von den steilen Dächern aus Wasserspeiern und Löchern in den 127 Rinnen plätscherte es lustig herab. Die Gehsteige entlang strömten und gurgelten vergnügte Schmutzbächlein.

Als sie die kleine, dunkel vertäfelte Wirtsstube betraten, saß darin ein einziger Gast. Und das war der Pfeifer. Die Beine auf die Bank gestreckt, lümmelte er im Fensterwinkel und hatte nichts Kriegerisches an sich. Neben ihm auf dem Tisch lag die Laute. Er pfiff leise vor sich hin, musterte die eintretenden Kaufleute oberflächlich und erwiderte freundlich ihr Guten Morgen. Sie ließen sich beim Ofen nieder. Der Wirt, ein etwas trüber und langsamer, sonst höflicher Mann mit magerem Gesicht und grauem Bart, erschien und empfahl ihnen zum Frühmahl einen schönen Hecht, den das Hochwasser dem Fischer eben noch zur rechten Zeit in die Reusen getrieben habe. Der Muffel stimmte zu, und auch der Eisenbeiß fand, daß nichts den tröstlichen Geschmack des Weines so hebe, wie ein guter Fisch. Nun warteten sie zumeist stumm und jeder mit regnerischen Gedanken beschäftigt auf das Essen.

Der Wirt, der gegangen war, den Fisch zu bestellen, kam wieder mit zwei Schoppen grüngoldenen Frankenweins, die er vor die Nürnberger hinstellte. Dann trat er zum langen Hans und fragte, ob er noch ein Schöpplein bringen dürfe. Der verneinte und wünschte zu zahlen. »Was hilfts,« fügte er hinzu. »Ich muß weiter, so ich heut noch bis Aschenburg kommen will. Acht Stunden schätz ich, daß man läuft, bei dem schlechten Weg. Und tät ich warten, bis der Himmel all sein Wasser abgeschlagen, wär am End die Frankfurter Meß vorbei.«

»Ihr wollt dann auch auf Frankfurt?« fragte der Eisenbeiß.

Der Pfeifer. »Freilich. Wohin anders zög ein ordentlicher Gewerbsmann, wann es herbstet?«

Der Eisenbeiß: »Was habt Ihr feil? Hätt Euch vor einen Musikus geachtet.«

Der Pfeifer: »Die Musika betreib ich nur so nebenher. Ich halt Knochen feil und zwar meine eigenen.«

»Potz Teufel,« lachte der Muffel, »das sieht schier aus, als hättet Ihr mit dem Friedhof oder gar mit dem Galgen zu tun.« 128

Der Pfeifer mit einem schiefen Blick: »Wer ist weit von dem und jenem? Und mit dem Seil hab ich allerdings zu tun. Das ist die Schaubank, worauf ich feil halt. Damit Ihr versteht – so . . .« Und er machte mit einer Plötzlichkeit, die den Eisenbeiß fast von der Bank warf, einen Handstand auf dem Tisch, daß seine langen Beine in den roten Strumpfhosen und braunen Schnabelschuhen die Balkendecke berührten. Dann bog er sich langsam ganz um, stand eine Weile auf Fuß und Fingerspitzen, richtete sich nach vorn wieder auf und reverenzierte vom Tisch herunter würdevoll gegen die Zuschauer.

Die Kaufleute lachten. »Ei, so einer seid Ihr dann,« meinte der Eisenbeiß, »ein Meister von der Zunft der Kurzweiligen.«

Der lange Hans hüpfte mit einem leichten Satz zu Boden und sagte: »Ihr aber, mit Verlaub, was Handlung Ihr auch treiben mögt, scheint mir von der Zunft der Langweiligen zu sein, dann Euer Gesicht ist ein Meisterbrief solchen Handwerks.«

Das fand des Muffels Beifall und erheiterte ihn aus der Maßen. »Traun!« rief er, »da habt Ihrs getroffen und versteht Euch, däucht mich, gar gut aufs Gesichterlesen. So lad ich Euch ein, mit uns zu fahren. Solch leichte War geht noch auf unsere Wagen, und bei dem Wetter ist ein Schalk das Mitnehmen wert.«

Der Pfeifer tat einen Sprung und schnalzte mit den Fingern dazu. »Gott sei gelobt!« rief er mit himmelndem Augenaufschlag, »es werden doch noch gute Menschen auf der Welt erfunden. Ihr wollt mich dann wirklich aufladen?« Er war vor die Kaufleute getreten und blickte den Eisenbeiß treuherzig an.

