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7. Kapitel

Ich ging gleich daran, mich mit dem Plan meiner Arbeit zu befassen. Nachdem ich mir die Sache überlegt hatte, schien es mir interessanter, den Ertrag meiner Lektüre zu einer knappen Abhandlung über das Leben der Bauern durch alle Zeitalter hindurch auszunützen, als mich einzig nur an die gegenwärtige Lage der Landleute von Cremery, La Clayette, Baugignoux und der umliegenden Ortschaften zu halten.

Ich machte mich also daran, alte Bücher und Broschüren zu durchstöbern und Notizen zu sammeln.

Unsere Wohnung in der Waldhütte setzte sich aus einer Küche oder vielmehr gemeinschaftlichen großen Stube, einem kleineren Zimmer und zwei Kammern zusammen, wovon die eine als Geschäftsraum oder sog. »Bassie« diente, die andere wurde als Milchkammer benutzt. Am Vorabend, um bequemer arbeiten zu können, zog ich mich in jene Kammer zurück, denn wie sollte ich sonst eine genügende Ruhe im Lärm des Hausstands und dem fortwährenden Geschnatter der Frauen finden.

Aber Jeanne kam mir bald nach, um mir Gesellschaft zu leisten. Sie tadelte mich, daß ich mich absonderte, um Papier vollzukritzeln. Sie wollte mich um jeden Preis in die andere Stube zurückholen, damit ich in der Nähe des knatternden Ofens blieb.

»Ich sorg mich doch um dich, du mußt es hier kalt haben … und ich langweile mich auch, wenn du nicht mit uns bist. Komm doch mit, nicht wahr, das ist doch jetzt genug für einen Abend … Du kannst ja auch arbeiten, wenn du willst, wir werden nicht mehr sprechen, ganz gewiß.«

»Ihr würdet euch doch nicht davon abhalten können wenigstens zu flüstern, und das stört mich noch mehr, ganz davon abgesehen, daß mein Vater sich langweilt und gähnt, wenn er nicht sprechen soll.«

Daraufhin setzte sie sich neben mich, brütete wie eine Henne über mir und machte sich den Augenblick wieder zunutze, als ich den Kopf hob, um mich wieder zu unterbrechen:

»Komm doch, bitte, du holst dir sicher eine Krankheit hier. Kaum eine Viertelstunde bin ich hier, und ich bin schon ganz durchfroren.«

»Warum bleibst du denn hier! Ich schlag mir was um deswegen und hab doch auch einen heißen Ziegel unter den Füßen. Aber was tust du … du setzt dich da ohne Vorsicht; suchst du dir einen Schnupfen zu holen?«

Ich machte mich wieder über meine Schmöker her und setzte meine Aufzeichnungen fort.

Und Jeanne, die bemerkte, daß ich ihr doch entschlüpfte, bemächtigte sich halb schalkhaft, halb verdrießlich einiger meiner Manuskriptblätter und las sie durch.

»Weißt du, all das ist ja gut zurechtgesetzt, aber das einzige, das du dir dabei holst, werden die Feinde sein, die du dir machen wirst … Du willst also auf mich nicht hören, Dickkopf; dann geh ich, die Kälte geht mir durch und durch.«

Manches andere Mal, wenn das Wetter draußen milder war, zögerte sie länger herum, bis es so weit kam, daß sich darüberhin die Verbindungstür zwischen den beiden Zimmern knarrend öffnete und das offene, gutmütige Gesicht meiner Mutter in der Türöffnung im Halbschatten auftauchte:

»Komm, Jeanne, geh, wärme dich … Ich weiß gar nicht, was ihr da mit der Stube habt … aber du bist grad so wie Marcel: wenn ihr da einmal hineingeht, findet ihr euch nicht wieder heraus!«

Pünktlich um neun begannen meine Augen sich zu trüben, und etwas wie Prickeln und Zucken ging mir durch alle Glieder, öfters auch machte sich das Eindringen der Kälte bemerkbar, und mein Gehirn wurde aufsässig. Ich ordnete die Bücher und Papiere und gesellte mich zu meinen Eltern und zu meiner Frau am Ofen. Ich reckte mich voll Behagen, indem ich ein wahres Hitzbad nahm, das mir ein rechtes Wohlbefinden und eine angenehme Geschmeidigkeit in meinen ganzen Körper brachte. Ein ganz belangloses Gespräch, die einfältigsten Worte brachten mich jetzt in Heiterkeit und ließen mich ausruhen von der Anspannung meiner Geistestätigkeit.

Das Leben der Bauern im Laufe der Jahrhunderte: Welch beklagenswerte Odyssee in Knechtschaft und Elend!

Da haben wir die römischen Sklaven, die wie die reinen Lasttiere behandelt werden, denen man nur jedes Jahr zu Frühlingsanfang fünf Tage halbe Freiheit und halbes Wohlbefinden gewährte, und das nicht einmal aus einer menschenfreundlichen Absicht heraus, sondern darum nur, daß aus den dann entstehenden flüchtigen Paarungen, die aus dieser kurzen Verschmelzung der Geschlechter hervorgingen, gegen Weihnachten, in der Zeit des Arbeitsstillstands, andere künftige Parias geboren würden. Ebenso wie die guten Züchter verfahren, die auf diese Weise versuchen, zur geeigneten Zeit den neuen Nachwuchs zu haben, der zur Aufzucht bestimmt ist.

Jahrhunderte gehen vorüber. Hier sind es die französischen Bauern in ihrem Werdegang. Der Einfluß des anbrechenden Christentums hat das veraltete Sklaventum zur Auflösung gebracht, aber die Bauern sind jetzt Leibeigene auf der Scholle, auf der das Schicksal sie zur Welt kommen ließ, und ihre Stellung ist jetzt nicht viel beneidenswerter.

Ihre Herren sind siegreiche Krieger, die es verstanden haben, den ihnen auf eine Zeitlang zugesprochenen Boden für sich zu behalten und diesen ursprünglichen Besitz ihrer Macht oder ihrer Habgier gemäß abzurunden. Sie haben sich nach und nach zu großen oder kleinen Herren gemausert, die wie unabhängige Tyrannen regieren, oder kirchliche Würdenträger, Bischöfe, Äbte, Klöster, gierig auf irdische Güter, suchen sich fette Pfründen. Unter den Unfreien selbst haben es einige Begünstigte, die mit dem Verwaltungsdienst betraut sind, eilig, ihre Macht zu mißbrauchen und sich an der Not ihrer Brüder zu bereichern.

Und die Bauern, die allen diesen Kategorien der Unternehmer unterstellt sind, bleiben den Worten eines Geschichtsschreibers gemäß »die enterbten Zweitgeborenen der großen menschlichen Familie«.

Da sieht man nun um das Jahr 1000 herum die Bauern aus der Normandie, überdrüssig weiter zu leiden, sich empören.

Ich führe hier ihren von Leidenschaft durchpulsten offenen Aufruf an:

 

»Die Herren fügen uns nur Schlechtes zu. Wir können von ihnen weder Recht noch Gerechtigkeit erlangen. Sie haben alles, nehmen alles, essen alles und zwingen uns, in Arbeit und Leid zu leben. Jeder Tag ist für uns ein Tag der Mühsal; wir haben keinen Gewinn aus dem Ertrag unserer Arbeit, so viel Dienst, Steuern, Fron gibt es.