»Seid Ihr dann schon gar so müd gelaufen?« fragte der Muffel.

Der lange Hans drauf: »Das weniger, ob ich gleich schon von Schweinfurt her unterwegs bin. Aber, ich gesteh's Euch frei, ich bin ein so gar furchtsam Gemüte, daß mich ein Grauen aus der Maßen vor dem dicken Wald anlief, und hab schon seit Gemünden, da ich die düstern Höhen sah, ein übers andermal gestoßseufzet und gebetet, der heilige Kilian wolle mir gute Kameradschaft für solch unheimlichen Weg verleihen.« 129

Der Eisenbeiß erblassend: »Ist es dann so gar gefährlich im Spessart?«

Der Pfeifer eifrig: »Ich hört immer sagen, im Spessart stäken so viel Räuber, daß hinter jedem Baum einer stehen könnt, wären nicht der Räuber noch mehr.«

Der Eisenbeiß bebend zum Muffel: »Das ist grausig – hörst du? – Wir sollten doch warten, bis wir zu Schiff weiter können.«

Der Muffel höchst ärgerlich: »Kindermären, Weibergeschwätz, Narrenpossen! Ich sagte dir schon, ich bin bei dreißig Malen durchn Spessart gezogen und hab niemalen einen Räuber erblickt.«

Der Pfeifer: »Da hattet Ihr wohl immer ein gut, handfest Gleit mit Euch, und solches, hoff ich, habt Ihr auch heut.«

Der Eisenbeiß klagend: »Wir haben eines, aber viel zu wenig – vier Reuter, acht Fußknecht bei neun Fuhren!«

Der Muffel: »Und unsre Leut haben auch Spieß, und wir zwei sind auch keine Hasen, wenns drauf ankommt.«

Der Pfeifer: »Ihr seht mir darnach aus. Oh, wie leicht ist mir nun ums Herze, daß ich mit so tapfern Männern in sicherem Geleite reisen kann. Ich sag Euch, dies Raubgesindel ist ja feig wie die Wölf. Schaut nur wo ein Spieß heraus und klingt manchmal das Eisen, es traut sich keiner herfür aus seiner Schluft. Man muß auch immer nur ein recht grimmig Gesicht machen, wenn man so hinwandert oder fährt. Aber Ihr fahrt gewißlich die alt Eselstraß von Heigenbruck auf Orb und dann die Kaiserstraß auf Gelnhausen. Ich aber muß auf Aschenburg, allwo ich zuletzt mein Handwerkszeug, will sagen Seil und Klammern gelassen.«