Warum sollen wir uns so behandeln lassen? Befreien wir uns aus ihrer Macht! Wir sind Menschen wie sie, wir haben dieselben Glieder, ein ebenso geformtes Herz, dieselbe Macht zu fühlen, und wir sind hundert gegen einen … Schwören wir uns zu, uns gegenseitig bei der Verteidigung zu helfen, tun wir uns alle zusammen, und kein Mensch wird Herrschaft über uns haben können. Und wir werden frei von Steuerlast sein, die Bäume werden wir fällen dürfen, das Wild jagen, die Fische fangen und alles nach unserem Willen tun im Wald, auf den Feldern und auf dem Wasser.«

 

Sie halten ihre Versammlungen bei Nacht ab; sie sind voll Begeisterung. Eine jede ihrer Gruppen ernennt zwei Abgesandte, und die Abgesandten aller müssen sich zusammenfinden, um eine gemeinsame Bestimmung und die einzeln aufgenommenen Beschlüsse zusammenzufassen. Aber die Herren, über die ihnen drohende Gefahr unterrichtet, handeln ihrerseits. Ein Graf von Evreux beginnt einen Feldzug, läßt die Mehrzahl der Abgesandten der Bauern ergreifen und rächt sich grausam an ihnen. Gewissen unter jenen Unglücklichen sägt man die Füße und die Arme ab, anderen reißt man die Augen aus dem Kopf, röstet ihnen die Kniekehlen wund; einige von ihnen werden bei lebendigem Leibe aufgespießt und andere mit geschmolzenem Blei übergossen …

Die Ordnung ist wiederhergestellt …

Bis 1089 treten sie immer wieder in Erscheinung, diese periodischen Bauernrevolten, einmal hier, einmal da im Reiche. Sie kommen immer wieder an die Oberfläche, diese aus Not und Elend gewachsenen Ausbrüche, aber immer wieder werden sie in Blut mit der galten Raffiniertheit einer wahrhaft barbarischen Grausamkeit erstickt, und die meisten der Chronisten, ob Mönche oder große Herren, suchen die armen Jacques Jacques entspricht dem deutschen Michel. dem Tadel der Geschichte preiszugeben, indem sie ihre Übertretungen übertreiben, die sicher bedauerlich genannt werden können, aber nicht die Greueltaten derjenigen überschreiten, deren fortgesetzte Opfer die Bauern sind. Und so müssen die Bauern die Waghalsigkeit des einen Tages sehr teuer bezahlen! …

Ich zähle sie auf, diese Revolten, indem ich eine jede von ihnen in ein paar Sätzen zusammenfasse, wobei ich mich über die berühmte Jacqueriade des Jahres 1358 etwas ausführlicher ausbreite, die in der Geschichte die nachhaltigste Erinnerung hinterlassen hat, indem ich die Aussprüche anführe, die an manche von ihnen geknüpft werden:

»Man hat sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu verdienen; die Edelleute sollen arbeiten, wenn sie leben wollen …« sagen 1430 die Jacques von Maconnais und von Forez.

Und um dieselbe Zeit herum äußern sich die »Tuchins« aus der Auvergne und aus Limosin und den Südprovinzen:

»Wo sind da die Herren gewesen, als Adam die Erde bestellte und Eva den Spinnrocken schnurren ließ?«

Sechzig Jahre später beklagen sich die Elsässer: Bliensviller, Zeigler und Uman:

»Die eigentümliche Verteilung der Schicksale hienieden verdammt den Bauern dazu, die Arbeit, die zum Leben nötig ist, allein zu tragen, eine Arbeit, die das Land bereichert, ihn aber lechzen läßt unter dem Druck eines zermalmenden Elends, während der Adel über ihn eine Art Tyrannei ausübt und die Geistlichkeit in einem Überfluß lebt, der sie oft zu Ausschreitungen verleitet, die ihres Amtes unwürdig sind.«

Ich führe auch noch diesen Antrag eines bäuerlichen Abgesandten zu der Generalversammlung der Stände vom Jahre 1489 an, der bei seiner Einfältigkeit voll eines tiefen Sinnes ist:

»Wir verlangen Beseitigung der Kaninchen, Tauben und Mönche: die einen fressen unser Getreide auf, wenn es grün ist, die anderen das Korn, die Dritten schlingen die Garben herunter.«