Der Muffel den Kopf schüttelnd: »Wir fahren auch auf Aschenburg.«

Der Pfeifer: »Ist aber der schlechter Weg.«

Der Eisenbeiß: »Jedoch der kürzer. Nur so kurz durchn Wald, als es gehn mag.«

Der Pfeifer: »Also dann auf Grad oder Ungrad, Ihr Herren, ich halt zu Euch. Wirt, auf das bring noch ein Schöpplein vom Bessern. Mit Verlaub, Ihr Herren.« Er setzte sich zu ihnen an den Tisch und hatte sie bald in einem heiteren 130 Gespräch. Der Eisenbeiß zumal schien nun bestrebt, kurzweilig zu sein, und erzählte viel von ihrem Geschäft, von dem Absatz, der auf der Messe zu erwarten, und von Güte und Menge der mitgeführten Ware. Als schließlich der Muffel daran erinnerte, daß sie noch aufs Amt müßten, den Zoll zu zahlen und den Gleitsbrief zu holen, sagte der Pfeifer, er wolle indes das Fußweglein über die Urbanikapelle vorausgehen, da die Gäule bis zum Wald hinauf ohnedem schon genug am Strang hätten, und er würde sie oben hinter Rechtenbach treffen, wo die Straße mit dem Eselspfad kreuzt. »Dort stell ich Euch einen Weiser, daß Ihr nit irr fahrt,« sagte er. Damit nahm er Laute und Mantel und schritt, während die Kaufleute zum Amtshaus gingen und die Wagen schon die Straße heraufrollten, gemächlich pfeifend dem Frankfurter Tor zu und durch dieses hinaus. Wie er aber Turm und Mauer im Rücken hatte, schob er zu und in atemloser Hast den Berg hinan.

Ein Stündlein später war der Meßzug endlich in Schwung gekommen und rollte plump und lang durchs Frankfurter Tor hinaus und im tiefen Kotstrom der allmählig ansteigenden Straße zum Wald empor. Voraus zwei Rienecksche Reiter, dann die Kaufleute auf schlechten Mietkleppern, die Fuhrleute zumeist neben den Pferden, beiderseits der Wagen die Lohrer Fußknechte in Harnisch und Eisenhauben mit langen Spießen und die sechs Ballenbinder, die nun auch Soldaten spielen mußten. Den Beschluß machten abermals zwei Geleitsreiter.

Bis Rechtenbach ging es ohne Anstand mit kurzen Schnaufrasten hinauf. In dem Dörflein, das aus wenigen Waldbauernhäusern und einer qualmenden Glashütte bestand, gelang es, noch einige Paare Ochsen und Pferde als Vorspann aufzunehmen. Nun kam der Wald. Die Straße stieg merklich am Ufer des Rechtenbaches, der trübschäumend über Wurzelwerk und Steinblöcke niederstürzte. Zu beiden Seiten dunkle Waldlehnen. Feuchter Nebelrauch, mit dem beizenden Qualm einsamer Kohlstätten vermischt, hob sich träg aus den Wipfeln, feuchte Höhenschleier zogen immer tiefer den Reisenden entgegen. Scharfes Windsausen in 131 den Baumkronen, prasselnder Tropfensturz, eintöniges Regengeleier und Bachbrausen, dem sich manchmal das laute Geplauder hochgeschwellter Wasserrisse von den Hängen herab zugesellte. Die Straße war nun in der Steigung mit rotem Sandstein roh gepflastert und hatte zolltief eingefahrene, harte Geleisrinnen, in denen die Zugtiere mühsam traten. Oft rutschte ein Huf, oft stob es Funken von den Eisen über die Pfützen hin. Alle fünfzig Schritte gab es Halt, die schaumbedeckten Pferde standen mit schlagenden Flanken, stemmten die Beine in straffen Strängen gegen den Anstieg und bliesen Schaumflocken von den Mäulern. Die Fuhrleute legten Prügel unter die Räder, daß die Wagen nicht zurückrollten. Und jedes neue Anfahren brachte mächtiges Geschrei und Peitschengeknall. Die Straße überquerte auf einem wuchtigen Steinbogen den Bach und trat nun ganz in dichten Wald, der von stockenden Nebeldämpfen erfüllt war. Die zwei Kaufleute hielten sich ab Rechtenbach in der Mitte des Zuges. Die Rasten häuften sich. Der Eisenbeiß wurde unruhig und spähte immerzu angestrengt nach beiden Seiten in die zähen Dünste, die doch nichts blicken ließen, als ein paar Reihen feuchter Buchenstämme, hinter denen tropfendes Unterholz, faulende Baumstrünke, Kräuter, moosbewachsene Blöcke und abermals Stämme und Stämme aller Stärke und Gestalt ein immer ungewisser in den Nebel hindämmerndes und verschwimmendes Grau voll gespenstischer Bildungen woben.

»Horch!« sagte er zum Muffel, »hörst du nichts? Mir ist immer, als gingen Tritte neben uns im Holz mit . . . Da! . . . Hat nicht ein Zweig geknackt? . . .«

»Das sind die Tropfen, die so fallen,« versetzte der andere ärgerlich.

Der Eisenbeiß: »Meinst du? Wann nur der Wind aufhörte! Der laßt einen gar nichts mehr recht wahrnehmen. Was stehn sie nur da vorn wieder so lang?«

Es ging weiter. Die Straße machte eine Wendung nach rechts und dann in steilem Anstieg wieder einen scharfen Bug nach links. Das war kurz vor gewonnener Höhe die schlimmste Stelle. Der erste Wagen, ein Vierspänner mit 132 schweren Zughengsten, blieb schon stecken. Die Fußknechte mußten in die Speichen greifen, die Räder traten in der Biegung aus den Geleisen und polterten wieder hinein, die hochbeladene, mit Plachen überspannte Fuhre schwankte bedenklich. Aber es glückte. Der Wagen kam um die Drehung und knarrte schwer die nun gerade Steile hinauf, wenn es auch fortgesetzter Zurufe und Peitschenschläge bedurfte, um die im Hinterteil breit niedersitzenden und mit aufgeworfenen Köpfen verzweifelt zerrenden Gäule von zehn zu zehn Schritten vorwärts zu bringen. Die nächste Fuhr, die schwache Pferde und einen Ochsenvorspann hatte, kam nicht weiter. Der ganze Zug stockte. Eilig mußten die Räder gehemmt und verspreizt werden. Erst war um den festgefahrenen Wagen ein Zusammenlaufen und stummes Betrachten der stehenden Räder und der erschöpft schnaufenden Tiere. Dann ging es an ein Raten, Rufen und Befehlen durcheinander. Die Fußknechte tauchten an, die Geißeln klatschten auf die Pferde nieder, der Bauer vorn zog die Ochsen am Joch, alle schrien hü! im Chor. Es half nichts. Der Muffel ritt vor zur stockenden Fuhre und dem lärmenden Haufen an der Straßenkrümme. Der Eisenbeiß hielt es für überflüssig, den Auflauf durch seine Anwesenheit noch zu vermehren, da er sich aufs Fuhrwerk doch nicht besser verstand als jene, deren Sache es war, und blieb auf seinem Klepper vor einem Ochsengespann halten. Er hob den Hintern im engen Sattel und verzog das Gesicht dabei. Das ungewohnte Reiten schmerzte. Der Gaul ließ den Kopf hängen und klapperte mit dem Gebiß. Es war dunstig umher wie in einem Dampfbad. Sie befanden sich nun in einem jüngeren Waldbestand mit eng wachsenden Buchen und Fichtenstämmen. Die Wipfel verschwammen im Nebel. Die Gestalten wurden auf zehn Schritte schon ungewiß. Unaufhörlich troff es von Laub und Zweigen. Das Windgesaus verwirrte alle Stimmen. Der Eisenbeiß gähnte wiederholt, rückte im Sattel, sah in die Trübe hinauf und in den Dunst umher.