Ich zeige, wie sehr sie gerechtfertigt waren, diese Klagen und diese Revolten, und wie, indem sich im Laufe der Jahrhunderte der soziale Aufbau änderte, der Bauer der ewige Narr bleibt. Die Städte erringen sich nach und nach im langen und zähen Kampfe Rechte, Selbstverwaltung und etwas Macht. Sie benutzen sie, um sich vom Druck, den die Herren ausüben, freizumachen und sich vor dem Frondienst sowie vor den Abgaben zu schützen. Sie erlangen sogar das Recht des Aufgebots über die unglücklichen Landleute, die gezwungen werden zu kommen, um an ihren Mauern zu arbeiten und ihnen ihre Schutzgräben zu graben. Und diese Schlauköpfe, die sich zu befreien wußten, hoffen nun das Recht zu erlangen, ihrerseits diejenigen auszupressen, die in der Hölle der Leibeigenschaft verbleiben.

Was nützen die vermeintlichen Freiheitsprivilegien der Könige, die gegen wenig Barschaft den Bauern eine Scheinfreiheit verkaufen? Sie bleiben doch, wie es Mably bezeugt, »Sklaven der Armut«. »Die Notwendigkeit«, sagt er, »ist mächtiger noch als die nutzlosen Gesetze, die sie frei erklären lassen, sie – die Sklaven bleiben …«

Eine Ansicht, die durch die Worte des großen christlichen Predigers Lacordaire bekräftigt wird, lautet:

»Es gibt nur eine Definition des Begriffs Sklave, das ist ein Wesen, das weder eigenen Grund und Boden, noch Arbeit hat, die es sein eigen nennen könnte.«

Obendrein beglückwünschten sich die Herren selber zu dieser neuen Sachlage, die sie davon befreite, die Landarbeit zu überwachen und ihnen erlaubte, mittels der Abgaben in Naturalien, die sie nach Belieben im voraus erheben konnten, eine wachsende Einnahme herauszuschlagen.

Was liegt daran! Viele bedauern die frühere Knechtschaft, um so mehr, da nun die Zeit der Unruhen und des Elends des hundertjährigen Krieges gekommen ist. Haufen von Soldaten, Räubern, Plünderern – die Bezeichnungen besagen dasselbe – hören nicht auf, die Dörfer zu durchstreifen und leben von der Erpressung des Landes. Das Los der Bauern ist, bestohlen, vergewaltigt und gnadenlos gefoltert zu werden. Sie flüchten in die Städte, ihre Hütten, ihre Ernte zurücklassend, im Bestreben, nur das nackte Leben zu retten, und die verwüsteten Provinzen bleiben entvölkert. Die Wölfe tun das ihre, außerdem der Hunger und die Seuche … Sieht man nicht Mütter, die dazu kommen, ihre Kinder zu opfern oder ihr eignes Fleisch zu Markte zu tragen, um sich nur einmal sattessen zu können?

Und nun gewinnt der königliche Einfluß Macht: es kommt die sogenannte Zeit der Wiedergeburt und die geschichtlich ruhmvolle Regierung Franz des Ersten. Die Bauern, als gemeines Volk bezeichnet, sind unglücklicher denn je, werden mehr denn je verachtet. Ich führe einen alten Geschichtsschreiber an, dem Mitleid wenig bekannt zu sein scheint:

»Sie brauchen Disteln, Brombeeren, Tannennadeln und Stroh, um ihren Hunger zu stillen. Immer arbeiten und leiden, das ist die Bestimmung des gemeinen Volkes.«

Und ein anderer noch:

»Die Hölle hier auf Erden und im anderen Leben, das ist das Los, das Gott für sie behalten hat; er wird sich wohl hüten, der Kanaille Platz in seinem Paradies zu bewilligen.«

Dann das Ende desselben Jahrhunderts: die beklagenswerte Zeit religiöser Wirren. Montaigne erzählt, wie die Kriegsknechte es machen, um den Bauern das Geständnis abzulocken, wo sie ihre Vorräte und ihr Geld verwahrten:

»Man röstet ihnen die Fußsohlen, man zermalmt ihnen die Fingerspitzen mit dem Hahn der Reiterpistole, man zieht ihnen ein Tau um die Stirne so lange zusammen, bis die Augen blutig aus dem Kopf hervortreten. Man bindet sie an Roßschweifen fest, durchbohrt sie mit dreischneidigen Dolchen.«

Hin und wieder tritt die Volksversammlung zusammen. Man bestimmt dann immer neue Steuern, die der gemeine Mann, der nicht vertreten ist, allein zahlen soll.