Plötzlich wieherte es neben ihm, und sein Pferd antwortete vergnügt. Er sah einen geharnischten Reiter zu seiner Linken und meinte, es sei einer von der Hinterhut, der auch nach 133 vorn wolle, um etwa zu helfen. Der Kaufmann starrte ihn dumm an. »Warum,« dachte es in ihm, »warum haben die Gleitsreuter itzt auf einmal die Kappen für die Nas gezogen?« Denn dieser da hatte unter der Eisenhaube ein gänzlich vermummtes Gesicht und sah nur durch schmale Augenschlitze gleich den Gugelmännern, die bei Leichenzügen mitzugehen pflegen. Der Reiter jedoch wandte den Spieß und setzte ihm die scharfe Spitze auf die Brust. Jetzt blitzte es dem Eisenbeiß grell im Hirn auf: »Schnapphähne!« Es wollte herausgebrüllt sein aus jäh entsetzter Seele, aber es gurgelte ihm nur dumpf im angstgeschnürten Hals. Er riß das Pferd herum und sah unter sich das breite Gesicht des blaubekittelten Ochsenbauern, das ebenfalls der aufgetauchten Erscheinung zugewendet war, aber ganz töricht und gleichgiltig schien, ja etwas wie ein heiter verlegenes Grinsen zeigte. Der Kaufmann riß seinem Gaul den Kopf in die Höh und stieß ihm zugleich die Sporen in den Bauch. Das Pferd knickte hinten ein, rutschte und tat einen schiefen Sprung gegen die andere Straßenseite. Den Eisenbeiß tauchte es nach außen, er fing sich am Zügel, der Gaul prallte zurück, der Kaufmann lag ihm auf dem Hals und sah mit erneutem Schreck einen andern Reiter vor sich, der ein verschlossenes Eisengesicht mit einem spitzigen Schnabel hatte und ihm eine gespannte Armbrust mit eingelegtem Pfeil vorhielt. Der Kaufmann stammelte grün im Gesicht mit blutlosen, verzerrten Lippen: »Wir haben Gleit, wir sein Rieneckisch!« Aus dem Helm fuhr ihn eine dumpfe Stimme an: »Du bis Nürnbergisch, du bis gefangen!«

Von allen Seiten tauchten vermummte Reiter aus dem feuchtrauchenden Gehölz. Es wieherte, stampfte, knirschte, klang von Eisen, scholl von rauhem Geschrei. Sie machten sich an die Wägen und zwischen die Gespanne und hieben auf die Fußknechte ein. Ein Rieneckscher Reiter kam den Wagen entlang die Straße herabgerast, ein Verkappter mit breitem Federhut hinter ihm her, schlug ihn mit einem Streithammer auf Helm und Schultern, daß es krachte, der Rienecksche rannte gegen zwei andere, sein Gaul stürzte, der Reiter fiel in ein Ochsengespann hinein, die Wagenpferde fuhren auseinander und schlugen über die Stränge. 134

Dann wurde es plötzlich still. Nur die Pferde wieherten sich fröhlich an und scharrten mit den Hufen, und vorn an der Spitze des Zuges gab es eine erregte Streiterei, aus der man Worte wie »Gleit – Rieneckisch – ich scheiß drauf« und dergleichen verstand. Der Eisenbeiß war von dem Reiter, der zuerst auf ihn gestoßen war, am Arm gefaßt worden. Er versuchte nicht mehr zu reden, starrte bleich mit unruhvollen Augen umher und sah einen stattlichen Ritter an der Wagenreihe herabkommen, der auf einen breiten Schecken saß, ein nacktes Schwert in der Eisenfaust hielt und das Haupt im schmucklosen, geschlossenen Helm unter den Zweigen bückte.

»Keiner ausgewischt?« fragte er mit starker Stimme durchs Visier, während er vorbeiritt.

»Keiner – hab keinen gesehn,« antwortete es da und dort. Der Edelmann ritt an den Schwanz des Zuges, der von einem Ende zum andern durchaus von Reitern umstellt war.

»Nehmt ihnen die Waffen ab, bindt sie zusamm,« tönte die starke Stimme. Er kam wieder herauf geritten. »Rösch! Die Zugseil herunter und je ein Paar fürgespannt!« rief er.

Seine Befehle wurden schleunig befolgt. Einige der Reiter saßen ab. Man entwaffnete und versicherte die Gefangenen. Seile, die aufgewunden an Sätteln hingen, wurden abgerollt. Man zog sie Reitpferden durch die Gurten und spannte je einen Reiter rechts und links der Stangenpferde vor die Wagen. Alles geschah behend und geübt. Die Verkappten sprachen kaum ein Wort dabei. Alles geschah düster und schattenhaft. Der Regen fiel unaufhörlich in dünnem Geriesel, ab und zu schüttelten die Wipfel schwere Tropfen drein. Der Nebel wob und zog. Oben in den höheren Waldlagen zog und sauste das scharfe Wehen. Dem Eisenbeiß war wie im Traum. Der Reiter neben ihm nahm ihm die Zügel aus der Hand, schlug sie über den Kopf des Gaules herab und führte ihn zwischen den Wagen heraus auf den Straßenrand. Ein anderer hinter ihm sagte: »So du davon trachtest, stoß ich dir den Spieß in Rucken.«

Die Abgesessenen saßen wieder auf. »Hü! Hü! Hoscha! Hü!« ging es los. Peitschen knallten und klatschten, Hufe knirschten. Hui! Jetzt war Reiterzug in der Sache. Keine 135 Fuhr stockte mehr, fast im Trab zogen die Gespanne. Die Wagen schwankten in den Geleisen hin und hergerissen, die nebenher Reitenden hielten mit den freien Händen dagegen. In wenigen Minuten war die Höhe erreicht.

Hier trat der Wald auseinander und öffnete einen Wiesengrund beiderseits einer Bachniederung. Die Straße kreuzte mit einer anderen, die von Süden nach Norden zog. Eine riesige alte Eiche stand in der Gabelung. Und davor hielt der Pfeifer auf seinem Schimmel unverhüllten Gesichtes und machte eine lange Nase in der Richtung Aschaffenburg.

Um die Straßenkreuzung wimmelte es bald von Reitern. Es mochten bei dreißig Buschklepper zusammengekommen sein. Wüste Gestalten waren dabei mit rauhen Mänteln oder zerlumpten Kitteln überm Harnisch, und Edelleute in guten Rüstungen und Reitröcken mit eingenähten Farben. Und alle verkappt, kein Gesicht, außer dem niederträchtig lustigen des Pfeifers.

Alles ging schön in Ordnung vor sich. Die Wagen mußten reihauf in den nördlichen Straßenzweig einfahren. Ein kurzer, sehr beleibter Reiter auf einem Falben wies dem ersten Fuhrknecht die Richtung, sprengte dann in die Wiese hinaus, wandte das Pferd und rief: »Halt!« als der letzte Wagen angeschlossen hatte. Einer der Rieneckschen Reiter war verwundet. Er wurde gestützt herangeführt und auf einen Baumstrunk gesetzt, wo man ihm den Helm abnahm und ihn labte und verband. Der Eisenbeiß erblickte den Muffel wieder, der nahe der Eiche zwischen zwei Reitern hielt. Auch der Eisenbeiß wurde dorthin geführt, und man hieß die Kaufleute absitzen. Der stattliche Ritter auf dem Schecken und einige der anderen saßen gleichfalls ab und traten unter die Eiche. Der Ritter ließ die Kaufleute herankommen. Die Rieneckschen Geleitsmänner und die Ballenbinder, die von Schnapphähnen umringt auf einem Haufen beisammen standen, wurden den Wagen nachgeführt, bis sie außer Hörweite waren. Auch den Verwundeten brachte man eine Strecke abseits.

Der Ritter schlug das Visier auf. Sie sahen in ein gebräuntes Antlitz von strengem Schnitt mit schönen, hellblauen Augen, die fast Vertrauen einflößten. 136

»Ich bin Mangold von Eberstein,« sprach der Ritter, »und ihr müßt in der Agatha Odheimerin Namen gefangen sein, weil die Stadt Nürnberg ihr das Ihre enthält und zu keinem Vertrag kommen mag, ihr auch kürzlich gar schändliche Schmach getan, davor ich geschworen hab, daß ich einem jeden Nürnberger, der mein wird, die rechte Hand will abhauen, bis daß Euer Rat Schuld und Schmach abgetan und der Frau harte Pön gezahlt, als ich befehlen werd.«

Der Ritter stand breitspurig und hielt das blanke Schwert vor sich aufgestützt. Niemand sprach ein Wort. Dem Eisenbeiß wackelten die Kinnladen.