So redet Marillac, der Prokurator des Königs, in der Volksversammlung im Jahre 1560:

»Die Landbevölkerung soll sich in alles geduldig fügen und Gott danken, wenn man sie mit der gemeinen Steuer Eine Steuer, die vom Adel und von der Geistlichkeit nicht erhoben wird. und mit Auflagen belegt, ohne viel danach zu fragen, warum das so ist, denn es ist Gott selbst, der die gemeinen Steuern und Auflagen zuläßt.«

Immer vertraut man gerade denen, die vom Mißbrauch leben, die Aufgabe an, den Mißbrauch zu unterdrücken.

Wir kommen zu der berühmten Regierung Ludwigs des Vierzehnten. Gleich aus der Zeit seines Regierungsantritts, als die Fronde sich reckte, haben wir das Zeugnis des Geschichtsschreibers Dulaure:

»Die armen Dorfbewohner sind wehrlos der fluchwürdigen Willkür ihrer Herren ausgeliefert, deren Grausamkeit in der Provinz der Kriecherei am Hofe gleichkommt. Man beleidigte den Bauer straflos, beraubte, schlug, verstümmelte, preßte ihn aus und zwang ihn zur verächtlichsten Unterwerfung.«

Für das Ende des Jahrhunderts haben wir als Zeugnis die Worte von Clement, einem anderen Geschichtsschreiber:

»Niemals, man muß es leider sagen, waren die Verhältnisse der Dorfbewohner elender als unter der Herrschaft Ludwigs des Vierzehnten, selbst zur Zeit als Colbert die Staatsgeschäfte leitete.«

Und weiter bei Bourquelot:

»Die armen Leute vom Lande erinnern an ausgegrabene Gerippe; Wolfsnahrung scheint auch zur Nahrung der Christenmenschen geworden zu sein; denn wenn sie verreckte Pferde, Esel oder anderes Vieh erlangen können, fressen sie sich an dem Aas satt, das sie eher tot als lebendig erhält.

»Man fand eine Frau, die vor Hunger gestorben war, ihr Kind hielt sie noch nach ihrem Tode an die Brust gepreßt, auch dieses war drei Stunden später tot. Ein armer Mann, den seine Kinder weinend um Brot anflehten, erdrosselte sie alle drei und nahm sich selbst darauf das Leben.

»Die Armen haben weder Betten noch Kleider, weder Wäsche noch Möbel, sie sind aller Mittel bar. Die meisten sind entstellt wie Skelette, und die Kinder sehen aufgedunsen aus. Viele sterben vor Hunger: die Landstraßen sind mit Leichen umsäumt. Andere wiederum nähren sich von Gras und Wurzeln der Kräuter, die auf den Wiesen wachsen, und verschlingen selbst Aas. Viele haben nicht einmal die Kraft sich zu erheben … In der Umgegend von Bourges fand man neben dem Leichnam einer Frau ihr siebenjähriges Kind, das ihr einen Teil ihres Armes aufgefressen hatte.«

Lesdignières, der Statthalter der Dauphiné, schrieb an Colbert:

»Der größte Teil der Bewohner in der Provinz hat im Laufe des Winters nur von Brot aus Eicheln und von Wurzeln gelebt, und jetzt sieht man sie Gras und die Rinde der Bäume essen.«

Ich halte mich zurück, hier noch den Ausspruch von La Bruyère über »die wilden, schwarzen fahlen Tiere« beizufügen. Man hat ihn so oft benutzt, daß ich glaube, die ganze Welt müßte ihn kennen; aber ich lasse noch Fénelon, den Erzbischof von Cambrai, zu Worte kommen, der folgendes an den König schrieb:

»Ihr Volk stirbt Hungers … der Ackerbau ist fast ganz vernachlässigt. Ganz Frankreich ist ein einziges Krankenhaus voll Verzweiflung und ohne Lebensmittel …«

Und was sagt Boulainvilliers:

»Die Dörfer entvölkern sich. Der Krieg, die äußerste Armut, das Elend der Bauern, die ihre Ernährungsmöglichkeiten und Kräfte immer mehr vermindern, bringen ihnen den vorzeitigen Tod, denn die geringste Krankheit zerstört diese von Entkräftung und Qualen untergrabenen Körper.«

Zu gleicher Zeit sagt derselbe Verfasser über die Bewohner von Berry:

»Es gibt kaum ein wilderes Volk als dieses; man sieht oft ganze Haufen in einem Erdloch kauern und immer ganz weit von den Landstraßen; kommt man ihnen näher, dann flüchtet der ganze Haufen nach allen Richtungen auseinander.«

Und was sagt Jameray-Duval, der Hirt von Lothringen, der durch ein Wunder nur den furchtbaren Winter von 1709 überdauert hat, jener Jameray-Duval, der so begabt, so lernbegierig war, daß er allen Hindernissen zum Trotz Bildung erlangt hatte und das Licht seiner Zeit wurde?

»Die Armut und der Hunger scheinen Besitz von jenen traurigen Landstrichen (in der Champagne) genommen zu haben. Die Häuser, mit Stroh und Schilf gedeckt, sinken ganz in den Boden ein und erinnern an Eiskeller. Ein Bewurf aus Lehm, mit etwas Stroh dazwischen, ist ihr einziger Schutz. Was die Bewohner anbetrifft, so entsprach ihr Aussehen ganz erstaunlich der Armut ihrer Hütten. Die Lumpen, in die sie gekleidet waren, die Fahlheit ihrer Gesichter, ihre verbleichten, stieren Augen, ihre traurige, entkräftete und schlaffe Haltung, die Magerkeit der meisten Kinder, die der Hunger ganz ausgedörrt hatte und die sich zwischen den Hecken und in den Büschen herumtrieben, um gewisse Wurzeln zu suchen, welche sie dann gierig verschlangen, all diese furchtbaren Anzeichen eines allgemeinen Niederganges entsetzten mich und erzeugten in mir einen äußersten Abscheu für diesen trüben Landstrich.«

Über die Zeit der Regierung von Ludwig dem Fünfzehnten führe ich an, was Saint Simon an Fleury im Jahre 1725 schrieb:

»Die armen Leute aus der Normandie fressen Gras, und das Reich wird zu einem großen Krankenhaus voll Sterbender und Verzweifelter.«

Massillon, der Bischof von Clermont, sagt aus:

»Es kann kein ärmeres und unglückseligeres Volk geben als dieses. Unsere Bauern können selbst bei der zähesten Arbeit nicht genug Brot erlangen, weder für sich noch für ihre Angehörigen.«

Turgot schreibt am Anfang der Regierung von Ludwig dem Vierzehnten:

»Der Bauer stirbt Hungers, um uns leben zu lassen.«

Zur selben Zeit sagt Grimm aus:

»Es gibt kein Land, wo die Bauern ein größeres Elend leiden müssen als in Frankreich.«

Und schließlich noch die Worte des Engländers Young, der am Vorabend der Revolution durch die Provinzen Frankreichs reiste:

»Alle Bäuerinnen, ob es Frauen oder Mädchen sind, haben weder Strümpfe noch Schuhe an, und auch der Feldarbeiter ist bei seiner Arbeit barfuß. Es gibt nichts Ärmeres als die Pachtbauern von Bourbonnais, und auch bei Grundbesitzern macht sich diese Armut wirklich fühlbar, und zwar in einer Weise, die ihnen die Augen über ihre Lage öffnen müßte. Die politischen Einrichtungen des Landes sind seit einer Reihe von Jahrhunderten bestrebt, die unteren Klassen zu unterdrücken und die privilegierten zu begünstigen.«

Zwei oder drei Auszüge aus den Aufzeichnungen von Tiers für die Generalstände von 1789 vervollständigen meine Ausführungen.