Der Ritter begann abermals: »Alsodann kniet hin und leget ein jeder die rechte Hand da auf den Strunk.«

Jetzt fiel der Eisenbeiß nieder und brach mit lautem Wehklagen in Tränen aus. Der Muffel sah ihn ärgerlich an und gab ihm einen kleinen Fußtritt. Dann räusperte er sich und sprach: »Lieber Junker, ich hört einmal von einem Mann, der tat sich ob seiner Hühner, da sie keine Eier legen wollten, so aus der Maßen erbosen, daß er sie alle tot schlug zur Stund. Danach hatt er weder Eier noch Hennen mehr, und hätt doch jene bekommen und diese behalten, wollt er nur ein paar Wochen gewartet haben. So, mit Verlaub, kommt Ihr mir für, wann Ihr uns Nürnbergischen Gewerbsleuten wollt die Händ abhauen lassen. Womit nachher sollen wir verdienen, auf daß Ihr es uns fürder abnehmen könnt?«

Fritz von Thüngen, der nun gleichfalls das Gesicht enthüllt hatte, tat einen Lacher und meinte, die Sach sei zu bedenken. Mangold aber zog die Stirnfalten zusammen und sprach: »Ist mir nit um Euer Geld, hab Gelds und Guts genug, sondern daß die Frau zu dem Ihren kommt. Euch zwei will ich ohnedem nit behalten und geb Euch einem andern Herrn, der uns heut geholfen hat und tun soll mit Euch, was er mag. Aber so Ihr je wieder lebendig nach Nürnberg kommt, da seht zu, daß der Rat zu einem Vertrag kommt, ansonsten gehts nit nur um Nürnberger War und Händ, sondern um Nürnberger Köpf, und da nit eben um die schlechtern.«

Er winkte, daß man die Kaufleute abführen solle. Der 137 Muffel aber hub noch einmal zu reden an und sagte: »So habt Dank für Eure Gnädigkeit, lieber Junker. Und das will ich Euch nit verhalten, wir hätten uns des Himmelsfalls eher versehn, dann daß Ihr uns heut sollt niedergeworfen haben, aus der Ursach, daß allererst vor wenig Tagen unser bei hundert Kaufmänner zu Nürnberg auf dem Markt gestanden und Eurer zu Red geworden. Und haben gute Kundschaft gehabt, daß Ihr allererst bei Roth gewest und habt Güter angreifen und niederwerfen wollen, also daß mich zum höchsten tut verwundern, wie Ihr doch so bald hieher kommen sein mögt.«

Mangold sah erstaunt die andern an. »Daraus kann ein jeder Reutersmann abnehmen,« sprach er, »was große Verräterei die von Nürnberg über ihre Feind haben, und daß sie groß und viel darauf wenden müssen.«

Die Kaufleute wurden weggeführt. Die Junker – es waren außer Mangold und Fritz von Thüngen noch zur Stelle Lorenz von Rosenberg, Nebukadnezar Voit, Philipp von Rüdickheim, Sigmund von Thüngen und der dicke Wilhelm Fuchs von Bimbach – berieten miteinander, wohin die Beute zu bringen sei. Mangold machte ihren Verhandlungen ein Ende. »Übern Main kommt itzt kein Fuhrwerk,« sagte er, »und wer weiß wie lang. Drum: Drei Wagen nach Rüdickheim, drei zum Brandenstein, drei nach Burgsinn. Die zween Kaufleut und die Ballenbinder nimmt der Voit nach Urspringen. Was er an Schatzung gewinnen und unser ein jeder von der War lösen mag, das teilen wir unter uns sieben auf Ritterwort. Die Bauern aus Rechtenbach wollen wir auf Wort und Bedroh heim lassen, die Rieneckischen aber müssen mit bis hintern Wald, daß keiner ein Geschrei heb, eh wir untergeschloffen.«

»Der Bastian wird ein groß Geschrei heben, daß man ihm ins Gleit gefallen,« meinte Fritz von Thüngen.

Mangold drauf: »Mag er. Drum alle wieder die Kappen fürgezogen und kein Wörtlein mit denen geredt, so mögen sie riechen, wers gewesen, bis die Kaufleut wieder los sind. Darnach red ichs schon aus mit dem Bastian. Auch sollen die Rieneckischen den Gleitlohn kriegen, und der Verwundete 138 ein Trinkgeld drauf, hat der Bastian weniger zu schreien. Zuletzt habt alle Dank für Eure Hilf und guten Dienst. War eine nasse Jagd. Die mehreren von uns halten schon bei acht Tag dahier im feuchten Wald und Kohlhütten. Ist uns aber doch einmal ein feist Wild ins Garn gangen. Wollen hoffen, bald wieder.«

Sie schüttelten einander die Hände. Noch wurde ein Imbiß genommen, in Zinnflaschen ein Trunk herumgereicht und dann aufgesessen.

Man führte die Kaufleute dem Trupp zu, der sich in mittäglicher Richtung sammelte. Der Pfeifer sprengte heran, hielt und sprach zu ihnen: »Wahrlich, der Spessart ist ein schlimm Gehölz, mehr Rauber schier als Bäum. Wir müssen froh sein, daß es vorüber ist, weiß der Teufel, was weiter hätt kommen mögen.«

Der Muffel drohte ihm: »Du Poswicht hast uns verkundschaft. Sieh nur zu bei deinem halsbrecherischen Gewerb, daß du nit einmal an einem Seil hängst, statt drauf zu springen.«

»Herr,« versetzte der Pfeifer, »beim Tuchhandeln wie bei der Schelmerei kommts auf eins hinaus: Man darf sich nit erwischen lassen. Fahrt schön!« damit kehrte er den Schimmel und jagte hinter den Wagen her.

Der Eisenbeiß wandte sich im Sattel und sah weinerlich den Fuhren nach, wie sie nordwärts auf der Eselsstraße im hohen Wald entschwanden. Lenhart Schupff, der ihm zur Seite ritt, begleitete seinen Blick und sprach gelassen: »Da geht es alle hin! sagte Scheißinsbett.«

Nebukadnezar Voit und Lorenz von Rosenberg führten den Zug, der nun die Waldwiese hinter sich ließ und durch hochstämmigen Eichenforst kam. Dann folgte eine Anhöhe mit einer weiten Blöße, wo die Glasbrenner im schönen Holz gewüstet hatten. Einige Köhler nährten ihr Gewerbe von den übriggebliebenen Strünken. Der weißliche Rauch der Meiler zog im Wind über die Lichtung herauf, die westwärts im Ausschnitt einen Blick über die ungeheuren schwarzblauen Waldweiten unterm ziehenden Wolkenhimmel öffnete. Der Regen hatte aufgehört. Das Gewölk schien 139 sich zu lockern und ließ stellenweise Sonnengarben durch, die in schrägen Dunststrahlen ferne Höhenzüge und Gründe überleuchteten.

»Es klärt auf,« sagte einer der Reiter. Die Kaufleute vernahmen, wie besprochen wurde, daß man bei Rotenfels versuchen wolle, mit der Fähre über den Main zu kommen. Längstens morgen würde das Wasser wieder gefallen sein.

»Es klärt auf!« Dem Eisenbeiß zerschrie es das Herz. Er sah im Geist vor sich, wie sie an den Main kommen und etwa ihren Schelch erblicken würden, friedlich gen Frankfurt hinabschwimmend und leer.

Die Tropfen, die ihm in die zusammengepreßten Lippen hinabrollten, waren sauer und nicht vom Regen.

 


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