Ich weise noch auf den ständigen himmelschreienden Mißbrauch der »gemeinen« Steuer, der Zehnten, des Frons und allerhand anderer Abgaben hin, die den armen Landmann trafen, ohne schon von der berüchtigten Salzsteuer zu sprechen, die jeden zwang, eine Minimalquantität Salz zu einem übertriebenen Preise zu kaufen, und noch dazu Salz, das oft geschmuggelt war. Und nur ein Teil dieser Steuer, die von gewissenlosen Zwischenhändlern verpachtet und weiter verpachtet wurde, ein ganz kleiner Teil, ein Fünftel des Ganzen vielleicht, gelangte in die Staatskasse. Die Vermittler verteilten und zerstückelten den größten Teil untereinander.

Ich zeige darauf, wie die Revolution mit glühendem Eisen in das schwärende Geschwür hineinfuhr, das Fundament vielfältiger alter Ungerechtigkeiten treffend, aber unter einer wenig veränderten Gestalt neuen Ungerechtigkeiten zum Aufblühen verhelfend. Die Revolution, die die Bourgeoisie zuungunsten des Adels bevorzugte, hat die Volkslage gar nicht gebessert.

Ich will keinen Nachdruck auf die Lage der Bauernbevölkerung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts legen und mich nur darauf beschränken, was unmittelbare Äußerungen uns darüber berichtet haben, und zwar die Erzählungen unserer Großväter, die unseren Kindesohren vertraut waren.

Für die andere Hälfte des Jahrhunderts genügen unsere eigenen Erinnerungen und die unserer Väter.

Und um die Gegenwart zu skizzieren, bediene ich mich eines geschichtlichen Gleichnisses.

Im Mittelalter, wenn die Mönche eines Klosters mit den Bauern der Umgegend einen Streit auszufechten hatten, nahm man zu einem sogenannten Gottesgericht Zuflucht. Der Bauernvertreter, der mit einem einfachen Stock bewaffnet war, sollte gegen einen Streiter der Mönche kämpfen, zu dem ein gepanzerter Ritter hoch zu Roß auserkoren wurde, der als Waffe eine gewaltige Lanze trug.

»Was schadet diese sichtbare Verschiedenheit der beiden Streiter, wenn Gott entscheiden soll!« sagten die frommen Heuchler.

Und Gott äußerte sich schließlich immer zu ihren Gunsten, weil der Bauer stets der Besiegte war.

Befindet sich nicht in dem schweren heutigen Daseinskampf der Landmann in derselben Lage wie sein dem unverwundbaren Gegner gegenüberstehender Vorfahre? Wurde er nicht zur Beute mancherlei machtvoller Schmarotzer, die erpicht waren, ihn der Früchte seiner Arbeit zu berauben? Und bleibt nicht im Grunde dieser ewig arbeitende Landmann, der sich abquält ohne Ruhe noch Rast, schließlich doch ein Paria, ein Elender?

Es folgen ein paar Belege, um den Eigennutz der Grundbesitzer, die Raubgier und Skrupellosigkeit der Generalpächter, der Händler und all der verbündeten sozialen Mächte zu zeigen, die sich wie ehemals gegen den Ackerbauer vereint haben.

Ich schließe mit einem warmen Aufruf zum Zusammenschluß, der der Quell aller Kraft und Gerechtigkeit ist.

Diesen Abschnitt findet Hervaux zu gemäßigt.

»Du müßtest diesen und jenen Vorfall angeben, das wäre was, ich versichere dich, was würden da die guten Bourgeois sich aufregen!«

Sein Plan wäre gewesen, alles möglichst breitzutreten und einzusteifen, alle Gerüchte zu sammeln und sie mit Ausfälligkeiten und Prahlereien zu pfeffern.

Ich hatte den Mut, mich dem zu widersetzen.

Im übrigen belästigte er mich zuweilen stark, und ich bedauerte oft die Zeit, die ich durch ihn verlor.


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